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OGH 11.10.2024, 3Ob130/24z

OGH 11.10.2024, 3Ob130/24z

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr (Vorsitzende), den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätin Dr. Kodek, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Fitz in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen I* K*, geboren am * 1935, verstorben am * 2023, zuletzt wohnhaft in *, hier wegen Akteneinsicht, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin und Erbin K* S*, vertreten durch Schneider & Schneider Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 141/24k-224, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 19 P 58/14m-218, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Antragstellerin Akteneinsicht in den Erwachsenenschutzakt der verstorbenen Betroffenen zu deren psychischen Gesundheitszustand hinsichtlich folgender Aktenbestandteile bewilligt wird:

- Neurologisch-psychiatrisches Gutachten der Sachverständigen Dr. A* vom , ON 62;

- medizinische Befundunterlagen gemäß Beilagenkonvolut zu ON 158.

Das darüber hinausgehende Mehrbegehren der Antragstellerin wird abgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Antragstellerin ist die Nichte der am verstorbenen Betroffenen, für die – nach einer Verfahrens- und einstweiligen Sachwalterschaft ab – am ein Sachwalter (später gerichtlicher Erwachsenenvertreter) für diverse Angelegenheiten (unter anderem Rechtsvertretung bei Rechtsgeschäften) bestellt wurde. Mit rechtskräftigem Einantwortungsbeschluss vom wurde der Nachlass der Betroffenen zur Gänze der Antragstellerin eingeantwortet, die aufgrund des Gesetzes die unbedingte Erbantrittserklärung abgegeben hatte.

[2] Am begehrte die Antragstellerin, ihr Einsicht in den gesamten Pflegschaftsakt zu gewähren. Nach dem Tod der Betroffenen sei ein bei einem Notar hinterlegtes „vorläufiges Testament“ aufgefunden worden, das die Vermögensverteilung in Form von Legaten regle. Darin werde festgehalten, wem das unbewegliche Vermögen der Betroffenen nach deren Tod zukommen soll; zudem enthalte das Testament ein Sach- sowie ein Geldlegat. Aus einem eingeholten Schriftgutachten ergebe sich, dass das Testament aufgrund unterschiedlicher Schriftmerkmale nicht in einem Zuge verfasst worden sei. Insbesondere sei davon auszugehen, dass die Unterschriftsleistung und die Datierung (mit ) zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt als die Erstellung des Textes erfolgt sei. Eine Streichung samt Unterschrift in der Mitte des Testaments sei im September 2023 angebracht worden. Die Unterschrift unter dem Testament, mit der dieses Gültigkeit erlangt habe, sei nach dem Gutachten wesentlich später als Herbst 2023 geleistet worden. Offensichtlich solle der Zeitpunkt der Unterschriftsleistung verschleiert werden. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistung nicht mehr testierfähig gewesen sei, zumal die Sachwalterschaft längst bestanden habe. Um Aufschluss über die Testierfähigkeit der Betroffenen zu erlangen sowie den Verdacht möglicher ungewollter Vermögensminderungen zu verifizieren und erforderliche Informationen für eine allfällige Erbschaftsklage zu erhalten, werde die Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt, insbesondere in die gesundheitsrelevanten Aktenbestandteile beantragt. Es habe bereits außergerichtliche Einigungsversuche zwischen einigen „Legataren“ und der Antragstellerin gegeben, die allerdings erfolglos verlaufen seien. Der Antragstellerin sei mittlerweile auch eine Klage angedroht worden.

[3] Das Erstgericht bewilligte den Antrag, soweit sich dieser auf die Aktenbestandteile zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen bezieht. Im Übrigen, soweit die Akteneinsicht auch für Aktenbestandteile zum Gesundheitszustand der Betroffenen begehrt wird, wurde der Antrag abgewiesen. Die Antragstellerin hätte schon im Antrag konkrete Hinweise darlegen müssen, warum der wahre Wille der Betroffenen nicht dem Testament entspreche. Die behauptete zeitliche Divergenz zwischen der Verfassung des Testaments und der Unterschriftsleistung lasse noch keinen Rückschluss auf einen vom Inhalt des Testaments abweichenden Willen der verstorbenen Betroffenen zu.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Antragstellerin hätte darlegen müssen, warum die von ihr zu benennenden Aktenbestandteile geeignet seien, dem wahren Willen der verstorbenen Betroffenen zum Durchbruch zu verhelfen. Konkrete Anhaltspunkte für einen abweichenden wahren Willen der Betroffenen habe sie aber nicht genannt. Insbesondere habe sie nicht dargelegt, welchen vom Testament abweichenden wahren Willen, dessen Durchsetzung die Akteneinsicht diene, die Betroffene ihrer Ansicht nach gehabt habe. Dazu habe die Antragstellerin nicht einmal Vermutungen geäußert. Mangels konkreten Vorbringens sei die Notwendigkeit, dem wahren Willen der Betroffenen zum Durchbruch zu verhelfen, nicht ersichtlich. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und teilweise auch berechtigt.

[6] 1. Der Senat hat sich in der Entscheidung zu 3 Ob 87/21x mit dem Recht auf Akteneinsicht in gesundheitsbezogene Aktenbestandteile des verstorbenen Betroffenen, für den zuvor ein Erwachsenenvertreter bestellt war, nach § 141 Abs 1 AußStrG idF des 2. ErwSchG, BGBl I 2017/59, unter Bezugnahme vor allem auf die Gesetzesmaterialien sowie auf die bisherige Rechtsprechung und die einschlägigen (uneinheitlichen) Literaturmeinungen grundlegend auseinandergesetzt. Dabei gelangte der Senat zum Ergebnis, dass sich der Gesetzgeber mit der neuen Regelung in § 141 Abs 1 AußStrG zum Ziel gesetzt hat, das Recht auf Akteneinsicht bestimmter Personen, die eine enge Nahebeziehung zum verstorbenen Betroffenen aufgewiesen haben (Erben und erbantrittserklärte Personen), in Bezug auf gesundheitsbezogene Informationen der betroffenen Person auszudehnen, um deren wahren (unbeeinflussten) Willen auch nach dem Tod zum Durchbruch zu verhelfen. Eine Einschränkung auf den Erbrechtsstreit oder die Frage der Testierfähigkeit lasse sich weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien ableiten. Im Sinn der Entscheidung zu 4 Ob 238/17d sei Erben oder erbantrittserklärten Personen auch dann Einsicht in jene Aktenbestandteile zu gewähren, die sich auf den geistigen Gesundheitszustand des verstorbenen Betroffenen beziehen, wenn sie in einem gerichtlichen Verfahren aufzeigen wollen, dass vermögensmindernde Handlungen der betroffenen Person nicht ihrem wahren Willen entsprochen haben. In formeller Hinsicht muss der Antragsteller darlegen, warum die von ihm zu benennenden Aktenbestandteile – der Art nach – geeignet sind, dem wahren Willen des verstorbenen Betroffenen zum Durchbruch zu verhelfen (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 141 Rz 30). Dazu genügt es, wenn sich aus dem Vorbringen ergibt, welche gesundheitsbezogenen Informationen – der Art nach – von Interesse sind und warum diese für den Antragsteller zur Erforschung oder Durchsetzung des wahren Willens des verstorbenen Betroffenen erheblich sind.

[7] Schoditsch (Zum Einsichtsrecht des Erben in den Erwachsenenschutzakt, EF-Z 2022/6, 18) vertritt dazu die Ansicht, dass der Wortlaut des § 141 Abs 1 AußStrG für ein enges Normverständnis spreche und unter dem Begriff „letzter Wille“ nur das Testament verstanden werden könne. Diese Formulierung umfasse daher jedenfalls Zweifelsfragen hinsichtlich der Testierfähigkeit des Betroffenen. Das (aus der Entscheidung zu 4 Ob 238/17d hervorgehende) Kriterium der Vermögensverschleuderung sei nicht besonders praktikabel, weshalb die Beurteilung, ob im Einzelfall eine erweiterte Akteneinsicht geboten sei, durch Abwägung der kollidierenden Interessen des Betroffenen, nämlich des Schutzes seiner Persönlichkeitsrechte einerseits und des Schutzes seiner konkreten vermögensrechtlichen Situation andererseits, erfolgen könnte.

[8] 2.1 Die Entscheidung des Rekursgerichts fußt auf der Beurteilung, dass die Antragstellerin kein ausreichendes Vorbringen zu Zweifeln an der Echtheit (gemeint Gültigkeit) des Testaments und einem abweichenden wahren Willen der verstorbenen Betroffenen erstattet habe.

[9] 2.2 Dem kann nicht gefolgt werden.

[10] Die Antragstellerin geht aufgrund eines von ihr eingeholten Schriftgutachtens davon aus, dass die Unterfertigung des Testaments durch die Betroffene erst nach Verfassung des Textes sowie einer späteren Streichung (im September 2013) und damit erst nach Eröffnung der Sachwalterschaft erfolgte. Damit äußerte sie Zweifel daran, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Unterfertigung des Testaments noch testierfähig und das Testament daher gültig war. Aus dem Antrag ergibt sich auch, dass durch die Einsicht in die gesundheitsbezogenen Aktenbestandteile Rückschlüsse auf den Geisteszustand und damit die Testierfähigkeit der Betroffenen gewonnen werden sollen. Zudem hat sie die Aktenstücke, aus denen sich entsprechende Erkenntnisse erwarten lassen und die zur Überprüfung geeignet sind, ob die vermögensrechtlichen Verfügungen vor allem in der Form von Legaten tatsächlich dem letzten Willen der Betroffenen entsprochen haben, ihrer Art nach benannt. Schließlich hat sie auch ausreichend erkennbar die Befürchtung geäußert, dass die erwähnten Verfügungen von der Betroffenen in Wirklichkeit nicht gewollt waren.

[11] Damit hat die Antragstellerin ausreichend deutlich dargelegt, zu welchem Zweck die Einsicht in welche Art von gesundheitsbezogenen Aktenbestandteilen erfolgen soll und dass auf diese Weise der wahre Wille der Betroffenen überprüft bzw erforscht und damit letztlich durchgesetzt werden soll. Dadurch hat sie den Anforderungen an das Vorbringen im Antrag auf Akteneinsicht, die nicht überzogen werden dürfen, entsprochen.

[12] 3.1 Die von der Antragstellerin begehrte Akteneinsicht in sich auf den psychischen Gesundheitszustand der verstorbenen Betroffenen beziehende Aktenbestandteile zur Überprüfung von Zweifeln an der Testierfähigkeit und somit zur Gewinnung von Rückschlüssen betreffend die Gültigkeit des „vorläufigen Testaments“ sowie zur Aufklärung allfälliger ungewollter Vermögensverfügungen ist von § 141 Abs 1 AußStrG jedenfalls gedeckt.

[13] Dies gilt jedoch nicht für die Einsicht in andere gesundheitsbezogene Aktenbestandteile, die keinen erkennbaren Bezug zum Geisteszustand der Betroffenen aufweisen, wie das Urkundenkonvolut zu ON 178 (Verdacht auf Darmkarzinom). Für die von der Antragstellerin begehrte Einsicht in den gesamten Erwachsenenschutzakt der verstorbenen Betroffenen besteht keine Rechtsgrundlage.

[14] 3.2 Damit hält die Entscheidung des Rekursgerichts der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht Stand.

[15] In Stattgebung des Revisionsrekurses war die angefochtene Entscheidung abzuändern und der Antragstellerin die beantragte Akteneinsicht zum psychischen Gesundheitszustand der verstorbenen Betroffenen auch hinsichtlich der im Spruch genannten Aktenbestandteile zu bewilligen. Das Mehrbegehren war hingegen abzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00130.24Z.1011.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
VAAAF-66740