OGH 18.01.2023, 15Os111/22w
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Lonin in der Strafsache gegen * T* wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 fünfter Fall StGB, AZ 13 Hv 14/21b, des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 19 Bs 100/21a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Nordmeyer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 19 Bs 100/21a, verletzt § 22 Abs 1 VStG und § 146 StGB.
Text
Gründe:
[1] Die Staatsanwaltschaft Wien legte * T* mit zu AZ 75 St 20/21i erhobenem Strafantrag zur Last, er habe am in W* mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, ein Organ der Parkraumüberwachung der Stadt W* unter Benützung eines falschen Beweismittels, und zwar einer Kopie eines fremden Parkausweises für Behinderte lautend auf * N*, durch Täuschung über Tatsachen, nämlich über die Identität der Person, welche mit dem verwendeten Kraftfahrzeug parkte, sowie deren Befreiung von der Entrichtung der Kurzparkzonengebühr, zur Nichtausstellung eines Strafmandats, mithin zu einer Unterlassung verleitet, welche die Stadt W* in einem noch festzustellenden Ausmaß am Vermögen schädigte. Dieses Verhalten qualifizierte die Anklagebehörde als Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 fünfter Fall StGB (ON 6).
[2] Mit Beschluss vom , GZ 13 Hv 14/21b-8, wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Strafantrag gemäß § 485 Abs 1 Z 3 iVm § 212 Z 1 StPO zurück und stellte das Verfahren ein.
[3] In rechtlicher Hinsicht führte das Landesgericht aus, dass Verwaltungsstrafen keinen privatrechtlichen Charakter aufwiesen, sondern einen öffentlich-rechtlichen Anspruch darstellten und damit der Anwendung der §§ 146 ff StGB entzogen seien. Darüber hinaus liege kein Vermögensschaden vor, da sich die Vermögenssituation der Stadt W* durch die täuschungsbedingte Unterlassung nicht verändert habe; der Betrugsschaden bestehe hingegen aus jenen Vermögenswerten, welche die Geschädigte im Vertrauen auf die vorgetäuschten Umstände aus ihrem Vermögen leistete, nicht aus jenen, welche sie in der Folge nicht erhält.
[4] Der gegen den genannten Beschluss erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 9) gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom , AZ 19 Bs 100/21a, nicht Folge (ON 12). Es schloss sich im Ergebnis der Rechtsauffassung des Erstgerichts an (BS 3 f) und ergänzte (zusammengefasst), dass der – hypothetisch als erwiesen angenommene – anklagegegenständliche Sachverhalt bei rechtsrichtiger Beurteilung grundsätzlich dennoch § 146 StGB unterstellt werden könne, weil ihm (auch) zu entnehmen sei, dass * T* durch das unberechtigte Einlegen der Kopie des fremden Behindertenausweises ein allenfalls kontrollierendes Organ über seine Berechtigung zur kostenlosen Nutzung des Parkplatzes täuschen und dadurch der Gemeinde die Gebühr für den betreffenden Parkvorgang vorenthalten wollte. Aufgrund analoger Anwendung des § 22 Abs 2 FinStrG auf landesgesetzliche Abgabendelikte sei die Tat jedoch ausschließlich nach § 4 Abs 1 Wiener Parkometergesetz 2006 zu ahnden, weshalb kein strafbares Verhalten nach § 146 StGB vorliege (BS 4 ff).
Rechtliche Beurteilung
[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 19 Bs 100/21a, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[6] Die auf § 15 Abs 3 Z 5 Finanzausgleichsgesetz 2005 und § 1 Abs 1 Wiener Parkometergesetz 2006 beruhende Wiener Parkometerabgabeverordnung normiert in § 1, dass für das Abstellen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen in Kurzparkzonen eine Abgabe zu entrichten ist. Nach § 6 lit g) leg cit ist die Abgabe unter anderem für Fahrzeuge, die von Inhabern eines Parkausweises für Menschen mit Behinderungen gemäß § 29b StVO 1960 abgestellt oder in denen solche Personen befördert werden, nicht zu entrichten, sofern diese beim Abstellen mit einem solchen Ausweis gekennzeichnet sind.
[7] Wer durch Handlungen oder Unterlassungen die in der genannten Verordnung normierte Abgabe hinterzieht oder verkürzt, begeht gemäß § 4 Abs 1 des Wiener ParkometerG 2006 eine mit Geldstrafe bis zu 365 Euro zu ahndende Verwaltungsübertretung. Derartige Verstöße unterliegen dem VStG iVm dem Wiener Parkometergesetz 2006 als Materiengesetz.
[8] § 22 Abs 1 VStG normiert – unbeschadet einer allfälligen abweichenden (fallaktuell nicht vorliegenden) Regelung im Materiengesetz – den Vorrang gerichtlichen Strafrechts vor Verwaltungsstrafrecht. Eine Tat ist demnach nur dann als Verwaltungsübertretung strafbar, wenn sie nicht gleichzeitig auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung erfüllt, wobei es auf eine allfällige abweichende Schutzwirkung der gerichtlichen Strafbestimmung nicht ankommt (Raschauer in Raschauer/Wessely, VStG2 § 22 Rz 13 ff; VwGH Ra 2016/03/0095, VwGH Ra 2019/02/0020).
[9] Dem Anklagesachverhalt zufolge täuschte der Angeklagte mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch das Einlegen der Kopie eines fremden Behindertenausweises ein allenfalls kontrollierendes Organ über seine Berechtigung zur kostenlosen Nutzung des Parkplatzes und schädigte dadurch die Gemeinde W* in der Höhe der Gebühr für den betreffenden Parkvorgang am Vermögen (BS 4 f). Diese Tat ist sowohl § 146 StGB als auch § 4 Abs 1 Wiener Parkometergesetz 2006 subsumierbar. Aufgrund des tateinheitlichen Zusammentreffens der gerichtlich strafbaren Handlung mit der Verwaltungsübertretung ist Letztere (ungeachtet der Herkunft konkurrierender Normen von unterschiedlichen Gesetzgebern [Bund/Land]) gemäß § 22 Abs 1 VStG nicht strafbar und darf die Tat nur wegen des gerichtlichen Tatbestands verfolgt werden (vgl – auf Sachverhalte vor Inkrafttreten des § 22 Abs 1 VStG idF BGBl I 2013/33 bezogen – 13 Os 23/14b, 13 Os 26/14v; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 146 Rz 191).
[10] Für eine analoge Anwendung des § 22 Abs 2 FinStrG auf den vorliegenden (keine Abgaben im Sinn des Art I FinStrG betreffenden [Kotschnigg in Tannert/Kotschnigg, FinStrG § 2 Rz 36] und somit nicht dem FinStrG unterliegenden) Sachverhalt besteht mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum. Die rechtliche Beurteilung des Beschwerdegerichts, bei Idealkonkurrenz zwischen § 4 Abs 1 Wiener Parkometergesetz 2006 und § 146 StGB sei infolge analoger Anwendung der Subsidiaritätsklausel des § 22 Abs 2 FinStrG ausschließlich der Verwaltungsstraftatbestand zu ahnden und demnach Strafbarkeit nach § 146 StGB zu verneinen, steht daher mit dem Gesetz nicht in Einklang.
[11] Bei richtiger Rechtsansicht hätte das Oberlandesgericht in Stattgebung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft den angefochtenen Beschluss aufheben und dem Erstgericht die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO) auftragen müssen.
[12] Die aufgezeigte Gesetzesverletzung wirkt nicht zum Nachteil des Angeklagten, weshalb ihre Feststellung nicht mit konkreter Wirkung zu verbinden war (§ 292 vorletzter Satz StPO).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Strafrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00111.22W.0118.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
IAAAF-66458