OGH 27.01.2023, 1Ob253/22w
Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des E*, vertreten durch Mag. Niki Zaar, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom , GZ 2 R 86/22t-151, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Der Betroffene wird im Verfahren über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters in dritter Instanz von einer frei gewählten Rechtsanwältin vertreten. Dies ist zulässig, weil im derzeitigen Verfahrensstadium nach der Aktenlage nicht offenkundig ist, dass ihm die Vernunft völlig fehlte und er nicht fähig wäre, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen (RS0008539).
[2] 2. Für die Einleitung des Erwachsenenschutzverfahrens bedarf es konkreter und begründeter Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters (2 Ob 135/18v). Diese Anhaltspunkte müssen sich sowohl auf die psychische Krankheit oder eine vergleichbare Beeinträchtigung als auch auf die Schutzbedürftigkeit der betreffenden Person beziehen (RS0008526). Eine ausreichende Grundlage für die Annahme der konkreten Gefahr einer Selbstschädigung ist erforderlich (RS0008526 [T9]). Es genügt aber die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters kommen kann (RS0008542). Die Frage des Vorliegens konkreter und begründeter Anhaltspunkte ist eine typische Einzelfallbeurteilung, die nur bei einer groben Fehlbeurteilung des Rekursgerichts eine erhebliche Rechtsfrage begründen kann (8 Ob 92/19s mwN).
[3] 3. Eine solche Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor:
[4] Das Erstgericht bestellte für den Betroffenen schon im Jahr 2012 und erneut im Jahr 2017 jeweils temporär aus Anlass anhängiger Verfahren (rechtskräftig) einen Sachwalter für die Vertretung vor Gericht. Dem Bestellungsbeschluss lag zuletzt eine vom Gerichtspsychiater diagnostizierte anhaltende wahnhafte Störung zugrunde, die es dem Betroffenen nach den Feststellungen verunmöglichte, in den anhängigen Rechtsstreitigkeiten und Themenbereichen den Überblick zu bewahren und Abwägungen vorzunehmen, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit von Prozessrisiken und dafür eingesetzter Mittel an Zeit und Geld. In dem ausschließlich wegen Beendigung aller anhängigen Gerichtsverfahren und daher mangels gegenwärtig zu besorgender Angelegenheiten gefassten Einstellungsbeschluss aus dem Jahr 2019 wies das Rekursgericht darauf hin, dass sich in Zukunft ein neuerlicher Bedarf für eine Erwachsenenvertretung ergeben könnte.
[5] Nunmehr regte das Landesgericht Krems als Arbeits- und Sozialgericht am 9 .5. 2022, nachdem es nach § 6a ZPO das dort anhängige Verfahren wegen Aufrechnung einer Beitragsschuld mit der Alterspension unterbrochen hatte, die Bestellung eines (einstweiligen) Erwachsenenvertreters an, weil der unvertretene Kläger verschiedenste sachfremde Themen ins Verfahren einführe und davon auch unter richterlicher Anleitung nicht abweiche, sodass eine Erörterung der Sach- und Rechtslage nicht möglich sei. Auch wenn im sozialgerichtlichen Verfahren keine Kostenfolgen drohten, sei nach Ansicht des Gerichts Unterstützung vor Gerichten und Verwaltungsbehörden indiziert, vor allem werde der Kläger in einem anzuregenden Verwaltungsverfahren (vgl RS0121466) sachbezogen auszuführen haben, weshalb nach seiner Ansicht eine Beitragsschuld nicht bestehe.
[6] 4. Ausgehend von diesem Sachverhalt ist die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die weitere Abklärung erforderlich ist, ob der Betroffene eines Beistands bedarf, um nicht aufgrund seines Verhaltens Nachteile für sich selbst in Kauf nehmen zu müssen, jedenfalls vertretbar und bedarf keiner Korrektur.
[7] Der Beschluss auf Einleitung eines Verfahrens über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters ist vom Rekursgericht aufgrund der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen (RS0006801 [T6, T8]). Ob hier allenfalls mit einer frei gewählten Rechtsanwältin – wie sie der Betroffene im Revisionsrekursverfahren beauftragt hat – das Auslangen gefunden werden kann oder es doch der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters bedarf, wird das Erstgericht daher im fortgesetzten Verfahren zu beurteilen haben.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des E*, vertreten durch Mag. Niki Zaar, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom , GZ 2 R 86/22t-151, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der „außerordentliche Revisionsrekurs“ vom wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Über Anregung des Landesgerichts Krems als Arbeits- und Sozialgericht vom fasste das Erstgericht den Beschluss auf Einleitung eines Verfahrens über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der vom Betroffenen, vertreten durch eine frei gewählte Rechtsanwältin, dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs wurde vom Obersten Gerichtshof am mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
[2] Nunmehr überreichte der Betroffene „persönlich“ (ohne anwaltliche Vertretung) am beim Obersten Gerichtshof einen weiteren „außerordentlichen Revisionsrekurs“.
[3] Diese Eingabe ist zurückzuweisen:
Rechtliche Beurteilung
[4] Nach § 6 Abs 2 AußStrG müssen sich die Parteien in Verfahren über die Erwachsenenvertretung im Revisionsrekursverfahren durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten lassen. Der Revisionsrekurs ist durch Überreichung eines mit der Unterschrift eines Rechtsanwalts oder Notars versehenen Schriftsatzes beim Gericht erster Instanz zu erheben (§ 65 Abs 2 iVm Abs 3 Z 5 AußStrG).
[5] Darauf kommt es hier aber nicht mehr an, weil die Eingabe außerhalb der offenen Rechtsmittelfrist eingebracht wurde und daher jedenfalls verspätet ist. Ob in dieser Konstellation auch der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verletzt wäre (vgl 3 Ob 87/19v), kann ebenfalls dahingestellt bleiben.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00253.22W.0127.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-66538