OGH 27.08.2024, 4Ob126/24v
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Dr. Kikinger, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj *, geboren am * 2022, vertreten durch die Mutter *, diese vertreten durch die BHF Briefer Hülle Frohner Gaudernak Rechtsanwälte OG in Wien, Vater: *, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 153/24v-17, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 88 Pu 140/23d-11, geändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Ehe der Eltern wurde nach der Geburt des Kindes geschieden. Die Obsorge beider Eltern blieb aufrecht. Sie vereinbarten die hauptsächliche Betreuung des Kindes im Haushalt der Mutter und einen monatlichen Unterhaltsbeitrag des Vaters von 100 EUR. Einen allfälligen darüber hinausgehenden Unterhaltsbeitrag behielten sie der gerichtlichen Klärung vor.
[2] Das – im Entscheidungszeitpunkt zweijährige – Kind geht von Montag bis Freitag in den Kindergarten. Dort bekommt es ein Mittagessen und bleibt bis 15 Uhr. Die Mutter zahlt für den Kindergarten mit Mittagessen und Nachmittagsbetreuung 80 EUR pro Monat.
[3] Der Vater betreut das Kind im Rahmen seines mit der Mutter vereinbarten Kontaktrechts im folgenden Ausmaß in seinem Haushalt:
- in geraden Kalenderwochen von Dienstag nachmittags nach Kindergartenschluss (an kindergartenfreien Tagen ab 16 Uhr) bis Mittwoch morgens zum Kindergartenbeginn (an kindergartenfreien Tagen bis 11 Uhr) und von Freitag nachmittags nach Kindergartenschluss (an kindergartenfreien Tagen ab 16 Uhr) bis Montag morgens zum Kindergartenbeginn (an kindergartenfreien Tagen bis 11 Uhr),
- in ungeraden Kalenderwochen von Mittwoch nachmittags nach Kindergartenschluss (an kindergartenfreien Tagen ab 16 Uhr) bis Freitag morgens zum Kindergartenbeginn (an kindergartenfreien Tagen bis 11 Uhr), und
- vier Wochen in den Ferien.
[4] Auch bei der Mutter verbringt das Kind im Jahr vier Wochen in den Ferien.
[5] Die Mutter zahlt monatlich 60 EUR für eine private Krankenzusatzversicherung des Kindes. Sie zahlt für die Impfungen und Privatarztbesuche des Kindes, erhält diese Kosten aber aus der privaten Krankenzusatzversicherung zurückerstattet. Medikamente für das Kind besorgt der Elternteil, in dessen Betreuungszeit sie benötigt werden. Kleidung und Schuhe für das Kind kaufen beide Elternteile. Die Mutter hat für das Kind einen Bausparvertrag abgeschlossen, auf den sie monatlich einzahlt. Der Vater hat für das Kind ein Sparkonto eröffnet, auf das er regelmäßige Zahlungen leistet. Weitere Kosten fallen derzeit nicht an.
[6] Die Mutter bezieht die Familienbeihilfe für das Kind. Den Familienbonus machen beide Eltern jeweils zur Hälfte geltend.
[7] Der Vater erzielt ein monatliches Durchschnittseinkommen von 5.000 EUR netto. Er hat keine weiteren Unterhaltspflichten.
[8] Das Kind beantragte zuletzt, den Vater über den vereinbarten monatlichen Unterhaltsbeitrag von 100 EUR hinaus zu einer weiteren monatlichen Unterhaltsleistung zu verpflichten, und zwar von bis zu weiteren 445 EUR (insgesamt 545 EUR) und ab zu weiteren 478 EUR (insgesamt 578 EUR). Aufgrund des Einkommens des Vaters bestehe eine monatliche Unterhaltsverpflichtung in der Höhe des zweifachen Regelbedarfs, also 640 EUR von bis und 680 EUR ab . Davon seien wegen der überdurchschnittlichen Betreuungsleistungen des Vaters 15 % abzuziehen.
[9] Der Vater trat dem Antrag überwiegend entgegen. Seine Betreuungszeiten entsprächen durchschnittlich drei Betreuungstagen wöchentlich; dazu kämen die Ferienkontakte. Es liege eine annähernd gleichteilige Betreuung vor, sodass nur ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von insgesamt 200 EUR angemessen sei.
[10] Das Erstgericht teilte die Ansicht des Kindes und gab dem Antrag statt.
[11] Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss und sprach dem Kind über den vereinbarten monatlichen Unterhaltsbeitrag von 100 EUR hinaus den folgenden weiteren Unterhaltsbeitrag zu: von bis 380 EUR monatlich (insgesamt 480 EUR; 65 EUR weniger als das Erstgericht) und ab 410 EUR monatlich (insgesamt 510 EUR; 68 EUR weniger als das Erstgericht). Das Rekursgericht ging wie das Erstgericht von einer Unterhaltsbemessung ausgehend vom zweifachen Regelbedarf aus, nahm aber aufgrund der Betreuungsleistungen des Vaters einen Abschlag von 25 % vor (und nicht bloß von 15 %).
[12] Auf Antrag des Kindes ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs nachträglich mit der – nicht näher konkretisierten – Begründung zu, die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Minderung der Unterhaltsverpflichtung bei überdurchschnittlichen Betreuungszeiten durch den Unterhaltsschuldner sowie zur Berücksichtigung der Betreuungszeit im Kindergarten sei uneinheitlich.
[13] In seinem Revisionsrekurs beantragte das Kind, den Beschluss des Rekursgerichts zu ändern und den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise stellte es einen Aufhebungsantrag.
[14] Der Vater beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
[15] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[16] 1. Der Oberste Gerichtshof hat für die Berücksichtigung der Betreuungsleistungen des Geldunterhaltsschuldners bei der Unterhaltsbemessung die folgenden allgemeinen Leitlinien entwickelt:
[17] 1.1. Betreut der geldunterhaltspflichtige Elternteil das Kind im Rahmen des üblichen Kontaktrechts in seinem Haushalt, hat das keine Auswirkungen auf seine Unterhaltspflicht. Üblich ist eine Mitbetreuung von zwei Tagen in zwei Wochen und vier Wochen in den Ferien (4 Ob 206/15w; 4 Ob 22/18s; 4 Ob 45/19z). Eine diese übliche Dauer überschreitende Betreuung durch den geldunterhaltspflichtigen Elternteil kann zu einer Reduktion der Geldunterhaltspflicht führen (RS0047452). Bei nahezu gleichwertigen Betreuungs- und sonstigen Naturalleistungen sowie annähernd gleichem Einkommen der Eltern kann der Geldunterhaltsanspruch auch entfallen (RS0130655; RS0131785; RS0131331; „betreuungsrechtliches Unterhaltsmodell“).
[18] 1.2. Unterhaltsentscheidungen sind grundsätzlich Ermessensentscheidungen, weshalb es problematisch ist, allgemein verbindliche, gleichsam rechenformelmäßige Prozentsätze für Abschläge für übermäßige Betreuungsleistungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils festzulegen (RS0047452 [T17]; RS0047419 [T19]; RS0047460 [T4]). Im Rahmen des Ermessens neigt die Rechtsprechung dazu, den Unterhaltsanspruch altersunabhängig um 10 % pro wöchentlichem Betreuungstag zu reduzieren, an dem sich das Kind über das übliche Ausmaß des Kontaktrechts hinaus beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil befindet. Ein Kontaktrechtstag pro Woche wird als unterhaltsneutral angesehen, für jeden weiteren eine Minderung von 10 % als angemessen erachtet (9 Ob 57/17y; 4 Ob 45/19z; 6 Ob 118/21b; vgl RS0128043). Diese generalisierende Betrachtungsweise signalisiert aber tendenziell eher die Untergrenze der Bedachtnahme auf zusätzliche Belastungen jenes geldunterhaltspflichtigen Elternteils, zu dem mehr Kontakt als üblich besteht (4 Ob 16/13a; 5 Ob 189/18g; 1 Ob 13/19x; 4 Ob 45/19z).
[19] 1.3. Die Kontakttage des Geldunterhaltsschuldners werden nicht exakt berechnet, sondern in einer wertenden Gesamtbetrachtung der Betreuungsleistungen ermittelt (4 Ob 45/19z; 6 Ob 26/24b). Das Ausmaß der Reduktion des Geldunterhalts hängt im Einzelfall (auch) davon ab, ob sich das tatsächliche Kontaktausmaß eher an der Grenze zum üblichen bewegt oder ob es sich eher bereits der gleichteiligen Betreuung annähert (4 Ob 45/19z).
[20] 2. Das Kind bezweifelt im Revisonsrekurs (wie bereits im Antrag) nicht, dass die Betreuung durch den Vater die übliche Dauer überschreitet. Die wertende Betrachtung des Rekursgerichts, die überdurchschnittliche Betreuungsleistung des Vaters rechtfertige eine Reduktion der Geldunterhaltspflicht im Ausmaß von 25 % (und nicht bloß im Ausmaß von 15 %), hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung. Jedenfalls ist darin keine – im Einzelfall aufzugreifende – grobe Fehlbeurteilung zu erblicken. Eine solche zeigt auch der Revisionsrekurs nicht auf.
[21] 3. Der Revisionsrekurs ist daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00126.24V.0827.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-66851