OGH 07.07.2023, 3Ob9/23d
Entscheidungsart: Verstärkter Senat
Rechtssatz
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Normen | |
RS0134619 | Sowohl bei einem medizinischen Eingriff, der die Empfängnisverhütung bezweckt (zB Vasektomie oder Eileiterunterbindung), als auch bei der Pränataldiagnostik sind die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) an der Verhinderung der Empfängnis bzw – bei Vorliegen der embryopathischen Indikation – der Geburt eines (weiteren) Kindes vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst. Wäre das Kind bei fachgerechtem Vorgehen bzw ordnungsgemäßer Aufklärung der Mutter (der Eltern) nicht empfangen bzw nicht geboren worden, haftet der Arzt (unabhängig von einer allfälligen Behinderung des Kindes) insbesondere für den von den Eltern für das Kind zu tragenden Unterhaltsaufwand. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dipl.-Ing. S* K*, 2. M* K*, beide vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Mag. Michael Franz Damitner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. C* H*, vertreten durch Dr. Sabine Gauper, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, wegen restlicher 76.479,41 EUR sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 193/22k-82, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom , GZ 27 Cg 9/19f-73, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Es liegen die Voraussetzungen des § 8 Abs 1 OGHG vor; zur Entscheidung über die Revision ist deshalb ein verstärkter Senat berufen.
Text
Begründung:
[1] Die Tochter der Kläger kam mit einer schweren Behinderung zur Welt, die der beklagte Arzt im Rahmen der Pränataldiagnostik schuldhaft nicht erkannt hatte. Bei pflichtgemäßem Vorgehen des Beklagten hätten sich die Kläger für eine Abtreibung entschieden.
[2] Die Vorinstanzen gaben dem Schadenersatzbegehren der Kläger im Sinn der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (5 Ob 165/05h; 5 Ob 148/07m) im Wesentlichen statt und sprachen ihnen – insbesondere den Entscheidungen 5 Ob 165/05h und 5 Ob 148/07m folgend – den gesamten Unterhalt für das Kind zu.
Rechtliche Beurteilung
[3] In seiner Revision macht der Beklagte geltend, die zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei unrichtig, insbesondere stehe den Klägern an Unterhalt, wenn überhaupt, nur der behinderungsbedingte Mehraufwand zu; im Übrigen sei die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch insofern uneinheitlich, als die Fallkonstellationen „wrongful conception“ und „wrongful birth“ zu Unrecht nicht gleich gelöst würden.
Dazu hat der Senat erwogen:
[4] 1. Dem Beklagten ist dahin zuzustimmen, dass nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die beiden Fallkonstellationen „wrongful conception“ und „wrongful birth“ nicht einheitlich gelöst wurden.
[5] 1.1. Im Fall einer sogenannten „wrongful conception“ wird die Geburt eines gesunden, wenn auch „unerwünschten“ Kindes nicht als Schaden im Rechtssinn angesehen. Die für die Eltern sich daraus ergebenden Rechtsfolgen sollen nach Ansicht der dazu entwickelten Judikaturgrundsätze familienrechtlich erfasst und abgewogen sein. Die Grundsätze der Personenwürde und der Familienfürsorge sollen demnach Vorrang vor den Schadenersatzfunktionen und Haftungsgründen haben. Nur dort, wo ganz besondere Umstände vorlägen, die der typisierten umfassenden Bewertung im Rahmen des familienrechtlichen Verhältnisses nicht entsprechen, könne die schadenersatzrechtliche Ausgleichsfunktion durchdringen. Dies wurde im Fall der Geburt eines behinderten Kindes, aber auch bei der Geburt eines gesunden Kindes, wenn die zusätzliche Unterhaltsbelastung eine „ungewöhnliche und geradezu existenzielle Erschwerung wegen der zu gering verfügbaren Unterhaltsmittel“ zur Folge hätte, in Betracht gezogen. Diese Ausnahme soll jedoch nur solche Fälle betreffen, in denen durch den Unterhaltsaufwand im Ergebnis eine persönlich-existenzielle Notsituation drohen würde (9 Ob 37/14b mwN RdM 2015/110 [Bernat]; 8 Ob 69/21m mwN JBl 2022, 665 [Dullinger]; RS0121189).
[6] 1.2. Im Fall der „wrongful birth“ hat der Oberste Gerichtshof die Ansicht vertreten, die Ablehnung eines Schadenersatzanspruchs mit der Behauptung, es liege kein Schaden im Rechtssinn vor, als auch der bloße Zuspruch nur des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands stehe mit den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts nicht im Einklang (5 Ob 148/07m RdM 2008/38 [Kopetzki]).
[7] 2. Der 2. Senat des Obersten Gerichtshofs war der Ansicht, dass die beiden genannten Fallkonstellationen auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhten, weshalb er keinen Anlass für eine Verstärkung des Senats gemäß § 8 OGHG erkannte (2 Ob 172/06t).
[8] 3. Der wiedergegebenen Ansicht des 2. Senats ist dahin zu folgen, dass beide Fallkonstellationen regelmäßig auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhen. Beide Fallgruppen hängen allerdings grundlegend mit der Frage zusammen, ob aus der Geburt eines Kindes (mit gegebenenfalls besonderen Bedürfnissen) ein Schadenersatzanspruch abgeleitet werden kann und genau diese Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird in den beiden Judikaturlinien unterschiedlich beantwortet.
[9] 4. Die bezeichneten – unterschiedlichen – Lösungswege der beiden Fallkonstellationen wurden bisher in der Lehre sehr kontrovers diskutiert (vgl etwa die Nachweise bei Schickmair, Keine Produkthaftung nach Bruch der „Spirale“ und Geburt eines gesunden Kindes, [234, FN 4]). Die grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage nach einem möglichen Schadenersatzanspruch aufgrund der Geburt eines Kindes ist auch im Hinblick auf diese von der Wissenschaft ausführlich und teilweise auch sehr kritisch geführte Debatte und die inhaltlich darauf gestützten Argumente in der Revision neuerlich zu prüfen. Sollte der verstärkte Senat dabei zum Ergebnis kommen, dass keine Unterhaltskosten zuzusprechen seien oder nur der behinderungsbedingte Unterhaltsmehraufwand zu ersetzen sei, dann würde dies ein Abgehen von der dazu vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fällen der „wrongful birth“ bedeuten.
[10] 5. Es sind somit die Voraussetzungen nach § 8 Abs 1 Z 1 und 2 OGHG erfüllt, was nach dieser Gesetzesstelle mit Beschluss auszusprechen war.
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Verstärkter Senat
Entscheidungsdatum:
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek, die Senatspräsidenten Dr. Jensik und Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau, den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Kodek, die Senatspräsidentin Dr. Solé, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter (verstärkter Senat gemäß § 8 OGHG) in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dipl.-Ing. S*, 2. M*, beide vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Mag. Michael Franz Damitner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. C*, vertreten durch Dr. Sabine Gauper, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, wegen restlicher 76.479,41 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 193/22k-82, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom , GZ 27 Cg 9/19f-73, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 2.551,77 EUR (hierin enthalten 425,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Beklagte ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Neben der Tätigkeit in seiner Privatordination arbeitet er seit 1996 in der Risikoambulanz eines Klinikums als stellvertretender Leiter für Pränatalmedizin.
[2] Die Kläger sind verheiratet. Die Erstklägerin suchte die Ordination des Beklagten erstmals im Dezember 2016 – einige Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes – auf und war seither regelmäßig bei ihm in Behandlung.
[3] Als die Erstklägerin Anfang September 2017 die Regelblutung nicht bekam und ein von ihr durchgeführter Schwangerschaftstest positiv war, kam sie am wieder in die Ordination des Beklagten. Im Ultraschall zeigte sich damals ein vitaler Embryo mit 8 mm Scheitel-Steißlänge. Auf Basis dieser Messung errechnete der Beklagte den Geburtstermin mit .
[4] Am fand das Erst-Trimester-Screening statt. Die Berechnung der Blutparameter und der Nackenfalte ergab ein sehr niedriges Risiko für Trisomie 21 und 18. Irgendwelche Auffälligkeiten des Fötus bemerkte der Beklagte damals nicht.
[5] Bei dem vom Beklagten am durchgeführten Organscreening hielt er in seinem Befund fest: „Die folgenden Strukturen konnten dargestellt werden und zeigten einen sonographisch unauffälligen Befund: Schädel, Gehirn, Gesicht, Wirbelsäule, Thorax, Herz, Bauchwand, Gastrointestinaltrakt, Urogenitaltrakt, Extremitäten, Gesamtskelett.“ Tatsächlich war bei diesem Organscreening auf den dokumentierten Bildern immer nur eine (einzige) obere Extremität zu sehen.
[6] Am führte der Beklagte eine Doppleruntersuchung und einen 3D-Schall durch, wobei sich auch hier (nur) ein Arm des Kindes zeigte.
[7] Dennoch teilte der Beklagte der Erstklägerin nach einer Ultraschalluntersuchung mit, beide Arme und beide Füße des Fötus gesehen zu haben.
[8] Die Tochter der Kläger, V*, kam am * April 2018 mittels Kaiserschnitt zur Welt. Erst damals stellte sich heraus, dass bei ihr eine Amelie vorliegt, das heißt ihr fehlt die linke obere Extremität, statt der lediglich eine rudimentäre Armknospe vorhanden ist. Außerdem ist der gesamte linke Brust- und Schulterbereich unzureichend ausgebildet, das Schlüsselbein ist verkürzt und im Bereich des Schulterblatts besteht ebenfalls eine Hypoplasie. Aus der unzureichenden Ausbildung des Arms und des Schulter- und Brustbeins resultiert eine reduzierte Beweglichkeit. Das klinische Korrelat der Fehlbildung ist eine Beeinträchtigung der Bewegung, der Motorik und der Teilhabe. Es zeigen sich zahlreiche Schwierigkeiten bei der Durchführung von Alltagshandlungen, insbesondere solchen, die normalerweise beidhändig durchgeführt werden.
[9] Eine Amelie ist eine ausgesprochen seltene Fehlbildung. Diese tritt bei dem sich entwickelnden Embryo vermutlich dann ein, wenn im Zeitraum zwischen 24 und 36 Tagen nach der Befruchtung (hier in der zweiten Hälfte des Monats September 2017) eine Störung in der sich heranbildenden Extremität eintritt. Ein Abschnüren der linken Extremität aufgrund eines Amnionbänder-Syndroms ist hier auszuschließen.
[10] In Österreich gelten verbindliche Standards für die Qualität des Ultraschalls in der Pränataldiagnostik. Ultraschalluntersuchungen, die als Erst-Trimester-Screening, NT-Messung und Organschall/Organscreening bezeichnet werden, dienen der Erkennung fetaler Fehlbildungen. Nach allen nach dem Jahr 2009 publizierten Empfehlungen, Guidelines und Standards ist in Österreich die Beurteilung der fetalen Extremitäten und ihre Fotodokumentation fixer Bestandteil sowohl des Erst-Trimester-Ultraschallscreenings als auch des Organscreenings. Die Extremitäten sind in der Frühschwangerschaft meist gut zu beurteilen. Es wird grundsätzlich zweimal vermerkt, dass beim Fötus beide Arme vorhanden sind, nämlich einmal im Rahmen des Erst-Trimester-Screenings und einmal beim Organscreening. Für das Erst-Trimester-Screening gibt es eine Liste mit Punkten, die man nacheinander prüft. Dasselbe passiert dann nochmals beim Organscreening. Normalerweise schaut man sich dabei die Hände an. Gefordert ist, dass in der 12. Schwangerschaftswoche die Hände, Ober- und Unterarme getrennt darstellbar sind.
[11] Der Beklagte verwendet in seiner Ordination ein hochwertiges Ultraschallgerät, das es ermöglicht, bis zur 14. Schwangerschaftswoche das ganze Kind mit 3D am Bildschirm darzustellen. Hätte der Beklagte bei der Untersuchung der Erstklägerin am etwas länger gewartet, bis der Fötus seinen Körper etwas gedreht und dabei die linke Schulter etwas vorgebeugt hätte, wäre das Fehlen der linken Extremität bereits damals aufgefallen. Die diagnostischen Ultraschalluntersuchungen des Beklagten bei der Erstklägerin waren nicht auf dem in Österreich zu erwartenden Niveau. Auch die Fotodokumentation der fetalen Strukturen und Organsysteme war ungenügend.
[12] Ein Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Fristenlösung nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB wäre für die Erstklägerin ungefähr bis zum möglich gewesen. Wäre die Fehlbildung später entdeckt worden, etwa beim Organschall am , wäre – nach den Feststellungen – auch ein Schwangerschaftsabbruch iSd § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB „diskutabel“ gewesen.
[13] Hätte der Beklagte der Erstklägerin im Rahmen der Ultraschalluntersuchung am oder später mitgeteilt, dass ihrem Kind eine obere Extremität zur Gänze fehlt, hätte sie das Kind abgetrieben. Hätte sie diese Information so spät erhalten, dass eine Abtreibung in Österreich nicht mehr möglich gewesen wäre, wäre sie dafür ins Ausland gefahren. Sie hätte sich in jedem Fall für eine Abtreibung entschieden. Der Zweitkläger hätte sich gleich wie seine Frau entschieden.
[14] V* hat die üblichen, von Kindern in ihrem Alter bereits beherrschten Tätigkeiten im Bereich des An- und Ausziehens, der Körperpflege, der Mahlzeiteneinnahme und -zubereitung, der Lageänderung und der Fortbewegung bisher nicht in altersentsprechendem Ausmaß erlernt. Mit zunehmendem Alter werden die Unterschiede zu gleichaltrigen Kindern stärker sichtbar werden. Die klinischen Folgen der Fehlbildung zeigen sich im Bereich der Motorik. Auch das selbständige Spielen und die Interaktion mit anderen Kindern ist beeinträchtigt.
[15] Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom wurde V* rückwirkend ab Pflegegeld der Pflegestufe 1 in der Höhe von monatlich 160,10 EUR gewährt, wobei hievon die erhöhte Familienbeihilfe von 60 EUR in Abzug gebracht und deshalb nur ein Betrag von 100,10 EUR an Pflegegeld ausbezahlt wird.
[16] V* hat derzeit einen monatlichen Pflegemehrbedarf von insgesamt 75 Stunden. Ein Pflegemehrbedarf wird auch in Zukunft gegeben sein, wobei das künftige Ausmaß noch nicht abschließend bemessen werden kann. Mit zunehmender Komplexität der motorischen und kognitiven Aufgabenstellungen werden die Unterschiede in der Qualität der Fähigkeiten im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern stärker sichtbar werden. Neben den bereits vorliegenden Beeinträchtigungen können in Zukunft auch weitere Beeinträchtigungen und Erkrankungen kommen, die zu einer Verschlechterung der Prognose führen können. Die Anschaffung von Hilfsmitteln für den Alltag und von weiteren Heilbehelfen wird auch künftig nötig sein.
[17] Der Zweitkläger erzielte aus seiner unselbständigen Erwerbstätigkeit im Jahr 2018 ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen (inklusive Sonderzahlungen) von 2.286,31 EUR, im Jahr 2019 von 2.377,86 EUR, im Jahr 2020 von 2.455,23 EUR und im ersten Halbjahr 2021 von 2.523,63 EUR. Aus seiner Tätigkeit als Nebenerwerbslandwirt erwirtschaftete er darüber hinaus einen durchschnittlichen monatlichen Nettoertrag von 1.445,56 EUR im Jahr 2018 und von 2.363,12 EUR im Jahr 2019.
[18] Die Erstklägerin bezog vom 11. März bis zum Wochengeld von monatlich 1.797,04 EUR. Von 30. Juli bis bezog sie Kinderbetreuungsgeld von 1.223,40 EUR monatlich. Ab Oktober 2019 bezog sie ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen (inklusive Sonderzahlungen) von 850 EUR im vierten Quartal 2019, 1.231,53 EUR im Jahr 2020 und 1.531,55 EUR im ersten Quartal 2021.
[19] Die Kläger leben mit V* (und ihrer älteren Tochter) im gemeinsamen Haushalt. Sie leisten Unterhalt in Form der Finanzierung des Lebens, des Essens, der Therapien, der Wohnungskosten etc. Die Pflegeleistungen werden von ihnen beiden erbracht, unter der Woche primär von der Erstklägerin, am Wochenende von beiden gemeinsam. Die Kläger haben ein gemeinsames Konto, auf welches das gesamte Einkommen der Erstklägerin und ein Teil des Einkommens des Zweitklägers fließen. Von diesem gemeinsamen Konto werden die Aufwendungen für V* gedeckt.
[20] Den Klägern sind für medizinisch indizierte und notwendige Behandlungen des Kindes (Physiotherapie, Ergotherapie, Osteopathie, Hippotherapie, therapiegestütztes Reiten) und für die aufgrund der Fehlbildung notwendigen Änderungen an V*s Kleidung (um das An- und Auskleiden zu erleichtern) Barauslagen von insgesamt 1.810 EUR entstanden. Für die Fahrten zu den Therapien und zu medizinischen Kontrollen, die ebenfalls medizinisch indiziert und notwendig waren, wendeten sie insgesamt 4.838,19 EUR auf. Außerdem entstanden der Erstklägerin allein im Zusammenhang mit der Behinderung des Kindes Barauslagen und Fahrtkosten in Höhe von 387,82 EUR und der Zweitkläger allein hatte Fahrtkosten von 104,10 EUR.
[21] Die Kläger begehren vom Beklagten Schadenersatz und die Feststellung seiner Haftung für alle künftigen Schäden aufgrund seines Untersuchungsfehlers. Er sei bei der Pränataldiagnostik nicht lege artis vorgegangen und habe deshalb die Missbildung des Kindes nicht erkannt. Hätte er die Erstklägerin über die Fehlbildung des Fötus informiert, hätte sie eine Abtreibung vornehmen lassen, weil sie sich die Versorgung eines behinderten Kindes weder emotional noch kräftemäßig zugetraut hätte. Der Beklagte hafte für den (gesamten) Unterhalt des Kindes seit seiner Geburt. Darüber hinaus habe er den Klägern sämtliche weiteren (im Einzelnen dargelegten) Aufwendungen aufgrund der Behinderung des Kindes, insbesondere Behandlungskosten, Fahrtkosten, Pflegeaufwendungen und sonstige Barauslagen, zu ersetzen.
[22] Der Beklagte wendete ein, es sei ihm kein Fehler unterlaufen. Er habe die pränatale Untersuchung nach den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft durchgeführt. Anlässlich der Organscreenings hätten sich keine Auffälligkeiten gezeigt und es seien alle Extremitäten des Fötus vorhanden gewesen. Da dem Kind nur die linke obere Extremität fehle, sei es ausgeschlossen, dass der Erstklägerin ein Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 2 und 3 StGB offen gestanden wäre. Es werde daher der „Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens“ erhoben. Dauer- und Spätfolgen seien ausgeschlossen. Zu ersetzen sei jedenfalls nicht der gesamte Kindesunterhalt, sondern höchstens der Mehrbedarf aufgrund der Behinderung.
[23] Das Erstgericht stellte den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt fest und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 75.987,49 EUR sA an beide Kläger, sowie von 387,82 EUR an die Erstklägerin und von 104,10 EUR an den Zweitkläger; ein (in dritter Instanz nicht mehr relevantes) Zahlungsmehrbegehren wies es ab. Weiters sprach es aus, dass der Beklagte den Klägern für alle künftigen Vermögensschäden und Vermögensnachteile (gemeint: aufgrund des Untersuchungsfehlers) sowie für den künftigen Unterhalt des Kindes haftet.
[24] Der Beklagte habe die Ultraschalluntersuchungen und die Pränataldiagnostik nicht lege artis durchgeführt. Dadurch habe er einen möglichen Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB (ebenso wie einen solchen nach § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB) rechtswidrig und schuldhaft verhindert, weshalb er dem Grunde nach für alle daraus resultierenden Nachteile hafte. Auch das Feststellungsbegehren sei berechtigt. Die Kläger hätten Anspruch auf Ersatz des gesamten Kindesunterhalts, also nicht bloß des behinderungsbedingten Mehraufwands, weil es bei ordnungsgemäßer Vorgangsweise des Beklagten für sie zu keiner Unterhaltsbelastung gekommen wäre. Schadenersatz-rechtlich könne daher nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden. Da der tatsächlich geleistete (Natural-)Unterhalt naturgemäß nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu ermitteln wäre, sei auf die von der Rechtsprechung entwickelte Prozentsatzmethode zurückzugreifen. Hier sei ein Wert in Höhe von 15 % der Bemessungsgrundlage (nach Abzug von 1 % für das zweite Kind der Kläger) zugrunde zu legen, jedoch nur bis zur Luxusgrenze in Höhe des zweieinhalbfachen Regelbedarfs. Für den Zeitraum bis ergebe sich daher eine Unterhaltsbelastung in Höhe von 24.029 EUR. Der Pflegemehraufwand betrage unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 15 EUR 45.310,30 EUR. Zusätzlich hätten die Kläger Anspruch auf Ersatz der festgestellten Fahrtkosten und Barauslagen.
[25] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Bei regelgerechtem Verhalten des Beklagten hätte die Erstklägerin einen Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB vornehmen lassen, aber auch die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB prüfen können. Ob die beim Kind vorliegenden körperlichen Beeinträchtigungen einen Schweregrad erreichten, der einen Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB gerechtfertigt hätte, könne nach den getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Darauf komme es aber ohnehin nicht an, weil die Erstklägerin bei entsprechender Diagnose am einen – straffreien – Schwangerschaftsabbruch bereits im Rahmen der Fristenlösung vornehmen hätte lassen. Damit scheitere der vom Beklagten erhobene Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Auf den Meinungsstreit, ob die gesetzliche Fristenlösung einen Rechtfertigungsgrund oder nur einen Tatbestandsausschließungsgrund bilde, komme es hier nicht an. Anders als im Fall der Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes („wrongful conception“) sei bei Geburt eines ungewollten behinderten Kindes („wrongful birth“) die Ersatzfähigkeit des „Unterhaltsschadens“ bereits wiederholt bejaht worden. Zu ersetzen sei in diesem Fall der gesamte Unterhaltsaufwand und nicht bloß der behinderungsbedingte Mehraufwand. Die von der Rechtsprechung dafür geforderte „schwerwiegende Behinderung“ des Kindes liege hier vor. Der vom Beklagten erhobene Einwand des Mitverschuldens der Kläger wegen unterlassener Freigabe des Kindes zur Adoption sei nicht berechtigt. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei seine Ersatzpflicht auch nicht auf den „Basisunterhalt“ im Sinn des Regelbedarfs beschränkt. In der Rechtsprechung habe sich zur Bemessung des Geldunterhalts die vom Erstgericht angewandte Prozentsatzmethode entwickelt. Demgegenüber sei der Regelbedarf lediglich eine Kontroll- und Orientierungsgröße für den zustehenden Unterhalt; er stelle nicht auf die Lebensverhältnisse der Eltern ab und komme daher für eine Unterhaltsbemessung nicht in Betracht. Die vom Beklagten geforderte „Einschränkung“ der Haftung auf die Zeit bis zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes sei entbehrlich, weil sich die Unterhaltsverpflichtung der Kläger gegenüber ihrer Tochter ex lege an deren Selbsterhaltungsfähigkeit orientiere.
[26] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des ersatzfähigen Schadens fehle, wenn aufgrund eines Diagnose- und Aufklärungsfehlers des behandelnden Arztes ein Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB unterbleibe und es zu einer bei richtiger Aufklärung nicht gewollten Geburt eines schwer behinderten Kindes komme.
Rechtliche Beurteilung
[27] Die Revision des Beklagten ist aus den im in dieser Rechtssache ergangenen Verstärkungsbeschluss vom angestellten Erwägungen zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Die bisherige Judikatur zu „wrongful birth“ und „wrongful conception“:
[28] 1.1. In der Entscheidung 1 Ob 91/99k („wrongful birth“) hatte sich der Oberste Gerichtshof erstmals mit der Frage der Schadenersatzpflicht eines Arztes für die Folgen der Geburt eines schwer behinderten Kindes zu befassen, dessen Eltern sich – wäre der Arzt lege artis vorgegangen, indem er sie rechtzeitig über die Behinderung des Fötus informiert hätte – für eine Abtreibung entschieden hätten. Der erste Senat kam nach Auseinandersetzung mit dem österreichischen Schrifttum sowie der deutschen und Schweizer Judikatur zum Ergebnis, dass eine von der Schwangeren gewünschte Abtreibung nicht rechtswidrig sei, wenn (wie im damaligen Anlassfall) die Voraussetzungen des § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB vorlägen, weshalb die dortige Erstklägerin (Mutter des behinderten Kindes) nicht rechtswidrig gehandelt hätte, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen hätte lassen. Der Senat teile zwar die Bedenken Koziols gegen die Annahme der Geburt eines gesunden, jedoch unerwünschten Kindes als Ursache eines ersatzfähigen Vermögensschadens; der dort zu beurteilen gewesene, menschlich besonders tragische Fall einer nicht erkannten überaus schweren Behinderung eines Kindes, wodurch den Eltern eine besonders schwere, ihr Leben einschneidend verändernde Belastung aufgebürdet worden sei, sei jedoch mit dem Problemkreis der bloß fehlgeschlagenen Familienplanung nicht vergleichbar. Entgegen der Ansicht Koziols umfasse die Vertragspflicht des Arztes auch den Schutz vor Vermögensnachteilen infolge der unerwünschten, bei ordnungsgemäßer Aufklärung unterbliebenen Geburt eines schwerstbehinderten Kindes. Unterlaufe dem Arzt bei den maßgeblichen Untersuchungen ein Fehler, der zur sonst unterbliebenen Geburt eines behinderten Kindes führe, erstrecke sich dessen Haftung daher auf die Freistellung des Vertragspartners von wirtschaftlichen Belastungen, die (unter anderem) durch den Behandlungsvertrag vermieden werden sollten. Ein negatives Werturteil über das Kind sei damit, dass dessen Unterhalt als Verbindlichkeit zu qualifizieren sei, nicht verbunden. Vielmehr stelle erst die Belastung der Eltern mit dem Aufwand eine die Annahme eines Schadens kennzeichnende Vermögensverminderung dar. Die Tatsache, dass die wirtschaftliche Belastung erst durch die Existenz des Kindes ausgelöst werde, ergebe sich aus einem naturwissenschaftlichen Zusammenhang, der für sich genommen wertfrei sei. Der Schadensbegriff sei zudem weder nach dem Gesetz noch nach der schadenersatzrechtlichen Praxis derart negativ besetzt, dass es sich verbiete, finanzielle Belastungen aus der Geburt eines Kindes als Schaden anzusehen. Insbesondere bedeute die Beurteilung der besonderen Unterhaltsbelastung infolge der Schwerstbehinderung des Kindes als Schaden im Verhältnis zwischen Eltern und Arzt nicht etwa, dass über das Kind ein Unwerturteil ausgesprochen und es durch die Verbindung mit dem Begriff „Schaden“ in seiner Persönlichkeit herabgewürdigt werde. Auch die im Schrifttum geäußerten Bedenken, wonach mit der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs durch die Eltern dem Kind „drastisch die Unerwünschtheit vor Augen geführt“ werde, seien unberechtigt; ganz im Gegenteil sei zu befürchten, dass das Kind die mangelnde Akzeptanz noch mehr zu spüren bekomme, wenn die Eltern die finanziellen Belastungen voll zu tragen hätten.
[29] Die Frage, ob der Arzt bei schuldhafter Verletzung seiner Beraterpflicht den gesamten Unterhaltsaufwand zu ersetzen hat, konnte in dieser Entscheidung offen bleiben, weil dort lediglich der durch die Behinderung verursachte Mehraufwand eingeklagt worden war.
[30] 1.2. Zu 6 Ob 303/02f („wrongful birth“) wurde das Schadenersatzbegehren der Eltern eines behinderten, an einer sehr seltenen Erbkrankheit leidenden Kindes mit der Begründung abgewiesen, das dem beklagten Krankenhausträger angelastete Fehlverhalten könne keine Haftung begründen. Es wäre primär an den Klägern gelegen gewesen, sich angesichts des Umstands, dass bei den beiden Geschwistern der Erstklägerin dieselbe Erbkrankheit ebenfalls aufgetreten war, vorweg über die Familienplanung klar zu werden, Informationen über die Erkrankung einzuholen und, zu berücksichtigen, dass die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass ein behindertes Kind zur Welt kommen und gegebenenfalls ihre weitere Lebensgestaltung dadurch betroffen sein werde.
[31] 1.3. In der Entscheidung 5 Ob 165/05h („wrongful birth“) schloss sich der fünfte Senat den in der Entscheidung 1 Ob 91/99k ausgeführten Gründen zur Arzthaftung im Fall der Geburt eines behinderten Kindes trotz der von einem Teil der Lehre geäußerten Kritik vollinhaltlich an. Diese Kritik wiederhole nämlich im Ergebnis jene Literaturstimmen, mit denen sich die genannte Entscheidung selbst sorgfältig auseinandergesetzt habe. Die Haftung des Arztes erstrecke sich – allenfalls gekürzt durch ein Mitverschulden – auf den gesamten, den Klägern durch die mangelhafte Aufklärung über die Behinderung des Kindes erwachsenden Nachteil. Das sei im konkreten Fall der volle Unterhalt, den die Kläger dem behinderten Kind zu leisten hätten. Komme es aufgrund eines Beratungsfehlers des behandelnden Arztes zu einer bei richtiger Aufklärung nicht gewollten Geburt eines behinderten Kindes, liege der vermögensrechtliche Nachteil nicht in der Existenz dieses Kindes, sondern in der dadurch entstehenden Unterhaltspflicht; dies gelte also nicht bloß für den behinderungsbedingten Mehraufwand, sondern auch für den „Basisunterhalt“. Auch der deutsche Bundesgerichtshof bejahe die Pflicht zum Ersatz des gesamten Unterhalts. Gehe man richtigerweise davon aus, dass der mit einer Schwangeren abgeschlossene Behandlungsvertrag auch finanzielle Interessen der Patientin wahren solle, sei es nur konsequent, den aus der Geburt eines behinderten Kindes entstehenden Unterhaltsanspruch zur Gänze als vermögensrechtlichen Nachteil zu bewerten. Der vertraglich geschützte Wille der Vertragspartnerin des Arztes gehe ja dahin, überhaupt keinen Unterhaltsaufwand für ein behindertes Kind tragen zu müssen. Aus diesem Schutzzweck ergebe sich der gesamte Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind als ersatzfähiger Schaden.
[32] 1.4. Hingegen lehnte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 101/06f („wrongful conception“) eine Haftung des Arztes, der beim Erstkläger nach der Geburt des dritten Kindes eine Vasektomie durchgeführt hatte, gegenüber den Klägern, die dennoch Eltern eines weiteren (gesunden) Kindes geworden waren, ab. Nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung in Deutschland und anderen europäischen Staaten (Punkt 3.1. bis 4.) und den uneinheitlichen Lehrmeinungen (Punkt 5.1. bis 5.14. sowie 6.), worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann, sah der sechste Senat keine Veranlassung, von der bereits zu 1 Ob 91/99k ausgesprochenen Rechtsansicht abzugehen, wonach die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinn bedeute. Das Schadenersatzrecht habe nicht den Zweck, Nachteile zu überwälzen, die bloß eine Seite der Existenz und damit des personalen Eigenwerts des Kindes darstellten und die ohnedies familienrechtlich geordnet seien. Insoweit hätten in der Abwägung die Grundsätze der Personenwürde und der Familienfürsorge Vorrang vor den Schadenersatzfunktionen und Haftungsgründen. Die Überwälzung eines Aufwands im Wege des Schadenersatzrechts setze das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens iSd § 1293 ABGB voraus. Ein solcher sei aber in der Geburt eines Kindes im Regelfall nach der Wertung der Rechtsordnung gerade nicht zu erblicken. Diese Auffassung führe auch zu keiner Diskriminierung von Behinderten. Die Qualifikation einer Unterhaltspflicht als Schaden sei gerade nicht Ergebnis einer Differenzierung nach der Behinderung oder Nichtbehinderung im Sinn einer „Bewertung“ des Kindes, sondern Ausdruck der Abwägung zweier fundamentaler Rechtsprinzipien, nämlich des positiven personalen Eigenwerts jedes Kindes einerseits und der Ausgleichs- und Präventionsfunktion des Schadenersatzrechts andererseits. Die ausnahmsweise Zuerkennung von Schadenersatz trotz des personalen Eigenwerts jedes Kindes sei nicht Folge einer negativen Bewertung eines behinderten Kindes, sondern ausschließlich der Versuch eines geldwerten Ausgleichs eines besonderen Unterhaltsbedarfs. Gründe für das Durchschlagen des Schadenersatzprinzips gegenüber dem Persönlichkeitsprinzip könnten dann bestehen, wenn die Unterhaltspflicht die Eltern wegen besonders geringer Mittel besonders stark treffen würde. Führe nämlich die Unterhaltsbelastung zu ungewöhnlichen, geradezu existenziellen Erschwernissen für das Kind und die Eltern, könne nicht mehr davon die Rede sein, dass die Eltern ihre ganz normalen elterlichen Unterhaltsbelastungen durch ein Kind von sich auf einen Dritten abwälzen wollten; in derartigen Fällen gehe es vielmehr um Abhilfe in einer personal-existenziellen Notsituation, die im Anlassfall allerdings nicht vorliege.
[33] 1.5. In einem ähnlichen Fall (Geburt eines gesunden Kindes trotz vorheriger Eileiterunterbindung) schloss sich der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 172/06t der soeben referierten Entscheidung an. Das auf den Titel des Schadenersatzes gegründete Klagebegehren müsse schon deshalb scheitern, weil in der Geburt eines gesunden, aber unerwünschten Kindes schon begrifflich kein „ersatzfähiger Schaden“ erblickt werden könne; das komplexe Eltern-Kind-Verhältnis verbiete es, lediglich den Teilaspekt der finanziellen Belastung der Eltern herauszugreifen.
[34] 1.6. Zu 6 Ob 148/08w („wrongful conception“) sah der sechste Senat ebenfalls keinen Anlass, von der in seiner Entscheidung 6 Ob 101/06f vertretenen Rechtsauffassung abzugehen.
[35] 1.7. Zu 5 Ob 148/07m („wrongful birth“) hielt der fünfte Senat nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Judikatur der Höchstgerichte in Deutschland und der Schweiz sowie der im Gefolge der Entscheidung 5 Ob 165/05h geäußerten Meinungen im Schrifttum an der in dieser Entscheidung vertretenen Ansicht fest. Im Lichte des nach § 1293 ABGB maßgeblichen Schadensbegriffs könne nicht zweifelhaft sein, dass sich im Vergleich der bestehenden Unterhaltsverpflichtung der Kläger mit der Situation nach einer abgebrochenen Schwangerschaft der gesamte Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind als Schaden darstelle. Die Pränataldiagnostik diene regelmäßig zur Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes. Ihr Zweck in der Schwangerenbetreuung müsse dann aber zumindest auch darin gesehen werden, der Mutter (den Eltern) im Fall einer erkennbar drohenden schwerwiegenden Behinderung des Kindes die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen könne, sei objektiv voraussehbar, sodass unter diesen Umständen auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst seien. Es stehe fest, dass es bei pflichtgemäßer Diagnose und Beratung nicht zur Geburt des Kindes und damit auch zu keiner Unterhaltsbelastung der Kläger gekommen wäre. Schadenersatzrechtlich könne nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden. Dies schließe eine Reduktion des Ersatzanspruchs auf den behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwand aus; zu letzterem könnte man nämlich nur durch einen Vergleich des behinderten Kindes mit einem – auf einer bloßen Fiktion beruhenden – gesunden Kind kommen, und eine solche Betrachtungsweise wäre nicht nur schadenersatzrechtlich verfehlt, sondern ein die Behinderung in den Vordergrund stellender und insoweit gerade diskriminierender Ansatz.
[36] 1.8. Zu 7 Ob 214/11p („wrongful birth“) wurde die außerordentliche Revision des dort beklagten Arztes gegen den Zuspruch von Schadenersatz an die Eltern eines Kindes mit Trisomie 21 zurückgewiesen. Im Anlassfall hätten sich die Eltern für die Vornahme einer Abtreibung entschieden, wären sie nicht vom Beklagten aufgrund tendenziöser und suggestiver Beratung von einer Fruchtwasseruntersuchung abgehalten worden, bei der die Chromosomenstörung ihres Kindes entdeckt worden wäre. Der siebte Senat lehnte die vom Beklagten angestrebte Schadensteilung 50 : 50 (§§ 1302, 1304 iVm § 1311 ABGB) mit der Begründung ab, der Umstand, dass beim Fötus eine Chromosomenstörung vorlag, habe sich zwar schicksalhaft im Bereich der Kläger ereignet, es habe aber ausschließlich der Beklagte zu vertreten, dass diese genetische Abweichung nicht erkannt und das Kind geboren worden sei. Auch für eine analoge Anwendung der §§ 1301, 1304 ABGB allein zum Zweck der Anspruchskürzung bestehe kein Anlass. Aus der Begründung ist nicht ersichtlich, ob die Kläger den gesamten Unterhalt oder nur den behinderungsbedingten Mehraufwand geltend gemacht hatten.
[37] 1.9. In der Entscheidung 8 Ob 54/14w („wrongful birth“) bekräftigte der Oberste Gerichtshof, dass die pränatale Diagnostik vor allem der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes diene und ihr Zweck daher auch darin liege, der Mutter bzw den Eltern im Fall einer drohenden schwerwiegenden geistigen oder körperlichen Behinderung des Kindes die sachgerechte Einschätzung und Reaktion – die zunehmend auch in pränatalen Behandlungen liegen könne – zu ermöglichen. Der erkennende Senat verneinte jedoch im konkreten Fall einen haftungsbegründenden Diagnosefehler der Ärzte der Beklagten.
[38] 1.10. In der Entscheidung 9 Ob 37/14b („wrongful conception“) hielt der Oberste Gerichtshof an der Ansicht fest, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinn begründe. Nur dort, wo ganz besondere Umstände vorlägen, die der typisierten umfassenden Bewertung im Rahmen des familienrechtlichen Verhältnisses nicht entsprächen, könne die schadenersatzrechtliche Ausgleichsfunktion durchdringen. Dies sei im Fall der Geburt eines behinderten Kindes bejaht, aber auch bei der Geburt eines gesunden Kindes dann in Betracht gezogen worden, wenn die zusätzliche Unterhaltsbelastung eine „ungewöhnliche und geradezu existenzielle Erschwerung wegen der zu gering verfügbaren Unterhaltsmittel“ zur Folge habe. Zu dieser Tatfrage habe jedoch die Klägerin auch nach Bestreitung durch die Beklagten keine konkreten Tatsachenbehauptungen aufgestellt, deren Nachweis eine solche außergewöhnliche, geradezu existenzielle Belastung hätte aufzeigen können.
[39] 1.11. In der Entscheidung 8 Ob 69/21m („wrongful conception“), der eine ungewollte Schwangerschaft aufgrund des Bruchs der der Klägerin eingesetzten Spirale zugrunde lag, wiederholte der achte Senat die Rechtsansicht, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes mit allen damit gewöhnlich verbundenen Belastungen keinen ersatzfähigen Schaden im Rechtssinn begründe.
2. Der Meinungsstand im Schrifttum:
[40] 2.1. Vorauszuschicken ist, dass in der juristischen Diskussion zum Thema „wrongful birth“ bzw „wrongful conception“ zwei Hauptstandpunkte ausgemacht werden können:
[41] Nach der sogenannten Einheitsthese sind die Existenz des Kindes und die Unterhaltspflicht nicht voneinander zu trennen; da die Unterhaltspflicht aus dem Familienverhältnis entspringe und dort abschließend geregelt sei, sei der Ersatz des Unterhalts aus dem Titel des Schadenersatzes abzulehnen. Die abgeschwächte Einheitsthese lehnt den Ersatz des Unterhaltsschadens zwar ebenfalls prinzipiell ab, billigt einen solchen aber dann zu, wenn andernfalls für die Eltern eine außergewöhnliche Belastung entstünde.
[42] Im Gegensatz dazu sieht die sogenannte Trennungsthese im Unterhaltsaufwand einen nach allgemeinen Regeln ersatzfähigen Vermögensschaden; nicht das Kind selbst, sondern das Entstehen der Unterhaltsverpflichtung sei der Schaden (vgl Benke/Klausberger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang-Kommentar ABGB3 [2014] § 22 Rz 68 mwN).
[43] Im Einzelnen werden – komprimiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit wiedergegeben – folgende Ansichten vertreten:
[44] 2.2. Mirecki (Bemerkungen zum Ersatz des Unterhaltsschadens, ÖJZ 1990, 755, 793) hält es für höchst problematisch, den familienrechtlich geregelten gesetzlichen Unterhalt als schadenersatzrechtliches Vermögensäquivalent heranzuziehen. Umgekehrt sei es unerträglich, „Vertragsverletzungen oder deliktisches Verhalten ohne adäquate Sanktion rechtlich bestehen zu lassen“. Es liege eine echte Gesetzeslücke vor, die unter Berücksichtigung der dem ABGB immanenten Grundsätze des Kindeswohls und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit durch Analogie zu schließen sei. Der Unterhaltsschaden sei daher dann ersatzfähig, wenn durch die Durchkreuzung einer aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigten Familienplanung der Unterhalt des unerwünschten Kindes gefährdet sei.
[45] 2.3. Nach F. Bydlinski (Das Kind als Schadensursache im Österreichischen Recht, in Magnus/Spier, European Tort Law. Liber amicorum for Helmut Koziol [2000] 29) ist die Geburt eines gesunden, jedoch unerwünschten Kindes grundsätzlich keinen Schaden. Das Schadenersatzrecht habe nicht den Zweck, Nachteile zu überwälzen, die bloß eine Seite der Existenz und damit des personalen Eigenwerts des Kindes darstellen und die ohnedies familienrechtlich geordnet sind. Insoweit hätten die Grundsätze der Personenwürde und der Familienfürsorge Vorrang vor den Schadenersatz-funktionen und den Haftungsgründen. Hingegen müssten die erstgenannten Grundsätze dann eine gewisse Einschränkung hinnehmen und würden die Prinzipien des Schadenersatzrechts durchdringen, wenn der Unterhalt für die Eltern eine ganz außergewöhnliche Belastung bedeute.
[46] 2.4. Rebhahn (Schadenersatz wegen der Geburt eines nicht gewünschten Kindes? JBl 2000, 265) führt aus, dass die Ablehnung einer Ersatzpflicht im Fall der ungewollten Empfängnis eines (gesunden) Kindes bei Orientierung an den allgemeinen Regeln des Ersatzrechts und der Vertragsinterpretation nicht selbstverständlich sei. Es bedürfe erst der Begründung, warum der Arzt gerade bei einer Maßnahme der Familienplanung nicht haften solle, wenn er die geschuldete Hauptleistung des Vertrags sorgfaltswidrig schlecht erbringe und deshalb jene Folge einträten, die die Hauptleistung verhindern hätte sollen. Spreche man im Fall der Geburt eines behinderten Kindes nur den behinderungsbedingten Mehraufwand zu, liege der auszugleichende Nachteil zwar nicht bereits in der Existenz des Kindes, wohl aber in der Existenz als behindertes Kind. Eine solche Differenzierung, für die es wohl kein Vorbild gebe, erscheine kompromisshaft. Rechtsdogmatisch könne das Bejahen des vollen Ersatzes für ein behindertes Kind nur dann überzeugen, wenn man bei unerwünschter Geburt eines gesunden Kindes den Regelunterhalt ersetzen lasse.
[47] Zur Entscheidung 5 Ob 165/05h führte Rebhahn (in Zak 2006/350, 206) aus, die Schadenersatzpflicht wegen der Geburt eines behinderten Kindes führe zu Fragen, die sowohl aus rechtstechnischer wie aus ethischer Sicht äußerst schwierig und nach F. Bydlinski nicht rational lösbar seien. F. Bydlinski wolle dann auf Rechtsprinzipien rekurrieren. Nach Ansicht Rebhahns sei es bei ethisch sehr umstrittenen Fragen, zu denen der Gesetzgeber nicht besonders Stellung genommen habe, jedoch eher angeraten, vorhandene allgemeine Regeln des Rechts – hier zum Schadenersatz – lege artis anzuwenden und eine abweichende Bewertung dem Gesetzgeber zu überlassen. Von vorhandenen allgemeinen Regeln sollte man nur abweichen, falls zwingende Gründe dies verlangten. Dies sei bei Ersatz eines Unterhaltsaufwands der Eltern nicht der Fall, weil damit der Familie nichts genommen werde.
[48] 2.5. Kletečka (Wrongful birth, wrongful conception, JBl 2011, 749; ders in Aigner/Kletečka/ Kletečka-Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht Kap II.1.2.4.1 [Stand , rdb.at]) hält die „extremste Einheitstheorie“, die den Unterhaltsaufwand nicht vom Kind losgelöst betrachte, für nicht überzeugend, weil das Familienrecht nicht die Entlastung dritter Schädiger bezwecke. In den Fällen von „wrongful birth“ tritt dieser Autor für eine Beschränkung des Schadenersatzes auf den behinderungsbedingten Mehraufwand ein. Zwar habe der Arzt durch seine Fehldiagnose auch den Basisunterhalt verursacht, weil bei Aufklärung der Patientin über die Behinderung des Fötus das Kind nicht geboren worden und auch der Aufwand für den Basisunterhalt entfallen wäre. Allerdings hätte die Eltern diese Unterhaltspflicht ursprünglich nicht gestört, weil sie sich ein Kind gewünscht hätten und bereit gewesen wären, die Unterhaltspflicht auf sich zu nehmen. Anders als bei „wrongful conception“ sei es daher nicht Zweck des Behandlungsvertrags, die Belastung mit dem Basisunterhalt zu vermeiden. Mit dem Vertrag sei nur der Schutz jener Interessen vereinbart, die auch im Lichte des Rechtfertigungsgrundes des StGB als schutzwürdig anzusehen seien; dieser bezwecke aber nicht auch die Vermeidung jener Unterhaltslast, die unabhängig von der Behinderung mit der Geburt jedes Kindes verbunden sei. Daher sei bei „wrongful birth“ nur der behinderungsbedingte Mehraufwand, nicht aber der Basisunterhalt zu ersetzen. Dagegen wollten die Eltern bei „wrongful conception“ keinen Unterhalt leisten, weshalb mangels Beschränkung durch den Normzweck einer strafrechtlichen Bestimmung für den gesamten Unterhalt zu haften sei. Der „Anrechnung“ der mit der Elternschaft verbundenen ideellen Vorteile stehe entgegen, dass die Geschädigten diese „Vorteile“ gerade nicht wollten.
[49] 2.6. Leitner (Anm zu 6 Ob 101/06f, EF-Z 2006, 133 FN 4) argumentiert, dass der Untersuchungsvertrag mit dem behandelnden Arzt nur den Zweck haben könne, durch die Möglichkeit der Abtreibung die Mehrbelastung durch ein behindertes Kind zu vermeiden und nicht vor der Belastung mit dem Basisunterhalt zu schützen, mit dem sich die Eltern bereits abgefunden hätten.
[50] 2.7. Koziol/Steininger (Schadenersatz bei ungeplanter Geburt eines Kindes, RZ 2008, 138 [146 ff]) kommen – nach einem rechtsvergleichenden Überblick (Deutschland, Schweiz, Niederlande, England, Frankreich und andere europäische Rechtsordnungen) und dem Hinweis auf die vermittelnde Lösung des Obersten Gerichtshofs – zum Ergebnis, dass die österreichische Rechtsordnung für eine sachgerechte, dogmatisch begründbare Lösung der erörterten Fragen keine deutlichen Anhaltspunkte biete; die Gerichte seien „jedenfalls überfordert“, wenn sie diese rechtspolitisch überfrachtete Problematik endgültig lösen müssten.
[51] 2.8. Nach Ansicht von Koziol (Haftpflichtrecht I4 [Stand ] B/1/III A 2 d Rz 32 ff) lasse sich allerdings eine vermittelnde Lösung innerhalb des Schadenersatzrechts dogmatisch rechtfertigen: Die Belastung mit der Unterhaltspflicht dürfe nicht isoliert gesehen werden, weil es um die Entstehung einer umfassenden familienrechtlichen Beziehung mit materiellen und immateriellen Komponenten gehe. Der Schädiger verursache nicht allein eine Unterhaltspflicht, sondern eine umfassende familienrechtliche Beziehung und es sei willkürlich, nur einen Aspekt herauszugreifen; dies widerspreche dem Grundprinzip umfassender Schadensfeststellung. Weitere Einschränkungen der Schadenersatzpflicht ergäben sich aus Rechtswidrigkeitserwägungen insbesondere in Bezug auf die Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. Der Nachteil, der im Entstehen der Unterhaltspflicht bei einem Fehlschlag der Familienplanung liege, könne hingegen durchaus vom Schutzzweck des Vertrags erfasst sein; dies sei eine Auslegungsfrage.
[52] 2.9. Hinghofer-Szalkay/Hirsch (Wrongful Birth – Wrongful Conception: Die Diskussion geht in die Verlängerung, ; dies, Die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden bei Geburt eines unvorhergesehen behinderten Kindes, RdM 2008, 136) meinen, auch ethische Erwägungen sprächen gegen eine Ungleichbehandlung gesunder Kinder einerseits und mit einer Behinderung geborener Kinder andererseits. Im Lichte der ständigen Rechtsprechung zur „wrongful conception“, nach der der Basisunterhalt nicht ersatzfähig sei, müsse dies konsequenter Weise auch in den Fällen von „wrongful birth“ gelten und der Schadenersatzanspruch für den Basisunterhalt abgelehnt werden. Auch diese beiden Autorinnen heben den Schutzzweck des Behandlungsvertrags hervor, nach dem der behandelnde Arzt die werdende Mutter über den wahren Gesundheitszustand ihres Kindes zu informieren habe, damit sie entscheiden könne, ob sie die damit verbundenen – auch immateriellen – Belastungen auf sich nehmen wolle oder nicht (Hinghofer-Szalkay/Hirsch, RdM 2008, 138).
[53] 2.10. Karner (Unerwünschte Zeugung und ungeplante Geburt – [k]eine Rechtsprechungsdivergenz?, EF-Z 2009/69, 91 [92 ff]) verweist auf die beiden Entscheidungslinien zur unerwünschten Zeugung und zur mangelhaften Aufklärung über die Behinderung eines Kindes, die miteinander nicht vereinbar seien. Ausgehend von der Trennungsthese könne die Unterhaltspflicht als ersatzfähiger Schaden nicht auf die Fälle einer ungewollten Geburt behinderter Kinder eingeschränkt werden. Konsequent sei nur eine Gleichbehandlung von „wrongful birth“ und „wrongful conception“. Folge man der Einheitsthese und beziehe familienrechtliche Überlegungen mit ein, so stelle sich die Rechtslage völlig anders dar: Nur in jenen Fällen, in denen die Entstehung der familienrechtlichen Beziehung für die Eltern aufgrund ihrer angespannten Verhältnisse als außergewöhnliche Belastung anzusehen und der ideelle und materielle Lebensstandard der Familie durch sie wesentlich gemindert werde, könne sie insgesamt als nachteilig beurteilt werden. Auch rein schadenersatzrechtlich gesehen sei eine völlig isolierte Betrachtung von Vor- und Nachteilen bedenklich. Der Autor schließt sich der Meinung Koziols und Steiningers an, nach der bei der Beurteilung einer außergewöhnlichen Belastung der Eltern darauf abzustellen sei, ob es im Vergleich zu den bisherigen Verhältnissen der Familie zu einer deutlichen Verschlechterung des Lebensstandards komme. In solchen Fällen sei Ersatz bis zur Erreichung der bisherigen Verhältnisse und der Beseitigung der außergewöhnlichen Belastung zu leisten. Durch die Berücksichtigung einer außergewöhnlichen Belastung und der konkreten finanziellen Situation der Eltern werde auch eine Diskriminierung vermieden, weil die Trennlinie des Ersatzes nicht an der Grenze zwischen Behinderung und nicht vorliegender Behinderung des Kindes verlaufe.
[54] 2.11. Luf (Kind als Schadensquelle? AnwBl 2007, 547; ders, Rechtsethische Anmerkungen zum Thema: „Kind als Schadensquelle“, in Kopetzki/Pöschl/Reiter/Wittmann-Tiwald, Körper-Codes: Moderne Medizin, individuelle Freiheiten und die Grundrechte [2010] 129) weist auf die mit der fortschreitenden medizinischen Diagnostik verbundenen schwierigen Entscheidungssituationen für werdende Eltern hin. Es sei zu bedenken, dass die schadenersatzrechtliche Betrachtung zur Folge habe, dass Ärzte zur Vermeidung von Ersatzverpflichtungen in umfassenden Aufklärungsgesprächen alle nur möglichen Verdachtsmomente zur Sprache bringen und damit letztlich eine unzumutbare Belastung der Schwangeren herbeiführen könnten. Gegen die Schadenersatzlösung bestünden auch gravierende rechtsethische Bedenken; die unerwünschte Existenz des Kindes sei dabei conditio sine qua non des Ersatzanspruchs, womit die Existenz des Kindes negativ bewertet und als Tatbestandsmerkmal der Schadenshaftung qualifiziert werde.
[55] 2.12. Bernat („Wrongful Conception“ – Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes kann keinen Schaden im Rechtssinne bedeuten, RdM 2015, 149; ders, Wrongful Birth und Wrongful Conception in der Rechtsprechung des österreichischen OGH: Kann nur die Geburt eines behinderten Kindes die Quelle eines Schadens sein? MedR 2010, 169) meint, das Schadenersatzrecht sei „kein Mittel der sozialen Krisenintervention“; im Gegensatz zum Sozialrecht habe es keine Versorgungsaufgabe, vielmehr stehe die Ersatzleistung dem Geschädigten völlig losgelöst von seiner finanziellen Lage zu (Bernat, RdM 2015, 152). Die kategorische Ungleichbehandlung von Klagen wegen „wrongful birth“ und „wrongful conception“ lasse sich weder mit den Prinzipien des geltenden Schadenersatzrechts in Einklang bringen, noch sei sie in sich widerspruchsfrei. Es sei allerdings fraglich, ob in Fällen von „wrongful birth“ nicht nur der behinderungsbedingte Mehraufwand, sondern auch der der sogenannte Regelunterhalt als ersatzfähiger Schaden beurteilt werden dürfe; in solchen Fällen würden die Kläger ja nicht behaupten, das Kind aus finanziellen Gründen „kategorisch“ abzulehnen, sondern sie fühlten sich in ihrem Interesse, kein behindertes Kind zu haben, durch das pflichtwidrige Verhalten des Arztes beeinträchtigt. Vom Schutzzweck des Beratungsvertrags sei daher in den Fällen von „wrongful birth“ nicht der gesamte Unterhaltsaufwand erfasst, sondern nur der behinderungsbedingte Mehraufwand (Bernat, MedR 2010, 175 f).
[56] 2.13. Schauer (Wrongful Birth – ein Prüfstein nicht nur für das ärztliche Gewissen! in Kröll/Schaupp, System – Verantwortung – Gewinn in der Medizin [2012] 47) verweist darauf, dass durch die Rechtsprechung die bestehende oder nicht bestehende Behinderung des Kindes conditio sine qua non für das Entstehen des Schadenersatzanspruchs gegen den behandelnden Arzt werde. Das Leben mit einer Behinderung sei für alle Beteiligten eine Herausforderung, die Behinderung habe aber keinen Verursacher und ihre Nachteile seien „Lösungsaufgaben der solidarischen Schicksalsgemeinschaft“.
[57] 2.14. Neumayr („Embryopathie“ und „wrongful birth“, in Österreichische Juristenkommission, Gesundheit und Recht – Recht auf Gesundheit [2012] 207) meint, eine konsistente Lösung des Problems sei aus juristischer Sicht nicht möglich. Ein Ausweg sei am ehesten in einer sozialrechtlichen Lösung zu finden. Gegen den Zuspruch des Basisunterhalts spreche, dass der Vertrag mit dem behandelnden Arzt in Fällen der „wrongful conception“ nicht den Zweck habe, die Belastung der Eltern mit diesem finanziellen Aufwand zu vermeiden.
[58] 2.15. Reischauer (Schadenersatzreform – Verständnis und Missverständnisse, JBl 2009, 405 und 484 [490 f]) tritt dafür ein, die Frage des Tragens der Unterhaltsmehrkosten für ein behindertes Kind dem Sozialrecht zuzuordnen und die Haftungsfreiheit der Ärzte ausdrücklich im Gesetz festzuhalten. Die Schadenersatzpflicht desjenigen, der nicht dazu beigetragen hat, die Geburt eines Menschen zu verhindern, verstoße gegen die Grundwertungen der Rechtsordnung. Davon unberührt blieben ua Schadenersatzansprüche infolge pflichtwidriger Unterlassung einer Abtreibung trotz medizinischer Indikation (§ 97 Abs 2 StGB).
[59] 2.16. Steininger (Wrongful birth revisited: Judikatur zum Ersatz des Unterhaltsaufwands nach wie vor uneinheitlich, ÖJZ 2008/46, 436 [438 f]) verweist angesichts der Entscheidung 5 Ob 148/07m auf ein ungeklärtes Verhältnis zu den Vorentscheidungen 6 Ob 101/06f und 2 Ob 172/06t, bestehe doch eine Diskrepanz in der Frage, ob der Unterhaltsaufwand stets oder nur ausnahmsweise als ersatzfähiger Schaden angesehen werden könne. In konsequenter Fortführung des Standpunkts des fünften Senats müsse auch in „wrongful conception“-Fällen der gesamte Unterhaltsaufwand ersatzfähig sein, unabhängig davon, ob das planwidrig gezeugte Kind gesund oder behindert sei. Umgekehrt bleibe bei Annahme einer nur ausnahmsweisen Ersatzfähigkeit des Unterhaltsaufwands unklar, weshalb bei der Geburt eines behinderten Kindes jedenfalls der gesamte Unterhaltsaufwand eine derartige besondere Belastung sein solle.
[60] 2.17. Kopetzki (Wrongful birth – Haftung bei fehlerhafter pränataler Diagnose, RdM 2008, 47) argumentiert, eine schadenersatzrechtliche Differenzierung zwischen den beiden Fallgruppen nach dem Umstand der Behinderung sei unzulässig, weil bei fehlerfreiem Vorgehen der Ärzte in jedem Fall keine Unterhaltsbelastung entstanden wäre. Daher sei schadenersatzrechtlich auf das Kriterium der Behinderung oder der fehlenden Behinderung zu verzichten. Die Rechtsanwendung habe sich auf Distanz zu moralischen Positionen zu halten, auf deren Grundlage eine Konsensfindung ohnehin nicht zu erwarten sei.
[61] 2.18. Grüblinger („Wrongful birth“ – A never ending story?, Zak 2008, 143) verweist auf den Inhalt des Behandlungsvertrags, der bei einem ärztlichen Eingriff zur Verhinderung weiterer Schwangerschaften gerade auf die Vermeidung zusätzlicher finanzieller Verpflichtungen gerichtet sei. Weigere man sich weiterhin, in Fällen von „wrongful conception“ eine Haftung für eine Fehlbehandlung anzuerkennen, so müsse man sich der „schiefen Optik“ bewusst sein, die dadurch erzeugt werde: Gesunde Kinder stellten keinen Schaden dar, während für ungewollte behinderte Kinder der gesamte Unterhaltsschaden zuerkannt werde. Der Unterhaltsschaden habe sich an den konkreten Verhältnissen zu orientieren und sei bei überdurchschnittlichem Einkommen der Eltern mit dem Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs zu begrenzen. Die Autorin spricht sich gegen die Einbeziehung immaterieller Vorteile („Freude am Kind“) aus; dies widerspreche der allgemeinen Tendenz, die Ersatzfähigkeit ideeller Schäden eher restriktiv zu handhaben.
[62] 2.19. Pletzer („Recht auf kein Kind?“ – Überlegungen anlässlich der jüngsten Entscheidung des OGH zu „wrongful birth“, JBl 2008, 490) verweist auf die Kausalität, die den Zuspruch des gesamten Unterhaltsaufwands für das behinderte Kind zwingend zur Folge habe; das ärztliche Verhalten sei im Fall der mangels Aufklärung nicht erfolgten Abtreibung nicht nur für den behinderungsbedingten Mehraufwand kausal, sondern für den gesamten Unterhaltsaufwand. Der Vertrag über die pränatale Diagnostik habe unter anderem den Zweck, Entscheidungsgrundlagen für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Die Familienplanung hänge in nicht unerheblichem Ausmaß von finanziellen Überlegungen ab, daher müsse der Arzt in Erwägung ziehen, dass sich die Eltern zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs entschließen würden und dies habe den Entfall des gesamten Unterhaltsaufwands zur Folge. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein finanzieller Nachteil, den die Schwangere dadurch erlitten habe, dass ihr die Entscheidung für einen Abbruch rechtswidrig und schuldhaft verunmöglicht worden sei, nicht ausgeglichen werden sollte.
[63] 2.20. Auch Benke/Klausberger (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang-Kommentar ABGB3 [2014] § 22 Rz 73 ff) sind der Ansicht, dass es im Lichte der Kausalität konsequent sei, den Gesamtunterhalt zuzusprechen. Für die Eltern habe zu keinem Zeitpunkt die Alternative bestanden, ein gesundes Kind zu haben, sondern die Wahl sei nur gewesen, ein behindertes oder überhaupt kein Kind zu bekommen. Haftungsmindernd könne sich nur ein Mitverschulden der Eltern niederschlagen, etwa, wenn die Schwangere vom behandelnden Arzt vorgeschlagene, ihr zumutbare Untersuchungen nicht durchführen lasse.
[64] 2.21. Aicher (in Rummel/Lukas, ABGB4 § 22 Rz 4) spricht sich zu „wrongful birth“ ebenfalls für einen Ersatz des gesamten Unterhaltsbedarfs aus. Er hält fest, dass die Eltern den Schaden der entstehenden Unterhaltspflicht gleichermaßen bei misslungener Vasektomie oder Eileiterunterbindung wie bei mangelnder/falscher Aufklärung über ein Schwangerschaftsrestrisiko erleiden würden, weshalb er die Rechtsprechung zu „wrongful conception“ als inkonsequent ablehnt.
[65] 2.22. Wagner (in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1293 Rz 39 ff) stimmt der Begründung zu 5 Ob 148/07m zu, nach der die Differenzierung zwischen Basisunterhalt und behinderungsbedingtem Mehraufwand nicht geboten sei. Richtigerweise sei aber mit der Rechtsprechung ein Ersatz der Unterhaltsleistungen bei Geburt eines gesunden Kindes zu verneinen. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, sich des Themas anzunehmen, wobei insbesondere Möglichkeiten einer sozialrechtlichen Lösung in Betracht zu ziehen seien.
[66] 2.23. Schickmair (Keine Produkthaftung nach Bruch der „Spirale“ und Geburt eines gesunden Kindes, [234]) bezieht sich im Zusammenhang mit misslungener Empfängnisverhütung auf den Schutzzweck des Behandlungsvertrags. Ob dieser auch darin liege, vor Vermögensschäden oder vor mit der Geburt verbundenen ideellen Beeinträchtigungen zu schützen, sei nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen.
[67] 2.24. Schwarzenegger (Der OGH, ein unerwünschtes Kind und die Einheitstheorie, EF-Z 2015, 166) kritisiert die Aussage, dass die Geburt eines gesunden Kindes kein Schaden sein könne, weil damit umgekehrt die Geburt eines behinderten Kindes als Schaden angesehen werde. Das Familienrecht regle nur das „Innenverhältnis“ zwischen den Eltern und ihrem Kind, es enthalte aber keine Aussage zur Frage, ob die Unterhaltslast auf familienfremde Dritte (hier Ärzte und Krankenhausträger) überwälzt werden dürfe. Eine Vermengung von Vermögensnachteilen und ideellen Vorteilen unterwerfe das Kind letztlich einer „Nützlichkeitsanalyse“. Es sei inkonsequent, bei „wrongful conception“ zwar den Unterhaltsschaden abzulehnen, aber Schadenersatz für eine schwangerschaftsbedingte psychische Alteration in Betracht zu ziehen. Die Entscheidungen zu „wrongful birth“ stünden in unlösbarem Widerspruch zu denen bei „wrongful conception“. Die faktischen Unterschiede der beiden Fallkonstellationen könnten diese fundamentale Verschiedenbehandlung nicht rechtfertigen. Bei „wrongful birth“ könne nur der behinderungsbedingte Mehraufwand, bei misslungener Empfängnisverhütung hingegen nur der gesamte Unterhaltsaufwand zu ersetzen sein.
[68] 2.25. Nademleinsky (Die Rechtsprechung zur Arzthaftung 2009, in Kierein/Lanske/Wenda, Jahrbuch Gesundheitsrecht 2009 [2009] 164 [187]) meint in seiner Anmerkung zur Entscheidung zu 5 Ob 148/07m, diese ermögliche eine konsistente Lösung beider Fallgruppen, indem stets der gesamte Unterhaltsaufwand zu ersetzen sei. Die „Freude der Eltern am Kind“ dürfe rechtlich nicht relevant sein.
[69] 2.26. Friedl („Wrongful conception“: Keine Haftung des Arztes wegen ungewollter Drillingsgeburt, ecolex 2008/397, 1117) kritisiert die Begründung der Entscheidung zu 6 Ob 148/08w unter Hinweis darauf, dass der Schadensbegriff des ABGB keine Wertung rechtfertige, nach der vermögende Eltern sanktionslos „geschädigt“ werden dürften. Eine Ersatzpflicht sei für behandelnde Ärzte nicht vorhersehbar, wenn man auf die jeweilige wirtschaftliche Situation der Eltern abstelle. Auch die Abwägung zwischen materiellen und immateriellen Vor- und Nachteilen sei abzulehnen.
[70] 2.27. Zwettler („Wrongful birth“ und „wrongful conception“ II, AnwBl 2017, 430) kritisiert ebenfalls die Entscheidung zu 6 Ob 148/08w und meint, dass der Schutzzweck des Vertrags bei „wrongful conception“ nicht die Ablehnung von Ersatzansprüchen begründen könne. Hingegen lasse sich bei „wrongful birth“ aus dem Schutzzweck des Vertrags die Unterscheidung zwischen Grundunterhalt und Mehraufwand begründen. Es sei die Annahme lebensnah, dass sich oft Personen für Sterilisationseingriffe entscheiden würden, denen es an den Mitteln zur Versorgung eines (weiteren) Kindes fehle. Genau diese Menschen seien aber dann vor die Wahl gestellt, das Kind dennoch aufzuziehen oder eine Abtreibung zu wählen. Der Autor weist abschließend darauf hin, dass sich seit der Entscheidung des fünften Senats aus dem Jahr 2007 die „Kluft“ zwischen den beiden Rechtsprechungslinien noch vergrößert habe; diese Verschärfung der Widersprüche verlange nach einer Klärung. Sollte einmal ein Sachverhalt zu beurteilen sein, bei dem zur misslungenen Empfängnisverhütung auch noch eine Behinderung des Kindes hinzutrete, könnten die beiden unterschiedlichen Ansätze nicht mehr nebeneinander aufrecht erhalten werden.
[71] 2.28. Mörsdorf-Schulte (Geburt eines behinderten Kindes als Schaden, ZEuP 2010, 147 [162 ff]) befasst sich eingehend mit der österreichischen Rechtsprechung zum Thema und hebt die Widersprüche der Judikaturlinien zu den beiden Fallgruppen hervor. Dass sich der fünfte Senat in der Entscheidung zu 5 Ob 148/07m mit Hinweis auf den anderen Sachverhalt bei „wrongful birth“ mit den Argumenten der Rechtsprechung zu „wrongful conception“ nicht befasst habe, verhindere nicht den Eindruck einer grundsätzlichen Geringerwertung des Lebens Behinderter; dies wäre nur durch den Zuspruch bloß des Mehrbedarfs zu erreichen. Eine Überwindung der Widersprüche könne durch die Loslösung vom rein wirtschaftlichen Schadenskonzept erreicht werden. Im Normalfall sei die Belastung mit einem behinderten Kind tatsächlich mit derjenigen mit einem gesunden Kind nicht zu vergleichen. Die mit pekuniären Konzepten nicht erfassbare Andersartigkeit dieser beiden Situationen biete Anlass, ein auf persönlichkeitsrechtliche Schäden der Eltern abstellendes, neues Konzept auszuloten. Die Elternschaft als Schaden könne die Fixierung auf das Kind als Schaden lösen und sie ermögliche eine Gesamtbetrachtung der Situation des „Habens“ des betreffenden Kindes und eine Bewertung der Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Eltern, die durch die Geburt des jeweiligen Kindes zu einer Umorientierung gezwungen seien.
3. Der Senat hat – nach Überprüfung der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung und unter Bedachtnahme auf die von der Lehre vorgetragenen Argumente – erwogen:
[72] 3.1. „Wrongful birth“ und „wrongful conception“ als zwei nicht vergleichbare Fallgruppen?
[73] 3.1.1. Wie sich aus der Darstellung der Rechtsprechung ergibt, wurde bisher strikt zwischen Fällen von „wrongful birth“ und „wrongful conception“ unterschieden und der Standpunkt vertreten, dass es sich bei der Geburt eines gesunden Kindes einerseits und eines behinderten Kindes andererseits um unterschiedliche, nicht vergleichbare Sachverhalte handle, weshalb auch keine widersprüchliche Rechtsprechung iSd § 8 OGHG vorliege (vgl 6 Ob 101/06f, 2 Ob 172/06t, 5 Ob 148/07m, 6 Ob 148/08w).
[74] 3.1.2. Diese Auffassung stieß im Schrifttum vielfach auf Kritik, und zwar sowohl von Vertretern der Trennungsthese (vgl etwa Kopetzki, RdM 2008/38, 47 [57]; Schwarzenegger, [Keine] Haftung bei wrongful birth?, in Borić/Lurger/Schwarzenegger/Terlitza, Öffnung und Wandel – Die Internationale Dimension des Rechts II, Festschrift für Willibald Posch zum 65. Geburtstag [2011] 709 [711]) als auch von Vertretern der gemäßigten Einheitsthese (vgl nur Kletečka, JBl 2011, 749 [758]; Karner, EF-Z 2009/69, 91 [92]).
[75] 3.1.3. Der Senat sieht sich durch diese Kritik veranlasst, die Rechtsprechung, wonach es sich bei „wrongful birth“ und „wrongful conception“ um zwei unterschiedlich zu beurteilende Fallgruppen handle, aufzugeben. Im Gegenteil sind aus schadenersatzrechtlicher Sicht beide Sachverhalte im Ansatz notwendigerweise gleich zu beurteilen:
[76] 3.1.3.1. Die bisherige Rechtsprechung zu Fällen von „wrongful conception“ geht davon aus, dass die Geburt eines gesunden (wenn auch nicht gewollten) Kindes keinen Schaden im Rechtssinn darstellen könne (vgl 6 Ob 101/06f; RS0121189). Diese Ansicht ist im Lichte des im österreichischen Recht verankerten, denkbar weiten Schadensbegriffs nicht aufrecht zu halten. Demnach ist ein Schaden nach § 1293 Satz 1 ABGB jeder Nachteil, welcher jemandem an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist. Schaden ist die Verminderung von Aktiv- oder Vermehrung von Passivposten in einem rechnerischen Vergleich der durch das schädigende Ereignis eingetretenen Vermögenslage mit jener, die sich ohne das Ereignis ergeben hätte. Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung wird schon das Entstehen einer Verbindlichkeit (RS0022568), mithin jeder zusätzliche Aufwand oder jede zusätzliche Belastung als Schaden begriffen. Dass in diesem gemeinhin anerkannten Sinn des § 1293 ABGB auch der Unterhaltsaufwand für ein nicht gewolltes Kind einen Schaden darstellt, ist daher zwingend (so schon 5 Ob 148/07m [P 4.2.1.] mzN).
[77] 3.1.3.2. Es ist zuzugestehen und war auch in der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur unzweifelhaft, dass die Frage nach Schadenersatz im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes neben rein rechtlichen auch ethische und moralische Fragen aufwirft. Ungeachtet dieser Wertungsprobleme sind aber die dabei anstehenden rechtlichen Fragen von den Gerichten auf Basis der geltenden Gesetzeslage zu entscheiden. Besonders bei ethisch und weltanschaulich umstrittenen Fragen ist gegenüber einer von den bestehenden (allgemeinen) Regeln des Rechts – hier: des Schadenersatzrechts – abweichenden Beurteilung besondere Vorsicht geboten. Eine „Lösung“ auf der Basis von, in ihren Rechtsgrundlagen und insbesondere in ihren Rechtsfolgen dogmatisch und gesetzlich nicht konkret abgesicherten „Rechtsprinzipien“ ist abzulehnen. Sonderrechtliche Lösungen für einen spezifischen, besonders gesellschaftpolitisch besetzten Rechtsbereich – wie dem vorliegenden – müssen dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben (so wiederum schon 5 Ob 148/07m [P 4.2.]; idS wohl auch Rebhahn, Zak 2006/350, 206 [208]). Zu einer besonderen rechtlichen Behandlung der hier zu lösenden Rechtsfragen konnte sich der Gesetzgeber bisher nicht entschließen (vgl die ergebnislose Gesetzesinitiative durch den Initiativantrag der Abgeordneten Dr. Peter Fichtenbauer, Kolleginnen und Kollegen vom , 46/A 23. GP und zum Ministerialentwurf eines SchRÄG 2011, 255/ME 24. GP; dazu auch Koziol, Haftpflichtrecht I4 B/1 Rz 28 mwN). Die Lösung beider Fallgruppen ist somit auf der Basis des allgemeinen Schadenersatzrechts zu suchen, die eine apodiktische, den Schadensbegriff verkürzende Aussage, wonach ein gesundes Kind keinen Schaden darstelle, nicht trägt.
[78] 3.1.3.3. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass im Fall eines nicht gewollten Kindes gerade nicht dessen Geburt (Existenz) für sich allein einen Schaden im Rechtssinn darstellt, wohl aber der aus seiner Geburt resultierende finanzielle Aufwand, insbesondere der Unterhaltsaufwand, einen Schaden bilden kann. Dies muss dann aber gleichermaßen bei jedem nicht erwünschten Kind gelten, also unabhängig davon, ob es gesund oder mit einer Behinderung geboren wird. Eine Differenzierung nach diesem Gesichtspunkt verbietet sich schon deshalb, weil dafür aus dem Gesetz keine sachliche Grundlage ableitbar ist. Gerade dann, wenn bei der unerwünschten Geburt eines behinderten Kindes der Schaden – richtigerweise – nicht in der Existenz des Kindes, sondern in dem den Eltern entstehenden Unterhaltsaufwand besteht, muss diese Folgerung auch für den Fall der Geburt eines gesunden Kindes gelten, der die Eltern – wie etwa im gegebenen Kontext relevant – durch empfängnisverhütende Maßnahmen entgegenwirken wollten (vgl etwa Pletzer, JBl 2008, 490 [499]; in diesem Sinn auch Benke/Klausberger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang-Kommentar ABGB3 § 22 Rz 77 und Kletečka,JBl 2011, 749 [758]).
[79] 3.1.3.4. Entscheidend ist also, dass in beiden Konstellationen bei fehlerfreiem Vorgehen der Ärzte – und bei dem von den Eltern (der Mutter) im Fall von „wrongful birth“ gewünschten Schwangerschaftsabbruch – die Geburt unterblieben wäre (vgl Kopetzki, RdM 2008/38, 47 [57]). Den im Entstehen der Unterhaltspflicht liegenden Schaden erleiden die Eltern also sowohl bei misslungener Vasektomie oder Eileiterunterbindung als auch bei einem unterbliebenen Schwangerschaftsabbruch infolge mangelnder/falscher Aufklärung über ein Schwangerschaftsrisiko (Aicher in Rummel/Lukas4 § 22 ABGB Rz 4).
[80] 3.1.3.5. Die nachfolgenden Ausführungen zum Schadenersatzanspruch dem Grunde nach gelten deshalb im Grundsatz nicht nur für den hier vorliegenden Fall von „wrongful birth“, sondern – mutatis mutandis – auch für den Fall von „wrongful conception“.
[81] 3.2. Zum Ersatzanspruch der Kläger dem Grunde nach:
[82] 3.2.1. Der – schon zur unhaltbaren Differenzierung zwischen den Fällen von „wrongful birth“ und „wrongful conception“ angesprochene (P 3.1.3.1.) – weite Schadensbegriff des ABGB umfasst nach ständiger Rechtsprechung jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Nach herrschender Rechtsprechung ist bereits das Entstehen einer Verbindlichkeit ein möglicher, nach dem ABGB zu ersetzender Schaden (vgl RS0022568 [T16]). Dass in diesem gemeinhin anerkannten Sinn des § 1293 ABGB auch der Unterhaltsaufwand für ein nicht gewolltes Kind einen Schaden darstellt, ist demnach nicht ernsthaft bestreitbar (5 Ob 148/07m P 4.2.1. mwN).
[83] 3.2.2. Leben und Persönlichkeit eines Kindes sind zweifellos unantastbare Rechtsgüter. Geburt und Existenz eines Kindes können selbstverständlich auch nicht – wie bereits betont (P 3.1.3.3.) – als Schaden betrachtet werden. Dass aber der Mensch sowohl in seiner körperlichen als auch psychischen Existenz von Ereignissen betroffen sein kann, die dann Schadenersatzansprüche auslösen, ist ein juristisch geradezu alltägliches Phänomen, das weithin kein öffentliches Unbehagen auslöst. So kann etwa auch das „Spiegelbild“ der Geburt, der Tod eines Menschen, eine Vielzahl von Schadenersatzansprüchen auslösen (§ 1327 ABGB), denen gemeinhin keine Bedenken oder Kommerzialisierungsvorwürfe entgegengehalten werden. Dem entsprechend ist auch die Trennung der Existenz des Kindes vom damit unbestreitbar verbundenen wirtschaftlichen Aufwand geboten, um sich einerseits nicht auf der Grundlage außerrechtlich motivierter Postulate dem herrschenden Schadenersatzbegriff zu entziehen und um andererseits dem Umstand gerecht zu werden, dass die Eltern durch Zuerkennung des Unterhaltsaufwands in keiner Weise von ihren Unterhalts-, Erziehungs- und Fürsorgepflichten in der Rechtsbeziehung zu ihrem Kind entbunden werden (so schon 5 Ob 148/07m [P 4.2.2. mwN]).
[84] 3.2.3. Es ist zwar einzuräumen, dass Geburt und Existenz des Kindes eine kausale Voraussetzung für den Eintritt des Unterhaltsschadens sind. Dies rechtfertigt aber nicht die verkürzende Folgerung, dass sämtliche kausalen Voraussetzungen eines Schadenseintritts bereits selbst der oder ein Teil des „Schadens“ seien und in diesem Kontext negativ bewertet werden. Wäre nämlich – wie von Kritikern behauptet – die Geburt das „schadensstiftende Ereignis“, dann wären auch bei (unstrittig von der Schadenersatzpflicht erfassten) Aufwendungen für medizinische Behandlungen nach einem Unfall oder Behandlungsfehler die dabei entstandenen körperlichen Beeinträchtigungen ein negativ bewertetes „schadensstiftendes Ereignis“ (so wohl Kopetzki, RdM 2008/38, 47 [57]).
[85] 3.2.4. Koziol vertrat in der 3. Auflage seines Werks Österreichisches Haftpflichtrecht (I [1997] Rz 2/26) die Auffassung, selbst dann, wenn der Schwangerschaftsabbruch zum Schutz höher bewerteter Interessen (§ 97 Abs 2 StGB) erfolge und daher auch zivilrechtlich gerechtfertigt sei, habe der Arzt, dem die Abtreibung misslang oder der die erforderliche Aufklärung der Mutter unterließ, nicht für den Unterhalt des Kindes aufzukommen. Die Erlaubnis der Tötung des Nasciturus werde nämlich, wie aus den aufgezählten Rechtfertigungsgründen ersichtlich, nicht zum Schutz vor vermögenswerten Belastungen der Eltern eingeräumt. Dies spreche nach Koziol dafür, dass diese Vermögensnachteile auch außerhalb des Schutzbereichs der vom Arzt verletzten Pflicht lägen.
[86] 3.2.4.1. Dem ist – abgesehen davon, dass Koziol in der neuen Auflage des genannten Werks Besagtes so nicht mehr vertritt (Haftpflichtrecht I4 [2020] B/1 Rz 36) – zu entgegnen, dass § 97 Abs 2 StGB – im gegebenen Kontext – für die Beantwortung der Frage der Rechtmäßigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs maßgeblich ist, während der Schutzzweck nach dem Behandlungsvertrag (Untersuchungsvertrag) zu beurteilen ist. Dabei dient die pränatale Diagnostik nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und damit auch der Mutter (den Eltern) für den Fall, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch ermöglichen soll.
[87] 3.2.4.2. Der so verstandene Schutzzweck des Behandlungsvertrags harmoniert zwanglos mit der Judikatur des EGMR, nach welcher die Entscheidung einer Frau, ihre Schwangerschaft fortzusetzen oder zu beenden, in den Bereich des Privatlebens und der Willensfreiheit fällt. Im Zusammenhang mit Schwangerschaften ist, wenn die nationale Rechtslage deren Abbruch in bestimmten Situationen erlaubt, der effektive Zugang zu Informationen über die Gesundheit von Mutter und Fötus unmittelbar relevant für die Ausübung dieser persönlichen Entscheidungsfreiheit (R.R. gegen Polen, Bsw 27617/04 vom ). Dabei sind besonders die Ergebnisse der Pränataluntersuchungen dafür maßgeblich, ob sich Schwangere für oder gegen das Kind entscheiden.
[88] 3.2.4.3. Schließlich ist es auch objektiv voraussehbar, dass im Fall drohender schwerwiegender Behinderungen des Kindes die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann; deshalb sind auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) – jedenfalls im Anwendungsbereich des § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB – noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst (vgl RS0123136; 5 Ob 148/07m P 5.4. mwN; vgl auch Huber, Haftung bei misslungener Sterilisation? RdM 2007/23, 26 [28] mwN; Pletzer, JBl 2008, 490 [491 f]).
[89] 3.2.4.4. Zusammengefasst besteht also der Zweck des Behandlungsvertrags darin, einer Frau rechtzeitig jene Informationen zu liefern, die ihr im Fall drohender schwerwiegender Missbildungen des Fötus unter Berücksichtigung ihrer persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse die sachgerechte Entscheidung über einen Abbruch der Schwangerschaft ermöglichen. Erhält in einer solchen Konstellation die Schwangere die maßgeblichen Informationen aufgrund eines ärztlichen Fehlers nicht und kann sie sich deshalb nicht gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden, verwirklicht sich mit der Geburt des Kindes ein Fall, den eine Schwangere mit dem Abschluss des Behandlungsvertrags – für den Arzt auch erkennbar – verhindern will (vgl dazu auch Kletečka, JBl 2011, 749 [758] mwN).
[90] 3.2.4.5. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist festzuhalten, dass bei drohenden schwerwiegenden Missbildungen des Fötus der Abbruch der Schwangerschaft nur eine – für den Arzt freilich als möglich voraussehbare – Entscheidungsalternative, aber nicht die einzige Option sein wird. Die Schwangere kann sich selbstverständlich bewusst für das behinderte Kind entscheiden oder es kann Fälle geben, in denen – anders als hier – eine Behandlung des ungeborenen Kindes noch im Mutterleib möglich ist. Für letztgenannte – hier nicht vorliegende – Konstellation wird sich der Schutzzweck des Behandlungsvertrags (auch) darauf erstrecken, den Eltern frühzeitig die Entscheidung über mögliche Behandlungsmaßnahmen zu ermöglichen.
[91] 3.2.5. Ein Schadenersatzanspruch der Kläger setzt voraus, dass die Erstklägerin bei gehöriger Aufklärung durch den Beklagten – rechtmäßig – einen Schwangerschaftsabbruch hätte vornehmen lassen können. Dies wäre hier der Fall gewesen:
[92] 3.2.5.1. Gemäß § 97 StGB ist ein Schwangerschaftsabbruch (§ 96 StGB) in unterschiedlichen Fallkonstellationen nicht strafbar; dies trifft namentlich (ua) dann zu, wenn er innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird (Z 1), oder wenn eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde, und der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird (Z 2 zweiter Fall). § 97 StGB enthält ein Mischmodell aus Fristenlösung und Indikationen (Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK2 § 97 StGB Rz 1). Bei der Fristenlösung nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB wird eine abstrakt generelle Entscheidung nur nach dem zeitlichen Stand der Schwangerschaft getroffen, ohne dass es auf weitere Umstände bei der Schwangeren oder bei der Leibesfrucht ankäme (Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK2 § 97 StGB Rz 3).
[93] 3.2.5.2. Bei der sogenannten eugenischen oder embryopathischen Indikation nach § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB muss objektiv die ernste Gefahr bestehen, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde (vgl Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK2 § 97 StGB Rz 16). Ob die befürchtete geistige oder körperliche Schädigung als schwer einzustufen ist, ist anhand eines objektiven Maßstabs nach dem ärztlichen Erfahrungswissen unter Berücksichtigung des Schwangerschaftsstadiums und der Behebbarkeit zu beurteilen. Als Art der Schädigung kommen beispielsweise körperliche Schäden, wie etwa Missbildungen von Gliedmaßen, in Betracht (Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK2 § 97 StGB Rz 17).
[94] 3.2.5.3. Nach herrschender Meinung wird ein Schwangerschaftsabbruch (nur) aufgrund der Fristenregelung nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB zwar als straflos, jedoch zivilrechtlich als rechtswidrig angesehen; hingegen ist ein Schwangerschaftsabbruch bei vorliegender Indikation (insbesondere) nach § 97 Abs 1 Z 2 StGB nicht bloß straflos, sondern – insbesondere nach der Rechtsprechung der Zivilsenate des Obersten Gerichtshofs (RS0112109; strafgerichtliche Rechtsprechung liegt dazu nicht vor) – rechtmäßig (vgl Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK2 § 97 StGB Rz 1 und Rz 3 je mwN; Kopetzki, RdM 2008/38, 47 [58]; Kletečka, JBl 2011, 749 [752]; Koziol, Haftpflichtrecht I4 B/1 Rz 37).
[95] 3.2.5.4. Davon, dass hier eine schwere Behinderung iSd § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB vorlag, geht der Beklagte im Ergebnis offenbar selbst – und zwar zutreffend – aus, räumt er doch selbst ein, dass der Verlust bzw das Fehlen eines Arms eine Invalidität von 70 bis 80 % zur Folge hat. Angesichts dieser – bei fachgerechtem Vorgehen des Beklagten schon lange vor der Geburt des Kindes erkennbaren – schweren Behinderung wäre hier jedenfalls die Indikation nach § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB vorgelegen, auch wenn die Kläger die Abtreibung bei ordnungsgemäßer Aufklärung noch innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft (und damit formal im Rahmen der Fristenlösung) hätten vornehmen lassen können.
[96] 3.2.5.5. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die Erstklägerin rechtmäßig gehandelt hätte, wenn sie sich – ordnungsgemäße Aufklärung durch den Beklagten vorausgesetzt – für einen Abbruch ihrer Schwangerschaft entschieden hätte. Damit geht der vom Beklagten erhobene Einwand des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ ins Leere.
[97] 3.2.6. Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, dass eine „Verrechnung“ der ideellen Vorteile der Geburt des Kindes mit den daraus resultierenden materiellen Nachteilen vorzunehmen sei, weil der Schädiger nicht bloß eine Unterhaltspflicht, sondern eine umfassende familienrechtliche Beziehung herbeigeführt habe, in der materielle und immaterielle Komponenten untrennbar verknüpft seien (vgl etwa Koziol, Haftpflichtrecht I4 B/1 Rz 32, 34; Koziol/Steininger, RZ 2008, 138 [146 ff] mwN).
[98] 3.2.6.1. Dem ist zunächst zu entgegnen, dass (inkongruente) immaterielle Vorteile nicht geeignet sind, einen vermögensrechtlichen Nachteil auszugleichen, weshalb sie gegenüber einem Vermögensschaden auch nicht anrechenbar sind (vgl RS0123921; Schwarzenegger in Borić/Lurger/Schwarzenegger/Terlitza, Festschrift Posch 709 [715]).
[99] 3.2.6.2. Im Übrigen würde eine Kompensation materieller Nachteile durch immaterielle Vorteile – unter Praktikablitätsgesichtspunkten betrachtet – auch ein erhebliches Beweisproblem begründen, weil diese Vorteile, die in positiven Gefühlen und Freuden bestehen, gerade nicht in Geld messbar sind, während der Unterhaltsschaden beziffert werden kann (Grüblinger, Zak 2008/260, 143 [146]). Es darf auch nicht übersehen werden, dass mit der Geburt des Kindes auch immaterielle Nachteile durch gesteigerte emotionale Belastungen einhergehen (Benke/Klausberger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang-Kommentar ABGB3 § 22 Rz 73 mwN; in diesem Sinn auch Grüblinger, Zak 2008/260, 143 [146]), die in diesen „Ausgleich“ ebenfalls einbezogen werden müssten und nicht (willkürlich) ausgeblendet werden dürften.
[100] 3.2.6.3. Halten sich die ideellen Vorteile der Eltern im Zusammenhang mit der Existenz des Kindes zu den daraus resultierenden ideellen Nachteilen die Waage, bleibt dann immer noch der immaterielle Nachteil der Vereitelung der Dispositionsfreiheit der Eltern betreffend ihre Familienplanung. Wollte man also davon ausgehen, dass die Freude der Eltern über die Existenz ihres Kindes die allgemein damit verbundenen Belastungen ausgleicht oder allenfalls sogar überwiegt, steht dem auf der „Negativseite“ immer noch der ideelle „Schaden“ wegen Vereitelung der Familienplanung gegenüber. Näher liegend als die (noch nicht „kompensierten“) ideellen Vorteile auf den Vermögensschaden der Eltern anzurechnen, erscheint es daher, diese Vorteile dem Familienplanungsnachteil gegenüberzustellen und insoweit einen „Ausgleich“ vorzunehmen. Werden aber die ideellen Vorteile der Eltern insoweit „kompensiert“, können sie – sofern man überhaupt diesen „Verrechnungsüberlegungen“ folgen wollte – nicht (quasi noch einmal) auf den Vermögensschaden der Eltern angerechnet werden oder bei der Bemessung ihres Gesamtschadens Berücksichtigung finden (Pletzer, JBl 2008, 490 [491 f]).
[101] 3.2.6.4. Eine (allzu großzügige) Berücksichtigung immaterieller Vorteile stünde auch in Widerspruch zur Rechtsprechung, wonach die Ersatzfähigkeit ideeller Schäden eher restriktiv zu handhaben ist; eine (großzügige) Anrechnung ideeller Vorteile würde nämlich dem Gedanken, dass Gefühlsschäden oder auch Freuden einer Bewertung und einer Überwälzung auf Dritte grundsätzlich nicht zugänglich sind, zuwiderlaufen (vgl Grüblinger, Zak 2008/260, 143 [146] mwN).
[102] 3.2.6.5. Nach Ansicht des Senats kann daher im Ergebnis die verschiedentlich propagierte „Verrechnung“ von materiellen und immateriellen Vor- und Nachteilen den Anspruch der Eltern auf Ersatz des Unterhaltsschadens nicht beseitigen oder auch nur schmälern.
3.3. Zur Höhe des Unterhaltsanspruchs
[103] 3.3.1. Wie bereits dargelegt (P 3.2.4.3.), sind vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags in Bezug auf die Pränataldiagnostik – jedenfalls im Anwendungsbereich des § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB – auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) umfasst (vgl RS0123136).
[104] 3.3.2. Der Beklagte hat durch sein fachliches Fehlverhalten den Klägern die Möglichkeit genommen, sich für einen – auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB gestützten und daher, wie ebenfalls bereits dargelegt (P 3.2.5.), rechtmäßigen – Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Da die Kläger diese Möglichkeit nach den – den Obersten Gerichtshof bindenden – erstgerichtlichen Feststellungen auch tatsächlich wahrgenommen hätten, wäre es bei pflichtgemäßer Diagnose und Beratung durch den Beklagten nicht zur Geburt des Kindes gekommen. In diesem Fall wäre den Klägern somit keinerlei Unterhaltsaufwand für dieses Kind entstanden.
[105] 3.3.3. In dieser Konstellation kann schadenersatzrechtlich nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden, was aber eine Begrenzung des Ersatzanspruchs mit dem behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwand ausschließt. Zum Ersatz bloß des behinderungsbedingten Mehraufwands könnte man nämlich nur durch den Vergleich des behinderten Kindes mit einem – auf einer bloßen Fiktion beruhenden – gesunden Kind kommen, und gerade diese Betrachtungsweise wäre nicht nur schadenersatzrechtlich verfehlt, sondern ein die Behinderung in den Vordergrund stellender und insoweit gerade diskriminierender Denkansatz (vgl 5 Ob 48/07m P 10.2.).
[106] 3.3.4. Aufgrund dieser Kausalitätsüberlegungen ist der Zuspruch des gesamten Unterhaltsaufwands also nicht bloß konsequent, sondern sogar zwingend: Ansatzpunkt für eine Haftung ist in den „wrongful-birth“-Fällen ja das Nichterkennen der Behinderung des Fötus bzw das Unterbleiben einer entsprechenden Aufklärung der Eltern und nicht etwa die Verursachung der Behinderung. Durch das ärztliche Verhalten wird nicht die Geburt eines gesunden Kindes verhindert, vielmehr beschränken sich die elterlichen Alternativen im Fall einer diagnostizierten und aufgeklärten fetalen Behinderung – abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall eines noch im Mutterleib behandelbaren Leidens – darauf, das behinderte Kind entweder auf die Welt zu bringen oder die Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Durch das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Arztes war es den Eltern allerdings nicht möglich, ihre Entscheidung im Sinn der zweiten Alternative zu treffen. Wäre die Schwangerschaft tatsächlich abgebrochen worden, wäre kein Kind – weder ein gesundes noch ein behindertes – geboren worden und den Eltern folglich keinerlei Unterhaltsaufwand, insbesondere auch nicht der Aufwand für den „Basisunterhalt“, entstanden. Somit stellt der gesamte, die Eltern nunmehr treffende Unterhaltsaufwand den vom Behandler verursachten Schaden dar (vgl Pletzer, JBl 2008, 490 [493]; siehe auch Kletečka, JBl 2011, 749 [758 ff]).
[107] 3.3.5. Kletečka (JBl 2011, 749 [759]; ihm folgend Leitner, Das Untätigbleiben des Gesetzgebers als Auslegungsmaxime? ecolex 2008, 417 [FN 1]) gesteht explizit zu, dass der Arzt durch seine Fehldiagnose auch den „Basisunterhalt“ verursacht habe, weil das Kind bei ordnungsgemäßer Aufklärung gar nicht geboren worden wäre. Er vertritt allerdings die Auffassung, die Haftung für jenen Unterhalt, der auch bei Geburt eines nicht behinderten Kindes entstanden wäre, sei dennoch in Zweifel zu ziehen, weil die Eltern die Unterhaltspflicht ursprünglich nicht gestört habe; ganz im Gegenteil hätten sie sich ein Kind gewünscht und seien daher auch bereit gewesen, die Unterhaltspflicht auf sich zu nehmen. Der Behandlungsvertrag habe daher – anders als bei „wrongful conception“ – nicht den Zweck gehabt, die Belastung mit dem Basisunterhalt zu vermeiden.
[108] Dem ist allerdings zu entgegnen, dass der Behandlungsvertrag, wie dargelegt (P 3.2.4.3.), (auch) den Zweck hatte, den Eltern (der Mutter) die Möglichkeit zu eröffnen, sich für den Fall, dass sich eine schwerwiegende Behinderung des Fötus herausstellen sollte, – auch unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung finanzieller Belastungen – für einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Im vorliegenden Fall bestand für die Kläger, die sich bei gehöriger Aufklärung für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten, ja zu keinem Zeitpunkt die Alternative, ein gesundes Kind zu bekommen; sie hätten also nur die Wahl gehabt, ein behindertes oder gar kein Kind zu bekommen (Benke/Klausberger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang-Kommentar ABGB3 § 22 Rz 73 mwN). Bei fehlerfreiem Vorgehen des Beklagten wäre demnach die Geburt des Kindes unterblieben und daher keinerlei Unterhaltsbelastung entstanden, und zwar unabhängig von der Behinderung des Kindes (Kopetzki, RdM 2008/38, 47 [57]).
[109] 3.3.6. Kletečka (JBl 2011, 749 [759]) argumentiert weiters, dass zwar finanzielle Interessen in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags fielen, dies aber nicht auch für den Basisunterhalt gelten könne, weil der Schutzzweck des Vertrags nicht nur von den Parteien, sondern auch vom Gesetzgeber des StGB vorgegeben sei. § 97 StGB ziehe zwar neben der psychischen, physischen und sozialen auch die zum Teil enorme ökonomische Belastung der Eltern schwerstbehinderter Kinder ins Kalkül; der Gesetzgeber habe allerdings mit der Legalisierung des Abbruchs wegen embryopathischer Indikation nicht auch die Vermeidung jener Unterhaltslast bezweckt, die völlig unabhängig von der Behinderung mit der Geburt jedes Kindes verbunden sei.
[110] Auch in diesem Punkt unterstellt Kletečka einen rein fiktiven Schutzzweck und nimmt damit eine – jedenfalls nicht auf gesicherten schadenersatzrechtlichen Kriterien beruhende – Schadenszurechnung vor, weil in der gegebenen Konstellation für die Eltern nie die Möglichkeit bestand, ein gesundes Kind zu bekommen.
[111] 3.3.7. Luf (AnwBl 2007, 547 [550] mwN) vertritt die Auffassung, aus ökonomischer Perspektive könne die vehemente Zurückweisung des Arguments „Kind als Schaden“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass durch die Judikatur letztlich zum Ausdruck komme, es wäre vermögensrechtlich besser, wenn das Kind nicht geboren wäre. Eine solche negative Bewertung des Lebens unterliege dann aber, auch wenn diese von Befürwortern der Schadenersatzlösung nicht zugestanden werde, der „Gefahr einer ökonomischen Verkürzung und Relativierung des Menschen“, weil das Kind dann doch zu einem buchhalterisch-bilanzierenden Rechnungsposten degradiert werde, der der vorbehaltlosen Anerkennung seines Eigenwerts entgegenstehe.
[112] Dem ist zu erwidern, dass gerade dann, wenn das schädigende Ereignis eine facettenreiche familienrechtliche Beziehung zum Entstehen bringt, die Trennung ideeller und materieller Aspekte geboten ist; andernfalls, nämlich gerade bei der von manchen Autoren erwogenen „Kompensation“ materieller Nachteile durch immaterielle Vorteile, würde das Kind postnatal einer Nützlichkeitsanalyse unterzogen, in der schon an sich eine Würdeverletzung zu sehen wäre (vgl Schwarzenegger in Borić/Lurger/Schwarzenegger/Terlitza, Festschrift Posch 709 [716]).
[113] 3.3.8. Es geht im vorliegenden Zusammenhang auch weder um ein „Recht der Eltern auf ein gesundes Kind“ noch darum, behinderten Menschen „das Lebensrecht abzusprechen“. Vielmehr ist das Recht der Eltern betroffen, autonom darüber entscheiden zu können, ob sie erstens überhaupt ein Kind wollen, und zweitens, ob sie angesichts ihrer gesamten Lebenssituation bereit sind und sich in der Lage sehen, ein behindertes Kind entsprechend seinen Bedürfnissen aufzuziehen. Ein solches „Recht auf kein Kind“ ist jedenfalls insoweit anzuerkennen, als der von Art 8 EMRK gewährleistete Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens auch das Recht auf Geburtenkontrolle und Familienplanung beinhaltet (Pletzer, JBl 2008, 490 [500] mwN).
[114] 3.3.9. Dass im Fall einer Schädigung (und daraus resultierenden Behinderung) eines Kindes aufgrund eines dem Arzt beim Geburtsvorgang unterlaufenen Kunstfehlers – anders als im Fall von „wrongful birth“ – den Eltern nur der behinderungsbedingte (Unterhalts-)Mehraufwand zugesprochen wird, ist, wie der Beklagte selbst ausführt, schadenersatzrechtlich konsequent:
[115] Denkt man nämlich das Fehlverhalten des Arztes weg, wäre das Kind gesund auf die Welt gekommen, sodass der Fehler des Arztes (nur, aber immerhin) kausal für den auf die Behinderung des Kindes zurückzuführenden Mehraufwand der Unterhaltspflichtigen war. Anderes gilt freilich im hier zu beurteilenden Fall, in dem das Kind, hätte sich der Beklagte rechtmäßig verhalten, nicht zur Welt gekommen wäre, sodass schadenersatzrechtlich nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden kann, was wiederum eine Reduktion des Ersatzanspruchs auf den behinderungsbedingten Mehraufwand ausschließt.
[116] . Zusammengefasst folgt demnach, dass man zum Ersatz bloß des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands nur durch den Vergleich des behinderten Kindes mit einem – auf einer bloßen Fiktion beruhenden – gesunden Kind kommen könnte, und gerade diese Betrachtungsweise nicht nur schadenersatzrechtlich verfehlt, sondern ein die Behinderung in den Vordergrund stellender und insoweit gerade diskriminierender Denkansatz wäre (5 Ob 148/07m [P 10.1]; in diesem Sinn auch 5 Ob 165/05h). Dass den Klägern zu 1 Ob 91/99k nur der behinderungsbedingte Unterhaltsmehrbedarf zugesprochen wurde, dürfte, worauf bereits in der Entscheidung 5 Ob 165/05h hingewiesen wurde, wohl allein daran gelegen sein, dass dort nur der Mehrbedarf eingeklagt worden war.
4. Der verstärkte Senat beschließt daher folgende Rechtssätze:
[117] 4.1. Sowohl bei einem medizinischen Eingriff, der die Empfängnisverhütung bezweckt (zB Vasektomie oder Eileiterunterbindung), als auch bei der Pränataldiagnostik sind die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) an der Verhinderung der Empfängnis bzw – bei Vorliegen der embryopathischen Indikation – der Geburt eines (weiteren) Kindes vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst.
[118] 4.2. Wäre das Kind bei fachgerechtem Vorgehen bzw ordnungsgemäßer Aufklärung der Mutter (der Eltern) nicht empfangen bzw nicht geboren worden, haftet der Arzt (unabhängig von einer allfälligen Behinderung des Kindes) insbesondere für den von den Eltern für das Kind zu tragenden Unterhaltsaufwand.
5. Zu den weiteren Argumenten der Revision:
[119] 5.1. Die vom Beklagten behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Wie der Revisionswerber selbst erkennt, ist gemäß § 480 ZPO eine Berufungsverhandlung (nur) dann anzuberaumen, wenn der Berufungssenat dies im einzelnen Fall für erforderlich hält. Dass sich das Berufungsgericht durch die Tatsachenrüge des Beklagten nicht zu einer Beweiswiederholung veranlasst sah und (auch) deshalb keine Berufungsverhandlung als notwendig erachtete, kann daher keinen Verfahrensmangel begründen.
[120] 5.2. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang in der Revision erneut die Feststellung bekämpfen will, wonach die Erstklägerin sich im Fall einer ordnungsgemäßen Pränataldiagnostik für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätte, genügt der Hinweis, dass der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz und daher an die Feststellung des Erstgerichts gebunden ist (vgl RS0042903).
[121] 5.3. Nach diesen Feststellungen hätten sich die Kläger für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, wenn der Beklagte sie ordnungsgemäß über die schwere Behinderung ihres ungeborenen Kindes aufgeklärt hätte. Der vom Beklagten in diesem Zusammenhang gewünschten Feststellung, wonach auch bei einem ordnungsgemäßen Erst-Trimester-Screening fehlende Gliedmaßen nur in 75 % der Fälle erkannt würden, stehen ebenfalls die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen entgegen, wonach dem Beklagten bei fachgerechtem Vorgehen das Fehlen der linken Extremität aufgefallen wäre.
[122] 5.4. Bereits die Vorinstanzen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Beklagten entgegen seiner Behauptung keineswegs nur ein Dokumentationsversehen anzulasten ist, das er als entschuldbare Fehlleistung behandelt haben will. Vielmehr ist er bei den Ultraschalluntersuchungen, insbesondere jener vom , deren Zweck es gerade war, in einem frühen Stadium der Schwangerschaft unter anderem zu überprüfen, ob alle Extremitäten vorhanden sind, nicht lege artis vorgegangen und hat deshalb das Fehlen des linken Arms des Fötus nicht erkannt. Dadurch wurde den Klägern die Möglichkeit genommen, noch innerhalb der Frist des § 97 Abs 1 Z 1 StGB einen nach § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.
[123] 5.5. Der Beklagte beharrt auch in dritter Instanz noch auf seiner Auffassung, die Kläger hätten ihre Schadensminderungsobliegenheit verletzt, indem sie darauf verzichtet hätten, das Kind wegen seiner Behinderung zur Adoption freizugeben. Dem kann nicht gefolgt werden:
[124] 5.5.1. Es trifft zwar zweifellos zu, dass sich die Kläger von ihrer Unterhaltspflicht befreien hätten können, indem sie das Kind gleich nach seiner Geburt zur Adoption freigegeben hätten. Ob eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit vorliegt, ist nach der Rechtsprechung allerdings danach zu beurteilen, ob der Geschädigte schuldhaft eine ihm zumutbare Handlung unterlassen hat, die von einem Durchschnittsmenschen gesetzt worden und bei objektiver Betrachtung geeignet gewesen wäre, den Schaden zu vermindern (4 Ob 59/18g mwN).
[125] 5.5.2. Wie bereits das Berufungsgericht richtig erkannt hat, wäre es den Klägern, auch wenn sie sich bei rechtzeitiger Kenntnis für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten, nicht zumutbar (gewesen), ihr Kind wegen seiner Behinderung zur Adoption freizugeben (vgl dazu auch Leitner, EF-Z 2006/79 [Glosse zu 6 Ob 101/06f] mwN; ebenso Karner, EF-Z 2009/69, 91 [92]; Koziol, Haftpflichtrecht I4 B/1 Rz 26 mwN). Es liegt nämlich auf der Hand, dass Eltern im Zeitpunkt der Geburt ihres (wider Erwarten schwer behinderten) Kindes, auf das sie sich in Unkenntnis der wahren Sachlage gefreut hatten, bereits eine starke emotionale Bindung aufgebaut haben, deren Abbruch zum Zweck der Schadensminderung nicht zumutbar ist.
[126] 5.6. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine Einschränkung des sich auf den künftigen Unterhaltsanspruch des Kindes beziehenden Feststellungsbegehrens dahin, dass Unterhalt nur bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit zustehe, entbehrlich ist. Der Unterhaltsanspruch erlischt ohnehin ex lege mit Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes, womit dann auch die Ersatzpflicht hiefür endet.
[127] 5.7. Das Revisionsvorbringen, wonach die Kläger in Bezug auf die geltend gemachten Fahrtkosten gegen die sie treffende Schadensminderungsobliegenheit verstoßen hätten, weil die (medizinisch notwendigen) Behandlungen und Untersuchungen des Kindes nicht nur in K*, sondern auch im näheren Umkreis des Wohnsitzes der Kläger möglich gewesen wären, stellt eine unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung dar. Gleiches gilt für die Behauptung, es wäre zu prüfen gewesen, ob die Kläger die ihnen zugesprochenen Behandlungskosten bei ihrer Versicherung oder der Österreichischen Gesundheitskasse eingereicht hätten.
[128] 5.8. Mit seinem Vorbringen, den Klägern stehe schon deshalb kein Schadenersatz von 100 % zu, weil der Verlust eines Arms selbst nach der Gliedertaxe eine Invalidität von „nur“ 70 bis 80 % und nicht von 100 % ergebe, verkennt der Beklagte, dass es hier nicht darum geht, ob eine Sache durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten einen Totalschaden (oder nur einen Schaden im Ausmaß von 70 oder 80 %) erlitten hat. Vielmehr hat er dafür einzustehen, dass er den Klägern durch sein nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechendes Vorgehen die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs genommen hat.
[129] 5.9.1. Soweit der Beklagte auf dem Standpunkt steht, den Klägern stehe (höchstens) der „Basisunterhalt“ zu, meint er damit – abweichend von der in den Entscheidungen 5 Ob 165/05h und 5 Ob 148/07m eingeführten Diktion – nicht das Gegenstück zum behinderungsbedingten Unterhaltsmehrbedarf, sondern vielmehr den einfachen Regelbedarf, also jenen Bedarf, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidung, Wohnung und zur Befriedigung der weiteren Bedürfnisse, wie etwa kulturelle und sportliche Betätigung, sonstige Freizeitgestaltung und Urlaub hat (vgl RS0047395).
[130] 5.9.2. Es kann allerdings keine Rede davon sein, dass nach der Rechtsprechung in einem Fall wie dem hier vorliegenden nur der einfache Regelbedarf – noch dazu „wegen des Gebots der Vorteilsanrechnung“ reduziert um die von den Klägern bezogene (doppelte) Familienbeihilfe, den Familienbonus Plus und das von der Erstklägerin zeitweise bezogene Kinderbetreuungsgeld – zuzusprechen wäre. Vielmehr hat sich das Erstgericht bei der Unterhaltsbemessung, worauf bereits das Berufungsgericht zutreffend verwiesen hat, im Rahmen der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung gehalten.
[131] 5.9.3. Diese Rechtsprechung dient zwar im Regelfall zur Beurteilung jener Konstellationen, in denen ein Elternteil Betreuungsleistungen erbringt, während der andere Geldunterhalt zu leisten hat. Dennoch ist es sachgerecht, die Grundsätze dieser Rechtsprechung zumindest als Orientierungshilfe auch hier heranzuziehen, weil damit eine den typischen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Bewertung der Unterhaltslast erzielt wird. Umstände dahin, dass hier bei den Klägern von einer solchen typischen Unterhaltsbelastung regelmäßig relevante Abweichungen im Sinn atypisch niedrigerer Leistungen für ihr Kind vorlägen, hat der Beklagte nie erkennbar behauptet.
[132] 5.9.4. Nach der Rechtsprechung darf zwar hohes Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht dazu führen, den Unterhaltsberechtigten über die Angemessenheitsgrenze des § 231 Abs 1 ABGB hinaus zu alimentieren, weshalb eine sogenannte Luxusgrenze eingezogen wird, die im Regelfall rund das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs beträgt (vgl RS0047447). Ob eine solche Luxusgrenze auch im Fall eines Schadenersatzanspruchs bezüglich des Unterhalts für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen zum Tragen kommen muss oder allenfalls überschritten werden könnte, ist nicht näher zu prüfen, weil das Erstgericht den Klägern – von diesen unbekämpft – nur den zweieinhalbfachen Regelbedarf zugesprochen hat.
[133] 5.9.5. Im Hinblick darauf, dass den Klägern lediglich der zweieinhalbfache Regelbedarf zugesprochen wurde, erübrigt sich auch ein näheres Eingehen auf die Frage, ob das Erstgericht zu Recht (nur) 1 % von der Bemessungsgrundlage (für die Unterhaltspflicht der Kläger gegenüber ihrem älteren Kind) in Abzug gebracht hat.
[134] 5.10. Soweit der Beklagte moniert, dass den Klägern nur Ersatz für jenen Pflegeaufwand zustehe, der über das erforderliche Ausmaß an Pflege von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern hinausgehe, übersieht er, dass den Klägern ohnedies nur der festgestellte Pflegemehrbedarf zugesprochen wurde.
[135] 6. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
[136] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00009.23D.0707.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
OAAAF-66832