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OGH 24.03.2022, 3Ob45/22x

OGH 24.03.2022, 3Ob45/22x

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* H*, Deutschland, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei H* H*, vertreten durch Dr. Wolfgang Riha, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, Räumung und 4.998 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien
als Berufungsgericht vom , GZ 39 R 197/21s-20 (Spruchpunkt I.), den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Mit den Ausführungen zum geltend gemachten Mangel des Berufungsverfahrens zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf. Das Berufungsgericht hat – auf der Basis unbedenklicher und dem Inhalt nach unstrittiger Urkunden – die Feststellungen des Erstgerichts ergänzt (zur Zulässigkeit vgl RS0121557). Dieser Vorgangsweise tritt der Beklagte in seinem Rechtsmittel nicht entgegen, sondern behauptet nur pauschal, dass das Berufungsgericht von den erstgerichtlichen Feststellungen abgewichen sei. Auch zur Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels führt der Beklagte nichts aus.

[2] 2. Der Beklagte wendet sich auch nicht gegen die vom Berufungsgericht herangezogenen Grundsätze zu den Grenzen der Verfügungsbefugnis eines Vorerben iSd § 613 ABGB im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Mietvertrags zu Lasten des Nacherben. Demnach ist der Vorerbe über die Substitutionsmasse nur insoweit verfügungsbefugt, als er nicht in die Rechte des Nacherben eingreift. Er muss daher die Substanz der Substitutionsmasse schonen und darf keine Veränderungen vornehmen, die deren Wesen umgestalten. In diesem Sinn darf er insbesondere
die wirtschaftliche Zweckbestimmung und die Bewirtschaftungsart nicht verändern. Für die Überschreitung der Grenzen der Nutzungsberechtigung des Vorerben ist maßgebend, ob die Veränderung zu einer in größerem Ausmaß gegebenen Belastung des Nacherben führt als die ursprüngliche Verwendung, was beispielsweise auch bei zusätzlichen oder weitergehenden Kündigungsbeschränkungen der Fall ist (10 Ob 85/11i und 6 Ob 54/21s jeweils mwN). So ist etwa der Fruchtgenussberechtigte nur zum Abschluss von ortsüblichen Mietverträgen berechtigt, nicht jedoch zu einer über seinen Tod weit hinausreichenden unentgeltlichen oder fast unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung (3 Ob 66/06m). Solcherart unzulässige Verfügungen des Vorerben sind ungültig. Liegt im Abschluss eines Mietvertrags eine solche unzulässige Änderung der Nutzungsmöglichkeit oder der Bewirtschaftungsart des Substitutionsgutes, so handelt es sich um einen unzulässigen und den Nacherben daher nicht bindenden Vertragsabschluss (vgl 6 Ob 54/21s; RS0012562 [T1]). Diese Beurteilung hängt typisch von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage.

[3] 3. Wie der Beklagte selbst erkennt, kommt es für die Überschreitung der Nutzungsberechtigung des Vorerben durch eine relevante Einschränkung der Vermieterrechte des Nacherben in Bezug auf die Nutzungsmöglichkeit oder die Nutzungsart des Substitutionsgutes im Vergleich zur Ausgangslage vor der beanstandeten Verfügung nicht auf eine isolierte Betrachtung der einzelnen vom Berufungsgericht herangezogenen „Faktoren“ (Dauer des Mietverhältnisses, Mietzins, Weitergaberecht), sondern auf eine gesamthafte Würdigung der relevanten Vertragsbedingungen an. Das Berufungsgericht zog als wesentliche Begründungselemente die Umstände heran, dass der Vorerbe zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags vom bereits 68 Jahre alt war und die Wohnung schon seit einigen Jahren leer stand. Ausgehend von dieser Sachlage gelangte es zum Ergebnis, dass es durch den Abschluss eines unbefristeten Mietvertrags zu einem Mietzins der Kategorie D „unbrauchbar“ und die Einräumung eines unbeschränkten Rechts zur Untervermietung (mit Verzicht auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG) aus Sicht des Nacherben zu einer völligen Entwertung der Wohnung gekommen sei, weshalb der Vorerbe nicht mehr im Rahmen seines Nutzungsrechts gehandelt habe. Mit seinen Ausführungen zu den einzelnen „Faktoren“ legt der Beklagte nicht schlüssig dar, dass das Berufungsgericht im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung von den zu § 613 ABGB entwickelten Judikaturgrundsätzen bei der Anwendung im vorliegenden Einzelfall abgewichen ist. Bei der Beurteilung der konkreten Vertragskonditionen kommt es auf die Belastungen für den Nacherben und nicht auf die Qualifikation von Verwaltungshandlungen iSd §§ 833 f ABGB an. Die Unwirksamkeit des Mietvertrags vom ergibt sich schon aus der eingeschränkten Rechtsstellung des Vorerben, weshalb es keines Rückgriffs auf die Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB bedarf.

[4] 4. Da es dem Beklagten nicht gelingt, mit seinen Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen, war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00045.22X.0324.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAF-66806