OGH 03.07.2024, 3Ob113/24z
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G* W*, vertreten durch Dr. Christian Puchner und Mag. Martin Streitmayer, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei L* AG, *, Schweiz, vertreten durch Stadler Völkel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 78.300 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 44/24v-28, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und erkannte die Beklagte mit Teilurteil schuldig, dem Kläger 64.300 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe der aufgrund der Verträge vom und an ihn ausgehändigten Baumurkunden zu zahlen. Im Übrigen (Abweisung von 14.000 EUR sA) hob es das Urteil des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Rechtliche Beurteilung
[2] Der den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende (Teil-)Zuspruch bezieht sich auf die „Kauf und Dienstleistungsverträge“ vom (über 32.300 EUR) und vom (über 32.000 EUR).
[3] 1.1 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass bei Anwendbarkeit des § 3 Abs 1 KSchG idFd ZivRÄG 2004 der mit Schreiben des Klägers vom erklärte Vertragsrücktritt berechtigt erfolgte, wird in der Revision nicht grundsätzlich bestritten. Die Beklagte steht aber auf dem Standpunkt, dass die genannte Bestimmung nicht anzuwenden sei, weil
- der Ausnahmetatbestand des Art 6 Abs 4 lit c Rom I-VO erfüllt sei,
- § 3 Abs 1 leg cit im Sinn der Entscheidung des EuGH zu C-412/06, Hamilton, überschießend sei und insoweit unangewendet bleiben müsse und
- diese Bestimmung im Lichte der Entscheidung C-412/06, Hamilton, nicht als zwingende Bestimmung des Verbraucherrechts nach Art 6 Abs 2 Rom I-VO angesehen werden dürfe.
[4] 1.2 Damit zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[5] 2.1 Nicht strittig ist, dass das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten in den Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 lit b Rom I-VO fällt. Damit wäre auf die genannten Verträge österreichisches Sachrecht (Verbraucherstatut) anzuwenden. Die Parteien haben aber (mittels AGB der Beklagten) die Anwendung schweizerischen Rechts vereinbart. Nach Art 6 Abs 2 Rom I-VO darf diese Rechtswahl allerdings nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Verbraucherschutzbestimmungen nach dem Verbraucherstatut gewährt wird (vgl EuGH C-272/18, VKI, EvBl [EuGH] 2019/132, 1103 [Brenn]).
[6] 2.2 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn einer der Ausnahmetatbestände nach Art 6 Abs 4 lit c Rom I-VO erfüllt ist.
[7] Aus der Entscheidung des EuGH zu C-595/20, ShareWood Switzerland, die einen ähnlichen Sachverhalt betrifft, ergibt sich unmissverständlich, dass „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben“ nur solche sind, die die Übertragung (Begründung, Auflösung, Änderung) dinglicher Rechte an Grundstücken betreffen oder schuldrechtliche Ansprüche begründen, die das Eigentumsrecht oder andere dingliche Rechte an Grundstücken beeinträchtigen (Rn 26 und 28).
[8] Die hier zu beurteilenden Verträge beziehen sich nur auf den „Teak-Baumbestand einer definierten Plantagenfläche“ und berühren das Grundstückseigentum nicht. Vielmehr heißt es in Pkt 1.2.3 der AGB aus Juli 2010 ausdrücklich, dass der Kunde durch den Kauf der Teak-Bäume keinerlei Rechte oder Ansprüche am Grund und Boden, auf welchem die Bäume gepflanzt werden, erwirbt.
[9] Der genannte Ausnahmetatbestand ist daher nicht erfüllt. Die Ansicht der Beklagten, dass der hier vorliegende Sachverhalt mit jenem, der der zitierten EuGH-Entscheidung zugrunde gelegen war, nicht vergleichbar sei, ist nicht nachvollziehbar. In beiden Fällen besteht das vertragliche Hauptziel des mit den Verträgen verfolgten Investitionsmodells darin, Erlöse aus dem Verkauf des nach der Ernte der Bäume gewonnenen Holzes zu erzielen und damit die Früchte aus dieser Bewirtschaftung zu realisieren.
[10] 2.3 Auf den (zweiten) Ausnahmetatbestand betreffend „Verträge, die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben“, beruft sich die Beklagte nicht (vgl dazu EuGH C-595/20, ShareWood Switzerland, Rn 33 und 37).
[11] 3.1 Nach der von der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidung des EuGH zu C-412/06, Hamilton, ist die hier maßgebende RL 85/577/EWG über Haustürgeschäfte dahin auszulegen, dass der nationale Gesetzgeber für den Fall einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung des Verbrauchers über die Modalitäten der Ausübung des mit Art 5 Abs 1 leg cit eingeführten Widerrufsrechts vorsehen kann, dass dieses Recht nicht später als einen Monat nach vollständiger Erbringung der Leistungen aus einem langfristigen (Darlehens-)Vertrag durch die Vertragsparteien ausgeübt werden kann. Der EuGH begründete dies damit, dass das Widerrufsrecht dem Verbraucher während der Laufzeit des Vertrags zustehen soll, solange dieser noch Verpflichtungen hat, weshalb eine gesetzliche Regelung, nach der das Widerrufsrecht mit vollständiger Durchführung des Vertrags erlischt, mit Art 4 Abs 3 der RL im Einklang steht (Rn 45; vgl auch Rn 48 zum Grundsatz der Mindestharmonisierung).
[12] 3.2 Abgesehen davon, dass sich diese Entscheidung nur auf zur Gänze erfüllte (längerfristige) Verträge bezieht, bedeutet der Umstand, dass ein Mitgliedstaat nach der zugrunde liegenden Richtlinie eine bestimmte Maßnahme (hier Befristung) vorsehen kann, gerade nicht, dass er dies auch tun muss. Die Richtlinie überließ diese Entscheidung vielmehr dem nationalen Gesetzgeber und sah keine entsprechende Verpflichtung für die Mitgliedstaaten vor. Der österreichische Gesetzgeber hat mit § 3 Abs 1 KSchG idFd ZivRÄG 2004 weder hier einschlägige Vorgaben der Richtlinie über Haustürgeschäfte missachtet noch besteht ein Bedarf nach einer richtlinienkonformen Interpretation.
[13] Bei nicht vollständig durchgeführten Verträgen stand dem Verbraucher im Fall einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht tatsächlich schon nach der Richtlinie über Haustürgeschäfte ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu. In der Entscheidung zu C-481/99, Heininger, hat der EuGH nämlich ausgesprochen, dass der nationale Gesetzgeber nach der Richtlinie 85/577/EWG daran gehindert ist, bei einem nicht vollständig durchgeführten Vertrag das Widerrufsrecht nach Art 5 leg cit für den Fall, dass der Verbraucher nicht gemäß Art 4 leg cit belehrt wurde, auf ein Jahr ab Vertragsabschluss zu befristen (Rn 46 ff).
[14] 3.3 Da der österreichische Gesetzgeber jedenfalls nicht gehindert war, bei einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung keine Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts des Verbrauchers vorzusehen, besteht auch keine unionsrechtliche Grundlage dafür, das (unbefristete) Rücktrittsrecht des Verbrauchs nicht als verbraucherschutzrechtliche zwingende Bestimmung im Sinn des Art 6 Abs 2 Rom I-VO zu qualifizieren (vgl dazu 8 Ob 23/20g).
[15] 4.1 Die von den konkreten Umständen des Einzelfalls geprägte Beurteilung des Berufungsgerichts, dass durch die Übermittlung der aktualisierten AGB der Beklagten mit E.-Mail vom die bisher fehlende Belehrung über das Widerrufsrecht nicht nachgeholt worden sei, weil diese – insbesondere durch die Einbettung in umfangreiche AGB und die Erklärung, für den Kläger ergebe sich kein Handlungsbedarf – verschleiert worden und für den Kläger nicht erkennbar gewesen sei, dass sich die Belehrung auch auf frühere Verträge hätte beziehen sollen, ist jedenfalls vertretbar. Grundsätzlich gelten vereinbarte AGB nicht rückwirkend für einen bereits früher abgeschlossenen Vertrag, sondern nur pro futuro (3 Ob 159/21k). Ohne deutlichen Hinweis auf eine gegenteilige Sonderregelung kann der Vertragspartner daher davon ausgehen, dass neue AGB nur Regelungen für neu abgeschlossene Verträge enthalten.
[16] 5. Zusammenfassend steht die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass auf den Anlassfall österreichisches Verbraucherrecht anzuwenden und das Rücktrittsrecht des Klägers nach § 3 Abs 1 KSchG idFd ZivRÄG 2004 nicht verfristet sei, mit der Rechtslage im Einklang (vgl 2 Ob 1/12d; 8 Ob 130/12v).
[17] 6.1 Darüber hinaus meint die Beklagte, dass der Kläger die Vertragsabschlüsse mit der Beklagten selbst angebahnt habe, weshalb diesem kein Rücktrittsrecht zukomme.
[18] 6.2 Unter „Anbahnen“ ist nach der Rechtsprechung ein Verhalten zu verstehen, durch das dem Unternehmer gegenüber zum Ausdruck gebracht wird, dass der Verbraucher in Verhandlungen zwecks Abschluss eines bestimmten Geschäfts treten will. Das Verhalten des Verbrauchers muss einen eindeutigen Schluss auf seine Initiative und Bereitwilligkeit zum Eintritt in Verhandlungen betreffend den Abschluss des konkreten Verbrauchergeschäfts zulassen (3 Ob 155/23z).
[19] 6.3 Hinsichtlich des Vertrags aus 2010 ist die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass die Initiative zum konkreten (individualisierten) Geschäft erst durch die Telefonanrufe der Mitarbeiter der Beklagten erfolgte, die den Kläger vom Investment überzeugten und damit auf seinen Kaufentschluss maßgebend eingewirkt haben, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Der von § 3 KSchG geschützte freie Willensentschluss des Verbrauchers, sich mit dem Angebot der Beklagten näher zu befassen, war dem Kläger aufgrund der „Überzeugungsarbeit“ der Mitarbeiter der Beklagten genommen (vgl 8 Ob 70/15z).
[20] Hinsichtlich des Vertrags aus 2011 (ebenso jener aus 2015 und 2018) ignoriert die Beklagte die bindenden Feststellungen, wonach diese Verträge ausschließlich aufgrund von Anrufen durch Mitarbeiter der Beklagten abgeschlossen wurden.
[21] 7.1 Der von der Beklagten erhobene Einwand des Rechtsmissbrauchs darf nach der Entscheidung des EuGH zu C-367/96, Kefalas, nicht dazu führen, dass die volle Wirksamkeit und einheitliche Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird. Von Rechtsmissbrauch kann daher nur dann ausgegangen werden, wenn der Betreffende mit seiner Rechtsausübung widerrechtliche Vorteile zum Nachteil eines anderen zu erlangen versucht, die mit dem Zweck des ausgeübten Rechts offensichtlich unvereinbar sind. Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zu Gunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben (vgl RS0025230 [T8]; RS0026271 [T26]).
[22] 7.2 Da es die Beklagte aufgrund ihrer fehlenden Belehrung über das Rücktrittsrecht selbst zu vertreten hat, dass der Kläger dieses nicht schon früher ausüben konnte und der Kläger auch kein Verhalten gesetzt hat, aus dem erkennbar gewesen wäre, dass er auf Ansprüche im Zusammenhang mit einem späteren Rücktritt verzichten wolle, ist die Ausübung des Rücktrittsrechts selbst Jahre nach dem Abschluss der Verträge nicht rechtsmissbräuchlich (vgl 7 Ob 137/20b). Die Beklagte vermag das von ihr behauptete „venire contra factum proprium“ auch nicht stichhaltig zu begründen.
[23] 8. Schließlich erkannte das Berufungsgericht das Zinsenbegehren auf Basis des Aufforderungsschreibens des Klägers vom als berechtigt. Warum davon ausgehend der Beginn des Zinsenlaufs unschlüssig sein soll, ist nicht erkennbar.
[24] 9. Insgesamt gelingt es der Beklagten mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.
[25] Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00113.24Z.0703.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-66726