OGH 28.05.2024, 2Ob70/24v
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Rechtssatz
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Normen | HESÜ Art13 Abs1 HESÜ Art13 Abs2 |
RS0134874 | Im Anwendungsbereich des Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ) sind selbst für den Fall der Anwendung ausländischen Sachrechts die österreichischen Verfahrensbestimmungen anzuwenden. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der verstorbenen L*, geboren am * 1930, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der I*, vertreten durch Dr. Andrea Weisert, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom , GZ 20 R 11/24b-59, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Tochter der mittlerweile verstorbenen Betroffenen beantragte Akteneinsicht in den Erwachsenenschutzakt und brachte dazu vor, dass sie nach deutschem Recht pflichtteilsberechtigt sei und daher schon zur Abklärung der Vermögensverhältnisse der Verstorbenen ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht habe. Darüber hinaus erwäge sie eine Anfechtung des Testaments, wobei auch die im Erwachsenenschutzverfahren erlangten Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Verstorbenen relevant seien.
[2] Die Vorinstanzen wiesen den Antrag auf Akteneinsicht ab, weil nach dem Tod der Betroffenen nur Erben und erbantrittserklärten Personen Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und den Gesundheitszustand der Verstorbenen erteilt werden dürften.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
[4] 1. Die Revisionsrekurswerberin meint, dass deutsches Recht anzuwenden wäre, weil sie und die Verstorbene deutsche Staatsbürger (gewesen) seien, sodass ihr Akteneinsicht nach § 13 dFamFG zu gewähren sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich die Zuständigkeit österreichischer Gerichte für das Erwachsenenschutzverfahren nach Art 5 Abs 1 des Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ) aus dem gewöhnlichen Aufenthalt der Verstorbenen in Österreich ergab. Nach Art 13 Abs 1 HESÜ haben die Behörden der Vertragsstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit ihr eigenes Recht anzuwenden. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass selbst in jenen Fällen, in denen das HESÜ ausnahmsweise die Anwendung ausländischen Sachrechts vorsieht, dennoch die österreichischen Verfahrensbestimmungen anzuwenden sind (2 Ob 172/21i). Das Recht auf Akteneinsicht betrifft eine rein verfahrensrechtliche Frage und ist daher (von Vorfragen abgesehen) schon deshalb jedenfalls nach österreichischem Recht zu beurteilen (1 Ob 98/12m).
[5] 2. Nach § 141 Abs 1 erster Satz AußStrG idF des 2. ErwSchG darf das Gericht Auskünfte über Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie zum Gesundheitszustand der vertretenen Person nur dieser und ihrem gesetzlichen Vertreter erteilen. Nach dem Tod der vertretenen Person darf das Gericht nach § 141 Abs 1 zweiter Satz AußStrG idF des 2. ErwSchG den Erben und den erbantrittserklärten Personen (§ 157 AußStrG) Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie, soweit dies der Durchsetzung ihres letzten Willens dient, Informationen zum Gesundheitszustand der verstorbenen Person erteilen.
[6] 3. Die allgemeinen Vorschriften über die Akteneinsicht nach § 219 ZPO iVm § 22 AußStrG sind im Erwachsenenschutzverfahren dementsprechend nicht anwendbar (6 Ob 243/20h = RS0133409). Wenngleich § 141 Abs 1 erster Satz AußStrG von der „vertretenen Person“ spricht, kann entgegen der Rechtsansicht der Revisionsrekurswerberin kein Zweifel bestehen, dass die Regelung der Akteneinsicht unabhängig davon gilt, ob im Verfahren tatsächlich ein Erwachsenenvertreter bestellt wurde oder nicht.
[7] 4. § 141 Abs 1 AußStrG beschränkt das Recht auf Akteneinsicht nach dem Tod des Betroffenen damit auf Erben und erbantrittserklärte Personen. Dabei genügt es, dass bereits eine Erbantrittserklärung abgegeben wurde (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 76). Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass potentielle Erben, die keine Erbantrittserklärung abgegeben haben, keine Akteneinsicht beanspruchen können (6 Ob 205/21x). Daraus ergibt sich, dass aufgrund der klaren Vorgaben des Gesetzgebers auch den Pflichtteilsberechtigten selbst bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses kein Recht auf Akteneinsicht zukommt (so auch Schoditsch in Schneider/Verweijen, § 141 AußStrG Rz 15 und Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 141 Rz 31).
[8] Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Akteneinsicht des Pflichtteilsberechtigten nach § 141 Abs 1 AußStrG idF des 2. ErwSchG liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, weil das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00070.24V.0528.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAF-66704