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OGH 19.05.2022, 3Ob67/22g

OGH 19.05.2022, 3Ob67/22g

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1) D* H*, geboren am * 2016, wohnhaft bei ihrem Vater P* H*, und 2) S* H*, geboren am * 2018, ebendort, beide vertreten durch das Land Wien (Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung für die Bezirke 3 und 11, *), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Mutter A* A*, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 423/21y-46, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 4 Pu 105/19h-33, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Die beiden Kinder werden im Haushalt des Vaters betreut, dem auch die alleinige Obsorge zukommt. Die Mutter war bisher zu keinen Unterhaltsbeiträgen verpflichtet. Sie bezog vom bis eine Mindestsicherung in Höhe von monatlich 917 EUR; seit beträgt die Mindestsicherung monatlich 949 EUR. Seit erhält die Mutter zudem einen Behindertenzuschlag in Höhe von monatlich 170,90 EUR.

[2] Für die Mutter ist ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt, der auch im vorliegenden Unterhaltsverfahren für sie einschreitet.

[3] Die Kinder stellten den Antrag, die Mutter für die Zeit vom bis zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von je 100 EUR und ab von je 123 EUR pro Kind zu verpflichten.

[4] Die Mutter entgegnete, dass der von ihr bezogene Behindertenzuschlag bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage außer Betracht zu bleiben habe. Außerdem sei von der Bemessungsgrundlage die Entschädigung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters abzuziehen, die pro Monat durchschnittlich 83 EUR betrage.

[5] Das Erstgericht verpflichtete die Mutter zur Leistung folgender Unterhaltsbeiträge für die beiden Kinder:

- vom bis je 25 EUR

- vom bis je 40 EUR und

- ab je 123 EUR.

[6] Zur Bemessungsgrundlage gehöre die Mindestsicherung und ab auch der Behindertenzuschlag. Die Entschädigung des Erwachsenenvertreters sei bei der Unterhaltsbemessung jedoch nicht zu berücksichtigen.

[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter teilweise Folge und verpflichtete diese auch für die Zeit ab zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von lediglich 40 EUR; das Mehrbegehren wies es ab. Der Behindertenzuschlag nach § 8 Abs 5 Wiener Mindestsicherungsgesetz sei nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, weil es sich dabei um eine Zuwendung handle, die den Sonderbedarf von Personen mit Behinderung abdecken und nicht zur Unterstützung unterhaltsberechtigter Kinder diene. Die Entschädigung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters sei entgegen der Ansicht der Mutter allerdings nicht von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzuziehen. Gemäß § 137 Abs 2 AußStrG idF des 2. ErwSchG sei der gerichtliche Erwachsenenvertreter nur mehr so weit zur Entnahme der festgesetzten Entschädigung zu ermächtigen, als die betroffene Person die Zahlung ohne Beeinträchtigung ihres notwendigen Unterhalts bestreiten könne. Daraus folge, dass die Ansprüche der unterhaltsberechtigten Angehörigen der betroffenen Person den Ansprüchen des gerichtlichen Erwachsenenvertreters auf Entschädigung, Entgelt und Aufwandersatz vorgingen. Aus diesem Grund könnten diese Beträge keine Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage mehr bilden. Anderes gelte nur dann, wenn die betroffene Person tatsächlich Zahlungen an den gerichtlichen Erwachsenenvertreter geleistet habe. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil sich durch das 2. ErwSchG die Rechtslage geändert habe und das Rekursgericht von der Rechtsprechung zur früheren Rechtslage abgewichen sei.

[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter, der darauf abzielt, sie ab von der Pflicht zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen zu befreien.

[9] Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragen die beiden Kinder, dem Rechtsmittel der Mutter den Erfolg zu versagen.

[10] Der Revisionsrekurs der Mutter ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Mit dem 2. ErwSchG, BGBl I 2017/59, hat der Gesetzgeber die Entschädigung des Erwachsenenvertreters teilweise neu geregelt.

[12] 1.1 Nach § 276 Abs 1 ABGB gebührt dem gerichtlichen Erwachsenenvertreter eine jährliche Entschädigung zuzüglich der allenfalls zu entrichtenden Umsatzsteuer. Die Entschädigung beträgt fünf Prozent sämtlicher Einkünfte der vertretenen Person nach Abzug der davon zu entrichtenden Steuern und Abgaben, wobei Bezüge, die kraft besonderer gesetzlicher Anordnung zur Deckung bestimmter Aufwendungen dienen, nicht als Einkünfte zu berücksichtigen sind. Übersteigt der Wert des Vermögens der vertretenen Person 15.000 EUR, so sind darüber hinaus pro Jahr zwei Prozent des Mehrbetrags an Entschädigung zu gewähren. Unter den in § 276 Abs 2 ABGB näher bezeichneten Voraussetzungen hat das Gericht eine geringere oder höhere Entschädigung zu bemessen. Nach § 276 Abs 4 ABGB sind dem gerichtlichen Erwachsenenvertreter die zur zweckentsprechenden Ausübung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung notwendigen Barauslagen, die tatsächlichen Aufwendungen und die angemessenen Kosten einer zur Deckung der Haftung nach § 249 Abs 1 ABGB abgeschlossenen Haftpflichtversicherung zu erstatten, soweit sie nach gesetzlichen Vorschriften nicht unmittelbar von Dritten getragen werden.

[13] 1.2 § 137 AußStrG (nunmehr idF BGBl I 2018/58) enthält (ua) Regelungen über die Bestimmung und die Auszahlung der Entschädigung des gesetzlichen Vertreters. Nach § 137 Abs 2 AußStrG ist zunächst zwischen der gerichtlichen Festsetzung der Ansprüche (Satz 1) und der gerichtlichen Auszahlungsverfügung (Satz 2) zu unterscheiden. Bei der Auszahlungsverfügung kann es sich um eine Entnahmeermächtigung oder um eine Zahlungsanordnung an die vertretene Person handeln, wobei letzteres etwa dann in Betracht kommt, wenn der gesetzliche Vertreter keinen Zugriff auf das Vermögen der betroffenen Person (mehr) hat. Sowohl die gerichtliche Festsetzung als auch die gerichtliche Auszahlungsverfügung hat nur auf Antrag des gesetzlichen Vertreters zu erfolgen.

[14] 1.3 Nach der Konzeption dieser Neuregelung sollen die vermögensrechtlichen Ansprüche des gerichtlichen Erwachsenenvertreters nunmehr unabhängig von den Lebensbedürfnissen der vertretenen Person entstehen und lediglich die Entnahme bzw Zahlung durch die Rücksichtnahme auf die finanzielle Situation der vertretenen Person eingeschränkt werden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der gerichtliche Erwachsenenvertreter seine Ansprüche gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt durchsetzen kann, sollte sich die Leistungsfähigkeit der vertretenen Person etwa durch eine Erbschaft oder den Verkauf einer Liegenschaft verbessern (vgl RV 1461 BlgNR 25. GP 75).

[15] 2.1 Nach nunmehriger Rechtslage hat somit das Erwachsenenschutzgericht die Ansprüche des gerichtlichen Erwachsenenvertreters zunächst nach den Grundsätzen des § 276 ABGB – unabhängig von den Lebensbedürfnissen der vertretenen Person – festzusetzen. Erst in einem zweiten Schritt hat es den Vertreter im Rahmen der Auszahlungsverfügung insoweit zur Entnahme der Beträge aus den Einkünften oder dem Vermögen der vertretenen Person zu ermächtigen bzw die vertretene Person zur Leistung zu verpflichten, als diese die Zahlung ohne Beeinträchtigung ihres notwendigen Unterhalts (§ 63 Abs 1 ZPO) bestreiten kann (vgl Zierl/Schweighofer/Wimberger, Erwachsenenschutzrecht2 Rz 354; Barth/Ganner, Handbuch des Erwachsenenschutzrechts3 184; Weitzenböck in Deixler-Hübner/Schauer, Handbuch Erwachsenenschutzrecht Rz 9.55 ff; vgl auch Höllwerth, Das neue Entschädigungsrecht - Entschädigung, Entgelt und Aufwandersatz für Erwachsenenvertreter, iFamZ 2017, 173).

[16] 2.2 Aus dem Wortlaut des § 137 Abs 2 Satz 2 AußStrG ergibt sich klar, dass eine Auszahlung der Entschädigung erst dann zulässig ist, wenn und soweit der Unterhalt der betroffenen Person gesichert ist. Durch den ausdrücklichen Gesetzesverweis „(§ 63 Abs 1 ZPO)“ ist eindeutig klargestellt, was der Gesetzgeber unter dem notwendigen Unterhalt der betroffenen Person (arg: „ihres notwendigen Unterhalts“) zu verstehen ist. Das ist – entgegen der von der Mutter im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht – nicht nur ihr eigener Unterhalt, sondern entsprechend der verwiesenen gesetzlichen Definition des § 63 Abs 1 Satz 2 ZPO derjenige Unterhalt, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. Daraus folgt, dass bei der Auszahlungsverfügung neben dem notwendigen Unterhalt für die betroffene Person selbst auch deren Unterhaltspflichten zu berücksichtigen sind und gegebenenfalls die vom gesetzlichen Vertreter zu entnehmende bzw diesem auszuzahlende Entschädigung schmälern können. Das Erwachsenenschutzgericht muss daher bei seiner Entscheidung über die Entnahmeermächtigung oder die Zahlungsanordnung auf die Unterhaltspflichten der betroffenen Person Bedacht nehmen, indem es bereits festgesetzte Unterhaltspflichten berücksichtigt oder mangels einer Festsetzung diese selbst zumindest überschlagsmäßig ermittelt. Die Ermächtigung zur Entnahme bzw die Anordnung zur Zahlung der Entschädigung darf dann nur insoweit erfolgen, als diese nach Maßgabe der zufolge des verwiesenen § 63 Abs 1 ZPO geltenden Grundsätze, also ohne Beeinträchtigung desjenigen Unterhalts geschehen kann, „den die Partei (hier: die vertretene Person) für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt“.

[17] 3. Aus der zuvor dargestellten Rechtslage folgt die Unterhaltsbemessung:

[18] 3.1 Die Mutter hat nie behauptet, dass ihr gesetzlicher Vertreter für seine Tätigkeit im Bemessungszeitraum zur Entnahme von Beträgen ermächtigt worden oder an sie eine Zahlungsanordnung ergangen sei. Die Beachtlichkeit solcher Beträge bei der Unterhaltsbemessung ist daher hier nicht zu beurteilen.

[19] 3.2 Im Übrigen scheidet eine vorsorgliche Berücksichtigung einer präsumtiven Entschädigung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters deshalb aus, weil andernfalls der Regelung des § 137 Abs 2 AußStrG über die Auszahlungsverfügung nach Maßgabe des § 63 Abs 1 ZPO der Anwendungsbereich praktisch genommen wäre. Dieser Einschränkung bedürfte es in den typischen Anwendungsfällen nicht, wenn ohnehin schon zuvor bei der Unterhaltsbemessung die Bemessungsgrundlage – zu Lasten der gegenüber der vertretenen Person Unterhaltsberechtigten – um den vom gerichtlichen Erwachsenenvertreter angenommenen Entschädigungsbetrag gekürzt würde. Eine präsumtive (künftige) Entschädigung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters ist daher jedenfalls keine „behinderungsbedingte Mehraufwendung“ die (vorsorglich) von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzuziehen wäre.

[20] 4. Zusammenfassend folgt, dass die Entscheidung des Rekursgerichts mit den dargelegten Grundsätzen zu § 137 Abs 2 AußStrG idF des 2. ErwSchG im Einklang steht. Dem Revisionsrekurs der Mutter war daher der Erfolg zu versagen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00067.22G.0519.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-66818