OGH 06.04.2022, 6Ob32/22g
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Pertmayr und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. P* P*, geboren am * 2004, und 2. A* P*, geboren am * 2006, beide vertreten durch den Vater An* P*, vertreten durch Mag. Susanne Hautzinger-Darginidis, Rechtsanwältin in Wien, über die Revisionsrekurse der Minderjährigen und der Mutter A* S*, vertreten durch Dr. Manfred Müllauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 281/21p-241, mit dem der Teilbeschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 2 Pu 105/10v-231, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs der Mutter wird zurückgewiesen.
Dem Revisionsrekurs der Minderjährigen wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Teilbeschluss – einschließlich der bereits mit Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 2 Pu 105/10v-181, und mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 45 R 350/19g-190, rechtskräftig auferlegten monatlichen Unterhaltsleistungen von 350 EUR je Minderjährigem – insgesamt zu lauten hat:
„Die Mutter A* S* ist schuldig,
1. dem Minderjährigen P* P* für den Zeitraum von bis monatlich 962,50 EUR, von bis monatlich 982,50 EUR, von bis monatlich 997,50 EUR, von bis monatlich 1.177,50 EUR und von bis monatlich 1.185 EUR sowie 4 % Zinsen aus 692,50 EUR von bis , aus 1.385 EUR von bis , aus 2.077,50 EUR von bis , aus 2.770 EUR von bis , aus 3.462,50 EUR von bis , aus 4.155 EUR von bis , aus 4.867,50 EUR von bis , aus 5.580 EUR von bis , aus 6.292,50 EUR von bis , aus 7.005 EUR von bis , aus 7.717,50 EUR von bis , aus 8.430 EUR von bis , aus 9.142,50 EUR von bis , aus 9.855 EUR von bis , aus 10.567,50 EUR von bis , aus 11.280 EUR von bis , aus 11.992,50 EUR von bis , aus 12.705 EUR von bis , aus 13.432,50 EUR von bis , aus 14.160 EUR von bis , aus 15.067,50 EUR von bis , aus 15.975 EUR von bis , aus 16.882,50 EUR von bis , aus 17.790 EUR von bis , aus 18.697,50 EUR von bis , aus 19.605 EUR von bis , aus 20.512,50 EUR von bis , aus 21.420 EUR von bis , aus 22.327,50 EUR von bis , aus 19.891,74 EUR von bis , aus 20.719,24 EUR von bis , aus 21.554,24 EUR von bis , aus 22.389,24 EUR von bis , aus 23.224,24 EUR von bis , aus 24.059,24 EUR von bis , aus 24.894,24 EUR von bis , aus 25.729,24 EUR von bis und aus 26.564,24 EUR ab sowie
2. der Minderjährigen A* P* für den Zeitraum von bis monatlich 962,50 EUR, von bis monatlich 982,50 EUR, von bis monatlich 997,50 EUR und von bis monatlich 1.005 EUR sowie 4 % Zinsen aus 692,50 EUR von bis , aus 1.385 EUR von bis , aus 2.077,50 EUR von bis , aus 2.770 EUR von bis , aus 3.462,50 EUR von bis , aus 4.155 EUR von bis , aus 4.867,50 EUR von bis , aus 5.580 EUR von bis , aus 6.292,50 EUR von bis , aus 7.005 EUR von bis , aus 7.717,50 EUR von bis , aus 8.430 EUR von bis , aus 9.142,50 EUR von bis , aus 9.855 EUR von bis , aus 10.567,50 EUR von bis , aus 11.280 EUR von bis , aus 11.992,50 EUR von bis , aus 12.705 EUR von bis , aus 13.432,50 EUR von bis , aus 14.160 EUR von bis , aus 14.887,50 EUR von bis , aus 15.615 EUR von bis , aus 16.342 EUR von bis , aus 17.070 EUR von bis , aus 17.797,50 EUR von bis , aus 18.525 EUR von bis , aus 19.252,50 EUR von bis , aus 19.980 EUR von bis , aus 20.707,50 EUR von bis , aus 18.271,74 EUR von bis , aus 18.919,24 EUR von bis , aus 19.574,24 EUR von bis , aus 20.229,24 EUR von bis , aus 20.884,24 EUR von bis , aus 21.539,24 EUR von bis , aus 22.194,24 EUR von bis , aus 22.849,24 EUR von bis und aus 23.504,24 EUR ab
binnen 14 Tagen zu Handen des Vaters An* P* zu zahlen.“
Text
Begründung:
[1] Die Minderjährigen werden vom obsorgeberechtigten Vater in dessen Haushalt betreut, die Mutter ist geldunterhaltspflichtig.
[2] Sie war zuletzt aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom (ON 161) zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 270 EUR je Kind verpflichtet. Der Bemessung dieses Unterhalts lag ein (aufgrund des Anspannungsgrundsatzes herangezogenes) Nettoeinkommen der Mutter von 1.500 EUR zugrunde.
[3] Die Mutter heiratete am ihren bisherigen Lebensgefährten und ist seit (richtig) handelsrechtliche Geschäftsführerin einer GmbH, deren Alleingesellschafter ihr Ehegatte ist, woraus sie ein monatliches Durchschnittseinkommen von rund 1.500 EUR netto erzielt. Ihr Ehegatte war (bis ) als Notar tätig und bezog ein so hohes unterhaltsrelevantes Einkommen, dass – bei voller Einrechnung seines Einkommens – der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Mutter gegen ihn einen Unterhalt der Kinder in Höhe der „Luxusgrenze“ rechtfertigen würde. Die Mutter schloss jedoch am mit ihrem Ehegatten einen „Ehepakt“, wonach Unterhalt seitens des Ehemanns einvernehmlich in natura und nicht in Geldleistungen gewährt werde.
[4] Die Minderjährigen begehrten (zuletzt) die Erhöhung des von der Mutter zu leistenden Unterhalts samt Zinsen wie aus dem Spruch ersichtlich. Die Mutter habe nach der Unterhaltsfestsetzung ihren bisherigen Lebensgefährten geheiratet und sei als handelsrechtliche Geschäftsführerin tätig, weswegen der Unterhaltsanspruch gegen ihren nunmehrigen Ehegatten und das Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen seien, woraus Unterhaltsansprüche bis zur Höhe der Luxusgrenze gerechtfertigt seien.
[5] Das Erstgericht verpflichtete die Mutter zur Zahlung von Unterhaltsbeträgen von 600 EUR monatlich je Kind von bis sowie von 630 EUR monatlich für P* und von 570 EUR für A* je von bis (jeweils samt näher bestimmter Zinsen), wies das darüber hinausgehende Begehren samt Zinsenbegehren ab und sprach aus, dass über den weiteren Unterhaltserhöhungsantrag sowie den Herabsetzungsantrag, die den Zeitraum ab betreffen, „zu einem späteren Zeitpunkt“ entschieden werde.
[6] Es bezog in die Unterhaltsbemessungsgrundlage auch den Geldunterhaltsanspruch der Mutter nach § 94 Abs 3 ABGB gegen ihren Ehegatten ein. Dass die Ehegatten während des Unterhaltsverfahrens hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtung der Mutter einen „Ehepakt“ abschlossen, lasse den Anschein erwachsen, dass die Mutter ihre Kinder nicht an ihren (besseren) Lebensverhältnissen teilhaben lassen wolle, was als Unterhaltsflucht zu bezeichnen sei. Im Sinne der Anspannung sei der Geldunterhaltsanspruch daher bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen. Da die Kinder beim Vater lebten, leiste dieser seinen Beitrag durch die Betreuung, sodass seine Einkommensverhältnisse nicht zu erheben seien. Allerdings sei es unbillig, die Mutter zu höheren Unterhaltsbeträgen zu verpflichten, als sie selbst an Einkommen erziele, weil es sonst indirekt zu einer Unterhaltsverpflichtung ihres Ehegatten gegenüber den Kindern käme, was dem „Rechtsverständnis der Bevölkerung“ widersprechen würde. Es sei daher angemessen, dass ihr ein eigener Betrag von rund 70 EUR und die Sonderzahlungen von ihrem Nettoeinkommen verbleiben.
[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Aus dem „Ehepakt“ folge zwingend, dass dessen Zielsetzung allein in der Abwehr der verfahrensgegenständlichen Antragsbegehren der Kinder gegenüber der Mutter auf Erhöhung der bestehenden Geldunterhaltsverpflichtung liege. Unter Einbeziehung des zugestandenen Naturalunterhaltsbezugs in einem nach der unstrittig gebliebenen höheren finanziellen Leistungsfähigkeit des Ehegatten entsprechenden Umfang sei die mit der angefochtenen Entscheidung festgelegte Erhöhung des Kindesunterhalts auf jeden Fall angemessen. Durch den geleisteten Naturalunterhalt finde der erhöhte Kindesunterhalt noch angemessen in ihrem Eigeneinkommen Deckung. Auf die Frage, inwieweit die Mutter eine Verpflichtung treffe, einen Geldunterhaltsanspruch gegen ihren Ehegatten durchzusetzen, brauche nicht eingegangen zu werden. Sie könne jedoch nicht auf ein höheres Einkommen angespannt werden, sondern verfüge nur über dieses und den Naturalunterhalt. Letzterer sei für die Bedürfnisbefriedigung der Mutter zweckgebunden, sodass sie nicht angehalten werden könne, im Hinblick auf den ohnehin gewährten Naturalunterhalt gegen den Ehegatten einen Geldunterhalt zu begehren.
[8] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Frage zu, wieweit ein Unterhaltspflichtiger im Rahmen seiner Anspannungsobliegenheit verpflichtet sei, seine rechtlichen Möglichkeiten auszunutzen, im Hinblick auf die ihn allein treffende Geldunterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind gegen den Willen seines Ehepartners den ihm gewährten Naturalunterhalt in Geldunterhalt umzuwandeln.
[9] Gegen den stattgebenden Teil der Entscheidung richtet sich der (richtig) ordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Erhöhungsbegehren zur Gänze, in eventu für Zeiträume bis , abgewiesen wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Gegen den abweisenden Teil der Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Unterhaltsantrag zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Revisionsrekurs der Mutter ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts – mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.
[12] Der Revisionsrekurs der Antragsteller ist zulässig und berechtigt.
I. Zum Revisionsrekurs der Mutter
[13] I.1. Die Mutter steht in ihrem Rechtsmittel auf dem Standpunkt, dass ein Geldunterhaltsanspruch nach § 94 Abs 3 S 1 ABGB nur einem einkommenslosen Ehegatten zustehe, ihr Verzicht auf Geldunterhalt im „Ehepakt“ eine zulässige Gestaltung der Lebensverhältnisse der Ehegatten darstelle und ihr durch die Unterhaltsfestsetzung neben den Sonderzahlungen bloß ein „Taschengeld“ von ihrem Arbeitseinkommen verbleibe, das zur Deckung ihres Aufwands nicht ausreiche. Insgesamt werde indirekt ihr Ehegatte zur (Geld-)Unterhaltsleistung verpflichtet.
[14] I.2.1. Die Mutter bestreitet nicht, dass der von ihr bislang gewährte Unterhalt den Regelbedarf der Kinder im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht deckte und somit grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Anspannung gegeben sind. Jedenfalls vor diesem Hintergrund ergibt sich bereits aus der bisherigen Rechtsprechung hinlänglich, dass ein fiktiver Geldunterhaltsanspruch des Unterhaltspflichtigen gegenüber seinem besser verdienenden
Ehegatten grundsätzlich als Bestandteil der Unterhaltsbemessungsgrundlage für ein Kind heranzuziehen ist (4 Ob 67/21p [Pkt 4.1.]; 7 Ob 164/06b), und zwar auch für die Vergangenheit (4 Ob 67/21p [Pkt 4.2.]).
[15] I.2.2. Soweit die Antragsgegnerin unter Berufung auf Gitschthaler (Unterhaltsrecht4 Rz 302, 1235) die Rechtsansicht vertritt, dass ein Geldunterhaltsanspruch gemäß § 94 Abs 3 S 1 ABGB nur dem einkommenslosen Ehegatten zustehe, kommt es darauf im vorliegenden Fall nicht an. Auch Gitschthaler geht nämlich bei exorbitanten Einkommensunterschieden der Ehegatten tatsächlich von einem einkommenslosen Ehegatten aus (aaO Rz 1235). Im Einklang dazu bestätigte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 164/06b die Auffassung der (dort) Vorinstanzen, die einen auf § 94 Abs 3 ABGB gestützten Geldunterhaltsanspruch des einem Kind gegenüber unterhaltspflichtigen Ehegatten bei einem monatlichen Einkommen von 1.392 EUR gegen die mit 9.580 EUR besser verdienende Ehegattin bejahten. Dieser Fall ist hinsichtlich der heranzuziehenden Einkommen(-sunterschiede) der Ehegatten mit dem vorliegenden gut vergleichbar, lässt sich doch aufgrund der Außerstreitstellungen rechnerisch ein heranzuziehendes Nettoeinkommen von zumindest 12.000 EUR ihres Ehegatten annehmen, das die Mutter auch im Revisionsrekurs beispielhaft nennt. Damit besteht aber kein Anlass, an einem Geldunterhaltsanspruch der Mutter gegenüber ihrem Ehegatten nach § 94 Abs 3 ABGB zu zweifeln.
[16] I.3.1. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, ob die Mutter – wie sie im Revisionsrekurs vertritt – bis zum Unterhaltserhöhungsantrag der Kinder von einem konkreten, gegen ihren Ehegatten bestehenden Geldunterhaltsanspruch nach § 94 Abs 3 S 1 ABGB nichts wusste, weil bereits die (leicht) fahrlässige Herbeiführung eines Einkommensmangels durch Außerachtlassung pflichtgemäßer zumutbarer Einkommensbemühungen für eine Anspannung ausreicht (RS0047495 [T1, T2, T18, T24]; vgl auch RS0107086). Entgegen der Behauptung im Revisionsrekurs handelt es sich bei der Anspannung des Unterhaltspflichtigen durch Einbeziehung des fiktiven Geldunterhaltsanspruchs gegen seinen besser verdienenden Ehegatten auch nicht um eine „neue Judikaturlinie“. Ein pflichtbewusster und rechtschaffender Elternteil hätte bei der einvernehmlichen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem nunmehrigen Ehegatten vielmehr danach gestrebt, seine Kinder an seinen (besseren) Lebensverhältnissen teilhaben zu lassen.
[17] I.3.2. Der zwischen den Eheleuten – während des Verfahrens (!) – geschlossene „Ehepakt“, in dem die Mutter auf einen Geldunterhaltsanspruch gegen den Ehegatten verzichtete, ändert daran nichts, zumal das Rekursgericht auf Tatsachenebene davon ausging, dass die Zielsetzung des „Ehepakts“ allein in der Abwehr der verfahrensgegenständlichen Antragsbegehren lag. Dem Unterhaltspflichtigen ist grundsätzlich jedes Recht auf eine Vermeidungsstrategie abzusprechen, die ausschließlich dem Zweck dient, sich seiner Unterhaltspflichten zu entziehen (4 Ob 67/21p [Pkt 4.3.]). Welche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung in diesem Zusammenhang noch zu beantworten sein sollten, lässt sich dem Revisionsrekurs nicht entnehmen.
[18] I.4. Zur Rechtsansicht der Mutter, dass indirekt ihr Ehegatte zur (Geld-)Unterhaltsleistung verpflichtet werde und dieser quasi die finanzielle Rolle eines Adoptivvaters der Kinder zu übernehmen habe, ist neuerlich auf die Rechtsprechung zu verweisen, wonach die unterhaltsrechtliche Beziehung zwischen den Ehegatten von derjenigen zwischen einem der Ehegatten und seinen Kindern zu unterscheiden ist (4 Ob 67/21p [Pkt 3.6.]; 1 Ob 288/04s): Der Ehegatte erbringt ausschließlich seine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehegattin und erfüllt keine mittelbare Unterhaltspflicht für deren Kinder. Die Verwendung der Unterhaltsleistungen für den Kindesunterhalt berührt umgekehrt nur das Verhältnis zwischen der gemäß § 231 ABGB unterhaltspflichtigen Ehegattin und ihren Kindern, hat aber auf die Leistungspflicht des gegenüber dieser Ehegattin Unterhaltspflichtigen keinen Einfluss.
[19] I.5. Soweit die Mutter die Auffassung vertritt, dass ihr neben den Sonderzahlungen bloß ein monatliches „Taschengeld“ von 70 EUR verbleibe, das für ihre Aufwendungen nicht ausreiche und unter dem liege, was typischerweise bei Unterhaltszahlung den Kindern ausgezahlt würde, ist ihr zwar insofern zuzustimmen, dass die Bestimmungen der Exekutionsordnung (§§ 291b, 292b) als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung herangezogen werden (RS0047455; RS0017946). Abgesehen davon, dass auch dabei allgemeingültige Formeln oder Berechnungsmethoden für die Belastungsgrenze nicht aufgestellt werden können (vgl RS0047455 [T4, T15]), gilt dies nur bei regulären Verhältnissen, freilich aber nicht bei Anwendung des Anspannungsgrundsatzes (1 Ob 160/09z [verstärkter Senat]).
[20] I.6. Auf den Umstand, dass der Ehegatte der Mutter den Unterhalt zur Gänze in natura leistet, kommt es nicht entscheidend an. Würde er zum Teil Geldunterhalt leisten, wäre dieser Teil gleichermaßen in die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen.
[21] I.7. Da sich somit die im Rechtsmittel der Mutter aufgeworfenen Fragen bereits aus der höchstgerichtlichen Rechtsprechung beantworten lassen, liegt eine Rechtsfrage von iSd § 62 Abs 1 AußStrG erheblicher Bedeutung nicht vor, weshalb der Revisionsrekurs zurückzuweisen war.
II. Zum Revisionsrekurs der Minderjährigen
[22] II.1. Die Minderjährigen machen zutreffend geltend, dass die Vorinstanzen bei der Unterhaltsbemessung von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen sind, indem sie den bemessenen Unterhaltsanspruch mit dem tatsächlichen Eigeneinkommen (abzüglich eines „Taschengelds“) der Mutter begrenzten.
[23] II.2. Wie bereits zum Revisionsrekurs der Mutter ausgeführt, ist ein fiktiver Geldunterhaltsanspruch des Unterhaltspflichtigen gegenüber seinem besser verdienenden Ehegatten als Bestandteil der Unterhaltsbemessungsgrundlage für ein Kind heranzuziehen. Diese Rechtsprechung gilt auch für den Fall, dass der Unterhaltspflichtige überhaupt kein unterhaltsrelevantes Eigeneinkommen bezieht, sondern zur Gänze auf Naturalunterhaltsleistungen eines Ehegatten angewiesen ist (4 Ob 67/21p). Wenn daher Unterhaltspflichtige ohne irgendwelche finanziellen Mittel zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet werden können, muss dies genauso im vorliegenden Fall gelten. Eine Belastungsgrenze kommt in Anspannungsfällen – wie ebenfalls bereits zum Revisionsrekurs der Mutter ausgeführt – nicht in Betracht.
[24] II.3. Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben und die Mutter (nach den Grundsätzen des Anspannungsgrundsatzes) zur Unterhaltsleistung ohne die von den Vorinstanzen angenommene Begrenzung zu verpflichten. Die Mutter bekämpfte die Beurteilung des Erstgerichts nicht, das eine Anrechnung der Transferleistungen aufgrund der Höhe des Eigeneinkommens der Mutter grundsätzlich ablehnte, sodass auf diese Frage nicht weiter eingegangen werden muss. Gegen die von den Kindern begehrte Höhe der jeweiligen Unterhaltsbeträge (entsprechend dem sogenannten Unterhaltsstopp) oder die angesprochenen Zinsen wendete sich die Mutter ebenso wenig, sodass dem Antrag (soweit eine Erledigung nicht vom Erstgericht vorbehalten wurde) zur Gänze stattzugeben war.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00032.22G.0406.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAF-67184