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OGH 31.10.2023, 10ObS116/23s

OGH 31.10.2023, 10ObS116/23s

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, Ungarn, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Anton Ehm ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 47/23z-17, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 8 Cgs 48/22i-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, sie unter Anschluss eines Nachweises über eine bereits erfolgte Zustellung des Urteils des Berufungsgerichts und der Revision an die Klägerin wieder vorzulegen. Sollte dies nicht möglich sein, wird dem Erstgericht aufgetragen, neuerlich eine Gleichschrift des Urteils des Berufungsgerichts und der Revision der beklagten Partei der Klägerin nachweislich zur allfälligen Erstattung einer Revisionsbeantwortung binnen vier Wochen zuzustellen sowie die Akten nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung oder einer Revision bzw fruchtlosem Verstreichen der Frist erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.

Text

Begründung:

[1] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auf Feststellung, dass die Klägerin nicht zum Rückersatz des aus Anlass der Geburt ihres Sohnes am bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 16.617,35 EUR verpflichtet sei, statt.

[2] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil teilweise Folge. Es stellte fest, dass der von der Beklagten erhobene Anspruch auf Rückersatz der aus Anlass der Geburt des Sohnes der Klägerin am bezogenen Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld im Zeitraum bis in der Höhe von 56,33 EUR täglich nicht zu Recht bestehe. Das weitere Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die Klägerin nicht zum Rückersatz der Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld im Zeitraum bis in der Höhe von 56,33 EUR täglich verpflichtet sei, wies es hingegen ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei.

[3] Gegen diese Entscheidung im Umfang der Stattgebung des Klagebegehrens hinsichtlich des Zeitraums vom bis und des unterlassenen Auftrags an die Klägerin zum Rückersatz der unberechtigt empfangenen Leistungen im Gesamtbetrag von 12.730,58 EUR, hilfsweise von 2.365,86 EUR richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens und den Rückersatz von von der Klägerin unberechtigt empfangenen Leistungen anstrebt.

[4] Das Erstgericht verfügte zunächst am die Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts an die Beklagte, die am erfolgte, sowie die Anfertigung einer Übersetzung der Entscheidung des Berufungsgerichts samt Rechtsmittelbelehrung in die ungarische Sprache durch die Justizbetreuungsagentur (ON 18). Nach Ablehnung dieses Auftrags durch die Justizbetreuungsagentur wegen Überlastung mit Schreiben vom (ON 19) und Beauftragung einer Dolmetscherin mit dieser Übersetzung durch das Erstgericht langte die Revision der Beklagten am beim Erstgericht ein. Am langte die von einer Dolmetscherin angefertigte Übersetzung der Entscheidung des Berufungsgerichts samt Rechtsmittelbelehrung beim Erstgericht ein (ON 22). Am verfügte das Erstgericht die Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts samt Rechtsmittelbelehrung und samt deren Übersetzungen sowie die Zustellung der Revision der Beklagten an die Klägerin mit internationalem Rückschein (ON 23). Über diese Zustellung existiert zwar eine Sendungsverfolgung der Post. Ein Nachweis über die erfolgte Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts samt Rechtsmittelbelehrung sowie der Revision an die Klägerin liegt hingegen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Aktenvorlage ist verfrüht.

[6] Der Klägerin steht es im vorliegenden Fall frei, eine Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts innerhalb der Frist des § 505 Abs 2 ZPO beim Erstgericht (§ 505 Abs 1 ZPO) einzubringen sowie eine Revisionsbeantwortung zur Revision der Beklagten zu erstatten. Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis zu beurkunden. Die vom Zusteller ausgestellten Zustellnachweise sind nach § 292 Abs 1 ZPO öffentliche Urkunden, die – wenn sie die gehörige äußere Form aufweisen – den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (RS0036420; RS0006957 [T5]).

[7] Das Erstgericht wird daher einen derartigen Nachweis über eine bereits erfolgte Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts samt Rechtsmittelbelehrung sowie der Revision der Beklagten an die Klägerin vorzulegen haben. Sollte dies nicht möglich sein, wird das Erstgericht diese Schriftstücke neuerlich an die Klägerin zuzustellen haben. In diesem Fall ist der Akt erst nach Einlangen einer Revision der Klägerin sowie einer dazu erstatteten Revisionsbeantwortung der Beklagten sowie nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung der Klägerin zur Revision der Beklagten oder nach fruchtlosem Ablauf der dafür jeweils erforderlichen Fristen wieder vorzulegen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, Ungarn, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr.in Simone Metz, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 47/23z-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 8 Cgs 48/22i-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten hat:

„1. Es wird festgestellt, dass die klagende Partei nicht zum Rückersatz des in der Zeit vom bis bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 14.251,49 EUR an die beklagte Partei verpflichtet ist.

2. Das weitere Begehren festzustellen, dass die klagende Partei nicht zum Rückersatz des für die Zeit von bis bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 2.365,86 EUR an die beklagte Partei verpflichtet ist, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 4 Wochen 2.365,86 EUR an im Zeitraum vom bis zu viel ausgezahltem Kinderbetreuungsgeld zurückzuzahlen.“

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin, ihr am geborener Sohn M* und der Vater des Kindes wohnen in Ungarn. Der Vater des Kindes ist in Ungarn unselbständig erwerbstätig.

[2] Die Klägerin war seit 2007 in Österreich erwerbstätig, und zwar bis 2011 bei der K* A* GmbH und in unmittelbarem Anschluss daran bis bei der K* S* GmbH. Nach der Geburt ihrer ersten beiden Kinder war sie seit wieder bei der K* S* GmbH unselbständig erwerbstätig und bis zur Sozialversicherung angemeldet. Vom bis bezog die Klägerin Wochengeld.

[3] Die Klägerin vereinbarte mit ihrem Arbeitgeber am eine Karenz nach dem Mutterschutzgesetz bis . Bereits vor Beginn des Mutterschutzes aufgrund der bevorstehenden Geburt von M* besprach die Klägerin mit dem Arbeitgeber, dass sie erst nach dem ersten Geburtstag ihres Kindes „zurückkommen“ werde. Bei Unterzeichnung der Karenzvereinbarung am war besprochen, dass die Klägerin in Teilzeit wieder zurückkommen und – wahrscheinlich – in die Einkaufsabteilung wechseln wird.

[4] Dass der Arbeitgeber den österreichischen Markt verlassen wird, war am noch nicht fix. Erst „ein paar Wochen“ vor dem teilte der Arbeitgeber der Klägerin mit, dass er den österreichischen Markt verlassen werde. Am vereinbarten die Klägerin und ihr Arbeitgeber die einvernehmliche Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses zum . Es gab Gespräche, dass die Arbeitnehmer der K* S* GmbH von der K* A*  GmbH übernommen werden. Auch im August 2020, als die Klägerin bei der Beklagten vorsprach, hatte die Klägerin noch den Plan und Wunsch einer weiteren Beschäftigung bei der K* A* GmbH. Zwar wurden diese beiden Gesellschaften verschmolzen, aber von der übernehmenden Gesellschaft nur ein Arbeitnehmer übernommen, sodass „Ende des Sommers/Herbst 2020“ für die Klägerin feststand, dass sie nicht bei der K* A* GmbH weiter arbeiten kann.

[5] Nach dem Ende ihres Arbeitsverhältnisses zur K* S* GmbH bezog die Klägerin von bis Urlaubsersatzleistung. Von bis war die Klägerin bei einem anderen Arbeitgeber in Österreich in Teilzeit beschäftigt.

[6] Mit Bescheid vom aberkannte die beklagte Österreichische Gesundheitskasse rückwirkend für den Zeitraum vom bis die von der Klägerin beantragte Zuerkennung der Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für ihr Kind M*. Die Beklagte widerrief die Gewährung der Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum vom bis in der Höhe von 56,33 EUR täglich und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung der Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld im Ausmaß von insgesamt 16.617,35 EUR.

[7] Mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen – am zur Post gegebenen – Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass sie nicht zum Rückersatz des aus Anlass der Geburt ihres Sohnes M* bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 16.617,35 EUR verpflichtet sei.

[8] Die Beklagte wandte dagegen, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, das Vorliegen einer Scheinkarenz ein.

[9] Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Klägerin habe sowohl im Zeitpunkt der Besprechung der bevorstehenden Karenz mit ihrem Arbeitgeber vor Beginn des Mutterschutzes, als auch im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Karenzvereinbarung am einen Rückkehrwillen gehabt. Auch noch im (Spät-)Sommer habe sie den Wunsch gehabt, von der K* A* GmbH als übernehmender Gesellschaft übernommen zu werden. Tatsächlich habe die Klägerin ja auch wieder ein Beschäftigungsverhältnis in Österreich aufgenommen. Eine Scheinkarenz liege nicht vor.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts für den Zeitraum bis , wies hingegen das Feststellungsmehrbegehren für den Zeitraum bis ab.

[11] Eine Scheinkarenz im Sinn des § 24 Abs 3 KBGG setze voraus, dass die Unterbrechung der Tätigkeit zum Zweck der Kinderbetreuung nur vorgetäuscht werde, obwohl die Tätigkeit tatsächlich beendet werde. Der Täuschungsvorsatz müsse bereits im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Karenz vorliegen, woran es hier fehle. Allerdings liege nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin am keine gleichgestellte Situation im Sinn des § 24 Abs 2 KBGG mehr vor, woran der Bezug der Urlaubsersatzleistung nichts ändere. Der Klägerin habe klar sein müssen, dass sie in einem solchen Fall das erhaltene Kinderbetreuungsgeld zurückzahlen müsse. Daher sei festzustellen, dass sie Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 56,33 EUR täglich für den Zeitraum vom bis zurückzahlen müsse. Allerdings sei der Klägerin keine Verpflichtung zur Rückzahlung aufzuerlegen: Denn § 89 Abs 4 ASGG in der geltenden Fassung sei nicht anwendbar, weil diese Bestimmung nur auf Klagen anwendbar sei, die nach dem eingebracht werden. § 89 Abs 4 ASGG aF sei vom Verfassungsgerichtshof mit Ablauf des aufgehoben worden und wirke nicht weiter. Da der maßgebliche verfahrensrechtliche Tatbestand – hier die Entscheidung des Berufungsgerichts – sich erst nach dem verwirklicht habe, sei auch § 89 Abs 4 ASGG aF nicht anwendbar. Es fehle daher an einer Rechtsgrundlage, die Klägerin zur Rückzahlung des zu Unrecht empfangenen Kinderbetreuungsgeldes zu verpflichten. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 89 Abs 4 ASGG aF in Fällen, in denen § 89 Abs 4 ASGG idgF nicht anwendbar sei, fehle.

[12] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Klagebegehren auch für den Zeitraum vom bis abzuweisen und die Klägerin zum Rückersatz der unberechtigt empfangenen Leistungen in Höhe von 12.730,58 EUR zu verpflichten. Mit dem ersten Eventualantrag beantragt die Revisionswerberin, die Klägerin zum Rückersatz der unberechtigt empfangenen Leistungen in Höhe von 2.365,86 EUR zu verpflichten. Mit ihrem zweiten Eventualantrag begehrt sie die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht.

[13] Die Klägerin beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch im Sinn des ersten Eventualantrags berechtigt.

[15] Voranzustellen ist, dass bereits die Entscheidung des Erstgerichts mangels Anfechtung im Berufungsverfahren im Umfang der Stattgebung des Feststellungsbegehrens für den Zeitraum vom bis in Rechtskraft erwachsen ist. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erwuchs wiederum mangels Anfechtung durch die Klägerin im Umfang der Abweisung des Feststellungsbegehrens für den Zeitraum vom bis unangefochten in Rechtskraft. Strittig im Revisionsverfahren ist daher noch die Feststellung der Rückersatzpflicht der Klägerin für den Zeitraum vom bis und der Ausspruch ihrer Verpflichtung zum Rückersatz des für den Zeitraum bis zu Unrecht empfangenen Kinderbetreuungsgeldes.

1. Zum Feststellungsbegehren für den Zeitraum bis

[16] 1.1. Den Begriff der „Scheinkarenz“ definiert der Gesetzgeber in § 24 Abs 3 KBGG nicht. Bei einer „Scheinkarenz“ wird nach der vom Berufungsgericht beachteten Rechtsprechung die vorübergehende Unterbrechung der Tätigkeit zum Zweck der Kindererziehung nur vorgetäuscht, obwohl in Wahrheit von einer Beendigung der Tätigkeit auszugehen ist (10 ObS 130/18t; 10 ObS 64/23v Rz 23). Ob eine Täuschung in diesem Sinn vorliegt, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (10 ObS 60/21b; siehe auch RS0014790 [T4]). Es kommt dazu maßgeblich darauf an, ob oder welche Absichten die Klägerin im Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Karenz nach § 15 MSchG oder im Zeitpunkt des Abschlusses einer Karenzierungsvereinbarung hatte (10 ObS 179/21b Rz 14; 10 ObS 130/18t Pkt 1.6).

[17] 1.2. Die Revisionswerberin führt aus, dass der Klägerin ein Rückkehrwillen in dasselbe Dienstverhältnis spätestens am , anlässlich der Vereinbarung dessen einvernehmlicher Auflösung, gefehlt habe. Ab diesem Zeitpunkt liege eine Scheinkarenz vor. Bei dieser handle es sich nicht um eine „Voll-Scheinkarenz“, bei der der Rückkehrwille von Anfang an fehle, sondern um eine „Teil-Scheinkarenz“, bei der der Rückkehrwille erst zu einem späteren Zeitpunkt fehle. Da es auf den Willen zur Rückkehr in dasselbe Arbeitsverhältnis ankomme, habe der Rückkehrwille bei der Klägerin spätestens ab der Vereinbarung dessen einvernehmlicher Auflösung gefehlt.

[18] 1.3. Mit diesen Ausführungen übergeht die Revisionswerberin – worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat –, dass es sich bei der gesetzlichen Karenz nach den §§ 15 ff MSchG um einen gesetzlichen Anspruch der Arbeitnehmerin handelt. Das entsprechende Verlangen nach § 15 MSchG ist ein einseitiges Gestaltungsrecht der Arbeitnehmerin (9 ObA 99/17z Pkt 6.; 8 ObA 115/20z Rz 6; jeweils mwN). Es modifiziert für die Zeit der Karenz das Arbeitsverhältnis insofern, als es zwar aufrecht bleibt, aber die beiden Hauptleistungspflichten – die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers – ruhen. Ebenso unterscheidet auch der Gesetzgeber die gesetzliche Karenz, die ausschließlich gleichstellungsfähig im Sinn des § 24 Abs 2 KBGG ist, von anderen privatrechtlichen Vereinbarungen über Freistellungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In den Gesetzesmaterialien zur Schaffung des § 24 Abs 3 KBGG mit dem BGBl I 2016/53 führt er in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Konstruktion der Karenz nach den §§ 15 ff MSchG als Gestaltungsrecht aus, dass „die Inanspruchnahme einer Karenz zum Schein (Scheinkarenz)“ keine der Erwerbsausübung gleichgestellte Zeit ist (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 11).

[19] 1.4. Dass die Karenz von der Klägerin nicht zum Schein in Anspruch genommen wurde, steht im vorliegenden Fall fest. Die Revisionswerberin stellt auch nicht in Frage, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Abschlusses der Karenzvereinbarung am den Willen hatte, ihre Arbeit beim Arbeitgeber nach Ende der vereinbarten Karenz wieder aufzunehmen. Ebenso steht fest, dass die Klägerin erst zu einem späteren Zeitpunkt erfuhr, dass ihr Arbeitgeber den österreichischen Arbeitsmarkt verlassen will. Aus dem bloßen Umstand, dass die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis zu einem späteren Zeitpunkt einvernehmlich auflöste – wozu sie unter den Voraussetzungen des § 10 Abs 7 MSchG (iVm § 15 Abs 4 MSchG) berechtigt ist (vgl ebenso bereits zum Austritt aus Anlass der Geburt eines Kindes bis spätestens drei Monate vor Ende der Karenz, § 15r Z 3 MSchG; 10 ObS 51/17y Pkt 4.3) – folgt nicht, dass sie die Karenz zum maßgeblichen Zeitpunkt der Geltendmachung dieses Anspruchs nur zum Schein in Anspruch genommen hat; dies behauptet die Beklagte auch nicht. Darauf, dass die Klägerin im Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung keinen „Rückkehrwillen“ in das Arbeitsverhältnis mehr gehabt haben mag, kommt es aus den dargestellten Gründen nicht an. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher das Vorliegen einer Scheinkarenz verneint und dem Feststellungsbegehren (auch) für den Zeitraum ab stattgegeben.

2. Zur Auferlegung des Rückersatzes nach § 89 Abs 4 ASGG

[20] 2.1. Nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG sind Rechtsstreitigkeiten über den Rückersatz einer zu Unrecht erbrachten Versicherungsleistung oder eines zu Unrecht erbrachten Pflegegeldes Sozialrechtssachen. Von § 65 Abs 1 Z 2 ASGG sind auch Streitigkeiten über den Rückersatz von Kinderbetreuungsgeld erfasst (Klammerverweis auf Z 8; vgl Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 65 Rz 13). Der Rückersatzwerber hat einen Bescheid zu erlassen, den der Gegner mit Klage bekämpfen kann (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 65 Rz 14). Das Klagebegehren hat auf Feststellung zu lauten, dass die Pflicht zum Rückersatz nicht besteht (RS0084315; vgl RS0109892; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 65 Rz 15).

[21] Nach § 71 Abs 1 ASGG tritt der Bescheid hinsichtlich des von der Klage betroffenen Anspruchs durch die Klageerhebung außer Kraft (vgl RS0085721 [T1]). Aus diesem Grund ist die Anordnung des § 89 Abs 4 ASGG notwendig (Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1992] 536; vgl M. K. Greifeneder, Kognitionsbefugnis in Rückersatzfragen verfassungswidrig – zugleich ein Vorschlag zur Neugestaltung, JAS 2021, 195 [206]): Das Sozialgericht hat daher im Fall der Abweisung der negativen Feststellungsklage – wenn also der Rückersatzanspruch materiell zu Recht besteht – unter einem einen Rückzahlungsausspruch zu treffen.

[22] 2.2. § 89 Abs 4 ASGG idF vor der mit BGBl I 2021/21 kundgemachten Aufhebung einer Wortfolge in Satz 1 dieser Bestimmung lautete:

„Wird in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 2 oder über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach § 65 Abs 1 Z 5 die Klage abgewiesen, weil eine Rückersatz- oder Kostenersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm unter einem der Rück(Kosten)ersatz an den Beklagten aufzuerlegen. Hiebei ist die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen.“

[23] 2.3. Mit Erkenntnis G 264/2019 vom hob der Verfassungsgerichtshof über einen Normenkontrollantrag nach § 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG die Wortfolgen „nach § 65 Abs 1 Z 2 oder“ sowie „Rückersatz-  oder“ und „Rück(“ sowie das Zeichen „)“ in § 89 Abs 4 ASGG mit Ablauf des auf und sprach aus, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht in Kraft treten.

[24] § 89 Abs 4 ASGG in der Fassung der mit BGBl I 2021/21 kundgemachten Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof lautet:

„Wird in einer Rechtsstreitigkeit über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach § 65 Abs 1 Z 5 die Klage abgewiesen, weil eine Kostenersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm unter einem der Kostenersatz an den Beklagten aufzuerlegen. Hiebei ist die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen.“

[25] 2.4. Der Verfassungsgerichtshof trug mit seiner Entscheidung den geltend gemachten Bedenken betreffend die fehlende Kognitionsbefugnis der Sozialgerichte im Hinblick auf die Möglichkeit der gänzlichen oder teilweisen Nachsicht von der Rückersatzpflicht in Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG, wie sie im Anlassfall vorlag, Rechnung:

[26] Während nämlich dem Sozialversicherungsträger nach (in casu) § 76 Abs 3 GSVG (ebenso § 107 Abs 3 ASVG, § 72 Abs 3 BSVG, § 49 Abs 3 B-KUVG; § 40 Abs 3 NVG 2020) bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände sowohl die Befugnis zur Gewährung von Raten als auch die Befugnis, auf die Rückforderung ganz oder zum Teil zu verzichten, eingeräumt ist, war den Sozialgerichten nach § 89 Abs 4 ASGG nur die Möglichkeit der Ratengewährung eingeräumt, nicht hingegen die Möglichkeit, die gänzliche oder teilweise Nachsicht von der Rückersatzpflicht zu gewähren (RS0085706).

[27] Der Verfassungsgerichtshof führte aus, die verfassungsmäßige Ausgestaltung der sukzessiven Kompetenz in Rückforderungsangelegenheiten setze voraus, dass den ordentlichen Gerichten auch die Kognition über den gänzlichen oder teilweisen Verzicht auf die Rückforderung zustehe (G 264/2019 ErwGr 2.2.4.3.). Diesen Anforderungen genüge § 89 Abs 4 ASGG nicht, weil er dem Arbeits- und Sozialgericht nur eine vollumfängliche Auferlegung der Rückersatzpflicht oder die vollumfängliche Verneinung dieser einräume, ohne die Rückersatzpflicht bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände in einer der Vorgangsweise der Sozialversicherungsträger entsprechenden Weise mindern zu können. Darin erkannte er einen Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip (G 264/2019 ErwGr 2.2.4.4. f).

[28] Diesen Bedenken trug er durch die Aufhebung der genannten Wortfolgen Rechnung, weil dadurch ein Rechtszustand, gegen den die im Antrag dargelegten Bedenken nicht bestünden, hergestellt werde (G 264/2019 ErwGr 2.2.4.5.).

[29] 2.5. Die Aufhebung bewirkt, dass Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG nicht mehr von den zuvor auch für Rückersatzstreitigkeiten in § 89 Abs 4 ASGG normierten Anordnungen erfasst sind. Durch die Aufhebung ist die zuvor in § 89 Abs 4 ASGG festgeschriebene Verpflichtung des Gerichts, in Rückforderungsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG im Fall des (materiellen) Bestehens des Anspruchs des Versicherungsträgers auf Rückersatz einer (Versicherungs-)Leistung dem Gegner den Ersatz aufzuerlegen, also einen Leistungsbefehl zugunsten des Sozialversicherungsträgers zu schaffen, entfallen. Durch die Aufhebung wurde ein Rechtszustand geschaffen, nach dem die vom Beschwerdeführer vor dem Verfassungsgerichtshof relevierten Bedenken insofern nicht mehr bestehen, als der Kläger in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG nicht mehr damit konfrontiert ist, dass ihm von einem mit unzureichender Kognitionsbefugnis ausgestatteten Gericht eine Rückersatzpflicht auferlegt werden kann.

[30] 2.6. Dass es nicht sachgerecht ist, wenn der Rückforderungsanspruch im Gerichtsverfahren geprüft und als materiell berechtigt erkannt wird, gleichzeitig jedoch eine Rechtsgrundlage für die Auferlegung der Rückersatzpflicht im Urteil fehlt, liegt auf der Hand (vgl nur M. K. Greifeneder, JAS 2021, 195 [206]; siehe unten ErwGr 3.3.2.).

[31] Diese Erwägung führt allerdings nicht zum Schluss, der Verfassungsgerichtshof sei von einer aus einer anderen Rechtsgrundlage als § 89 Abs 4 ASGG zu entnehmenden Befugnis des Sozialgerichts zur Schaffung eines Exekutionstitels ausgegangen (vgl dazu Sonntag, Zur Aufhebung des § 89 Abs 4 ASGG durch den VfGH, in FS Neumayr 2972 [2976], wonach der VfGH davon ausgehe, das Gericht habe § 76 GSVG anzuwenden). Dem Verfassungsgerichtshof kann zum Einen nicht unterstellt werden, er halte (ohne diesbezügliche eindeutige Ausführungen) § 76 GSVG bzw die in Punkt 2.4. genannten Parallelnormen, die sich nach ihrem Wortlaut nur an die Sozialversicherungsträger richten, auch für die Gerichte maßgeblich. Zum Anderen ordnete er gemäß Art 140 Abs 5 B-VG das Inkrafttreten seiner Aufhebung mehr als ein Jahr nach seinem Erkenntnis an: Die Möglichkeit der Einräumung einer solchen Frist dient gerade dem Zweck, eine Neuregelung zu ermöglichen, wenn das sofortige Außerkrafttreten einer Regelung wegen der dadurch bewirkten Rechtslücke größere Nachteile mit sich brächte als die übergangsweise Beibehaltung der für verfassungswidrig erkannten Regelung (Rohregger/Pechhacker in Korinek/Holoubeket al, Bundesverfassungsrecht [19. Lfg 2024] Art 140 B-VG Rz 343). Die Einräumung der Frist nach Art 140 Abs 5 B-VG bestätigt insofern den Befund, dass der durch die bloße Aufhebung entstehende Rechtszustand nicht wünschenswert ist.

[32] 2.7. Der Gesetzgeber reagierte auf die Aufhebung mit einer Änderung des § 89 Abs 4 ASGG im Zuge der Zivilverfahrens-Novelle 2022 (ZVN 2022, BGBl I 2022/61):

[33] § 89 Abs 4 wurde durch die neu gefassten Absätze 4 (betreffend die Rückersatzpflicht) und 5 (betreffend die im vorliegenden Fall nicht gegenständliche Kostenersatzpflicht des Versicherten) ersetzt.

[34] § 89 Abs 4 ASGG idF ZVN 2022 lautet:

„Wird in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 2 die Klage abgewiesen, weil eine Rückersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm unter einem der Rückersatz an den Beklagten aufzuerlegen. Das Gericht kann jedoch bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers, die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen anordnen oder die Rückersatzpflicht zum Teil oder zur Gänze entfallen lassen.“

3. Zum Übergangsrecht

3.1. Keine Anwendung der aufgehobenen Bestimmung auf den vorliegenden Fall

[35] 3.1.1. Art 140 Abs 7 B-VG ordnet die Bindung aller Gerichte und Verwaltungsbehörden an die Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit an. Nach Satz 2 dieser Bestimmung ist jedoch das Gesetz auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalls (ein solcher liegt im vorliegenden Fall nicht vor) weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht.

[36] Maßgeblich für die weitere Anwendung der aufgehobenen Bestimmung ist, dass sich der Sachverhalt vor der Aufhebung verwirklicht hat (Rohregger/Pechhacker in Korinek/Holoubeket al, Bundesverfassungsrecht Art 140 B-VG Rz 363). Ein „verwirklichter“ Tatbestand in diesem Sinn liegt vor, wenn ein noch vor dem Zeitpunkt, in dem die Sache selbst entschieden werden soll, verwirklichter, unveränderter Sachverhalt vorliegt, der den Tatbestand einer vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Rechtsvorschrift erfüllt (Schäffer/Kneihs in Kneihs/Lienbacher, Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht [18. Lfg 2017] Art 140 B-VG Rz 90).

[37] 3.1.2. Im Zusammenhang mit der gegenständlichen Aufhebung einer Wortfolge in § 89 Abs 4 ASGG besteht der Sachverhalt, der den Tatbestand der aufgehobenen Rechtsvorschrift erfüllt, darin, dass in Rechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG die Klage abgewiesen wird, weil eine Rückersatzpflicht des Klägers besteht (vgl Sonntag in FS Neumayr 2973 [2977]).

[38] 3.1.3. Im vorliegenden Fall wurde zwar die Klage am , also vor dem Inkrafttreten der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Aufhebung mit Ablauf des , eingebracht. Die Abweisung der Klage erfolgte aber erst am . Zu diesem Zeitpunkt war die Aufhebung, die nach dem Ausspruch des Verfassungsgerichtshofs mit Ablauf des in Kraft trat, bereits nach Art 140 Abs 7 B-VG für die Gerichte bindend. Die vor dem Erkenntnis G 264/2019 geltende Fassung des § 89 Abs 4 ASGG war daher im vorliegenden Rechtsstreit vom Erstgericht nicht mehr anzuwenden.

3.2. Gesetzgeberisches Konzept des Übergangsrechts zu § 89 Abs 4 ASGG idF BGBl I 2022/61 (ZVN 2022)

[39] 3.2.1. Nach der Übergangsbestimmung des § 98 Abs 31 ASGG in der Fassung der Regierungsvorlage zur Zivilverfahrensnovelle 2022 (ZVN 2022, BGBl I 2022/61) sollte die Neufassung des (hier interessierenden) Abs 4 des § 89 ASGG am in Kraft treten und auf Verfahren anzuwenden sein, in denen die Klage nach dem eingebracht wird (§ 98 Abs 31 ASGG idF der Regierungsvorlage 1291 BlgNR 27. GP 10).

[40] Die Neufassung wäre damit im unmittelbaren Anschluss an das Wirksamwerden der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Aufhebung in Kraft getreten.

[41] 3.2.2. Die Materialien führen dazu aus, im ASGG werde eine Nachfolgeregelung für die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Sonderbestimmung zu Verfahren über den Rückersatz von zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistungen oder eines Pflegegeldes geschaffen und auch das KBGG und das FamZeitbG entsprechend angepasst (ErläutRV 1291 BlgNR 27. GP 3).

[42] Zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof und den dadurch ausgelösten Regelungsbedarf ist festgehalten, dass Rückzahlungsbescheide der Sozialversicherungsträger über zu Unrecht bezogene Leistungen durch die Erhebung einer Klage außer Kraft und durch die Klageabweisung nicht wieder in Kraft treten. Die abgewiesene Klage beseitige daher den Rückzahlungsausspruch auf Grund des Bescheids, weshalb im § 89 Abs 4 ASGG vorgesehen sei, dass das Sozialgericht einen Rückzahlungsausspruch treffen müsse. Weiters wird dargelegt, dass die Entscheidungskompetenz des Sozialgerichts nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs auch die Kognition über den gänzlichen oder teilweisen Verzicht enthalten müsse. Im Folgenden wird ausgeführt:

„Es soll daher eine Rechtsgrundlage für die Festlegung der Rückzahlungsverpflichtung durch die Sozialgerichte geschaffen werden, die diesen Anforderungen entspricht:

Ab soll nach Abs 4 zweiter Satz aufgrund von Urteilen über Streitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG die festzulegende Rückzahlungsverpflichtung des unterlegenen Klägers bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände auch zum Teil oder zur Gänze entfallen können […]“ (ErläutRV 1291 BlgNR 27. GP 15).

[43] 3.2.3. Aus der Nennung des Datums („Ab “) ist der Wille des Gesetzgebers ersichtlich, das zeitliche Übergangsrecht so zu gestalten, dass ohne zeitliche Lücke nach dem die Sozialgerichte verpflichtet sein sollten, in Fällen des materiellen Bestehens einer Rückersatzpflicht dem Leistungsempfänger im klageabweisenden Urteil den entsprechenden Rückersatz aufzuerlegen.

3.3. Geeignete Regelungstechnik zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels

[44] Verfahrensgesetze sind nach ständiger Rechtsprechung, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden (RS0008733 [T1]).

[45] Aus diesem Grundsatz folgt, dass in Fällen, in denen das Gericht die negative Feststellungsklage abweist, weil die Rückersatzpflicht materiell zu Recht besteht, die Frage, ob das Gericht die Befugnis (und Verpflichtung) hat, neuerlich den Rückersatz aufzuerlegen, nach den im Zeitpunkt der Fällung der Entscheidung geltenden Verfahrensvorschriften zu entscheiden ist.

[46] Hätte sich die Übergangsvorschrift darauf beschränkt, das Inkrafttreten des § 89 Abs 4 idF der ZVN 2022 am anzuordnen, dann hätte der Gesetzgeber damit sein Ziel, trotz der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof lückenlos eine Befugnis des Gerichts zur Auferlegung der Rückersatzpflicht zu schaffen, erreicht: Für Urteile, die bis einschließlich am erlassen wurden, ergibt sich diese Verpflichtung aus der weiterhin dem Rechtsbestand angehörenden „alten“ Fassung des § 89 Abs 4 ASGG, für ab dem erlassene Urteile hätte sie sich (sofern die Novelle tatsächlich am in Kraft getreten wäre) aus der ab diesem Tag geltenden novellierten Fassung der Bestimmung ergeben.

[47] Es ist daher nicht nachvollziehbar, was den Gesetzgeber bewogen hat, die Anwendung des § 89 Abs 4 ASGG idF der ZVN 2022 vom Zeitpunkt der Klageeinbringung abhängig zu machen. Denn dadurch sind zeitliche „Lücken“, in denen eine Rechtsgrundlage für die Befugnis des Gerichts, den Rückersatz aufzuerlegen, fehlt, vorprogrammiert.

3.4. Problematik des zeitlichen Übergangsrechts zu § 89 Abs 4 ASGG idF ZVN 2022

[48] 3.4.1. Stellt man für die Anwendung des novellierten § 89 Abs 4 ASGG auf die Klageeinbringung ab dem (geplant) , also ab dem Tag des In-Kraft-Tretens der Neuregelung, ab, wäre das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, anschließend an die Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof ohne zeitliche Lücke eine neue Rechtsgrundlage für die Auferlegung des Rückersatzes durch die Sozialgerichte zur Verfügung zu stellen, nicht erreichbar. Zur Verwirklichung dieses Ziels bedürfte es einer Rechtsgrundlage, die die Auferlegung des Rückersatzes in ab dem gefällten Urteilen, unabhängig vom Zeitpunkt der Klageeinbringung, ermöglichte.

[49] Dazu kommt, dass § 89 Abs 4 und 5 ASGG in der Folge nicht, wie angestrebt, am , sondern erst am in Kraft traten; sie sind nach dem Wortlaut des § 98 Abs 31 ASGG auf Verfahren anzuwenden, in denen die Klage nach dem eingebracht wird.

[50] 3.4.2. Eine zeitliche Lücke in der Anwendbarkeit der gesetzlichen Verpflichtung zur Auferlegung des Rückersatzes führt zu dem offenkundig unsachlichen Ergebnis, dass der Leistungsempfänger durch die bloße Klageeinbringung und unabhängig vom materiellen Bestand des Rückforderungsanspruchs die Schaffung eines Rückforderungstitels verhindern könnte (vgl nur M. K. Greifeneder, JAS 2021, 195 [206]). Die Sozialgerichte müssten für Urteile, die aufgrund einer vor dem eingebrachten Klage zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem ergehen, weiterhin die Berechtigung des Rückersatzanspruchs prüfen, könnten aber keinen Leistungsbefehl über den Rückersatz erlassen.

[51] 3.4.3. Dass ein solches Ergebnis vermieden werden soll, ergibt sich auch aus der systematischen Zusammenschau mit § 72 Z 3 ASGG, der anordnet, dass in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG die Klage nicht zurückgenommen werden kann. Dadurch soll verhindert werden, dass sich der Versicherte seiner Zahlungsverpflichtung dadurch entzieht, dass er den ihn belastenden Bescheid durch Klageerhebung außer Kraft setzt und dann die Klage zurückzieht (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 72 ASGG Rz 6).

[52] 3.4.4. Zwar steht dem Gesetzgeber – gerade im Sozialversicherungsbereich – ein Gestaltungsspielraum insofern zu, als er in seinen rechts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist. Dieser Gestaltungsspielraum bringt es mit sich, dass er auch die rechtspolitische Freiheit hat, im Weg einer Stichtagsregelung festzulegen, ab wann eine neue materiell-rechtliche Bestimmung zu gelten hat (vgl RS0117654). Eine zeitliche Stichtagsregel verstößt daher nicht grundsätzlich gegen das Gleichheitsgebot (RS0053393; RS0117654).

[53] Das aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleitete Sachlichkeitsgebot ist zwar nicht schon dann berührt, wenn das Ergebnis der Normanwendung nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird (vgl RS0053882). Es ist allerdings verletzt, wenn der Gesetzgeber zur Zielerreichung völlig ungeeignete Mittel vorsieht oder die vorgesehenen, an sich geeigneten Mittel zu einer sachlich nicht begründbaren Differenzierung führen (RS0058455).

[54] 3.4.5. Eine zeitliche Lücke in der Anwendbarkeit der Regel, nach der die Sozialgerichte in Fällen einer materiell berechtigten Rückersatzpflicht des Leistungsempfängers verpflichtet sind, diesem den Rückersatz aufzuerlegen, führt zu einer Differenzierung je nach dem Zeitpunkt, zu dem das klageabweisende Urteil in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG ergeht. Diese Differenzierung beruht im vorliegenden Fall nicht bloß auf dem späteren Inkrafttreten der ZVN 2022, sondern auf dem Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageeinbringung.

[55] Dieses Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageeinbringung in § 98 Abs 31 ASGG ist offenkundig nicht Ausdruck der Inanspruchnahme des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Vielmehr wollte der Gesetzgeber eine Stichtagsregelung, die selbst bei einem In-Kraft-Treten am zu einer zeitlichen Lücke in der Verpflichtung der Gerichte, einen Rückersatzausspruch zu treffen, geführt hätte, gar nicht schaffen.

[56] Gemessen an den Intentionen des Gesetzgebers handelt es sich beim Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageeinbringung daher um eine offenkundige regelungstechnische Fehlleistung.

[57] 3.4.6. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, je nach dem Zeitpunkt der Klageeinbringung und Urteilsfällung trotz materieller Berechtigung des Rückersatzanspruchs dem Gericht die Schaffung eines Titels zu verwehren, ist nicht ersichtlich. Insofern erweist sich das Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageeinbringung im Übergangsrecht auch als unsachlich im Sinn des Art 7 B-VG.

[58] 3.4.7. Die in § 98 Abs 31 ASGG angeordnete Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Klageeinbringung führt darüber hinaus zu Wertungswidersprüchen, die sich aus der systematischen Zusammenschau von § 89 Abs 4 ASGG und § 31 Abs 4 KBGG oder § 7 Abs 3 FamZeitbG ergeben:

[59] 3.4.8. Mit BGBl I 2016/53 wurde im KBGG sowie im neu geschaffenen FamZeitbG für Fälle der Rückforderung angeordnet, dass „abweichend von § 89 Abs 4 letzter Satz ASGG den Gerichten in Angelegenheiten der Leistungen nach diesem Bundesgesetz nicht das Recht [obliegt], Ratenzahlungen anzuordnen, sondern ist dies ausschließlich dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten“ (§ 31 Abs 4 letzter Satz KBGG; § 7 Abs 3 vorletzter Satz FamZeitbG).

[60] Mit der ZVN 2022, mit der – wie dargestellt – die Kompetenz der Sozialgerichte dahin erweitert wurde, dass sie in Rückersatzstreitigkeiten nicht nur zur Ratengewährung, sondern auch dazu berechtigt wurden, vom Rückersatz aus Billigkeitsgründen zum Teil oder zur Gänze abzusehen, wurden auch die beiden genannten Bestimmungen des KBGG und des FamZeitbG geändert.

[61] § 31 Abs 4 letzter Satz KBGG und § 7 Abs 3 vorletzter Satz FamZeitbG idF der ZVN 2022 ordnen nun ausdrücklich an, dass den Gerichten abweichend von § 89 Abs 4 ASGG weder das Recht, die Erstattung in Teilbeträgen anzuordnen, noch das Recht, die Rückersatzpflicht zum Teil oder zur Gänze entfallen zu lassen, zukommt, sondern dass beides dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten ist.

[62] § 31 Abs 4 KBGG und § 7 Abs 3 FamZeitbG idF der ZVN 2022 traten jeweils am in Kraft (§ 50 Abs 28 KBGG; § 12 Abs 4 FamZeitbG). Die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen wird – anders als bei § 89 Abs 4 ASGG idF der ZVN 2022 – also nicht vom Zeitpunkt der Klageeinbringung abhängig gemacht.

[63] 3.4.9. Die Verschiebung der Befugnis zur Ratengewährung, nach der ZVN 2022 auch jener zum Absehen von der Rückersatzpflicht, ins nachgeschaltete Verwaltungsverfahren setzt logisch zwingend die Möglichkeit des Sozialgerichts voraus, im Fall der Abweisung der negativen Feststellungsklage wegen Berechtigung des Rückersatzanspruchs überhaupt einen Ausspruch über die Rückersatzpflicht in sein Urteil aufzunehmen.

[64] . Dass auch § 72 Z 3 ASGG, wonach die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG nicht zurückgenommen werden kann, nur zusammen mit der Möglichkeit der Sozialgerichte, in Rückforderungsstreitigkeiten den Ersatz aufzuerlegen, die Funktionsfähigkeit des gerichtlichen Rückforderungsverfahrens wahren kann (vgl Fink, Sukzessive Zuständigkeit 420), wurde bereits oben ausgeführt.

[65] . Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die durch das Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageeinbringung in § 98 Abs 31 ASGG entstehende zeitliche „Anwendungslücke“ Widersprüche innerhalb der Systematik der Regelung der Rückforderung von Leistungen hervorruft. Diese tritt in Fällen der Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld oder Familienzeitbonus in besonders zugespitzter Weise zutage.

3.5. Zu einer Wertungswidersprüche vermeidenden Auslegung des § 98 Abs 31 ASGG

3.5.1. Grundsätze der Gesetzesauslegung

[66] 3.5.1.1. Für die Auslegung generell-abstrakter Normen sehen §§ 6 und 7 ABGB eine Reihe von Kriterien vor: § 6 ABGB stellt sowohl auf die „eigentümliche Bedeutung der Worte“, und zwar „in ihrem Zusammenhang“ ab, was der Wortinterpretation unter Berücksichtigung des Bedeutungszusammenhanges und der Gesetzessystematik entspricht, als auch auf die „klare Absicht des Gesetzgebers“ und schreibt damit die Erforschung der Absicht des Gesetzgebers vor (8 Ob 563/85). Dabei sind die einzelnen Auslegungsmethoden nicht mechanisch hintereinander anzuwenden, es ist vielmehr eine Gesamtwürdigung vorzunehmen und unter Heranziehung aller zur Verfügung stehender Kriterien in wertender Entscheidung der Sinn einer Regelung klarzustellen (RS0008877; 8 Ob 563/85; 5 Ob 233/22h). Dass selbst der eindeutige Gesetzeswortlaut keine unübersteigbare Grenze juristischer Argumentation darstellt, ist auf Grundlage des § 7 ABGB in der Rechtsprechung anerkannt (vgl RS0008765 [T1]).

[67] In Fällen, in denen das Gesetz in seinem wörtlichen Verständnis offenbare Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung provozieren müsste, mit dem bestehendem Wertekonsens innerhalb der Rechtsgemeinschaft unvereinbar oder der „Natur der Sache“ zuwider wäre, ist die Heranziehung von historischem Interpretationsmaterial erforderlich. Gelingt in einem solchen Fall der Nachweis einer vom Wortlaut abweichenden Absicht des Gesetzgebers, so wird diese, unterstützt von den objektiv-teleologischen Argumenten, durchdringen (RS0008765; 10 ObS 126/88; vgl 5 Ob 118/07z; 5 Ob 6/11k). Dabei geht es nicht darum, unter Außerachtlassung der Gewaltenteilung eine als unbefriedigend empfundene Gesetzgebung durch die Rechtsprechung zu korrigieren (vgl RS0106011), sondern vielmehr darum, einem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der mit der Gesetzessystematik und ihren zugrunde liegenden Wertungen im Einklang steht, über einen unzulänglich formulierten Gesetzestext hinaus zum Durchbruch zu verhelfen (vgl RS0009100; RS0008763; Kerschner/Kehrer in Klang³ §§ 6, 7 ABGB Rz 101: „Redaktionsversehen“). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Erzielung eines verfassungswidrigen Auslegungsergebnisses tunlichst zu vermeiden ist (6 Ob 157/14b [ErwGr 4.4.]; RS0008793), sofern sich der Gesetzgeber nicht gezielt über verfassungsgesetzliche Wertungen hinweggesetzt hat (vgl Kerschner/Kehrer in Klang³ §§ 6, 7 ABGB Rz 79).

[68] 3.5.1.2. Im vorliegenden Fall wurde bereits aufgezeigt, dass das gesetzgeberische Ziel darin bestand, für Rückersatzstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG eine Rechtsgrundlage für die Auferlegung des Rückersatzes durch die Sozialgerichte zu schaffen, die lückenlos im Anschluss an das Wirksamwerden der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof zur Anwendung kommen sollte.

[69] Ebenso wurde dargestellt, dass der Gesetzeswortlaut insofern, als er die Anwendbarkeit der Neuregelung von der Klageeinbringung ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der novellierten Fassung des § 89 Abs 4 ASGG abhängig macht, der Verwirklichung dieses Ziels entgegensteht. Denn das – nach dem Wortlaut gebotene – Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageeinbringung (ab dem Tag des Inkrafttretens) führt zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten zeitlichen Lücke in der Befugnis der Sozialgerichte, unberechtigten Leistungsempfängern den Rückersatz aufzuerlegen. Eine Auslegung des § 98 Abs 31 ASGG ausschließlich nach grammatikalischen Gesichtspunkten würde – auch das wurde bereits ausgeführt – bei systematischer Betrachtung zu teleologisch-systematischen Wertungswidersprüchen und zu einem unsachlichen Ergebnis führen.

[70] Vor diesem Hintergrund ist es im vorliegenden Fall geboten, die Übergangsvorschrift des § 98 Abs 31 ASGG entgegen ihrem Wortlaut dahin auszulegen, dass für die Anwendbarkeit von § 89 Abs 4 ASGG idF der ZVN 2022 nicht auf den Zeitpunkt der Klageeinbringung nach dem abgestellt wird. Ob darin eine teleologische Reduktion des Gesetzeswortlauts oder eine analoge Anwendung des § 89 Abs 4 ASGG idF der ZVN 2022 auf Fälle, die nach dem Wortlaut der Übergangsbestimmung von ihr noch nicht erfasst sind, kann dahinstehen.

[71] Diese Auslegung verhilft dem aus den zitierten Materialien ersichtlichen wahren Willen des Gesetzgebers unter Berichtigung des unzulänglich gestalteten Wortlauts (eines offenkundigen Redaktionsversehens) des § 98 Abs 31 ASGG zum Durchbruch und vermeidet eine Auslegung, die unter systematischen und teleologischen Gesichtspunkten wertungswidersprüchlich und mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot des Art 7 B-VG kaum in Einklang zu bringen wäre.

3.5.2. Ergebnis

Als Ergebnis der vorstehenden Erwägungen wird festgehalten:

[72] § 98 Abs 31 ASGG ist infolge eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers so auszulegen, dass dessen zweiter Satz, wonach § 89 Abs 4 und 5 ASGG idF der BGBl I 2022/61 (ZVN 2022) auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Klage nach dem eingebracht wird, zumindest für Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG nicht gilt. Die Sozialgerichte haben daher § 89 Abs 4 ASGG idF der ZVN 2022 auch in Verfahren, in denen die Klage vor dem eingebracht wurde und das Urteil nach diesem Zeitpunkt liegt, anzuwenden.

3.5.3. Vorliegender Fall

[73] Die unter 3.5.2. angeführten Voraussetzungen liegen auch hier vor, weshalb das Berufungsgericht daher unter einem mit der teilweisen Abweisung der Feststellungsklage der Klägerin den Rückersatz in diesem Umfang an die Beklagte im über die Feststellungsklage ergehenden Urteil hätte auferlegen müssen. Der Revision war daher teilweise im Sinn des ersten Eventualantrags Folge zu geben und die Klägerin zum Rückersatz der für den Zeitraum bis zu Unrecht bezogenen Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 2.365,86 EUR (56,33 EUR x 42 Tage) zu verpflichten.

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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00116.23S.1031.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
AAAAF-66290