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OGH 16.05.2023, 10ObS130/22y

OGH 16.05.2023, 10ObS130/22y

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

Rechtssatz


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Normen
Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates 32004R0883 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Art11 Abs3 lita
Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates 32004R0883 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Art67
Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates 32004R0883 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Art68
RS0134384
Da die Art 67 und 68 VO (EG) 883/2004 an die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach Art 11 VO (EG) 883/2004 anknüpfen, ist auch für die Prioritätsregeln und die Bestimmung der Rangfolge die Ausübung einer (Beschäftigung oder) selbständigen Erwerbstätigkeit maßgeblich.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei N*, Polen, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 55/22z-31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto sowie auf Beihilfe zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld im Zeitraum von bis für ihre am * 2011 geborene Tochter O*.

[2] Die Klägerin lebt mit ihrem Ehegatten und der gemeinsamen Tochter O* in Polen. Im Anspruchszeitraum galt sie in Polen als selbständig erwerbstätig und war auch (sozial-)versichert. Sie bezog allerdings kein Einkommen und arbeitete auch nicht. Ihr Gatte war von bis bei einer GmbH in Wien als Arbeiter beschäftigt.

[3] Das Erstgericht gab der Klage hinsichtlich des Kinderbetreuungsgeldes im Umfang des geminderten Betrags des § 3 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2007/76 statt, wies hingegen das diesbezügliche Mehrbegehren sowie das auf Gewährung auch der Beihilfe zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld gerichtete Begehren ab.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte mit Teilurteil die Entscheidung über das pauschale Kinderbetreuungsgeld; die Entscheidung über die Beihilfe zum Kinderbetreuungsgeld hob es hingegen auf und verwies die Sache insoweit an das Erstgericht zurück. Es ging davon aus, dass die Klägerin in Polen tatsächlich keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen, ihr Gatte hingegen in Österreich erwerbstätig gewesen sei, sodass Österreich nach Art 68 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 für die Erbringung von Familienleistungen vorrangig zuständig sei. Auf die vom Erstgericht relevierte Frage, ob in Polen gleichartige Leistungen gewährt werden, komme es daher nicht an. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] In ihrer außerordentlichen Revision gegen das Teilurteil zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[6] 1. Im Verfahren ist unstrittig, dass die Definition des Begriffs „selbständige Erwerbstätigkeit“ in Art 1 lit b VO (EG) 883/2004 – ebenso wie jener der „Beschäftigung“ in Art 1 lit a – auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist (10 ObS 36/21y ua). Das anwendbare Recht bestimmt sich jedoch danach, ob eine (solche) Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit in einem Mitgliedstaat auch ausgeübt wird (Art 11 Abs 3 lit a VO [EG] 883/2004). Wirtschaftlich nicht aktive Personen, also Personen, die keiner Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, unterliegen nach Art 11 Abs 3 lit e VO (EG) 883/2004 hingegen den Vorschriften des Wohnsitzstaates (10 ObS 81/20i SSV-NF 34/54 ua; vgl auch EuGH C-308/14, Kommission/Vereinigtes Königreich [Rn 63]; EuGH C-272/17, Zyla, [Rn 41]; EuGH C-135/19, Pensionsversicherungsanstalt (Rehabilitationsleistung) [Rn 52] ua). Da die Art 67 und 68 VO (EG) 883/2004 an die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach Art 11 VO (EG) 883/2004 anknüpfen, ist auch für die Prioritätsregeln und die Bestimmung der Rangfolge die Ausübung einer (Beschäftigung oder) selbständigen Erwerbstätigkeit maßgeblich (Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [59. Lfg] Art 68 VO [EG] 883/2004 Rz 6).

[7] Die Ansicht des Berufungsgerichts, Österreich sei aufgrund der Beschäftigung des Gatten der Klägerin im Inland nach Art 68 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 vorrangig zuständig, trägt diesen Grundsätzen Rechnung. Dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt in Polen als selbständig erwerbstätig galt, ist mangels tatsächlicher Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht entscheidend (Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [56. Lfg] Art 1 VO [EG] 883/2004 Rz 6/1).

[8] 2. Die Frage, ob der Inhalt des vom polnischen Träger ausgestellten Formulars „F002“ im Sinne der Entscheidung des EuGH zu C-527/16, Alpenrind, die österreichischen Gerichte bindet und – bejahendenfalls – wie ein Verstoß dagegen prozessual einzuordnen ist, stellt sich hier nicht. Aus der von der Beklagten vorgelegten Urkunde (Beilage ./9) bzw deren Übersetzung (ON 15) ergibt sich nämlich nur, dass die Klägerin vom bis im polnischen Sozialversicherungssystem erfasst war. Hingegen enthalten die Punkte 10.9.1. bis 10.9.3. des Formulars und damit gerade die maßgeblichen Passagen zu einer etwaigen beruflichen Tätigkeit bzw Inaktivität der Klägerin in Polen keine Angaben. Angegeben ist nur ein nicht näher spezifizierter „Beschäftigungszeitraum“ zwischen und (Punkt 10.9.4.), dem für den hier zu beurteilenden Anspruch aber schon zeitlich keine Bedeutung zukommt.

[9] 3. Insgesamt zeigt die Beklagte somit keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb die außerordentliche Revision zurückzuweisen ist.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00130.22Y.0516.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
TAAAF-66304