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OGH 25.06.2024, 4Ob104/24h

OGH 25.06.2024, 4Ob104/24h

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Rechtssatz


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Norm
HUP 2007 Art4 Abs2
RS0135285
Die Günstigkeitsregel kommt nur zur Anwendung, wenn dem Unterhaltspflichtigen - sei es generell oder zumindest unter den gegebenen Umständen - überhaupt keine Unterhaltspflicht auferlegt wird.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj *, geboren * 2010, über den „außerordentlichen Revisionsrekurs“ des Vaters *, vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterhalts, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 7/24y-144, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 7 Pu 152/13z-138, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1] Der Vater war für seinen minderjährigen Sohn bisher zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 662 EUR verpflichtet.

[2] Unter teilweiser Stattgebung des Unterhaltserhöhungsantrags des Sohnes verpflichtete das Erstgericht den Vater zur Leistung rückständigen Unterhalts und erhöhte die laufenden monatlichen Unterhaltszahlung um 474 EUR auf 1.136 EUR.

[3] Gegen diese Entscheidung erhob (nur) der Vater einen Rekurs, mit dem er die Abweisung des 60 EUR übersteigenden Unterhaltserhöhungsbegehrens ab (somit eine monatliche Unterhaltsverpflichtung von 722 EUR) anstrebte.

[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] Das gegen diesen Beschluss gerichtete und als außerordentlicher Revisionsrekurs bezeichnete Rechtsmittel des Vaters legte das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor. Diese Vorgangsweise entspricht nicht dem Gesetz.

[6] 1. Im Unterhaltsbemessungsverfahren ist der Entscheidungsgegenstand rein vermögensrechtlicher Natur und besteht ausschließlich in einem Geldbetrag. Der Wert des Entscheidungsgegenstands bestimmt sich nach § 58 Abs 1 JN mit dem 36-fachen des monatlichen Unterhalts. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung nur auf jenen monatlichen Unterhaltsbetrag abzustellen, der im Zeitpunkt der Entscheidung des Rekursgerichts noch strittig war (laufender Unterhalt), während jene Unterhaltsansprüche, die vor diesem Zeitpunkt strittig und bereits fällig waren (rückständiger Unterhalt), nicht zusätzlich zu berücksichtigen sind (RS0122735; RS0114353).

[7] 2. Zwischen den Parteien war im Rekursverfahren das Ausmaß der Erhöhung des laufenden Unterhalts im Umfang von 414 EUR (= 474 EUR minus 60 EUR) strittig. Der Wert des Entscheidungsgegenstands beträgt demnach 14.904 EUR.

[8] 3. Nach § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht den Revisionsrekurs nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei nur nach § 63 AußStrG einen Antrag an das Rekursgericht stellen, den Zulässigkeitsausspruch dahin abzuändern, dass der Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde; mit dieser Zulassungsvorstellung ist der ordentliche Revisionsrekurs zu verbinden.

[9] 4. Da im vorliegenden Fall die Wertgrenze nicht überschritten wird, kommt dem Obersten Gerichtshof im derzeitigen Verfahrensstadium keine Entscheidungskompetenz zu. Das Erstgericht wird deshalb beurteilen müssen, ob es die Eingabe angesichts der darin ohnehin enthaltenen Zulassungsbeschwerde als Zulassungsvorstellung nach § 63 AußStrG dem Rekursgericht vorlegt oder aber ein Verbesserungsverfahren durchführt (RS0109505).

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj *, geboren * 2010, über den Revisionsrekurs des Vaters *, vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterhalts, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 7/24y-144, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 7 Pu 152/13z-138, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Unterhaltserhöhungsantrag des Minderjährigen für den Zeitraum von bis abgewiesen wird.

Im Übrigen, nämlich hinsichtlich des für die Zeit ab zu leistenden Unterhalts, wird der angefochtene Beschluss bestätigt.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Text

Begründung:

[1] Der in Österreich lebende Vater war für seinen minderjährigen Sohn bisher zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 662 EUR verpflichtet. Der Minderjährige wohnt in München (Deutschland) bei der obsorgeberechtigen Mutter; in Österreich ist er nur „nebenwohnsitzlich gemeldet“. Vater und Sohn sind österreichische Staatsbürger.

[2] Der Minderjährige begehrt die Erhöhung des bisherigen Unterhaltsbetrags für die Vergangenheit und des laufenden Unterhalts. Er stützte sein Begehren (ausschließlich) auf österreichisches Recht.

[3] Der Vater wandte ein, dass aufgrund des Wohnsitzes des Kindes deutsches Unterhaltsrecht anzuwenden sei.

[4] Unter teilweiser Stattgebung des Unterhaltserhöhungsantrags verpflichtete das Erstgericht den Vater zur Leistung rückständigen Unterhalts und erhöhte die laufenden monatlichen Unterhaltszahlungen um 474 EUR auf 1.136 EUR. Es ging davon aus, dass der Minderjährige nach der EuUVO Wahlfreiheit hinsichtlich des anzuwendenden Unterhaltsrechts habe. Es bestünden keine Zweifel, zur Bemessung des Unterhaltsanspruchs das österreichische Unterhaltsrecht anzuwenden.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es ging davon aus, dass nach Art 3 Haager Unterhaltsprotokoll (im Folgenden: HUP 2007) grundsätzlich das Recht des Staats maßgeblich sei, in dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Demnach wäre hier deutsches Unterhaltsrecht anzuwenden. Allerdings sei nach Art 4 Abs 3 HUP 2007 im Anlassfall der laufende Unterhalt ab Antragstellung nach österreichischem Recht zu beurteilen. Diese Bestimmung gelte zwar nicht für den rückständigen Unterhalt vor der Antragstellung, den der Sohn mangels Mahnung nach deutschem Recht nicht fordern könne (vgl § 1613 BGB). Allerdings komme wegen der Günstigkeitsklausel des Art 4 Abs 2 HUP 2007 auch hinsichtlich des Unterhaltsrückstands vor der Antragstellung österreichisches Recht zur Anwendung, dessen inhaltliche Anwendung vom Vater nicht angegriffen werde.

[6] Das Rekursgericht erklärte nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil zur Frage ob Art 4 Abs 2 HUP 2007 auch dann anzuwenden sei, wenn das Fehlen einer Anspruchsvoraussetzung nur einem Erhöhungsbegehren entgegenstehe und das Kind seit der Entstehung des Rückstands in Deutschland wohne, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung auffindbar sei.

[7] Mit seinem Revisionsrekurs beantragt der Vater erkennbar die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahin, dass der Erhöhungsantrag – abgesehen von einer Erhöhung im Ausmaß von 60 EUR ab – abgewiesen werde.

[8] Der Minderjährige beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist teilweise auch berechtigt.

[10] 1.1 Auf alle nach dem eingeleiteten Verfahren ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die VO (EG) 2009/4 des Rates vom über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUVO) anzuwenden (Art 75, 76 EuUVO; 1 Ob 125/13h mwN).

[11] 1.2 Der sachliche Anwendungsbereich der EuUVO umfasst gemäß Art 1 Abs 1 EuUVO alle Unterhaltspflichten, die „auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen“, daher ua Unterhaltsansprüche eines Kindes gegenüber einem Elternteil (Weber in Geroldinger/Neumayr, Praxiskommentar Internationales Zivilverfahrensrecht Art 1 EuUntVO Rz 27). Die EuUVO enthält keine eigene Regelung des Kollisionsrechts, sondern eine (deklaratorische) Verweisung auf das HUP 2007, nach dem sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht für die Mitgliedstaaten bestimmt, die dadurch gebunden sind (vgl Weber aaO Art 15 EuUntVO Rz 1).

[12] 1.3 In dritter Instanz ist unstrittig, dass sich die Frage des hier anzuwendenden Rechts nach dem HUP 2007 richtet.

[13] 2. Grundsätzlich ist nach der allgemeinen Regel des Art 3 HUP 2007 das Recht des Staats maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das Rekursgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass demnach deutsches Recht anwendbar wäre. Es bestehen aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen keine Bedenken, von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Deutschland auszugehen, das bei seiner obsorgeberechtigten Mutter in München wohnt. Der Umstand, dass für den Minderjährigen in Wien auch eine behördliche Meldung eines Nebenwohnsitzes vorliegt, ist dabei nicht entscheidend. Die behördliche Meldung bildet weder eine Voraussetzung für die Annahme eines Wohnsitzes, noch kann sie für sich alleine diese Annahme begründen (7 Ob 12/22y, Rz 21).

[14] 3.1 Als besondere Regel zur allgemeinen Regel normiert aber Art 4 Abs 3 HUP 2007, dass das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden ist, wenn die berechtigte Person die zuständigen Behörden des Staats angerufen hat, in dem die verpflichtete Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Demnach käme österreichisches Recht zur Anwendung; die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts wurde nicht bestritten.

[15] 3.2 Für die Anknüpfung an das Unterhaltsstatut am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltspflichtigen nach Art 4 Abs 3 Satz 1 HUP 2007 kommt es allerdings grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, also auf die Verfahrenseinleitung, an (dazu Punkt 6).

[16] 4. Die Vorinstanzen haben damit jedenfalls für den ab Antragstellung fälligen Unterhaltsanspruch zutreffend österreichisches Recht angewandt.

[17] 4.1 Der Einwand des Vaters, dass der für den „österreichischen Lebensraum konzipierte und bewertete Unterhaltsanspruch“ nicht für den in Deutschland lebenden Antragsteller konzipiert sei, vermag nicht zu überzeugen.

[18] 4.2 Das würde voraussetzen, dass das HUP 2007 stets und ausnahmslos das Recht jenes Staats für maßgebend festlegt, in dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bereits die besonderen Regeln des Art 4 HUP 2007 dokumentieren aber deutlich, dass ein Antragsteller seinen Unterhaltsanspruch unter Umständen auch auf das Recht eines Staats stützen kann, in dem er nicht lebt.

[19] 5. Damit ist die Entscheidung für den laufenden Unterhalt ab der Antragstellung (also für die Zeit ab ) zu bestätigen, zumal der Vater im Revisionsrekurs nicht ansatzweise darlegt, dass die inhaltliche Anwendung des österreichischen Rechts hier fehlerhaft gewesen sein soll.

[20] 6. Im Übrigen ist dem Rechtsmittel Folge zu geben.

[21] 6.1 Für den rückständigen Unterhalt gilt nach der bisherigen Judikatur Art 4 Abs 3 Satz 1 HUP 2007 nämlich nicht; maßgeblich ist hier vielmehr jenes Unterhaltsstatut, das zu dieser Zeit die Unterhaltsbeziehung zwischen den Parteien regelte. Erst mit der Anrufung des Gerichts im Aufenthaltsstaat des Unterhaltspflichtigen kommt es nach Art 4 Abs 3 Satz 1 HUP 2007 zur Anwendung dessen materiellen Unterhaltsrechts (6 Ob 224/18m mwN; 4 Ob 143/20p, Rz 30; RS0132584). Daran ist auch weiterhin festzuhalten (vgl idS zB Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht3 Kapitel Rz 10.82; Verschraegen, EF-Z 2019/105 [Entscheidungsanm]; Gitschthaler in Gitschthaler, Internationales Familienrecht, Art 4 HUP Rz 21; aA Fucik, Wirklich kein Statutenwechsel pro praeterito?, EF-Z 2020/86 mwN).

[22] 6.2 Das Rekursgericht ist mit Blick auf die referierte Rechtslage zutreffend zum Zwischenergebnis gelangt, dass Art 4 Abs 3 Satz 1 HUP auf den rückständigen Unterhalt vor Antragstellung nicht anzuwenden ist.

[23] 7. Zutreffend zeigt der Vater aber auf, dass das Rekursgericht die Günstigkeitsregel des Art 4 Abs 2 HUP 2007 hier zu Unrecht herangezogen hat.

[24] 7.1 Nach dieser Regel ist das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden, wenn die berechtigte Person nach dem in Art 3 HUP 2007 vorgesehenen Recht von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten kann.

[25] 7.2 Der EuGH hat zwar bereits geklärt, dass auch bei einem drohenden Scheitern des Unterhaltsanspruchs wegen Fehlens einer Mahnung nach § 1613 BGB die Regel des Art 4 Abs 2 HUP 2007 angewendet werden kann (, KP/LO, Rz 52 ff). Die Norm setzt aber voraus, dass dem Unterhaltsverpflichteten im konkreten Fall – sei es generell oder zumindest unter den gegebenen Umständen – überhaupt keine Unterhaltspflicht auferlegt wird, weil nach dem gemäß Art 3 HUP 2007 anzuwendenden Recht eine solche Pflicht entweder gar nicht vorgesehen ist oder ihre rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (Gitschthaler in Gitschthaler, Internationales Familienrecht, Art 4 HUP 2007 Rz 14; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht3 Rz 599; Mankowski in Staudinger/Mankowski, Kommentar zum BGB, Art 4 HUP 2007 Rz 27; Staudinger in Münchener Kommentar zum BGB9 Art 4 HUP 2007 Rz 9). Billigt zB jenes Recht Unterhalt erst nach einer Art Karenzzeit zu und besteht daher kein Unterhaltsanspruch für bestimmte Monate, obwohl danach Unterhalt geschuldet wird, so greift Art 4 Abs 2 HUP 2007 für diejenigen Monate ein, in denen kein Unterhaltsanspruch besteht (Mankowski aaO).

[26] 7.3 Im Anlassfall ist jedoch auszuschließen, dass der Minderjährige von seinem Vater für den strittigen Zeitraum bis zur Antragstellung keinen Unterhalt erhalten kann. Der Minderjährige verfügt bereits über einen rechtskräftigen und vollstreckbaren Unterhaltstitel aus dem Jahr 2017, in dem der Vater bis auf weiteres zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 662 EUR verpflichtet wurde. Gegenständlich ist nur ein Erhöhungsantrag. Damit scheitert die Anwendung der Günstigkeitsklausel schon daran, dass das relevante Tatbestandsmerkmal „keinen Unterhalt“ nicht erfüllt ist.

[27] 7.4 Das Gesagte deckt sich auch mit dem Erläuternden Bericht von Bonomi zum Haager Protokoll, der auf der 21. Tagung der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht angenommen wurde, in dem es zur Günstigkeitsklausel ua heißt (vgl Rz 62):

Der Rückgriff auf die subsidiäre Anknüpfung ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der berechtigten Person für die Unterhaltspflicht einen geringeren Betrag als das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht vorsieht. In diesem Fall ist das nach Artikel 3 bestimmte Recht anzuwenden, selbst wenn es im konkreten Fall weniger günstig für die berechtigte Person ist als das Recht der angerufenen Behörde.

[28] 8.1 Mangels Anwendung der Günstigkeitsklausel ist – unter Bedachtnahme auf die allgemeine Regel des Art 3 HUP 2007 – der Erhöhungsantrag betreffend den davor angefallenen Unterhaltsrückstand nach deutschem Recht zu prüfen.

[29] 8.2 Der knappe Einwand in der Revisionsrekursbeantwortung, es widerspreche der Rechtseinheit, wenn der geltend gemachte Unterhaltsanspruch in einem Verfahren je nach Zeitraum nach unterschiedlichen Rechtsordnungen beurteilt wird, vermag nicht zu überzeugen. Die (potentielle) Anwendung von zwei Statuten ist vielmehr die logische Konsequenz des Umstands, dass die Sonderregel des Art 4 Abs 3 Satz 1 HUP 2007 nur für den Unterhalt ab Antragstellung, nicht aber für den Rückstand gilt und die Günstigkeitsklausel hier nicht anzuwenden ist. Vgl das plastische und für den Anlassfall sehr passende Beispiel bei Nademleinsky/Neumayr (Internationales Familienrecht3 Rz 10.82):

Ein Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland macht zwei Jahre nach der Geburt Unterhaltsansprüche zurück bis zur Geburt gegen den Vater an dessen gewöhnlichem Aufenthaltsort in Österreich geltend. Auf den Unterhaltsanspruch der ersten beiden Jahre ist deutsches Recht anzuwenden (Art 3 Abs 1 HUP) und ab Antragstellung österr Unterhaltsrecht gem Art 4 Abs 3 HUP.

[30] 9. Im deutschen Unterhaltsrecht besteht das allgemeine Prinzip, dass ein Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit nicht geltend gemacht werden kann (vgl 7 Ob 145/18a). Der hier interessierende § 1613 Abs 1 BGB beschränkt sich darauf, die Ausnahmen von diesem Grundsatz zu regeln, nämlich bei Aufforderung zur Auskunftserteilung, Schuldnerverzug nach Inverzugsetzung oder Rechtsanhängigkeit des Unterhaltsanspruchs (vgl dazu ua Reinken in BeckOK § 1613 BGB Rz 1 f; BGH XII ZB 282/23, NJW 2024, 2113). Unstrittig liegt eine der genannten Ausnahmen nicht vor, weshalb die Parteien auch übereinstimmend davon ausgehen, dass für den vor dem Erhöhungsantrag liegenden Zeitraum (betreffend den Unterhaltsrückstand) nach deutschem Recht ein Unterhaltsanspruch nicht besteht.

[31] 10. Damit ist die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Unterhaltserhöhungsantrag des Minderjährigen für den Zeitraum vom bis abgewiesen wird. Betreffend die Zeit ab (laufender Unterhalt nach Antragstellung) ist der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts zu bestätigen.

[32] 11. In Verfahren über Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes findet ein Kostenersatz nicht statt (§ 101 Abs 2 AußStrG).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00104.24H.0625.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAF-66843