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OGH 28.02.2024, 3Ob178/23g

OGH 28.02.2024, 3Ob178/23g

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. M*, 2. D*, 3. W* und 4. G*, 5. Gü*, 6. Mi*, 7. S*, 8. Dr.*, 9. Ga*, 10. R*, 11. Sa*, 12. T*, 1.-, 3.-, 4.-, 6.-, 8.-, 9.-, 11.- und 12.-klagende Partei vertreten durch HSP Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2.-, 5.-, 7.- und 10.- klagende Partei vertreten durch Mag. Martin Gaugg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B* GmbH, *, vertreten durch Dr. Alexander Russ, Rechtsanwalt in Wien, wegen 10.300 EUR sA, 11.640 EUR sA, 9.800 EUR sA, 7.840 EUR sA, 9.800 EUR sA, 9.800 EUR sA, 6.860 EUR sA, 9.800 EUR sA, 9.800 EUR sA, 9.900 EUR sA, 11.760 EUR sA und 9.800 EUR sA, über die Revision der 2.-, 7.- und 10.-klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 50 R 120/22m-60, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 7 C 434/16y-45, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die 2.-, 7.- und 10.-klagende Partei sind jeweils anteilig schuldig, der beklagten Partei die mit insgesamt 2.491,47 EUR (darin 415,24 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen, und zwar: die 2.-klagende Partei 1.021,50 EUR (darin 170,25 EUR USt), die 7.-klagende Partei 600,45 EUR (darin 100,07 EUR USt) und die 10.-klagende Partei 869,52 EUR (darin 144,92 EUR USt).

Text

Begründung:

[1] Die Beklagte ist eine österreichische Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Sie prüfte einen von einer deutschen GmbH & Co KG („Emittentin“) erstellten Emissionsprospekt für ein in Österreich erfolgtes öffentliches Angebot zur Zeichnung von – von einer deutschen GmbH treuhändig gehaltenen – Kommanditbeteiligungen an der Emittentin und erteilte diesem am den Kontrollvermerk gemäß § 7 Kapitalmarktgesetz (KMG, BGBl Nr 625/1991; nachfolgende Zitate des KMG beziehen sich auf die damals geltende Fassung).

[2] Geschäftszweck der Emittentin war die Vergabe eines Darlehens in mehreren Tranchen gegen einen Fix- sowie einen einmaligen „Bonuszins“ an die deutsche Gesellschaft („Darlehensnehmerin“), die damit insbesondere Immobiliengeschäfte finanzieren sollte; in der konkreten Verwendung des Darlehens war die Darlehensnehmerin frei. Die Anleger traten zu näher festgestellten Zeitpunkten im Jahr 2012 mit dem Erwerb ihrer Beteiligungen der Emittentin über eine Treuhandgesellschaft bei. Im Sommer 2013 wurde über das Vermögen der Emittentin das Insolvenzverfahren eröffnet.

[3] Die Beklagte hatte rund 14 Monate zuvor bereits zwei ähnliche Prospekte („REVA“ und „Sachwerte 1“) geprüft, die von Gesellschaften ausgegeben worden waren, die zur selben Unternehmensgruppe gehörten wie die Emittentin.

[4] Die Kläger begehrten von der Beklagten den Ersatz des jeweils investierten Kapitals (einige zuzüglich Agio) abzüglich der erhaltenen Ausschüttungen. Der Emissionsprospekt sei in mehreren Punkten unrichtig bzw unvollständig gewesen; dies hätte der Beklagten auffallen müssen. Durch die Erteilung des Kontrollvermerks habe sie ihre Pflichten als Prospektkontrollorin grob schuldhaft verletzt. Die Anleger hätten die nun wertlosen Veranlagungen nicht erworben, wenn die Beklagte den Prospekt sorgfältig geprüft und keinen Kontrollvermerk erteilt hätte.

[5] Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, sie habe ordnungsgemäß geprüft und der Prospekt enthalte alle vom KMG vorgesehenen Informationen.

[6] Die Vorinstanzen wiesen sämtliche Klagebegehren ab. Die Beklagte sei nach den Feststellungen zu ihrer Vorgangsweise bei der Prospektkontrolle „nicht grob vom berufsüblichen Vorgehen abgewichen“ und insgesamt sei ihr keine grob schuldhaft fehlerhafte Prospektkontrolle vorzuwerfen. Zu 1 Ob 188/21k habe der Oberste Gerichtshof in einem dieselbe Beklagte betreffenden Schadenersatzprozess wegen deren Kontrollvermerks für die Voremission entschieden. Die Veranlagungsform sei mit der hier zu beurteilenden ident und die Kläger hätten dieselben Rechtsfragen aufgeworfen wie in dem der Entscheidung zu 1 Ob 188/21k zugrunde liegenden Fall, in dem der Kontrollvermerk der Beklagten vom datierte. Die rechtliche Beurteilung der Berufungsinstanz, nach der bei einer Gesamtbetrachtung der Vorgangsweise der Beklagten nicht von einer auffallend sorglosen Prospektprüfung auszugehen sei, habe der Oberste Gerichtshof als vertretbar angesehen.

[7] Das Berufsgericht ließ die Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass das Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung vom zu 1 R 85/20g über den selben Sachverhalt abweichend entschieden und eine grobe Sorgfaltswidrigkeit der Beklagten als Prospektkontrollorin angenommen habe. Die uneinheitliche zweitinstanzliche Rechtsprechung zu den aufgeworfenen Fragen könne eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung aufwerfen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die nur vom 2.- und 7.-Kläger sowie von der 10.-Klägerin erhobene Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

[9] 1.1 Unterschiedliche Entscheidungen zweier oder mehrerer Rechtsmittelsenate desselben Gerichtshofs auf der Ebene der Landes- und Oberlandesgerichte über identische Sachverhalte, die Ausdruck eines Wertungsspielraums nach höchstgerichtlichen Leitlinien sind, werfen für sich betrachtet keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0116241).

[10] 1.2 Die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und begründet regelmäßig keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0110837).

[11] 1.3 Die zur Prüftätigkeit der Beklagten für die hier gegenständlichen Kommanditbeteiligungen festgestellte Vorgangsweise ist nahezu identisch mit der dem etwas mehr als ein Jahr zuvor geprüften Vorgängerprospekt. Auch im vorliegenden Fall ist – ebenso wie in dem der Entscheidung 1 Ob 188/21k zugrundeliegenden Sachverhalt – die Beurteilung des Berufsgerichts nicht korrekturbedürftig. Ebenso hat zuletzt nun der zehnte Senat in einem Parallelverfahren zu 10 Ob 23/23i (betreffend die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien zu 2 R 54/22h) entschieden.

[12] 2.1 Der Prospektkontrollor haftet grundsätzlich nicht für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts, sondern für erfolgte unrichtige oder unvollständige Kontrollen, sofern sie auf eigenem groben Verschulden bzw grobem Verschulden seiner Leute oder sonstiger Personen beruhen, die zur Prospektkontrolle herangezogen wurden (RS0107352 [T5, T15]). Dem entsprechend beschränkte § 11 Abs 1 Z 2a KMG 1991 die Haftung des Kontrollors von Prospekten für Veranlagungen auf eigenes grobes Verschulden oder grobes Verschulden seiner Leute oder sonstiger Personen, deren Tätigkeit zur Prospektkontrolle herangezogen wurde.

[13] 2.2 Grobe Fahrlässigkeit ist bei schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzungen (RS0030303 [T2, T3]) bzw bei außergewöhnlicher und auffallender Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht gegeben (RS0030644). Die Beurteilung des Verschuldensgrades hat jeweils aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu erfolgen und begründet typischerweise keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0087606; RS0089215 [T1]).

[14] 2.3 In ihrer Revision sehen die Kläger die entscheidende Fehlbeurteilung der Beklagten bei ihrer Prüftätigkeit darin, dass sie die Voraussetzungen für die Anwendung des Schemas D bei der Erstellung des Prospekts und seiner Prüfung verneinte und dem Prospekt daher die nach § 14 Z 1 KMG notwendigen ergänzenden Angaben gefehlt hätten.

[15] 3.1 Der Oberste Gerichtshof hat sich – wie erwähnt – in der Entscheidung 1 Ob 188/21k ausführlich mit dem Prospekt zum vergleichbaren Vorgänger-Fonds („Sachwerte 1“) befasst, dem die Beklagte ebenfalls den Kontrollvermerk erteilte. Er kam dabei zum Ergebnis, dass es nicht grob unvertretbar war, dass die Beklagte mangels eines klaren Gesetzeswortlauts, damals fehlender Rechtsprechung, Literatur und „Fachgutachten“ der Berufsvereinigung der Beklagten sowie aufgrund der Auskunft eines Rechtsanwalts (wonach „es dazu nichts gebe“) von keiner Veranlagungsgemeinschaft in Immobilien im Sinn des § 14 KMG ausging und Prospektangaben gemäß Schema D KMG für nicht erforderlich hielt (Rz 10 ff).

[16] 3.1.1 Diese Überlegungen gelten auch hier und das Berufungsgericht konnte daher seine Begründung auf die Entscheidung 1 Ob 188/21k stützen. Dass die Beklagte bei der Erteilung des Kontrollvermerks zwischenzeitig über neue Erkenntnisse zur Abgrenzung der beiden Schemata verfügt hätte oder verfügen hätte können, behaupten die Kläger selbst nicht. Wenn es das Berufungsgericht daher auch hier als nicht grob unvertretbar ansah, dass die Beklagte die Rechtslage auf Neuerungen (im Vergleich zum Vorgängerprospekt) prüfte und auf Basis der erhaltenen Auskünfte auch bei dieser Emission von keiner Veranlagungsgemeinschaft in Immobilien im Sinn des § 14 KMG ausging, so liegt darin keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[17] 3.1.2 Dass die Beklagte nicht verpflichtet war, eine – gar nicht bindende – Auskunft der FMA einzuholen, hat der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits zu 1 Ob 188/21k (Rz 15) klargestellt. Eine Rechtsgrundlage, auf die sich ihre gegenteilige Ansicht stützen könnte, nennen die Kläger nicht.

[18] 3.1.3 Soweit die Kläger zum groben Verschulden der Beklagten auf anderslautende zweitinstanzliche Entscheidungen verweisen, vermag auch das die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen. Abgesehen davon, dass § 502 Abs 1 ZPO nur auf höchstgerichtliche Rechtsprechung abstellt (RS0042985 [T3]; 2 Ob 181/14b), sind diese vor der Entscheidung 1 Ob 188/21k ergangen.

[19] 3.2 Die Ansicht, die Beklagte hafte nicht nur als Prospektkontrollor (§ 11 Abs 1 Z 2a KMG), sondern überdies als (Gehilfin der) Prospekterstellerin (§ 11 Abs 1 Z 1 KMG), weil sie auch die der eigentlichen Kontrolle vorgelagerte Prüfung des anzuwendenden Schemas übernommenen habe, setzt sich nicht mit der – wörtlich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien zu 2 R 54/22h übernommenen – Beurteilung des Berufungsgerichts auseinander, wonach die Beklagte nach den Feststellungen nur mit der Kontrolle, nicht aber mit der Erstellung (Verfassung) des Prospekts beauftragt war. Warum diese einzelfallbezogene Auslegung der erstgerichtlichen Feststellungen durch das Berufungsgericht unvertretbar sein sollte (vgl RS0118891 [insb T4, T10]), legen die Kläger nicht dar.

[20] 4. Zwar können mehrere, für sich betrachtet leichte Sorgfaltsverstöße aufgrund ihrer Häufung ein grobes Verschulden begründen, sofern sie in ihrer Gesamtheit als den Regelfall weit übersteigende Sorglosigkeit anzusehen sind (vgl RS0030372; RS0129403). Auch diese Beurteilung kann aber nur einzelfallbezogen erfolgen und reicht somit in ihrer Bedeutung nicht über den jeweiligen Rechtsstreit hinaus (vgl RS0030372 [T3]; 3 Ob 73/15d). Dass sich die Entscheidung des Berufungsgerichts außerhalb des von der Rechtsprechung gezogenen Rahmens bewegen würde, zeigen die Kläger nicht auf: Der Ansicht, bei gewissenhafter Prüfung hätte die Beklagte erkennen können und müssen, dass die Vergabe des Darlehens konzessionspflichtig gewesen sei, weil dessen Abwicklung eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs bedurft hätte, steht entgegen, dass nach den Feststellungen die dazu erhaltenen anderslautenden Informationen (auch) für einen sorgfältigen Prüfer konsistent gewesen wären. Die Beklagte konnte im Zeitpunkt ihrer Prüftätigkeit davon ausgehen, dass die Emittentin keine (deutsche) Bankkonzession benötigte.

[21] 5. Insgesamt sprechen die Kläger daher weder eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO an, noch liegen die behaupteten, bereits vom Berufungsgericht zutreffend verneinten rechtlichen Feststellungsmängel vor. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[22] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (vgl RS0112296). Die Kläger schulden den Kostenersatz nur entsprechend ihrem Anteil am Gesamtstreitwert (vgl RS0035949 [T2]).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00178.23G.0228.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAF-66758