OGH 20.04.2022, 1Ob55/22b
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. des mj Jo*, geboren * 2006, 2. des mj N*, geboren * 2008, und 3. des mj Ja*, geboren * 2013, wegen Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Ra*, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 20/22d-52, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 88 Ps 39/21y-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen auch im Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung einer gerichtlichen oder vor Gericht geschlossenen Regelung des Rechts auf persönlichen Kontakt angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG anzuordnen (§ 110 Abs 2 AußStrG). Bei diesen Zwangsmitteln handelt es sich nicht um Strafen für die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung. Sie sollen lediglich dazu dienen, der Anordnung in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RIS-Justiz RS0007310 [T7, T8, T10]; RS0007330 [T2]). Von der Anordnung jeder Vollzugsmaßnahme ist abzustehen, wenn sie dem Kindeswohl zuwiderläuft. Von einer bestimmten Vollzugsmaßnahme ist abzustehen, wenn sie nach konkreten Umständen zur Erreichung des angestrebten Zwecks untauglich oder auch unverhältnismäßig ist (RS0008614 [T3]). In der Regel kommt der Frage, ob im Einzelfall eine Zwangsmaßnahme zu verhängen ist, keine darüber hinausgehende Bedeutung und damit auch nicht die Qualität einer erheblichen Rechtsfrage zu (RS0008614 [T4]; vgl auch RS0007310 [T13]).
[2] 2. Die Vorinstanzen haben den Antrag der Mutter auf zwangsweise Durchsetzung des Kontaktrechts zum mittleren ihrer drei Söhne, der im Haushalt des Vaters lebt, durch Anordnung einer angemessenen Beugestrafe gegen den Vater übereinstimmend abgewiesen, weil der fast 14-Jährige nach den Feststellungen einen starken Willen gegen persönliche Kontakte zu ihr entwickelt habe und nicht davon ausgegangen werden könne, dass Zwangsmaßnahmen gegen den Vater seine Haltung derart positiv beeinflussen könnten, dass er Kontakte zulasse. Eine Beugung des Willens eines fast mündigen Minderjährigen sei nicht Zweck des § 110 AußStrG. In diesem Zusammenhang äußerte das Rekursgericht die Befürchtung, dass über Antrag der Mutter verhängte Zwangsmaßnahmen gegen die Hauptbezugsperson des Minderjährigen dessen ablehnende Haltung noch vertiefen würden.
[3] 3. Die Mutter wendet dagegen ein, ihrem Antrag wäre schon deshalb Folge zu geben gewesen, weil der Vater nach den Feststellungen keine Bereitschaft zu einer aktiven und unterstützenden Mitarbeit zur konstruktiven Umsetzung der Kontaktrechtsvereinbarung gezeigt und sich auch nicht bemüht habe, allfälligen ablehnenden Äußerungen des Kindes entgegenzuwirken.
[4] Es ist zwar richtig, dass der mit einem Kontaktrechtstitel „Belastete“ über die Abstandnahme von einer negativen Beeinflussung des Kindes hinaus alles ihm Zumutbare unternehmen muss, um in aktiver Weise dem daraus Berechtigten den persönlichen Verkehr mit dem Kind selbst gegen dessen Willen zu ermöglichen (RS0007336). Die Mutter übergeht aber, dass das Erstgericht nicht nur ihren Antrag abgewiesen, sondern den Eltern unter einem die gemeinsame Teilnahme an einem Erstgespräch über die Mediation sowie den Besuch von zehn Einheiten einer gemeinsamen Elternberatung aufgetragen hat, um die Kommunikation auf Elternebene zu verbessern. Das Rekursgericht hat es vor diesem Hintergrund ausdrücklich für zielführender erachtet, Kontakte der Mutter zum Kind durch eine Änderung der Haltung beider Eltern herbeizuführen, als durch Beugemaßnahmen zu erzwingen.
[5] Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen von einer zwangsweisen Durchsetzung des Kontaktrechts gegen den erklärten Willen des fast 14-Jährigen Abstand genommen haben, um mit anderen Maßnahmen, die dem Interesse und Wohl des Kindes in concreto besser gerecht würden, dem Kontaktrecht in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen. Das entspricht auch dem Grundgedanken des (infolge der Altersgrenze hier gerade noch nicht anwendbaren) § 108 AußStrG, dass bei Ablehnung der persönlichen Kontakte durch den mündigen Minderjährigen der Versuch einer gütlichen Einigung zu unternehmen und dabei auch die Möglichkeit der Mediation anzusprechen ist (5 Ob 242/15x; Deixler-Hübner in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 108 AußStrG Rz 3).
[6] 4. Grundsätzlich kann ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bilden, sofern eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nicht aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist (RS0050037 [T4]). Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die Mutter nicht einmal behauptet, dass die Verhängung von Beugestrafen über den Vater besser für das Kind wäre, als die vom Erstgericht aufgetragenen Maßnahmen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00055.22B.0420.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-66562