OGH 23.03.2022, 1Ob33/22t
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* H*, vertreten durch Dr. Stefan Duschel und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M* Gesellschaft mbH & Co KG und 2. P* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch die Dr. Martin Schober Rechtsanwalts GmbH, Wiener Neustadt, wegen 10.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 18 R 80/21z-21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 8 C 387/20i-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 917,02 EUR (darin enthalten 152,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte im Juli 2016 einen gebrauchten * A* von der erstbeklagten Unternehmerin um 22.000 EUR. Das Fahrzeug, dessen Erstzulassung im Jänner 2012 erfolgt war, hatte einen Vorbesitzer. Die Zweitbeklagte ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten. Diese ist keine Vertragshändlerin der Herstellerin des Fahrzeugs.
[2] Der eingebaute Motor war ursprünglich von einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur Abgasmanipulation betroffen. Dem Kläger war das zum Kaufzeitpunkt nicht bekannt. Die – im September 2015 von der Herstellerin öffentlich eingestandene – Verwendung einer entsprechenden Software war nicht Thema der Verkaufsgespräche.
[3] Noch zu Zeiten des Vorbesitzers war ein Softwareupdate durchgeführt worden, womit die tatsächlichen Abgaswerte seitdem „den im Typenschein angegebenen Werten entsprachen“. Mit dem Softwareupdate wurde die unzulässigerweise davor bestehende Abschalteinrichtung entfernt, sodass im Zeitpunkt des Kaufs keine solche Einrichtung mehr vorlag. Der Kläger hätte das Fahrzeug auch gekauft, hätte er vom Softwareupdate gewusst. Eine Bestätigung über die Durchführung dieses Softwareupdates war in der Bordmappe des Fahrzeugs enthalten. Im Jahr 2020 stellte der Kläger Recherchen an und erfuhr, dass der eingebaute Dieselmotor seines Fahrzeugs bereits überarbeitet worden war. Er hatte mit dem Fahrzeug bis Anfang April 2021 über 136.000 km zurückgelegt.
[4] Der Kläger begehrte von den Beklagten mit Klage vom zuletzt 10.000 EUR sA, hilfsweise 10.000 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe seines Fahrzeugs. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkenne, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand einem Test unterzogen werde, und schalte in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus, in dem der Stickoxidausstoß verringert werde. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schalte der Motor dagegen in einen
anderen Abgasrückführungsmodus, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher sei. Die im Typenschein „bzw im Datenauszug“ angegebenen Stickoxidwerte entsprächen nicht den Tatsachen und auch nicht der behördlichen Genehmigung. Das Verhalten der Herstellerin sei der erstbeklagten Verkäuferin „als Gehilfenverhalten“ zuzurechnen. Das Softwareupdate sei nicht geeignet, eine Mängelfreiheit des Fahrzeugs zu bewirken. Er stütze seine Ansprüche primär
auf (schadenersatzrechtliche) Preisminderung bzw Vertragsanpassung wegen List. Hilfsweise werde die Auflösung und Rückabwicklung des Vertrags gefordert, wobei er sich ein Nutzungsentgelt von 12.000 EUR anrechnen lasse.
[5] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Die Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums sei infolge Verjährung gemäß § 1487 ABGB nicht möglich. Eine listige Irreführung liege nicht vor, weil die Herstellerin jedenfalls nicht Erfüllungsgehilfin der Verkäuferin sei. Damit sei ihr Verhalten den Beklagten auch nicht zuzurechnen. Ansprüche aus Gewährleistung stünden ebenfalls wegen Ablaufs der vertraglich wirksam vereinbarten einjährigen Frist nicht zu. Eine Vertragsanpassung aus diesem Titel scheide daher aus. Der Abgasskandal sei bereits seit September 2015 allgemein bekannt gewesen, somit nicht nur den Beklagten, sondern auch dem Kläger. Mangels rechtswidriger und schuldhafter Verhalten der Beklagten bestehe auch der behauptete Schadenersatzanspruch nicht.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Rechtlich führte es zusammengefasst aus, eine öffentliche Äußerung des Produzenten im Sinn des § 922 Abs 2 Satz 1 ABGB führe nicht dazu, dass der bloße Verkauf des Produkts durch einen Händler als Teilnahme an einer Irreführungshandlung im Sinn des § 875 1. Fall ABGB gewertet werden könne. Auch der 2. Fall des § 875 ABGB, dass die Erstbeklagte von der listigen Handlung der Herstellerin offenbar wissen musste, sei nicht gegeben. Ein Verhalten der Herstellerin sei der Erstbeklagten weder schadenersatzrechtlich noch im Bereich der Vertragsanpassung bzw Vertragsanfechtung wegen Arglist zuzurechnen.
[7] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur (in der Literatur diskutierten) Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein listiges Verhalten des Herstellers, das sich in öffentlichen Äußerungen im Sinn des § 922 Abs 2 Satz 1 ABGB manifestiert, gemäß § 875 ABGB dem Verkäufer zuzurechnen ist, keine höchstgerichtliche Judikatur bestehe.
[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die – entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – nicht zulässig ist, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
Rechtliche Beurteilung
[9] 1. Der Kläger hat im Juli 2016 von der erstbeklagten Unternehmerin ein gebrauchtes Kraftfahrzeug gekauft, das ursprünglich eine von der Herstellerin eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung zur Abgasmanipulation enthalten hatte, die bei einem noch zu Zeiten des Vorbesitzers durchgeführten Softwareupdate entfernt worden war. Im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs entsprachen – nach den getroffenen Feststellungen – die tatsächlichen Abgaswerte „den im Typenschein angegebenen Werten“.
[10] Das Berufungsgericht hielt es für „nachvollziehbar“, dass trotz des Softwareupdates der „Mangel“ nicht zur Gänze beseitigt worden sei, „also eine Wertminderung verbleibe“, weil der Markt „notorischerweise derartigen Fahrzeugen“ misstraue. Auf einen solchen Mangel bzw Wertirrtum hat sich der Kläger aber nie gestützt, sondern vielmehr behauptet, der seinerzeitige („technische“) Mangel des abgasmanipulierten Fahrzeugs sei durch das später durchgeführte Softwareupdate nicht vollständig beseitigt worden, was sich im Verfahren aber nicht ergab. Welchen Mangel er trotz des Softwareupdates als zum Erwerbszeitpunkt als nicht behoben ansah, legte er nicht näher dar und verwies insoweit konkret nur auf ein nach der Übernahme defekt gewordenes Abgasrückführungsventil, das die Erstbeklagte erneuert habe; jedenfalls stützte er sich nicht auf einen „Mangel“ in Gestalt einer bloßen „Wertminderung“. Auch die Revisionsausführungen schweigen dazu, über welche (vertragsgemäße) Eigenschaft des Fahrzeugs er geirrt haben will.
[11] 2. Grundsätzlich zutreffend hat das Berufungsgericht argumentiert, dass nicht bereits aufgrund der Feststellung, der Kläger hätte das Fahrzeug auch bei Kenntnis des Softwareupdates erworben, die gänzliche Klageabweisung begründet werden könnte, weil diese Feststellung offenlässt, ob er es zum selben Preis erworben hätte. Ob der Kläger den Kaufvertrag zu denselben Bedingungen abgeschlossen hätte, wenn er Kenntnis von den von ihm beanstandeten Umständen gehabt hätte, und daher auch bei Aufklärung über die behauptete Täuschungshandlung nicht anders gestellt wäre als dies nunmehr der Fall ist, steht nicht fest. Damit könnte die Kausalität eines angeblich irreführenden Verhaltens der Erstbeklagten für den geltend gemachten Anspruch nicht verneint werden.
[12] 3. Nach der vom Kläger – auch für die Anfechtung wegen eines Willensmangels – herangezogenen (gewährleistungsrechtlichen) Norm des § 922 Abs 2 Satz 1 ABGB ist die Frage, ob eine Sache dem Vertrag entspricht, auch danach zu beurteilen, was der Übernehmer aufgrund der über sie gemachten öffentlichen Äußerungen des Übergebers oder bestimmter dritter Personen (Hersteller, EWR-Importeur, Quasi-Hersteller), vor allem in der Werbung und in den der Sache beigefügten Angaben, erwarten kann. Damit sind in der Regel auch diese Umstände in die Vertragsauslegung einzubeziehen (vgl RIS-Justiz RS0127170 [T1, T2]) und können bestimmte Erwartungen des Erwerbers begründen.
[13] Der Revision ist aber nicht einmal ansatzweise zu entnehmen, durch welche öffentlichen Äußerungen im Sinn des § 922 Abs 2 ABGB die Herstellerin einen Irrtum bewusst herbeigeführt haben sollte, um den Kläger durch arglistige Täuschung über erhebliche Umstände zum Kauf des (zwischenzeitig verbesserten) Gebrauchtwagens – zu einem bestimmten Preis – zu bewegen. Sollte er dabei auf Angaben über Verbrauchswerte abzielen, würde er übersehen, dass diese nach den Feststellungen zum Zeitpunkt des Erwerbs ohnehin mit den Angaben im Typenschein übereinstimmten. Welche Äußerungen – noch dazu arglistig – abgegeben worden sein sollten, um bei ihm eine falsche Vorstellung über das später (noch vor dem Kauf) „upgedatete“ (und damit hinsichtlich der Verbrauchswerte in den angepriesenen Zustand versetzte) Auto zu einen bestimmten (angeblich überhöhten) Wert zu erwecken, wird vom Kläger nicht ausgeführt und daher auch keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
[14] 4. Nach den Ausführungen zu Punkt 1. und 3. ist daher nicht entscheidend, ob bei Weiterbestehen der Abschalteinrichtung im Erwerbszeitpunkt eine Zurechnung listigen Verhaltens der Herstellerin an einen Gebrauchtwagenhändler angenommen werden könnte. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, womit die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage mangels konkreter Relevanz ungelöst bleiben kann.
[15] 5. Der Erstbeklagten war bekannt, dass im Fahrzeug ursprünglich von der Herstellerin eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war, sie hatte jedoch auch Kenntnis vom Softwareupdate, das vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordnet worden war und das – nach den getroffenen Feststellungen – dazu führte, dass diese unzulässige Abschalteinrichtung entfernt wurde und die Zulassungsvoraussetzungen (entsprechend den Angaben im Typenschein) vorlagen.
[16] Der Kläger wirft nur der Herstellerin ein (straf-)rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vor, nicht aber den Beklagten, sodass Schadenersatzansprüchen ausgehend vom festgestellten Sachverhalt die Grundlage fehlt. Zudem würden nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0034393 [T4]; RS0034423 [T4]) selbst von Verhandlungs- oder Erfüllungsgehilfen – was die Herstellerin im gegenständlichen Fall nicht ist (vgl RS0022662; RS0022902) – ausgeübte strafbare (hier gegebenenfalls Betrugs-)Handlungen für die Schadenersatzhaftung der juristischen Person selbst nicht die 30-jährige Verjährungsfrist nach § 1489 Satz 2 2. Fall ABGB auslösen. Die Herstellerin war auch weder Organ der Beklagten (vgl 6 Ob 92/21d), noch ist ihr Verhalten ihnen sonst im Rahmen des VbVG (dazu 6 Ob 239/20w) strafrechtlich zuzurechnen.
[17] 6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[18] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagten haben auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00033.22T.0323.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-66547