Suchen Hilfe
OGH 29.09.2022, 3Ob126/22h

OGH 29.09.2022, 3Ob126/22h

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm
EuGVVO 2012 Art24 Nr5
RS0134133
Art 24 Nr 5 EuGVVO 2012 erfasst lediglich Verfahren aus Anlass einer Zwangsvollstreckung, nicht aber auch die eigentlichen Vollstreckungsverfahren selbst.
Norm
EuGVVO 2012 Art55
RS0134134
Art 55 EuGVVO 2012 entfaltet demnach keine Sperrwirkung und begründet keine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats für die Verhängung von Zwangsgeldern.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei C*, vertreten durch Dr. Marcella Prunbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die verpflichtete Partei P* GmbH, *, vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek, Dr. David Plasser, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwirkung einer unvertretbaren Handlung (§ 354 EO), über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 22 R 86/22h-5, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom , GZ 3 E 623/22k-2, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die erstgerichtliche Exekutionsbewilligung einschließlich ihrer Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die Kosten der betreibenden Partei für den Revisionsrekurs werden mit 1.732,54 EUR (hierin enthalten 222,09 EUR USt und 400 EUR Barauslagen) als weitere Exekutionskosten bestimmt.

Text

Begründung:

[1] Mit vollstreckbarem Urteil des Landgerichts Köln vom wurde die Verpflichtete schuldig erkannt, 1.) es bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Schuhe mit einem näher umschriebenen Logo zu kennzeichnen, in Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben und/oder derartige Handlungen durch Dritte begehen zu lassen, und 2.) dem Betreibenden darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die in Punkt 1.) des Urteils bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe in Einzelnem beschriebener Umstände.

[2] Das Erstgericht bewilligte dem Betreibenden aufgrund dieses Titels antragsgemäß die Exekution gemäß § 354 EO zur Erwirkung der in Punkt 2.) des Urteils beschriebenen Handlung, nämlich der (näher umschriebenen) Auskunftserteilung binnen zwei Monaten ab Zustellung. Für den Fall der Saumsal drohte das Erstgericht der Verpflichteten als erste Beugestrafe eine Geldstrafe von 2.000 EUR an. Weiters bewilligte es dem Betreibenden zur Hereinbringung der Kosten des Exekutionsantrags in Höhe von 810,26 EUR die Fahrnisexekution.

[3] Das Rekursgericht wies infolge Rekurses des Verpflichteten den Exekutionsantrag zurück. Dieser weise zutreffend darauf hin, dass wegen der Anhängigkeit eines Exekutionsverfahrens in Deutschland der ausschließliche Gerichtsstand nach Art 24 Nr 5 EuGVVO 2012 zur Anwendung komme, weil der Betreibende bereits am beim Landgericht Köln ein Zwangsvollstreckungsverfahren wegen unvollständiger Erfüllung des auch hier gegenständlichen Auskunftsanspruchs eingeleitet habe, in das sich die Verpflichtete rügelos eingelassen habe. Bereits vor Einbringung des Exekutionsantrags in Österreich habe das Landgericht Köln mit Beschluss vom über die Verpflichtete ein (nicht rechtskräftiges) Zwangsgeld in Höhe von 5.000 EUR wegen Nichterfüllung der Auskunftspflicht verhängt. Art 24 Nr 5 EuGVVO 2012 normiere für Verfahren, die die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen eines Vertragsstaats (hier: Deutschland) zum Gegenstand hätten, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden solle oder durchgeführt worden sei. Seien die Gerichte eines Mitgliedstaats nach Art 24 EuGVVO 2012 ausschließlich zuständig, verdränge diese Zuständigkeit sowohl die Zuständigkeit der Gerichte im (Wohn-)Sitzstaat des Beklagten bzw Antragsgegners als auch die besonderen Zuständigkeiten nach Art 7 ff EuGVVO 2012. Unzulässig seien sowohl unmittelbare als auch mittelbare Eingriffe der Gerichte eines Mitgliedstaats in ein Zwangsvollstreckungsverfahren eines anderen Mitgliedstaats. Würde man hier die Exekution nach § 354 EO bewilligen, bedeutete dies jedenfalls einen mittelbaren Eingriff in das in Deutschland bereits anhängige Zwangsvollstreckungsverfahren. Im Fall einer Doppelvollstreckung im Urteilsstaat Deutschland und in Österreich bestünde nämlich nicht bloß die Gefahr einer doppelten Verhängung von Zwangsmitteln, also einer Doppelbestrafung, die auch dem Grundsatz „ne bis in idem“ widerspräche, sondern auch von widersprüchlichen Entscheidungen. Die deutschen Gerichte könnten etwa zum Ergebnis gelangen, dass die Auskunftspflicht ordnungsgemäß erfüllt worden sei, während die österreichischen Gerichte das Gegenteil annehmen könnten. In diesem Fall würden aber die österreichischen Gerichte im Ergebnis in Deutschland gesetzte Hoheitsakte (Vollstreckungsmaßnahmen) überprüfen und – bei Verhängung weiterer Geldstrafen – faktisch sogar abändern. Das Exekutionsverfahren in Österreich würde daher zwangsläufig in die korrekte Abwicklung der zwangsweisen Herstellung des rechtmäßigen Zustands in Deutschland eingreifen. Nach der Intention des Verordnungsgebers solle es allein Sache der Gerichte jenes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werde, sein, seine eigenen Vollstreckungsorgane und seine eigenen Vollstreckungsverfahren zu kontrollieren. Da dem Exekutionsantrag somit die ausschließliche Zuständigkeit nach Art 24 Nr 5 EuGVVO 2012 entgegen stehe, fehle es an der Exekutionsvoraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit, weshalb der Exekutionsantrag zurückzuweisen sei.

[4] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, wie vorzugehen sei, wenn der Gläubiger die ihm an sich wahlweise zustehenden Anträge auf Festsetzung eines Zwangsgelds im Urteilsstaats und auf Vollstreckung des Titels auf Durchsetzung einer unvertretbaren Handlung im Zweitstaat nach dessen Vorschriften (hier nach § 354 EO) kumuliere.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Revisionsrekurs des Betreibenden ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

[6] 1. Gemäß Art 24 Nr 5 EuGVVO 2012 sind für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien die Gerichte des Mitgliedstaats ausschließlich zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.

[7] 2. Diese ausschließliche Zuständigkeit trägt vor allem den Souveränitätsinteressen der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung. Vollstreckungsmaßnahmen sind Hoheitsakte. Ihre Überprüfung und eventuelle Aufhebung oder Abänderung mit Wirkung für den Vollstreckungsstaat kann bereits nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht nur von den Gerichten des Staats vorgenommen werden, auf dessen Gebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird oder durchgeführt werden soll. Ein weiterer Grund für diese Regelung ist die Rechtsnähe (vgl Simotta in Fasching/Konecny2 Art 22 EuGVVO 2001 Rz 157 mwN).

[8] 3. Der Begriff „Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung betreffen“ ist unionsrechtlich autonom auszulegen. Darunter sind Verfahren zu verstehen, die sich aus der „Inanspruchnahme von Zwangsmitteln, insbesondere bei der Herausgabe oder Pfändung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen im Hinblick auf die Vollstreckung von Entscheidungen oder Urkunden“ ergeben; danach fallen „Streitigkeiten, die sich bei diesen Verfahren ergeben, [...] unter die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts des Vollstreckungsortes“. Es muss sich daher immer um Verfahren handeln, die die Zwangsvollstreckung unmittelbar zum Gegenstand haben. Klagen, die nur mittelbar damit zu tun haben, fallen nicht darunter (vgl 4 Ob 7/02m mwN [zur inhaltsgleichen Bestimmung des Art 16 Nr 5 EuGVÜ] = RS0116286; vgl auch Simotta in Fasching/Konecny2 Art 22 EuGVVO 2001 Rz 159 f mwN). Unter Art 24 Nr 5 EuGVVO 2012 fällt demnach etwa die in Österreich begehrte Einstellung eines in Slowenien anhängigen Vollstreckungsverfahrens wegen behaupteter Zahlung (vgl 10 Ob 73/15f = RS0130429) oder eine Oppositionsklage mit der Begründung, der betriebene Anspruch sei infolge Zahlung erloschen (vgl 3 Ob 12/10a = RS0125813).

[9] 4. Art 24 Nr 5 EuGVVO 2012 erfasst lediglich Verfahren aus Anlass einer Zwangsvollstreckung, nicht aber auch die eigentlichen Vollstreckungsverfahren selbst (vgl Gottwald in MünchKomm ZPO6 Art 24 EuGVVO Rz 47 mwN; Vossler in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO46 Art 24 EuGVVO Rz 35 mwN; 35 Mankowski in Rauscher, EuZPR5 Art 24 EuGVVO Rz 206 mwN; Dörner in Saenger, Zivilprozessordnung9 Art 24 EuGVVO Rz 28; aA allenfalls Simotta in Fasching/Konecny2 Art 22 EuGVVO 2001 Rz 161). Diese Auslegung ergibt sich letztlich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung. Wollte man darunter auch das Exekutionsverfahren selbst subsumieren, wäre für jeden Exekutionsantrag jenes Gericht ausschließlich zuständig, bei dem die Exekution (…) „durchgeführt werden soll“, also bei jenem, an das der Betreibende seinen Antrag stellt, ohne dass es dafür irgendeiner Nahebeziehung zu einer der Parteien oder zur Sache bedürfte. Dies ginge über den Regelungszweck der Bestimmung hinaus (vgl EuGH C-261/90, Reichert und Kockler). Art 24 Nr 5 EuGVVO 2012 bestimmt also nicht, in welchem Staat die Zwangsvollstreckung eingeleitet werden darf und er schließt auch Zwangsvollstreckungsverfahren in mehreren Mitgliedstaaten nicht aus (vgl Geroldinger in Burgstaller/Neumayr, IZVR Art 12 EuGVO Rz 146).

[10] 5. Der Auffassung des Rekursgerichts, wonach die Bewilligung der Exekution nach § 354 EO – für den (bisher rein theoretischen) Fall einer unterschiedlichen Beurteilung, ob die Auskunftserteilung ausreichend ist, durch die deutschen und die österreichischen Gerichte – einen mittelbaren Eingriff in das in Deutschland anhängige Zwangsvollstreckungsverfahren darstellen könnte, ist zu erwidern, dass die allenfalls abweichende Beurteilung durch die österreichischen Gerichte, also das Vorliegen divergierender Entscheidungen, für sich noch keinen (auch nur mittelbaren) Eingriff in das deutsche Verfahren bedeutet.

[11] 6. Gemäß Art 55 EuGVVO 2012 sind in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidungen, die auf Zahlung eines Zwangsgeldes lauten, im ersuchten Mitgliedstaat nur vollstreckbar, wenn die Höhe des Zwangsgeldes durch das Ursprungsgericht endgültig festgesetzt ist. Aus dieser Bestimmung ist für die hier zu beurteilende Konstellation – die Erwirkung eines Zwangsgeldes in Deutschland (durch das Ursprungsgericht) und parallel dazu die Einleitung eines Exekutionsverfahrens nach § 354 EO zur Erwirkung der im Titel angeordneten unvertretbaren Handlung in Österreich – nichts unmittelbar zu gewinnen. Art 55 EuGVVO 2012 betrifft den Fall, dass eine ausländische Entscheidung auf die Zahlung eines Zwangsgeldes lautet und diese Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat vollstreckt werden soll. Diese Bestimmung schließt es daher nicht aus, dass neben der Verhängung eines Zwangsgeldes im Ursprungsmitgliedstaat (hier: durch das deutsche Gericht) die Möglichkeit der Erzwingung unvertretbarer Handlungen in einem anderen Mitgliedstaat (hier: durch das österreichische Gericht) besteht, sodass der Schuldner allenfalls zwei Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt sein kann. Art 55 EuGVVO 2012 entfaltet demnach keine Sperrwirkung und begründet keine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats für die Verhängung von Zwangsgeldern.

[12] 7. Im Schrifttum wird zu dieser Konstellation teilweise die Auffassung vertreten, dass bei der Verhängung von Zwangsgeldern in zwei Mitgliedstaaten unverhältnismäßige Sanktionen vermieden werden müssten und daher in einem Mitgliedstaat bereits bezahlte oder eingetriebene Zwangsgelder im anderen Mitgliedstaat zu berücksichtigen seien (vgl Mankowski in Rauscher, EuZPR5 Art 55 EuGVVO Rz 20 und 22 je mwN). Diese Frage muss hier allerdings nicht geklärt werden, weil die vom Erstgericht bisher angedrohte Geldstrafe von (bloß) 2.000 EUR selbst unter Berücksichtigung des vom deutschen Gericht verhängten Zwangsgeldes von 5.000 EUR keinesfalls unverhältnismäßig wäre.

[13] 8. Der Revisionsrekurs erweist sich somit als berechtigt, sodass der erstgerichtliche Beschluss wiederherzustellen ist.

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 EO.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00126.22H.0929.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAF-66736