OGH 03.04.2024, 3Ob43/24f
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj L* B*, geboren am * 2020, vertreten durch ihre Mutter C* S*, vertreten durch Mag. Sybille-Maria Lindeis, Rechtsanwältin in Wien, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters M* B*, vertreten durch Dr. Lubica Stelzer Palenikova, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 322/23p-43, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Das Erstgericht übertrug die alleinige Obsorge für das Kind L* auf die Mutter und regelte die (begleiteten) Besuchskontakte des Vaters.
[2] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
[3] Mit dem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt der Vater keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[4] 1. Wenn – wie hier – nach Auflösung der Ehe oder der häuslichen Gemeinschaft der Eltern binnen angemessener Frist eine Vereinbarung nach § 179 ABGB über die Obsorge nicht zustande kommt, oder wenn ein Elternteil die Übertragung der alleinigen Obsorge oder seine Beteiligung an der Obsorge beantragt, hat das Gericht eine Obsorgeregelung zu treffen. Dabei ist gemäß § 180 Abs 1 ABGB eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung anzuordnen, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht (9 Ob 75/17w; 5 Ob 47/23g). Entgegen der Ansicht des Vaters ist eine solche Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung nicht zwingende Voraussetzung für die endgültige Entscheidung über die Obsorge (RS0128813 [T2 und T3]; RS0128812 [T9]).
[5] Die Entscheidung nach § 180 Abs 2 ABGB, welchem Elternteil die Obsorge endgültig zu übertragen ist, hat sich allein am Kindeswohl zu orientieren, und zwar ohne dass es – anders als in den hier nicht relevanten Fällen der §§ 181 f ABGB – einer Kindeswohlgefährdung bedarf, um die alleinige Obsorge anzuordnen. Für die Entscheidung, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, kommt es daher nur darauf an, welche Regelung dem Wohl des Kindes besser entspricht (RS0128812 [T13]; 5 Ob 47/23g). Dabei entspricht es der Rechtsprechung, dass eine sinnvolle Ausübung der Obsorge durch beide Eltern ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraussetzt, um gemeinsame Entscheidungen im Interesse des Kindeswohls treffen zu können (RS0128812 [T4]).
[6] Die Frage, ob die Obsorge beider Eltern dem Kindeswohl entspricht, oder welchem Elternteil die Obsorge übertragen werden soll, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RS0128812 [T15 und T19]).
[7] 2. Das Rekursgericht ist von diesen Rechtsgrundsätzen nicht abgewichen. Ausgehend von den bindenden Feststellungen hat es mit der Beurteilung, dass mangels Fähigkeit der Eltern, in den das Kind betreffenden Angelegenheiten – wie Wohnort, Kindergarten oder gesundheitlichen Fragen – gemeinsame Entscheidungen zu treffen, eine beiderseitige Obsorge nicht in Frage komme, den ihn zukommenden Entscheidungsspielraum nicht überschritten. Der Vater ignoriert nicht nur den rechtskräftigen Beschluss, mit dem die Obsorge vorläufig auf die Mutter übertragen wurde, sondern auch das bis Oktober 2023 bestehende Annäherungsverbot und das rechtskräftig angeordnete begleitete Besuchsrecht.
[8] 3. Soweit sich der Vater im Hinblick auf die von ihm mit dem Rechtsmittel vorgelegten Beilagen auf geänderte Umstände beruft, ist er auf das grundsätzlich auch im Außerstreitverfahren geltende Neuerungsverbot zu verweisen. Im Pflegschaftsverfahren sind nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetretene aktenkundige und unstrittige Entwicklungen im Interesse des Kindeswohls ausnahmsweise nur dann zu berücksichtigen, wenn die bisherige Tatsachengrundlage dadurch wesentlich verändert wird (3 Ob 7/22h).
[9] Abgesehen davon, dass neue Behauptungen im Rechtsmittel diese noch nicht zur aktenkundigen Tatsachengrundlage machen (RS0122192 [T3]), bietet der Umstand, dass das Kind auf die begleiteten Besuchskontakte durchaus positiv reagiert, keine Anhaltspunkte für eine zwischenzeitlich verbesserte Kommunikationsbasis zwischen den Eltern und eine nunmehr eingetretene Kooperationsfähigkeit. Die übrigen vom Vater vorgelegten Urkunden betreffen das Scheidungsverfahren und das vorliegende Obsorgeverfahren und lagen bereits vor der Beschlussfassung des Erstgerichts vor. Schließlich sind auch die übrigen vom Vater geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel nicht gegeben.
[10] 4. Mangels erheblicher Rechtsfrage war der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00043.24F.0403.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAF-66804