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OGH 26.09.2023, 4Ob176/23w

OGH 26.09.2023, 4Ob176/23w

Rechtssatz


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Normen
AEUV Lissabon Art267
Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates 32009R0004 EuUVO Art5
Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates 32009R0004 EuUVO Art12
Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates 32009R0004 EuUVO Art14
RS0135234
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 12 der Verordnung (EG) 4/2009 des Rates vom über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl EU 2009 L 7/1, (in der Folge: EuUVO) dahin auszulegen, dass zwei Verfahren „zwischen denselben Parteien“ anhängig sind, wenn in dem einen Verfahren Minderjährige ihren Anspruch gegen den Vater auf Leistung des laufenden Unterhalts geltend machen und im anderen Verfahren der Vater zusätzlich zur Scheidung seiner Ehe mit der Mutter der Minderjährigen auch die Festsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Minderjährigen beantragt, obwohl die Minderjährigen im Scheidungsverfahren weder Antragsteller noch Antragsgegner sind?

2.a) Ist Art 12 EuUVO dahin auszulegen, dass Verfahren „wegen desselben Anspruchs“ geführt werden, wenn in dem einen Verfahren die Minderjährigen ihren Anspruch auf laufenden Unterhalt ab sofort geltend machen und im anderen Verfahren der Vater neben der Scheidung seiner Ehe mit der Mutter auch die Festlegung seiner Verpflichtung zur Leistung laufenden Unterhalts der Minderjährigen als Scheidungsfolge begehrt, also für einen künftigen Zeitraum, dessen Beginn noch nicht absehbar ist?

2.b) Ist es für diese Beurteilung relevant, ob der von den Minderjährigen beantragte laufende Unterhalt formal mit der Beendigung des Scheidungsverfahrens befristet wird?

2.c) Fällt die Beantwortung der beiden Fragen 2.a) und 2.b) anders aus, soweit die Minderjährigen den laufenden Unterhalt in Form einer einstweiligen Anordnung begehren?

2.d) Macht es dabei einen Unterschied, ob ein Überlappen der Zeiträume schon nach der Formulierung des Antrags ausgeschlossen oder nur praktisch unwahrscheinlich ist, weil der in Österreich gewährte einstweilige Unterhalts-anspruch mit der Beendigung eines bis zur Zuständigkeits-entscheidung im polnischen Scheidungsverfahren ausgesetzten österreichischen Unterhalts-(haupt-)verfahren befristet ist?

3. Ist Art 14 EuUVO dahin auszulegen, dass der Antragsteller bei Anhängigkeit eines Hauptverfahrens ein einstweiliges Sicherungsverfahren nach Art 14 an allen Gerichtsständen der Art 3 ff EuUVO einleiten kann, obwohl ihm diese Gerichtsstände für ein (weiteres) Hauptverfahren wegen bereits erfolgter Einleitung eines Hauptverfahrens und der damit begründeten Rechtshängigkeit iSd Art 12 nicht mehr zur Verfügung stehen?

4. Falls Frage 3 verneint wird: Ist Art 14 EuUVO dahin auszulegen, dass der Antragsteller ein einstweiliges Sicherungsverfahren nach Art 14 auch bei einem Gericht einleiten kann, das schon für ein Hauptverfahren angerufen wurde, aber sein Verfahren derzeit wegen früher erfolgter Einleitung eines Hauptverfahrens und der damit begründeten Rechtshängigkeit iSd Art 12 ausgesetzt hat?

5. Falls Frage 3 verneint wird: Ist Art 14 EuUVO dahin auszulegen, dass einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen nur dann bei einem aufgrund nationaler Normen zuständigen Gericht beantragt werden können, wenn eine reale Verknüpfung zwischen der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit iSd Rechtsprechung C-391/95, van Uden und C-125/79, Denilauler / S. N. C. Couchet Frères besteht?

Wenn ja, kommen außer einem erfolgversprechenden Vollzug in diesem Mitgliedstaat auch andere Kriterien für die reale Verknüpfung in Betracht (hier insbesondere der Wohnsitz der antragstellenden Minderjährigen; die Anhängigkeit des ausgesetzten Hauptverfahrens aufgrund des Antrags der Minderjährigen; der Wohnsitz des Antragsgegners bei Einleitung des ausgesetzten Hauptverfahrens aufgrund des Antrags der Minderjährigen)?

6. Falls Frage 3 verneint wird: Ist Art 5 EuUVO dahin auszulegen, dass die rügelose Einlassung des Vaters in ein Verfahren über einstweiligen Ehegattenunterhalt auch die rügelose Einlassung in ein Verfahren über einstweiligen Kindesunterhalt bewirkt, wenn alle Unterhaltsansprüche mit einem Verlassen der Familie durch den Vater/Ehemann begründet werden und Gegenstand desselben Rechtshängigkeit begründenden Scheidungsverfahrens sind, die Sicherungsmaßnahmen für den Unterhalt aber aufgrund des nationalen Rechts in unterschiedlichen Verfahrensarten geltend zu machen sind?

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher sowie die Hofrätinnen Dr. Faber, Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. R* und 2. I*, beide geboren am * 2019, beide vertreten durch die Mutter K* R*, diese vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in Wien, wegen einstweiligen Unterhalts nach § 382 Z 8 lit a EO, über den Revisionsrekurs des Vaters Univ.-Prof. Dr. A*, vertreten durch den Verfahrenshelfer Mag. Gülay Aydemir, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 11/23p-39, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 83 Pu 137/21y-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Erstgericht zur Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen verpflichteten den Vater übereinstimmend zur Leistung eines einstweiligen Unterhalts gemäß § 382 Z 8 lit a EO in Höhe von monatlich 365 EUR je Kind.

[2] Der Vater erhob einen ordentlichen Revisionsrekurs und verknüpfte ihn mit dem Antrag, die Vollstreckbarkeit des Beschlusses bis zur Erledigung seines Rechtsmittels auszusetzen bzw aufzuschieben.

Rechtliche Beurteilung

[3] Einem Rechtsmittel gegen eine einstweilige Verfügung (ausgenommen einem außerordentlichen Revisionsrekurs) kann gemäß § 524 ZPO iVm §§ 78 Abs 1, 402 Abs 4 EO) aufschiebende Wirkung zuerkannt werden (zu Voraussetzungen und Verfahren vgl König/Weber, Einstweilige Verfügungen6 [2022] Rz 6.84).

[4] Für die Entscheidung über diesen Antrag ist das Erstgericht funktionell zuständig (2 Ob 295/05d).

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M. und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. * und 2. *, beide geboren am * 2019, beide vertreten durch die Mutter * Wien, diese vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in Wien, wegen einstweiligen Unterhalts nach § 382 Z 8 lit a EO, aus Anlass des Revisionsrekurses des Vaters *, Polen, vertreten durch Mag. Gülay Aydemir, Rechtsanwalt in Wien als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 11/23p-41, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 83 Pu 137/21y-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 12 der Verordnung (EG) 4/2009 des Rates vom über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl EU 2009 L 7/1, (in der Folge: EuUVO) dahin auszulegen, dass zwei Verfahren „zwischen denselben Parteien“ anhängig sind, wenn in dem einen Verfahren Minderjährige ihren Anspruch gegen den Vater auf Leistung des laufenden Unterhalts geltend machen und im anderen Verfahren der Vater zusätzlich zur Scheidung seiner Ehe mit der Mutter der Minderjährigen auch die Festsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Minderjährigen beantragt, obwohl die Minderjährigen im Scheidungsverfahren weder Antragsteller noch Antragsgegner sind?

2.a) Ist Art 12 EuUVO dahin auszulegen, dass Verfahren „wegen desselben Anspruchs“ geführt werden, wenn in dem einen Verfahren die Minderjährigen ihren Anspruch auf laufenden Unterhalt ab sofort geltend machen und im anderen Verfahren der Vater neben der Scheidung seiner Ehe mit der Mutter auch die Festlegung seiner Verpflichtung zur Leistung laufenden Unterhalts der Minderjährigen als Scheidungsfolge begehrt, also für einen künftigen Zeitraum, dessen Beginn noch nicht absehbar ist?

2.b) Ist es für diese Beurteilung relevant, ob der von den Minderjährigen beantragte laufende Unterhalt formal mit der Beendigung des Scheidungsverfahrens befristet wird?

2.c) Fällt die Beantwortung der beiden Fragen 2.a) und 2.b) anders aus, soweit die Minderjährigen den laufenden Unterhalt in Form einer einstweiligen Anordnung begehren?

2.d) Macht es dabei einen Unterschied, ob ein Überlappen der Zeiträume schon nach der Formulierung des Antrags ausgeschlossen oder nur praktisch unwahrscheinlich ist, weil der in Österreich gewährte einstweilige Unterhaltsanspruch mit der Beendigung eines bis zur Zuständigkeitsentscheidung im polnischen Scheidungsverfahren ausgesetzten österreichischen Unterhalts-(haupt-)verfahren befristet ist?

3. Ist Art 14 EuUVO dahin auszulegen, dass der Antragsteller bei Anhängigkeit eines Hauptverfahrens ein einstweiliges Sicherungsverfahren nach Art 14 an allen Gerichtsständen der Art 3 ff EuUVO einleiten kann, obwohl ihm diese Gerichtsstände für ein (weiteres) Hauptverfahren wegen bereits erfolgter Einleitung eines Hauptverfahrens und der damit begründeten Rechtshängigkeit iSd Art 12 nicht mehr zur Verfügung stehen?

4. Falls Frage 3 verneint wird: Ist Art 14 EuUVO dahin auszulegen, dass der Antragsteller ein einstweiliges Sicherungsverfahren nach Art 14 auch bei einem Gericht einleiten kann, das schon für ein Hauptverfahren angerufen wurde, aber sein Verfahren derzeit wegen früher erfolgter Einleitung eines Hauptverfahrens und der damit begründeten Rechtshängigkeit iSd Art 12 ausgesetzt hat?

5. Falls Frage 3 verneint wird: Ist Art 14 EuUVO dahin auszulegen, dass einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen nur dann bei einem aufgrund nationaler Normen zuständigen Gericht beantragt werden können, wenn eine reale Verknüpfung zwischen der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit iSd Rechtsprechung C-391/95, van Uden und C-125/79, Denilauler / S. N. C. Couchet Frères besteht?

Wenn ja, kommen außer einem erfolgversprechenden Vollzug in diesem Mitgliedstaat auch andere Kriterien für die reale Verknüpfung in Betracht (hier insbesondere der Wohnsitz der antragstellenden Minderjährigen; die Anhängigkeit des ausgesetzten Hauptverfahrens aufgrund des Antrags der Minderjährigen; der Wohnsitz des Antragsgegners bei Einleitung des ausgesetzten Hauptverfahrens aufgrund des Antrags der Minderjährigen)?

6. Falls Frage 3 verneint wird: Ist Art 5 EuUVO dahin auszulegen, dass die rügelose Einlassung des Vaters in ein Verfahren über einstweiligen Ehegattenunterhalt auch die rügelose Einlassung in ein Verfahren über einstweiligen Kindesunterhalt bewirkt, wenn alle Unterhaltsansprüche mit einem Verlassen der Familie durch den Vater/Ehemann begründet werden und Gegenstand desselben Rechtshängigkeit begründenden Scheidungsverfahrens sind, die Sicherungsmaßnahmen für den Unterhalt aber aufgrund des nationalen Rechts in unterschiedlichen Verfahrensarten geltend zu machen sind?

III. Das Verfahren über das Rechtsmittel des Vaters wird gemäß § 90a Abs 1 GOG bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

Text

Begründung:

Zu I. Vorabentscheidungsersuchen:

A. Ausgangssituation:

[1] Die Eltern der beiden Minderjährigen sind aufrecht verheiratet, leben jedoch getrennt. Alle Beteiligten sind polnische Staatsangehörige und hatten ihren letzten gemeinsamen Aufenthalt in Wien, wo die Minderjährigen auch geboren wurden. Die Unterhaltsverpflichtung des Vaters gegenüber den beiden Minderjährigen wurde bisher noch nicht gerichtlich geregelt.

[2] Die durch ihre Mutter vertretenen Minderjährigen beantragten am beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien im Außerstreitverfahren zu Aktenzahl 83 Pu 137/21y, ihren Vater ab zu monatlichen Unterhaltszahlungen zu verpflichten. Er sei Mitte Mai 2021 aus der gemeinsamen Wohnung der Familie in Wien ausgezogen und zahle keinen regelmäßigen Unterhalt.

[3] Der Vater wendete ein, dass er zwar auch nach dem Umzug noch in Wien wohne, aber schon am vor dem Landesgericht Krakau in Polen zu XI C 2299/21 einen Scheidungsantrag eingebracht habe, dessen Gegenstand auch die Festsetzung des Unterhalts der Mutter und der beiden Minderjährigen sei. Die internationale Zuständigkeit des Landesgerichts Krakau für das Scheidungsverfahren ergebe sich aus der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehepartner nach Art 3 Abs 1 lit b EuEheKindVO (EG 2201/2003). Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien solle sich wegen Rechtshängigkeit gemäß Art 12 Abs 2 EuUVO zugunsten des Landesgerichts Krakau für unzuständig erklären und den Antrag der Minderjährigen wegen Unterhalts zurückweisen; in eventu das Verfahren wegen Sachzusammenhangs bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Landesgerichts Krakau gemäß Art 13 Abs 1 und 2 EuUVO über die Zuständigkeit auszusetzen.

[4] Die Mutter erhob am ebenfalls Scheidungsklage, jedoch vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien im streitigen Zivilprozess zur Aktenzahl 83 C 34/21w. Die Klage wurde dem Beklagten am zugestellt.

[5] Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien setzte mit Beschluss vom das Unterhaltsverfahren der Minderjährigen zu 83 Pu 137/21y und mit Beschluss vom das Scheidungsverfahren der Eltern zu 83 C 34/21w gemäß Art 12 Abs 1 EuUVO aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Landesgerichts Krakau feststehe.

[6] Eine Zuständigkeitsentscheidung des Landesgerichts Krakau ist bislang nicht bekannt, am langte eine Anfrage des Landesgerichts Krakau zum Verfahrensstand des Scheidungsverfahrens in Österreich ein.

B. Standpunkte der Parteien und bisheriges Verfahren wegen einstweiligen Unterhalts der Minderjährigen:

[7] Am stellten die Minderjährigen im außerstreitigen Unterhaltsverfahren beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu 83 Pu 137/21y, wiederum vertreten durch ihre Mutter, den Antrag, ihren Vater gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO ab zur Leistung eines einstweiligen Unterhalts von jeweils 650 EUR pro Kind zu verpflichten.

[8] Der Vater wendete die mangelnde internationale Zuständigkeit des Erstgerichts auch für die Festsetzung von einstweiligem Unterhalt ein. Die internationale Zuständigkeit für die Erlassung einstweiliger Verfügungen gemäß Art 14 EuUVO liege vorrangig an jenem Ort, an dem die Entscheidung in der Hauptsache getroffen werde, hier also in Krakau. Auch aus dem österreichischen Recht ergebe sich keine Zuständigkeit: § 387 Abs 1 EO beziehe sich nur auf inländische Gerichte, § 387 Abs 2 EO verweise auf das Vollzugsgericht, hier also das Gericht am Wohnsitz des Vaters (nun) in Warschau. Der Antrag der Minderjährigen sei rechtsmissbräuchlich, weil der Vater im Jänner 2022 von Wien nach Polen zurückgekehrt sei, die Mutter aber heimlich und eigenmächtig beschlossen habe, mit den Minderjährigen in Österreich zu bleiben. Der beantragte Unterhalt übersteige außerdem die finanziellen Möglichkeiten des Vaters.

[9] Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien als Erstgericht und das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht 1. bejahten die internationale Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien nach Art 14 EuUVO für das Verfahren wegen einstweiligen Unterhalts der Minderjährigen; 2. verpflichteten den Vater ab zu einstweiligen monatlichen Unterhaltsbeträgen von 365 EUR je Kind längstens bis zur Beendigung des mit Antrag vom beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eingeleiteten Unterhaltsverfahrens 83 Pu 137/21y; und 3. wiesen das Mehrbegehren auf weitere 265 EUR je Kind ab. Die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens 83 Pu 137/21y schließe die Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch das Gericht des Ortes, an dem die Minderjährigen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, nicht aus (Art 14 iVm Art 3 lit b EuUVO). Für rechtsmissbräuchliches Verhalten der Minderjährigen (und nicht ihrer Mutter) gebe es nicht einmal Anhaltspunkte. Ausgehend vom festgestellten Einkommen und den sonstigen Sorgepflichten des Vaters hätten die Minderjährigen einen Anspruch auf 11 % des anrechenbaren Einkommens.

[10] Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ließ den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Verfahren auf Kindesunterhalt nach Aussetzung des Unterhaltsverfahrens gemäß Art 12 Abs 1 EuUVO fehle.

[11] Der Vater beantragt in seinem Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof als letzte Instanz, die erstinstanzliche Entscheidung für nichtig zu erklären und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung an das Erstgericht zurückzuverweisen; hilfsweise, den Antrag der Minderjährigen wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen; hilfsweise den Beschluss des Rekursgerichts aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen. Zudem regt er die Einholung einer Vorabentscheidung beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur internationalen Zuständigkeit an.

[12] Der zugleich eingebrachte Antrag des Vaters, die Vollstreckbarkeit des Beschlusses über den einstweiligen Unterhalt auszusetzen oder aufzuschieben wurde vom dafür zuständigen Bezirksgericht Innere Stadt Wien abgewiesen, sodass seine einstweilige Verfügung über den Unterhalt der Minderjährigen derzeit vollstreckbar ist.

[13] Die Minderjährigen beantragen, der Oberste Gerichtshof solle den Revisionsrekurs des Vaters zurück- oder abweisen.

C. Relevante Rechtsvorschriften

[14] 1. Art 3 EuUVO lautet:

Allgemeine Bestimmungen

Zuständig für Entscheidungen in Unterhaltssachen in den Mitgliedstaaten ist

a) das Gericht des Ortes, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

b) das Gericht des Ortes, an dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

c) das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf den Personenstand zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit begründet sich einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien,

oder

d) das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien.

[15] 2. Art 5 EuUVO lautet:

Durch rügelose Einlassung begründete Zuständigkeit

Sofern das Gericht eines Mitgliedstaats nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung zuständig ist, wird es zuständig, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, wenn der Beklagte sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen.

[16] 3. Art 12 EuUVO lautet:

Rechtshängigkeit

(1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.

(2) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.

[17] 4. Art 14 EuUVO lautet:

Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen

Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist.

[18] 5. § 382 Z 8 lit a EO (österreichische Exekutionsordnung) lautet:

Sicherungsmittel

§ 382. Sicherungsmittel, die das Gericht je nach Beschaffenheit des im einzelnen Falle zu erreichenden Zweckes auf Antrag anordnen kann, sind insbesondere:

[...]

8.a) die Bestimmung eines einstweilen von einem Ehegatten oder einem geschiedenen Ehegatten dem anderen oder von einem Elternteil seinem Kind zu leistenden Unterhalts, jeweils im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Leistung des Unterhalts; handelt es sich um die Unterhaltspflicht des Vaters eines unehelichen Kindes, so gilt dies nur, wenn die Vaterschaft festgestellt ist; im Fall des Unterhalts des Ehegatten oder eines ehelichen Kindes genügt der Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe.

[19] 6. § 387 EO (österreichische Exekutionsordnung) lautet:

Zuständigkeit

(1) Für die Bewilligung einstweiliger Verfügungen, für die zu deren Durchführung notwendigen Anordnungen, sowie für die aus Anlass solcher Verfügungen sich ergebenden sonstigen Antragstellungen und Verhandlungen ist, falls in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt wird, das Gericht zuständig, vor welchem der Prozess in der Hauptsache oder das Exekutionsverfahren, in Ansehung deren eine Verfügung getroffen werden soll, zur Zeit des ersten Antrags anhängig ist.

(2) Falls solche Verfügungen vor Einleitung eines Rechtsstreites oder nach rechtskräftigem Abschluss desselben, jedoch vor Beginn der Exekution beantragt werden, ist für die bezeichneten Bewilligungen Anordnungen, Antragstellungen und Verhandlungen das Bezirksgericht zuständig, bei dem der Gegner der gefährdeten Partei zur Zeit der ersten Antragstellung seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat, wenn aber ein solcher für ihn im Inland nicht begründet ist, das inländische Bezirksgericht, in dessen Sprengel sich die Sache befindet, in Ansehung deren eine Verfügung getroffen werden soll, oder der Drittschuldner seinen Wohnsitz, Sitz oder Aufenthalt hat, oder in dessen Sprengel sonst die dem Vollzuge der einstweiligen Verfügung dienende Handlung vorzunehmen ist.

(3) Abweichend vom Abs. 2 ist auch in diesen Fällen das Gericht zuständig, das für den Prozess in der Hauptsache zuständig wäre, wenn es sich um einstweilige Verfügungen nach § 382 Z 8 [Anm: dh wegen einstweiligen Unterhalts] oder solche wegen unlauteren Wettbewerbs, nach dem Urheberrechtsgesetz oder nach den §§ 28 bis 30 des Konsumentenschutzgesetzes handelt.

(4) [...]

Rechtliche Beurteilung

D. Begründung der Vorlage an den EuGH

1. Anwendbarkeit der EuUVO

[20] 1.1. Seit dem ist die Verordnung (EG) 4/2009 des Rates vom über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (künftig: EuUVO) anwendbar (Art 76 EuUVO).

[21] Österreich und Polen sind Mitgliedstaaten, auf die diese Verordnung anwendbar ist, sodass ihr nach Art 69 Abs 2 EuUVO Vorrang vor bi- und multilateralen Abkommen zukommt.

[22] 1.2. Der sachliche Anwendungsbereich der EuUVO umfasst alle Unterhaltspflichten, die „auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen“ (Art 1 Abs 1 EuUVO), daher auch die Geldunterhaltspflicht des Vaters.

[23] 1.3. Gemäß Art 75 Abs 1 EuUVO ist die Verordnung auf alle nach dem eingeleiteten Verfahren anzuwenden.

2. Zu Frage 1: Parteienidentität

[24] 2.1. Der Vater als Antragsteller brachte seinen Scheidungsantrag beim Landesgericht Krakau gegen die Mutter als Antragsgegnerin ein.Die unterhaltsberechtigten Minderjährigen sind nicht Partei im polnischen Scheidungsverfahren ihrer Eltern, doch ist der Scheidungsantrag des Vaters auch auf Festsetzung des Unterhalts seiner Kinder gerichtet.

[25] 2.2. Der Begriff „zwischen denselben Parteien“ in Art 12 Abs 1 EuUVO ist verordnungsautonom zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH zum inhaltsgleichen Art 21 des Brüsseler Übereinkommens vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist eine Identität der Parteien ausnahmsweise auch anzunehmen, wenn die Parteien im Rechtsstreit zwar nicht identisch sind, aber die Interessen der Parteien hinsichtlich des Gegenstands zweier Rechtsstreitigkeiten so weit übereinstimmen, dass eine Entscheidung, die für oder gegen eine Partei ergeht, Rechtskraft gegenüber der anderen entfalten würde (EuGH C-351/96, Drouot/CMII, Rz 19).

[26] 2.3. In der Literatur wird deshalb vertreten, dass für das Unterhaltsverfahren Parteienidentität auch anzunehmen sei, wenn in dem einen Verfahren das Kind Partei ist und in dem anderen Verfahren ein Elternteil in Prozessstandschaft (also im eigenem Namen über das Recht des Kindes) für das Kind den Prozess führt, soweit die Entscheidung für und gegen das Kind wirkt (Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 IV [2010] Art 12 EuUVO Rz 4; Fuchs in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 12 EuUVO Rz 10; Weber in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 [2023] Rz 6.239; Reuß in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen [66. EL Jan 2023] Art 12 EuUVO Rz 8; Lipp in MKFamFG [2019] EG-UntVO Art 12 Rz 8).

[27] 2.4. Der Oberste Gerichtshof stellte deshalb bereits am ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen zu 6 Ob 240/12f = EuGH C-442/13, Nagy.Dieses Ersuchen nahm der sechste Senat mit Beschluss vom wieder zurück, nachdem das ungarische Scheidungsverfahren, das auch den Kindesunterhalt zum Gegenstand hatte, aufgrund eines Antrags des Vaters vom für beendet erklärt worden war (vgl 6 Ob 99/14y).

[28] 2.5. Die Frage, ob Art 12 EuUVO anwendbar ist, wenn der Vater in einem anhängigen Scheidungsverfahren die Festsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind begehrt und in anderen Verfahren das Kind seinen Anspruch auf Leistung von Unterhalt gegen den Vater geltend macht, ist daher in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch nicht zweifelsfrei gelöst.

3. Zu Frage 2: Anspruchsidentität

[29] 3.1. Der Vater beantragt im polnischen Verfahren, die Ehe zu scheiden, den Aufenthaltsort der Kinder und die Höhe seiner Unterhaltspflicht festzusetzen. Gegenstand des polnischen Verfahrens scheint damit (nur) der Unterhaltsanspruch der Minderjährigen nach der noch in der Zukunft liegenden Ehescheidung der Eltern zu sein.

[30] Im österreichischen Verfahren beantragten die Minderjährigen ursprünglich die Verpflichtung des Vaters zu monatlichen Unterhaltszahlungen ab . Nach Aussetzung dieses Verfahrens nach Art 12 Abs 1 EuUVO beantragen sie nun, den Vater mit einstweiliger Verfügung zur Leistung von einstweiligem Unterhalt ab zu verpflichten. Diese Verpflichtung gilt nach der erlassenen einstweiligen Verfügung längstens bis zur Beendigung des österreichischen Unterhaltsverfahrens.

[31] 3.2. Der EuGH bestimmt in verordnungsautonomer Auslegung die Anspruchsidentität nach dem Regelungszweck (vgl Rs 144/86, Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo, Rz 11; C-406/92, The Tatry/The Maciej Rataj, Rz 30). Er bejaht Identität, wenn Gegenstand und Grundlage der Klagen bzw verfahrenseinleitenden Anträge ident sind (vgl RS0118405). Mit dem „Gegenstand“ ist der Zweck der Klage bzw des verfahrenseinleitenden Antrags gemeint, er umfasst auch Vorfragen, die sich später in den tragenden Entscheidungsgründen niederschlagen werden (Rs 144/86, Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo, Rz 16). Unter dem Begriff „Grundlage“ versteht der EuGH den Sachverhalt und die den Anspruch stützenden Normen (C-406/92, The Tatry/The Maciej Rataj, Rz 39). In diesem Kontext ist mit „Normen“ aber nicht die konkrete Vorschrift des anwendbaren Sachrechts gemeint, sondern vielmehr die zu beantwortende Rechtsfrage (Fuchs in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 14 EuUVO Rz 11 mwH).

[32] Anders als die Beziehung zwischen Ehepartnern wird die Eltern-Kind-Beziehung durch die Scheidung der Eltern nicht grundlegend verändert. Die Festlegung von Kindesunterhalt gegen den Elternteil, der keine Naturalleistungen durch Betreuung des Kindes in seinem Haushalt erbringt, dient daher unabhängig vom Bestand der Ehe der Eltern der Versorgung des Kindes. „Grundlage“ der Unterhaltsansprüche der Minderjährigen in den Verfahren vor dem Landesgericht Krakau und dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien ist damit derselbe Lebenssachverhalt, also dieselbe Unterhaltsbeziehung resultierend aus einem konkreten familienrechtlichen Verhältnis.

[33] 3.3. Jedoch wird insbesondere bei Unterhaltsstreitigkeiten der Zeitraum des Unterhaltsbegehrens als wesentliches Kriterium bei Bestimmung der Identität des Streitgegenstands angesehen. Kern des Unterhaltsstreits ist nämlich, ob, in welcher Höhe und für welchen Zeitraum die eine Partei der anderen Unterhalt schuldet (vgl RS0118405 [T2] zur sog „Kernpunkttheorie bzw -these“).

[34] Im Schrifttum wird deshalb verteten, dass nur bei deckungsgleichen Zeiträumen in beiden Verfahren Rechtshängigkeit bestehen kann (Fuchs in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 12 EuUVO Rz 14; Fucik in Fasching/Konecny3 [2010] Art 12 EuUVO Rz 2; Lipp in MKFamFG [2019] EG-UntVO Art 12 Rz 9; Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 IV [2010] Art 12 EuUVO Rz 7). Nach Lipp lasse sich daher etwa auch der Trennungsunterhalt vom nachehelichen Unterhalt von Eheleuten unterscheiden, ohne dass dazu der problematische Rückgriff auf dessen materiell-rechtliche Grundlage erforderlich werde (Lipp in MKFamFG [2019] EG-UntVO Art 12 Rz 9).

[35] Weber geht dagegen auch von Anspruchsidentität aus, wenn in dem einen Verfahren das Kind seinen Anspruch auf Leistung des Unterhalts für die Vergangenheit und des laufenden Unterhalts gegen den Vater geltend macht und der Vater in einem Scheidungsverfahren die Festsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind und Leistung an die Mutter für die Zeit nach der Scheidung begehrt (Weber in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 [2023] Rz 6.243).

[36] 3.4. Die Frage 2.a), ob und inwieweit Rechtshängigkeit nach Art 12 EuUVO zu bejahen ist, wenn der Vater im anhängigen Scheidungsverfahren die Festsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind als Scheidungsfolge begehrt und in anderen Verfahren das Kind vom Vater Leistung von laufenden Unterhalt begehrt, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch nicht zweifelsfrei gelöst.

[37] 3.5. Außerdem stellt sich die Frage 2.b), welche Relevanz die Formulierung des Unterhaltsantrags des Kindes in diesem Zusammenhang hat – etwa, wenn dieser nicht ausdrücklich so formuliert ist, dass er die Leistung von laufendem Unterhalt nur bis zur Beendigung des Scheidungsverfahrens der Eltern begehrt.

[38] 3.6. Im deutschsprachigenSchrifttum wird vertreten, dass die Regelungen über die Verfahrenskoordination (Art 12 und 13 EuUVO) allein das Verhältnis von Erkenntnisverfahren betreffen. Nicht erfasst werde dagegen das Verhältnis zwischen Hauptsacheverfahren und einstweiligem Rechtsschutz (Weber in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 [2023] Rz 6.235; Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 IV [2010] Art 12 EuUVO Rz 8; Hausmann in Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht³ [2024] C. Unterhaltssachen Rz 281).

[39] Diese Ansicht entspricht auch der Judikatur und Lehre zur Verordnung (EG) Nr 44/2001 Brüssel Ia-Verordnung EuGVVO 2012 und deren Vorgängerverordnung Brüssel I-VO (Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht4 [2020] Art 29 EuGVVO Rz 76 ff mwN; Gottwald in MüKommZPO6 Art 29 Brüssel Ia-VO Rz 17; Wallner-Friedl in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 29 EuGVVO 2012 Rz 19, 28; 4 Ob 118/06s [Pkt 4.1]; 4 Ob 273/01b), sowie zu vergleichbaren Bestimmungen in anderen Verordnungen (zB Art 17 EuEhegüterVO: Gottwald in MüKommBGB9 Art 17 EuGüVO Rz 6; Weber in Gitschthaler, IFR Art 17 EuEhegüterVO Rz 8).

[40] Nach dieser Ansicht sperrt ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, selbst wenn es sich um den Antrag auf eine Leistungsverfügung handelt, nicht die Einleitung der Hauptsache in einem anderen Mitgliedstaat und umgekehrt (Hausmann in Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht³ [2024] C. Unterhaltssachen Rz 281).

[41] Diese Ansicht würde auch gewährleisten, dass die Minderjährigen ihren Lebensunterhalt jedenfalls durch einen Antrag in ihrem Aufenthaltsstaat sichern können, wenn (wie hier seit Jahren) noch keine Zuständigkeitsentscheidung des zuerst in der Hauptsache angerufenen Gerichts bekannt ist.

[42] Die Frage 2.c), ob die zu anderen Verordnungen ergangene Rechtsprechung zur Nichtanwendbarkeit der Regelungen über die Verfahrenskoordination auf das Verhältnis zwischen Hauptsacheverfahren und einstweiligem Rechtsschutz auch für die EuUVO Gültigkeit hat, wurde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch nicht zweifelsfrei gelöst.

[43] 3.7. Im vorliegenden Fall besteht zusätzlich die Besonderheit, dass der von österreichischen Gerichten festgelegte einstweilige Unterhalt zwar mit Ende des österreichischen Unterhaltsverfahrens befristet, nicht aber mit der Festlegung von Unterhalt im polnischen Scheidungsverfahren verknüpft ist. Trifft das Landesgericht Krakau keine Zuständigkeitsentscheidung, bevor es rechtskräftig über den Unterhalt der Minderjährigen entscheidet, oder erlangt das Bezirksgericht Innere Stadt Wien von einer längst getroffenen Zuständigkeitsentscheidung keine Kenntnis, dann bleibt das Unterhaltsverfahren der Minderjährigen zu 83 Pu 137/21y in Österreich anhängig und die Verpflichtung zur Leistung von einstweiligem Unterhalt aufrecht. Damit kann es zu einer zeitlichen Überschneidung des einstweiligen Unterhalts laut den österreichischen Gerichten und einem als Scheidungsfolge des polnischen Verfahrens festgesetzten Unterhalt kommen.

[44] Daraus ergibt sich die Frage 2.d) nach der Identität des Anspruchs aufgrund der möglichen zeitlichen Überlappung von österreichischem einstweiligem Unterhalt für die Minderjährigen und polnischem Unterhalt für die Minderjährigen als Scheidungsfolge, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch noch nicht zweifelsfrei gelöst wurde.

4. Zu Frage 3: internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen aufgrund von Art 14 iVm fiktiver Zuständigkeit nach Art 3 EuUVO?

[45] 4.1. Der Vater ist nach seinem Vorbringen im Jänner 2022 nach Polen zurückgekehrt.Zum Zeitpunkt des Antrags auf einstweiligen Unterhalt am hatten demnach zwar die Minderjährigen, nicht aber der Vater seinen Wohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien.

[46] 4.2. Art 14 EuUVO schafft eine Ausnahme vom (abschließenden) europäischen Zuständigkeitssystem in Unterhaltssachen. Trotz abweichender Zuständigkeit nach Art 3 ff EuUVO sind neben dem Hauptsachegericht auch die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten befugt, nach Maßgabe ihres nationalen Prozessrechts als Maßnahmengericht einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren (zweispuriges Zuständigkeitssystem). Die gefährdete Partei hat daher ein Wahlrecht, ob sie die Annexzuständigkeit des Hauptsachegerichts auf Basis der EuUVO oder ein Maßnahmengericht in Anspruch nehmen möchte (vgl Weber in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 [2023] Rz 6.262).

[47] 4.3. Im Schrifttum werden jedoch unterschiedliche Ansichten verteten, ob damit für einstweilige Maßnahmen alle in Art 3 ff EuUVO genannten Gerichtsstände oder nur solche nach nationalem Recht offenstehen.

[48] Einige Autoren vertreten die Ansicht, dass die internationale Zuständigkeit für die einstweilige Maßnahme nicht mehr auf die Art 3 ff EuUVO gestützt werden könne, wenn zum Zeitpunkt ihrer Beantragung bereits ein Verfahren in der Hauptsache nach der EuUVO vor einem mitgliedstaatlichen Gericht anhängig ist. In diesem Fall stünde dem Verfahren in einem anderen Mitgliedsstaat nämlich die Rechtshängigkeitssperre nach Art 12 EuUVO entgegen, sodass eine Zuständigkeit weiterer Gerichte für die einstweilige Maßnahme nur noch auf Basis der lex fori, also nach nationalem Recht begründet werden könne (Fuchs in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 14 EuUVO Rz 2 unter Verweis auf Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 IV [2010] Art 14 EuUVO Rz 11;Reuß in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen [66. EL Jan 2023] Art 12 EuUVO Rz 8; Sieghörtner in Hahne/Schlögel/Schlünder, BeckOKFamG49 [2024] Art 14 EuUVO Rz 5).

[49] Andere Autoren meinen im Gegenteil, dass auch nach Anhängigkeit des Hauptverfahrens alle in Art 3 ff EuUVO genannten Gerichte für einstweilige Anordnungen international zuständig sind (Weber in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 [2023] Rz 6.267; Henrich in Born, Unterhaltsrecht [64. EL Okt 2023] Kap 33 Rz 2; Hausmann in Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht³ [2024] C. Unterhaltssachen Rz 312; Lipp in MKFamFG [2019] EG-UntVO Art 14 Rz 11). Daher sei es auch zulässig, wenn der Unterhaltsberechtigte die einstweilige Maßnahme vor dem Gericht seines gewöhnlichen Aufenthalts und das Hauptverfahren vor dem Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsverpflichteten anhängig macht. Dies gelte nicht nur für Sicherungsverfügungen, sondern auch für Leistungsverfügungen, selbst wenn der Unterhaltsverpflichtete Gefahr laufe, mit zwei Entscheidungen zum selben Zeitpunkt belastet zu werden (Weber in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 [2023] Rz 6.267).

[50] Konkret konstruiert etwa Henrich folgendes Beispiel: Kehre zB die deutsche Ehefrau, die mit ihrem österreichischen Ehemann in Österreich gelebt habe, nach Deutschland zurück und stelle daraufhin der Ehemann in Österreich den Antrag auf Ehescheidung, so könne die Ehefrau eine einstweilige Unterhaltsanordnung nicht nur in dem anhängigen Ehescheidungsverfahren in Österreich (die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte für die Entscheidung über den Unterhaltsanspruch ergebe sich aus Art 3 lit c EuUVO iVm Art 3 Abs 1 lit a, zweiter Spiegelstrich Brüssel II b-VO), sondern gemäß Art 14 EuUVO auch in Deutschland beantragen. Die für die einstweilige Anordnung erforderliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe sich aus Art 3 lit b EuUVO – auch die deutschen Gerichte wären für eine Entscheidung in der Hauptsache international zuständig (Henrich in Born, Unterhaltsrecht [64. EL, Stand Okt 2023] Kap 33 Rz 2).

[51] Erforderlichenfalls könne ja auch ein Verfahren wegen einer einstweiligen Maßnahme nach Art 13 EuUVO ausgesetzt werden, wenn (einstweiliger) Rechtsschutz durch das Gericht der Hauptsache sinnvoller erscheint (Hausmann in Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht³ [2024] C. Unterhaltssachen Rz 312).

[52] 4.4. Insgesamt ist damit die Frage ungelöst, ob für einstweilige Sicherungsverfahren nach Art 14 alle (sog fiktiven) Gerichtsstände nach Art 3 lit b EuUVO wahlweise zur Verfügung stehen.

5. Zu Frage 4: Zuständigkeit als Hauptsachegericht nach Art 14 EuUVO trotz Aussetzung des Hauptverfahrens nach Art 12 EuUVO

[53] 5.1. Das von den Minderjährigen für die einstweilige Maßnahme angerufene Bezirksgericht Innere Stadt Wien wurde von ihnen zuvor auch schon für eine Entscheidung in der Hauptsache angerufen. Dieses Verfahren in der Hauptsache ist jedoch seit Jahren unterbrochen, um eine bejahende oder verneinende Zuständigkeitsentscheidung des Landesgerichts Krakau abzuwarten.

[54] 5.2. Gerade in einem solchen Fall stellt sich daher die Frage, ob wenn schon nicht jedes nach Art 3 ff EuUVO fiktiv zuständige Gericht, zumindest ein bereits in der Hauptsache angerufenes Gericht auch dann iSd Art 14 EuUVO „für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig“ sein kann, wenn es sein Verfahren wegen früher eingeleiteter Verfahren in der Hauptsache vor einem anderen Gericht ausgesetzt hat und noch keine Zuständigkeitsentscheidung des zuerst angerufenen Gerichts ergangen ist.

6. Zu Frage 5: internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen aufgrund von Art 14 iVm nationalem Recht

[55] 6.1. Für die Festlegung von einstweiligem Unterhalt Minderjähriger gegen die Eltern ist nach österreichischem Recht das Gericht zuständig, vor welchem der Prozess in der Hauptsache zur Zeit des ersten Antrags anhängig ist (§ 387 Abs 1 EO).

[56] Nach der österreichischen Rechtsprechung zu Inlandsfällen genügt es dafür, dass der verfahrenseinleitende Schriftsatz bei einem inländischen Gericht eingebracht und nicht a limine zurückgewiesen wurde (RS0005066; zum Inlandserfordernis: 6 Ob 142/19d [Pkt 2]), nicht einmal eine Streitanhängigkeit ist erforderlich (RS0005090). Diese Minimalerfordernisse sind hier im Verfahren 83 Pu 137/21y des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien erfüllt, obwohl es derzeit ausgesetzt ist.

[57] 6.2. Die überwiegende Lehre im deutschsprachigen Raum lässt unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH zu EuGVÜ und EuGVVO (C-391/95, van Uden; C-125/79, Denilauler / S. N. C. Couchet Frères) eine nationale Zuständigkeitsnorm für sich genommen aber noch nicht ausreichen, um im Anwendungsbereich der EuUVO die Zuständigkeit nationaler Gerichte in Verfahren über einstweiligen Rechtsschutz zu bejahen. Sie fordert darüber hinaus, dass eine reale Verknüpfung zwischen der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit besteht (Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 IV Art 14 EuUVO Rz 13; Fuchs in Gitschthaler, Internationales Familienrecht Art 14 EuUVO Rz 8; Weber in Neumayr/Geroldinger, Internationales Zivilverfahrensrecht Art 14 EuUVO Rz 9; Hausmann in Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht³ [2024] C. Unterhaltssachen Rz 308; Reuß in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen [66. EL Jan 2023] Art 12 EuUVO Rz 9). Durch das Erfordernis der realen Verknüpfung werde das Vorliegen einer engen Verbindung zwischen Forum und einstweiliger Maßnahme gewährleistet und ein Mindestschutz des Gegners der gefährdeten Partei sichergestellt, der nicht in allen Mitgliedstaaten (allein) nach deren autonomen Rechtsordnungen gerichtspflichtig werde, sondern nur in den Mitgliedstaaten, die für die Erlassung einstweiliger Maßnahmen besonders sachnah erscheinen würden (Simotta/Garber in Fasching/Konecny3 Art 35 EuGVVO Rz 126/1).

[58] Die Voraussetzung der realen Verknüpfung sei jedenfalls erfüllt, wenn der Vollzug im Inland erfolgversprechend sei (Fuchs in Gitschthaler, Internationales Familienrecht Art 14 EuUVO Rz 8; Weber in Neumayr/Geroldinger, Internationales Zivilverfahrensrecht Art 14 EuUVO Rz 9). Wenn die einstweilige Maßnahme eine Forderung betreffe, bestehe eine reale Verknüpfung, wenn für die internationale Zuständigkeit an den Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt eines Drittschuldners angeknüpft werde (vgl auch Weber in Mayer, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 [2023] Rz 6.269; Weber in Neumayr/Geroldinger, Internationales Zivilverfahrensrecht [2022] Art 14 EuUVO Rz 9 Simotta/Garber in Fasching/Konecny3 [2022] Art 35 EuGVVO Rz 127 ff mwN).

[59] 6.3. Das Kriterium der realen Verknüpfung wird aber von einigen Autoren als problematisch kritisiert, da es schwer fassbar sei (Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen [66. EL Jan 2023] Art 12 EuUVO Rz 9 unter Verweis auf Heinze, Max Planck Private Law Research Paper No. 11/5 2011, 30 f)

[60] Deshalb sprach sich auch die Europäische Kommission gegen ein Festhalten am Erfordernis einer realen Verknüpfung aus (Europäische Kommission KOM [2009] 175, 9). Sie plädiert stattdessen für eine analoge Anwendung des Art 20 Abs 2 EuEheKindVO 1347/2000/EG, sodass die Maßnahmen im vom Hauptsachegerichtsstaat verschiedenen Staat außer Kraft treten, sobald das in der Hauptsache zuständige Gericht die seiner Ansicht nach angemessenen Maßnahmen getroffen hat (KOM [2009] 175, 8; vgl auch Fucik in Fasching/Konecny3 [2010] Art 14 EuUVO Rz 4 und Andrae in Rauscher, EuZPR [2010] Art 14 EG-UntVO Rz 10, die eine analoge Anwendung bei doppelten Sicherungsanordnungen bejaht).

[61] 6.4. Ob im vorliegenden Verfahren eine reale Verknüpfung zwischen dem beantragten einstweiligen Unterhalt und der gebietsbezogenen Zuständigkeit iSd der oben dargestellten besteht, lässt sich anhand des bisher ermittelten Sachverhalts nicht verlässlich beurteilen. Es fehlen insbesondere Feststellungen zu exekutierbarem Vermögen des Antragsgegners in Österreich.

[62] Eine Aufhebung der Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof zur Ergänzung des Sachverhalts durch die erste Instanz setzt aber die Klärung der Frage voraus, ob eine reale Verknüpfung zwischen der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit überhaupt Voraussetzung für die Zuständigkeit nach Art 14 EuUVO iVm nationalen Vorschriften ist. Bejahendenfalls wäre zu überlegen, ob diese reale Verknüpfung im vorliegenden Fall auch aufgrund anderer Sachverhaltselemente bejaht werden könnte (zB Wohnsitz der antragstellenden Minderjährigen; Anhängigkeit eines ausgesetzten Hauptverfahrens; Wohnsitz des Antragsgegners bei Einleitung des ausgesetzten Hauptverfahrens 83 Pu 137/21y).

7. Zu Frage 6: Relevanz der rügelosen Einlassung des Vaters im österreichischen Verfahren wegen einstweiligem Ehegattenunterhalt

[63] 7.1. Der hier zu beurteilende Sachverhalt weist schließlich noch folgende Besonderheit auf: Nicht nur die beiden Minderjährigen, auch die Mutter stellte beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien einen Antrag auf einstweiligen Unterhalt. Dabei handelt es sich um ein separates Verfahren zur Aktenzahl 83 C 5/22g, weil Unterhaltsansprüche von Ehegatten in Österreich im streitigen Rechtsweg durchzusetzen sind, während der Unterhalt Minderjähriger im Außerstreitverfahren geltend gemacht werden muss.

[64] Der Vater ließ sich rügelos auf den Antrag der Mutter ein, sodass schließlich der Oberste Gerichtshof zu 4 Ob 151/23v (iFamZ 2023/262 [Fucik]) die internationale Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf Zuerkennung von Ehegattenunterhalt nach Art 5 EuUVO bejahte.

[65] 7.2. In Hinblick auf die unionsrechtliche weite Auffassung von Parteien- und Anspruchsidentität stellt sich die Frage, ob dieser rügelosen Einlassung auch Bedeutung für die internationale Zuständigkeit für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf Zuerkennung von einstweiligem Unterhalt für die beiden Minderjährigen zukommt, zumal sich die mögliche Rechtshängigkeit der Unterhaltsansprüche der Minderjährigen auf ein nur zwischen den Eltern anhängiges Scheidungsverfahren gründet.

Zu II. Verfahrensunterbrechung:

[66] Die Aussetzung des Verfahrens gründet auf § 90a Abs 1 GOG.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. * und 2. *, beide geboren am * 2019, beide vertreten durch die Mutter * Wien, diese vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in Wien, wegen einstweiligen Unterhalts nach § 382 Z 8 lit a EO, aus Anlass des Revisionsrekurses des Vaters *, Polen, vertreten durch Mag. Gülay Aydemir, Rechtsanwalt in Wien als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 11/23p-41, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 83 Pu 137/21y-31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Das beim Gerichtshof der Europäischen Union zu C-361/24, Grecniaka, anhängige Ersuchen um Vorabentscheidung vom wurde zurückgezogen.

2. Das Verfahren über den Revisionsrekurs der klagenden Partei wird fortgesetzt.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Das Stadtgericht Krakau hat sich im vom unterhaltspflichtigen Vater der Minderjährigen, *, eingeleiteten Scheidungsverfahren XI C 2299/21, das auch den Kindesunterhalt zum Gegenstand hatte, bereits für eine Entscheidung über den Unterhalt der Minderjährigen für unzuständig erklärt, indem es den entsprechenden Entscheidungsantrag zurückgewiesen hat. Dieser Beschluss ist vom Berufungsgericht Krakau zu I Acz 465/22 unwiderruflich bestätigt worden.

[2] Auch der Vater hat bereits die Fortsetzung des österreichischen Unterhaltsverfahrens beantragt.

[3] Die zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen zur internationalen Zuständigkeit sind daher nicht mehr zu lösen, sodass das Vorabentscheidungsersuchen zurückzuziehen ist (§ 90a Abs 2 GOG; 5 Ob 110/23x mwN).

[4] 2. Aufgrund des Wegfalls der Grundlage für die Verfahrensunterbrechung ist das Revisionsrekursverfahren fortzusetzen (vgl § 90a Abs 1 GOG).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00176.23W.0926.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-66880