OGH 07.07.2023, 5Ob99/23d
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Rechtssatz
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Norm | |
RS0134590 | Nach § 37 Abs 4 dritter Satz WEG gilt eine Eigenschaft (Beschaffenheit des Objekts) als zugesichert, die keine größeren Erhaltungsarbeiten innerhalb von zehn Jahren erfordert. Dem Zweck dieser Regelung entspricht es, dass die Verjährungsfrist des § 933 ABGB für jede davon erfasste (größere) Erhaltungsarbeit mit deren objektiver Erkennbarkeit innerhalb von zehn Jahren gesondert in Gang gesetzt wird, und nicht schon die Manifestation einer bestimmten solchen Erhaltungsarbeit den Fristenlauf auch für zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erkennbare Mängel auslöst. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M*, vertreten durch Dr. Michael Mohn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Dkfm. Dr. A*, 2. Mag. B*, vertreten durch Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, infolge des Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 36 R 308/22v-69, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 5 C 501/21i-65, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, seinen Beschluss durch einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands zu ergänzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagten ihr zur ungeteilten Hand (in eventu entsprechend ihrer Miteigentumsanteile zu 70 % [Erstbeklagter] bzw 30 % [Zweitbeklagte]) für alle sie treffenden Kosten ersatzpflichtig seien, die durch die Sanierung bzw Ertüchtigung des Fundaments des auf der Liegenschaft errichteten Balkonturmes durch dessen notwendige Einbindung bis in die frostfreie Tiefe von 80 cm unter der Geländeoberkante entstünden.
[2] Das Erstgericht gab dem (Haupt-)Klagebegehren statt.
[3] Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands enthält seine Entscheidung nicht. Anhaltspunkte dafür ergeben sich auch nicht aus den Gründen der Entscheidung.
[4] Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin, dessen Zulässigkeit derzeit noch nicht beurteilt werden kann:
Rechtliche Beurteilung
[5] Besteht der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, so muss das Berufungsgericht in Rechtssachen, in denen die Wertgrenze von 5.000 EUR relevant ist, trotz des insofern zu engen Wortlauts des § 500 Abs 2 Z 1 ZPO auch in einen Aufhebungsbeschluss einen Bewertungsausspruch aufnehmen (8 Ob 76/22t). Der Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses ersetzt diesen Ausspruch nicht, weil die formale Zulässigkeit des Rechtsmittels das Überschreiten der Wertgrenze voraussetzt und der Oberste Gerichtshof zwar nicht an den Ausspruch über die Zulässigkeit wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage, wohl aber
– innerhalb bestimmter Grenzen – an die Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht gebunden ist (RIS-Justiz RS0042544; RS0042429).
[6] Bei Fehlen eines Bewertungsausspruchs hat das Berufungsgericht eine entsprechende Ergänzung vorzunehmen. Daran vermag auch der Umstand, dass die Klägerin ihr Begehren mit 10.000 EUR bewertete, nichts zu ändern, weil das Berufungsgericht daran nicht gebunden ist (RS0042617).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M*, vertreten durch Dr. Michael Mohn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Dkfm. Dr. A*, 2. Mag. B*, vertreten durch Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 36 R 308/22v-69, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 5 C 501/21i-65, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagten waren gemeinsam (mit unterschiedlichen Anteilen) Eigentümer einer Liegenschaft, auf der sich ein 1932 errichtetes Haus mit vier Wohnungen befindet. In ihrem Auftrag wurde 2006 der Fassade ein Terrassenzubau (Balkonturm) vorgelagert. Die derart geschaffenen Terrassen können von den Wohnungen Top 2 und 3 erreicht werden. Mit Kaufvertrag vom , in dem die Begründung von Wohnungseigentum vereinbart ist, erwarb die Klägerin von den Beklagten insgesamt 60/100 Anteile der Liegenschaft; im Umfang der restlichen Liegenschaftsanteile sind die Beklagten weiterhin Miteigentümer. Im Grundbuch ist die Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum gemäß § 40 Abs 2 WEG 2002 an den Wohnungen Top 2 und 3 zugunsten der Klägerin angemerkt.
[2] Der Klägerin wurde vor oder bei Abschluss des Kaufvertrags kein Gutachten gemäß § 37 Abs 4 WEG über den Bauzustand der allgemeinen Teile des Hauses übergeben.
[3] Nach dem Erwerb der Miteigentumsanteile durch die Klägerin zeigten sich Mängel an den allgemeinen Teilen des Hauses. Zur Bewertung des Sanierungsbedarfs erstellte ein Bausachverständiger im Auftrag der Hausverwaltung nach einer Besichtigung am ein Gutachten. Darin hielt er zahlreiche Mängel des Gebäudes fest und bewertete die zu erwartenden Sanierungskosten. Zur Terrassenkonstruktion bemängelte er lediglich, dass der auf den Balkonen befindliche Holzbelag ordnungsgemäß zu befestigen und bei den Terrassen im Erdgeschoss ein feuchtigkeitsdichter Anschlusses zu den Türen herzustellen sei. Darüber hinaus hielt er Setzungsrisse im Eingangsbereich fest, die eine Unterfangung des Windfangs erforderlich machten. Die Kosten dieser Unterfangung kalkulierte er mit 32.680 EUR. Dass der Sachverständige auch die Fundierung der Terrassenstahlkonstruktion untersuchte, konnte nicht festgestellt werden.
[4] Nach Vorliegen dieses Gutachtens leitete die Klägerin ein außerstreitiges Verfahren ein. Mit Sachbeschluss des Erstgerichts vom wurde die Eigentümergemeinschaft verpflichtet, unter anderem für den Balkonturm eine (neue) Baubewilligung einzuholen und dessen Deckenkonstruktion entweder durch Einbringung einer Betonplatte mit Schalung oder, falls bewilligungsfähig, durch Ergänzung und Verstärkung der Stahlkonstruktion bzw der Querverstrebungen, Entfernung des alten Belags und Aufbringen eines Belags mit mindestens 4,5 cm starken Pfosten zu sanieren. Insoweit erwuchs dieser Beschluss in Rechtskraft. Die Fundierung des Balkonturms war nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
[5] Nach Abschluss des außerstreitigen Verfahrens veranlasste die Klägerin eine weitere Begutachtung des Balkonturms, bei der auch dessen Fundierung überprüft wurde. Dabei ergab sich, dass die Balkonkonstruktion auf einem umlaufenden Streifenfundament ruht, dessen Einbindung (Tiefe) an der vom Haus abgewandten Seite lediglich 56 cm anstelle der für eine Frostsicherheit erforderlichen Tiefe von 80 cm beträgt. Im ursprünglichen Konstruktionsplan war eine Fundamenttiefe von 80 cm ohne Einrechnung des Bodenbelags vorgesehen.
[6] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagten ihr zur ungeteilten Hand (in eventu entsprechend ihrer Miteigentumsanteile zu 70 % [Erstbeklagter] bzw 30 % [Zweitbeklagte]) für alle sie treffenden Kosten ersatzpflichtig seien, die durch die Sanierung bzw Ertüchtigung des Fundaments des auf der Liegenschaft errichteten Balkonturms wegen dessen notwendiger Einbindung bis in die frostfreie Tiefe von 80 cm unter der Geländeoberkante entstünden. Am sei erstmals hervorgekommen, dass die den Balkonturm tragenden Streifenfundamente bauordnungswidrig nicht bis in die frostfreie Tiefe eingebaut worden seien. Die Bestimmung des § 37 Abs 4 WEG sei zwingend; der im Kaufvertrag festgelegte Gewährleistungausschluss komme daher nicht zum Tragen. Ihre Ansprüche seien auch nicht verjährt.
[7] Die Beklagten wendeten – soweit für das Rekursverfahren von Bedeutung – ein, die Klägerin habe bereits durch die Begutachtung vom von der Notwendigkeit „größerer Erhaltungsarbeiten“ Kenntnis erlangt. In dem von ihr gegen die Eigentümergemeinschaft geführten außerstreitigen Verfahren sei durch einen Sachverständigen festgestellt worden, dass der Balkonturm saniert werden müsse, sodass sämtliche Gewährleistungsansprüche verjährt seien. Die Sanierung des Balkonturms sei keine „größere Erhaltungsarbeit“ im Sinn des § 37 Abs 4 WEG.
[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Beweisverfahren habe keine Anhaltspunkte ergeben, dass die Klägerin während des von ihr eingeleiteten außerstreitigen Verfahrens oder zu irgendeinem Zeitpunkt davor Kenntnis von der ungenügenden Fundamentausführung erhalten habe. Die 10-Jahresfrist des § 37 Abs 4 WEG sei bereits ausgehend vom Kaufvertragsabschluss gewahrt. Da die Klägerin Kenntnis vom Mangel tatsächlich erst im September 2018 erlangt habe, sei auch ihr Anspruch auf Gewährleistung nicht verjährt. Die erstmalige Herstellung eines mängelfreien Zustands (die Herstellung einer genügenden Fundierung) zähle zu den Maßnahmen der Erhaltung.
[9] Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Erstgericht auf, trug diesem die Ergänzung des Verfahrens auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Es bejahte das Feststellungsinteresse der Klägerin und die Haftung der Beklagten nach § 37 Abs 4 WEG als Wohnungseigentumsorganisatoren, die nicht mit ihren jeweiligen Liegenschaftsanteilen begrenzt werden könne. Da der Klägerin kein Gutachten gemäß § 37 Abs 4 Satz 1 übergeben worden sei, beginne die 3-jährige Gewährleistungsfrist erst zu laufen, wenn sich – innerhalb von 10 Jahren – für den Erwerber die Erforderlichkeit von „größeren“ Erhaltungsarbeiten zweifelsfrei manifestierten. Das gelte für alle (allgemeinen) Gebäudeteile, sodass es unerheblich sei, dass zwar die Baubewilligung für das Haus älter als 20 Jahre, der Balkonturm jedoch erst im Jahr 2006 errichtet worden sei. Maßgeblich sei, wann die Erforderlichkeit von größeren Erhaltungsarbeiten an irgendeinem allgemeinen Teil des gesamten Gebäudes zu Tage getreten sei, sodass für den Beginn der Verjährungsfrist nicht zwischen größeren Erhaltungsarbeiten an allgemeinen Teilen des 1932 errichteten Gebäudes und des 2006 errichteten Terrassenzubaus zu differenzieren sei.
[10] Ob der Anspruch der Klägerin verjährt sei und ob es sich bei der Sanierung des Balkonturms um eine größere Erhaltungsmaßnahme im Sinn des § 37 Abs 4 WEG 2002 handle, könne aber noch nicht beurteilt werden. Es fehlten Feststellungen dazu, ob die im Gutachten vom festgehaltenen zahlreichen Mängel des Gebäudes bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Parteien vorhanden gewesen seien. Auch ob es sich dabei um Erhaltungsarbeiten gemäß § 37 Abs 4 WEG gehandelt habe, könne nicht beurteilt werden. Zudem fehlten Feststellungen dazu, wann der Klägerin bekannt geworden sei, dass „größere Erhaltungsarbeiten“ am Balkonturm (und nicht nur am Fundament) erforderlich seien, und ob es sich bei den gegenständlichen Sanierungsmaßnahmen am Fundament des Balkonturms um eine solche Erhaltungsmaßnahme handle. Sollten die im Gutachten vom genannten Mängel bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Parteien vorhanden gewesen und als „größere Erhaltungsarbeiten“ zu qualifizieren sein, wäre der Anspruch der Klägerin verjährt. Anderenfalls wären Feststellungen darüber zu treffen, ob es sich bei den geltend gemachten Arbeiten am Fundament des Balkonturms um größere Erhaltungsarbeiten handle und wann sich für die Klägerin die Erforderlichkeit solcher Arbeiten an allgemeinen Teilen des Balkonturms, die nicht ihrer vertraglichen Erhaltungspflicht unterliegen, herausgestellt habe.
[11] Der Rekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob die Verjährung nach § 37 Abs 4 WEG auch für Mängel an einem anderen (deutlich später errichteten) Gebäudeteil bereits mit Erkennbarkeit von größeren Erhaltungsarbeiten an allgemeinen Teilen des älteren Gebäudeteils beginne, sowie zur Solidarhaftung von Wohnungseigentumsorganisatoren für gewährleistungsrechtliche Ansprüche nach § 37 Abs 4 WEG – soweit überblickbar – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der von den Beklagten beantwortete Rekurs der Klägerin ist zur Klarstellung zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
[13] 1. Auch für ein vom Berufungsgericht zugelassenes Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gilt, dass der Rechtsmittelwerber nachvollziehbar darzulegen hat, inwieweit er eine andere Rechtsauffassung als das Berufungsgericht vertritt und aufgrund welcher Erwägungen die betreffende Rechtsfrage anders zu lösen wäre (1 Ob 232/97t).
[14] Das Berufungsgericht geht wie das Erstgericht von einer Solidarhaftung der Beklagten als Wohnungseigentumsorganisatoren aus. Auch in ihrem Rekurs vertritt die Klägerin, dass ihr die beiden Beklagten solidarisch verpflichtet seien. Damit weicht sie bei der Beurteilung der Frage nach der Solidarverpflichtung der Beklagten nicht von der Rechtsansicht der zweiten Instanz ab.
[15] 2. Den Parteien steht der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nicht nur dann zu, wenn sie die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung bekämpfen, sondern auch, wenn sie die dem Erstgericht erteilten Aufträge und Bindungen anfechten, obwohl sich diese nur aus den Gründen des Beschlusses ergeben, weil nicht nur die Aufhebung selbst, sondern auch eine nachteilige Rechtsansicht im Aufhebungsbeschluss ihre verfahrensrechtliche Stellung beeinträchtigt (RS0007094).
[16] Zwar ist der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts entgegen der Ansicht der Klägerin im Ergebnis – wie noch zu zeigen ist – berechtigt. Sie wendet sich aber auch gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zum Beginn der Verjährungsfrist. Insoweit ist sie durch die auf einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht beruhenden Begründung des Aufhebungsbeschlusses und die vom Berufungsgericht dem Erstgericht erteilten Aufträge beschwert.
3. Allgemein zu § 37 Abs 4 WEG:
[17] 3.1. Gemäß § 37 Abs 4 WEG haben die Wohnungseigentumsorganisatoren vor oder mit der Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum an Teilen eines Hauses, dessen Baubewilligung zum Zeitpunkt der Zusage älter als 20 Jahre ist, dem Wohnungseigentumsbewerber ein Gutachten eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers oder eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Hochbauwesen über den Bauzustand der allgemeinen Teile des Hauses, insbesondere über in absehbarer Zeit (ungefähr zehn Jahre) notwendig werdende Erhaltungsarbeiten, zu übergeben. Das Gutachten darf zum Zeitpunkt der Zusage nicht älter als ein Jahr sein und ist in den Kaufvertrag über den Liegenschaftsanteil, an dem Wohnungseigentum erworben werden soll, einzubeziehen. Mit dieser Einbeziehung gilt der im Vertrag beschriebene Bauzustand als bedungene Eigenschaft im Sinn des § 922 Abs 1 ABGB; damit haftet der Wohnungseigentumsorganisator bzw Verkäufer für den beschriebenen Bauzustand. Erfolgt keine Einbeziehung eines solchen Gutachtens in den Kaufvertrag, gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als vereinbart, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert.
[18] 3.2. Die Regelung des § 37 Abs 4 WEG ist vertraglich nicht abdingbar (§ 37 Abs 6 WEG).
[19] 3.3. Der Inhalt von Satz 3 des § 37 Abs 4 WEG ist als gesetzlich typisierte Gewährleistungspflicht zu betrachten (Kulka, Rechtsfragen bei der Anwendung des § 37 Abs 4 WEG, wobl 2012, 374 ff [374]). Der Wohnungseigentumsbewerber soll vor der nicht ausreichenden Berücksichtigung der anstehenden Kosten für Erhaltungsmaßnahmen bewahrt werden (RS0130865).
[20] 3.4. § 37 Abs 4 WEG 2002 ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Notwendigkeit größerer Erhaltungsarbeiten unter Umständen erst mit einer deutlichen Verzögerung hervorkommt. Diese Ratio des Gesetzes erfordert, dass die dreijährige Gewährleistungsfrist erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem – innerhalb von zehn Jahren – für den Erwerber die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens bzw die Erforderlichkeit von „größeren“ Erhaltungsarbeiten zweifelsfrei erkennbar wird (6 Ob 56/16b; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 37 WEG Rz 46a mwN). Der Gegenansicht, wonach auf den Zeitpunkt der Übergabe abzustellen sei, hat der Oberste Gerichtshof ausdrücklich abgelehnt (6 Ob 56/16b; vgl 5 Ob 207/18d).
[21] 4. Dem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts liegt die Rechtsansicht zugrunde, dass die dreijährige Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt für alle Gebäudeteile beginne, zu dem die Klägerin die Erforderlichkeit von größeren Erhaltungsarbeiten an irgendwelchen allgemeinen Teilen des Gebäudes erkennen habe können, sodass ihr Anspruch verfristet wäre, wenn die im Gutachten vom genannten Maßnahmen als größere Erhaltungsarbeiten im Sinn des § 37 Abs 4 WEG zu qualifizieren wären. Dazu ist wie folgt Stellung zu nehmen:
[22] 4.1. Nach § 37 Abs 4 WEG ist ganz allgemein auf die Baubewilligung für das Haus abzustellen. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher keine Differenzierung zwischen dieser und der Baubewilligung für den nachträglich im Jahr 2006 errichteten Balkonturm vorgenommen. Da die Baubewilligung für das Haus älter als 20 Jahre ist und dem Kaufvertrag (unstrittig) kein Gutachten über den Erhaltungszustand des Hauses angeschlossen war, kommt die Regelung nach dem dritten Satz des § 37 Abs 4 WEG zur Anwendung. Das wird im Rekursverfahren von den Parteien zu Recht nicht in Zweifel gezogen.
[23] 4.2. Bei § 37 Abs 4 Satz 3 WEG handelt es sich um eine Gewährleistungsbestimmung, die weder Vorschriften über den spezifischen Inhalt des normierten Anspruchs noch über dessen Geltendmachung enthält (Kulka aaO 374). Sowohl für den Inhalt des Anspruchs als auch die Frage der Verjährung sind daher die Bestimmungen des ABGB über die Gewährleistung ergänzend heranzuziehen.
[24] 4.3. Nach § 933 Abs 1 ABGB idF vor dem Gewährleistungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz (BGBl I 2021/175) muss das Recht auf Gewährleistung, wenn es unbewegliche Sachen betrifft, binnen drei Jahren gerichtlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt mit dem Tag der Ablieferung der Sache, bei Rechtsmängeln aber erst mit dem Tag, an dem der Mangel dem Übernehmer bekannt wird. Grundsätzlich ist die Erkennbarkeit des Sachmangels daher keine Voraussetzung für den Beginn des Fristenlaufs (RS0018937; RS0018982). Eine Ausnahme besteht nach der Rechtsprechung nur, wenn eine besondere Sacheigenschaft zugesichert wurde (RS0018982 [T10, T11]; RS0018909).
[25] 4.4. Wurde – wie im vorliegenden Fall – kein Gutachten in den Kaufvertrag einbezogen, gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als vereinbart, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert. Zugesicherte Sacheigenschaft ist damit ein Zustand, der keine größeren Erhaltungsarbeiten innerhalb der Zeitspanne von zehn Jahren erforderlich macht. Insoweit ersetzt das Gesetz die vertragliche Vereinbarung über die Zusicherung eines nicht sofort feststellbaren Zustands des Gebäudes.
[26] Vor diesem Hintergrund wurde – wie erwähnt – bereits ausgesprochen, dass die dreijährige Gewährleistungsfrist erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem sich – innerhalb von zehn Jahren – für den Erwerber die Erforderlichkeit von „größeren“ Erhaltungsarbeiten zweifelsfrei manifestiert (6 Ob 56/16b). Dazu ist auf eine objektive Betrachtungsweise abzustellen (Kulka aaO 377).
[27] 4.5. Dass objektive Hinweise für die Notwendigkeit zur Vornahme bestimmter größerer Erhaltungsarbeiten an einem allgemeinen Teil des Hauses bestehen, bedeutet aber nicht, dass damit auch die Verjährungsfrist für zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennbare und erst später (innerhalb von zehn Jahren) zu Tage tretende weitere größere Erhaltungsarbeiten an allgemeinen Teilen in Gang gesetzt wird. Abzustellen ist vielmehr auf die Erkennbarkeit, dass ein Zustand vorliegt, der nicht der zugesicherten Sacheigenschaft (dem Freisein von größeren Erhaltungsarbeiten innerhalb von 10 Jahren) entspricht. Die Verjährungsfrist wird daher mit der Erkennbarkeit eines solchen Sachmangels (der Notwendigkeit größerer Erhaltungsarbeiten) jeweils gesondert ausgelöst. Die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts hätte zur Folge, dass Ansprüche wegen größerer Erhaltungsarbeiten, die innerhalb von zehn Jahren erst zu einem späteren Zeitpunkt objektiv erkennbar werden, verjährt wären, wenn sich bereits zu einem früheren (mehr als drei Jahre davor liegenden) Zeitpunkt solche (anderen) Erhaltungsarbeiten an allgemeinen Teilen des Gebäudes manifestiert haben. Das ist mit der Ratio des Gesetzes nicht vereinbar.
4.6. Daraus folgt:
[28] Nach § 37 Abs 4 dritter Satz WEG gilt eine Eigenschaft (Beschaffenheit des Objekts) als zugesichert, die keine größeren Erhaltungsarbeiten innerhalb von zehn Jahren erfordert. Dem Zweck dieser Regelung entspricht es, dass die Verjährungsfrist des § 933 ABGB für jede davon erfasste (größere) Erhaltungsarbeit mit deren objektiver Erkennbarkeit innerhalb von zehn Jahren gesondert in Gang gesetzt wird, und nicht schon die Manifestation einer bestimmten solchen Erhaltungsarbeit den Fristenlauf auch für zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erkennbare Mängel auslöst.
5. Fallbezogen ergibt sich daraus:
[29] 5.1. Die Klägerin macht eine unzureichende Fundamentierung des Balkonturms geltend. Im Verfahren ist nicht strittig, dass sie davon erst im September 2018 Kenntnis erlangte. Sollte die Sanierung dieses Umstands eine Erhaltungsarbeit größeren Umfangs erfordern, wäre der Beginn der Verjährungsfrist mit diesem Zeitpunkt anzusetzen. Ihr daraus abgeleiteter Anspruch wäre daher auch dann nicht verjährt, sollten die im Gutachten vom aufgelisteten Mängel bereits bei Übergabe vorhanden gewesen und in ihrer Gesamtheit als größere Erhaltungsarbeiten im Sinn des § 37 Abs 4 WEG zu qualifizieren sein. Eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz dazu erübrigt sich damit.
[30] 5.2. Der Begriff „größere“ Erhaltungsarbeit in § 37 Abs 4 WEG erfasst – dem Wesen der Gewährleistung entsprechend – nur solche Erhaltungsarbeiten, die bereits im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs notwendig waren. Durch die Verwendung des Adjektivs „größere“ wollte der Gesetzgeber eine gewisse Begrenzung der gesetzlich vertypten Einstandspflichten im Sinn einer „Bagatellgrenze“ schaffen: Demnach muss es sich um Erhaltungsarbeiten handeln, die über die laufende Instandhaltung hinausgehen (6 Ob 101/18y). Das Berufungsgericht hat seinen Aufhebungsbeschluss auch damit begründet, dass Feststellungen dazu fehlen, ob es sich bei den geltend gemachten Arbeiten am Fundament des Balkonturms um größere Erhaltungsarbeiten in diesem Sinn handle. Insoweit ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, sodass der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten kann (RS0043414 [T8, T12]). Die von der Klägerin in ihrem Rekurs angestrebte Wiederherstellung des Ersturteils kommt damit nicht in Betracht.
[31] 5.3. Dem Rekurs ist im Ergebnis daher nicht Folge zu geben.
[32] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00099.23D.0707.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-67108