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OGH 28.05.2024, 2Ob80/24i

OGH 28.05.2024, 2Ob80/24i

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Rechtssatz


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Normen
ABGB §581
NO §74
Geo §168
Geo §173
RS0134841
Der letztwillig Verfügende selbst oder ein von diesem mit beglaubigter Spezialvollmacht ausgestatteter Bevollmächtigter kann die Rückgabe des gerichtlichen schriftlichen Testaments zu Lebzeiten des letztwillig Verfügenden verlangen. Über diese Rückgabe ist ein entsprechendes gerichtliches Protokoll anzufertigen, sodass eine persönliche Anwesenheit des letztwillig Verfügenden oder seines Bevollmächtigten, der die Spezialvollmacht im Original vorzulegen hat, bei Gericht erforderlich ist.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin H*, vertreten durch Dr. Peter Wenger, Notar in Graz, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 550/23k-10, womit in Folge Rekurses der Antragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom , GZ 23 Nc 34/06p-6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben.

Text

Begründung:

[1] Die Antragstellerin hinterlegte am ein schriftliches Testament beim Erstgericht, worüber ein Protokoll gemäß § 587 ABGB aF erstellt wurde.

[2] Am beantragte der Ehemann der Stieftochter im Namen der Antragstellerin die Ausfolgung dieses bei Gericht hinterlegten Testaments und übermittelte eine (Farb-)Kopie einer (unter anderem) für ihn ausgestellten Spezialvollmacht, auf der die Unterschrift der Antragstellerin notariell beglaubigt worden war.

[3] Das Erstgericht wies diesen Antrag ab, weil die Urschrift einer bei Gericht zu Lebzeiten des Erblassers übergebenen letztwilligen Anordnung dauernd aufzubewahren sei (§ 168 Abs 1 iVm § 173 Z 7 GeO). Eine in der Literatur befürwortete analoge Anwendung des § 74 NO komme mangels planwidriger Lücke nicht in Betracht.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Den Revisionsrekurs ließ es wegen fehlender Rechtsprechung zur Frage zu, ob und unter welchen Voraussetzungen ein vor Gericht errichtetes Testament zu Lebzeiten der Testatorin auszufolgen sei.

[5] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass dem Begehren des Antrags zur Gänze Folge gegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinn einer ersatzlosen Behebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

[7] 1. Das gerichtliche Testament (§ 581 und § 582 ABGB) und das notarielle Testament (§ 583 ABGB; §§ 67,70–75 NO) stellen öffentliche letztwillige Verfügungen dar (2 Ob 63/22m Rz 12).

[8] 2. Für das notarielle Testament (in der Erscheinungsform des notariellen Protokolls) besteht eine ausdrückliche Regelung über die Möglichkeit eines Verlangens des letztwillig Verfügenden auf Zurückstellung der letztwilligen Anordnung (§ 74 NO). Diese Bestimmung lautet:

„(1) Eine gemäß § 70 dem Notar schriftlich übergebene letztwillige Anordnung kann dem Übergeber, jedoch nur auf sein persönliches Verlangen oder auf Verlangen desjenigen, welcher sich mit einer eigens zu diesem Behuf ausgestellten, amtlich beglaubigten Vollmacht ausweist, zurückgestellt werden. Über die Zurückstellung ist ein Notariatsakt aufzunehmen.

(2) Durch eine solche Zurückstellung verliert die letztwillige Verfügung die Kraft einer gerichtlichen letztwilligen Anordnung.“

[9] Eine solche Zurückstellung auf persönliches Verlangen setzt schon wegen der gebotenen Möglichkeit zur Identitätsfeststellung ein persönliches Erscheinen vor dem Notar voraus, ein telefonisches oder schriftliches Ersuchen allein reicht nicht aus (Tschugguel in Zib/Umfahrer, NO § 74 Rz 2). Der Begriff der „amtlich beglaubigten“ Spezialvollmacht ist iSd § 69 NO zu verstehen (Tschugguel aaO; Wagner/Knechtel, Notariatsordnung6 § 74 NO Rz 2).

[10] 3. Für das gerichtliche Testament fehlt (sowohl nach der Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 als auch danach) eine § 74 NO vergleichbare Bestimmung.

[11] Ausgehend davon befürwortet die – soweit ersichtlich – einhellige Literatur wegen der unzulänglichen Regelung eine analoge bzw sinngemäße Anwendung des § 74 NO auf das gerichtliche schriftliche Testament (Welser in Erbrechts-Kommentar § 719 ABGB Rz 6 f; Musger in KBB7 § 719 ABGB Rz 4; Hampton in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht² Rz 5.178; Umlauft/Huf in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³, § 719 ABGB Rz 7; Mondel/Knechtel in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 719 Rz 6; Eccher/Niedermayr in Schwimann/Kodek5 § 721 ABGB Rz 5 FN 16; Rabl, Altes Testament – neues Testament [2001] 100). Eine solche sinngemäße Anwendung bedeutet im Ergebnis Folgendes: Entweder der letztwillig Verfügende selbst oder ein von diesem mit beglaubigter Spezialvollmacht ausgestatteter Bevollmächtigter kann zu Lebzeiten des Testators die Rückgabe des gerichtlichen schriftlichen Testaments verlangen. Über diese ist ein entsprechendes gerichtliches Protokoll anzufertigen (Welser aaO; Musger aaO).

[12] Der erkennende Senat schließt sich diesen Literaturmeinungen an. Es wäre nicht einzusehen, weshalb es dem in Form eines schriftlichen gerichtlichen Testaments letztwillig Verfügenden zu seinen Lebzeiten verwehrt sein sollte, sich wieder Zugriff auf die von ihm errichtete letztwillige Verfügung zu verschaffen.

[13] 4. Die Bestimmungen der Geschäftsordnung für die Gerichte erster und zweiter Instanz (GeO) über den Umgang mit bei Gericht hinterlegten letztwilligen Verfügungen stehen diesem Ergebnis entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht entgegen:

[14] 4.1. Nach § 168 Abs 1 GeO sind (unter anderem) „letztwillige Anordnungen, die dem Gerichte bei Lebzeiten des Erblassers übergeben werden, samt den über die Übergabe aufgenommenen Protokollen (§ 581 ABGB)“ in einem „versperrten Kasten feuersicher zu verwahren (§ 68 AußStrG)“. Dieser Verweis auf § 68 Abs 1 AußStrG 1854 findet seine Entsprechung nunmehr in § 152 Abs 2 und 3 AußStrG 2005, wonach beglaubigte Abschriften der vom Gerichtskommissär übernommenen letztwilligen Anordnungen zum Verlassenschaftsakt zu nehmen und die Urschriften dieser Anordnungen bei Gericht zu verwahren sind (vgl dazu Danzl, GeO10 § 168 Anm 4a).

[15] Nach § 173 Z 7 GeO sind (unter anderem) die „besonders verwahrten wichtigen Urkunden (§ 168)“ dauernd aufzubewahren.

[16] 4.2. Aus diesen Regelungen schloss der Oberste Gerichtshof, dass auch verfahrensbeteiligten Personen nur eine Abschrift oder Kopie, nicht aber die Urschrift eines Testaments vom Abhandlungsgericht ausgefolgt werden könne, weshalb ein darauf gerichteter Antrag abzuweisen sei (RS0128313). Die diesem Rechtssatz zu Grunde liegenden Entscheidungen 10 Ob 16/12v und 2 Ob 168/20z betrafen jedoch mit dem vorliegenden nicht unmittelbar vergleichbare Fälle. Einerseits war in beiden Entscheidungen der letztwillig Verfügende bereits verstorben (und damit ein Verlassenschaftsverfahren eingeleitet), andererseits betraf keine der beiden Entscheidungen ein gerichtliches Testament. Aus den Entscheidungen 10 Ob 16/12v und 2 Ob 168/20z lässt sich für den hier zu beurteilenden Sachverhalt damit nichts gewinnen.

[17] 4.3. Auch wenn § 173 Z 7 GeO ohne weitere Differenzierung auf § 168 GeO und die im dortigen Abs 1 aufgezählten „besonders verwahrten wichtigen Urkunden“ verweist, ergibt sich aus der in § 168 Abs 1 GeO enthaltenen Bezugnahme auf § 68 AußStrG 1854 (bzw nunmehr § 152 Abs 2 und 3 AußStrG 2005), dass die in § 173 Z 7 GeO angeordnete dauernde Aufbewahrung der Urkunden vor allem vor dem Hintergrund eines bereits begonnenen Verlassenschaftsverfahrens zu verstehen ist, in dessen Rahmen der dauernden und sicheren Aufbewahrung letztwilliger Verfügungen besondere Bedeutung zukommt. Dass es einem letztwillig Verfügenden zu dessen Lebzeiten verwehrt sein sollte, die Herausgabe eines von ihm bei Gericht hinterlegten schriftlichen Testaments zu verlangen, lässt sich der GeO hingegen nicht entnehmen.

4. Ergebnis:

[18] 4.1. Entweder der letztwillig Verfügende selbst oder ein von diesem mit beglaubigter Spezialvollmacht ausgestatteter Bevollmächtigter kann die Rückgabe des gerichtlichen schriftlichen Testaments zu Lebzeiten des letztwillig Verfügenden verlangen. Über diese Rückgabe ist ein entsprechendes gerichtliches Protokoll anzufertigen, sodass eine persönliche Anwesenheit des letztwillig Verfügenden oder seines Bevollmächtigten, der die Spezialvollmacht im Original vorzulegen hat, bei Gericht erforderlich ist.

[19] 4.2. Das Erstgericht wird in der Folge unter Beachtung dieser Vorgaben vorzugehen haben. Die den Antrag auf Ausfolgung abweisenden Entscheidungen waren hingegen ersatzlos zu beheben.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00080.24I.0528.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
OAAAF-66712