OGH 17.01.2023, 10ObS105/22x
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Hofrätin Dr. Faber als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Heinz Schieh und Mag.a Elke Wostri (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Peter Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Versehrtengeld und Betriebsrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 35/22s-41, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb, der ursprünglich als Milchviehbetrieb geführt wurde. Seit 2010 lebt der Kläger davon, dass er – zwischen sechs und zehn – fremde Pferde einstellt und betreut. Er verfügt auch über zwei eigene Pferde. Der Kläger betreibt weder einen Pferdezuchtbetrieb noch Fuhrwerksdienste.
[2] 2012 kaufte der Kläger das Pferd J*, das sich zunächst bei einer Hengstaufzucht befand und dann in einer Reitschule, wo es angeritten und weiter gefördert wurde. Im Jahr 2019 entschloss sich der Kläger, dieses Pferd als Kutschpferd auszubilden. Mit dieser Ausbildung wollte der Kläger den Wert seines Pferdes steigern, um es – nach seinem Vorbringen – gewinnbringend zu veräußern. Als der Kläger dieses Pferd am zur Kutschenfahrt einspannen wollte, wurde es nervös, zog plötzlich nach rechts und trat dabei dem Kläger gegen den rechten Unterschenkel, wodurch der Kläger verletzt wurde.
[3] Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom als Arbeitsunfall im Sinn des § 148c BSVG ab.
[4] Der Kläger begehrt – nach Modifikation im zweiten Rechtsgang – die Zuerkennung von Versehrtengeld und einer Betriebsrente für die Folgen des Arbeitsunfalls vom . Die Ausbildung des Pferdes zu einem Kutschpferd gehöre zum landwirtschaftlichen Betriebsbereich der Zucht von Nutztieren und damit einem Betrieb einer Land- und Forstwirtschaft im Sinn des Landarbeitsgesetzes, sodass Unfallversicherungsschutz bestehe.
[5] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Haltung eines Pferdes als Nutztier nur dann unter Versicherungsschutz nach dem BSVG stehe, wenn sie zur Zucht, Mast oder Gewinnung tierischer Erzeugnisse diene, was hier jedoch nicht der Fall sei. Die Ausbildung eines Pferdes zu einem Kutschpferd diene dessen Wertsteigerung, um es gewinnbringend verkaufen zu können. Das Halten von Pferden sei aber per se keine landwirtschaftliche Tätigkeit im Sinn des § 5 Abs 1 Landarbeitsgesetz 1984 (LAG 1984).
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab. Weder züchte der Kläger Pferde, noch betreibe er einen Fuhrwerksdienst. Da die Ausbildung eines Pferdes dem Hobby des Klägers diene, liege auch kein allfälliges Nebengewerbe der Land- und Forstwirtschaft vor.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Was ein land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb sei, richte sich gemäß § 2 Abs 1 Z 1 BSVG, der auch für die Pflichtversicherung in der Unfallversicherung nach § 3 Abs 1 BSVG maßgebend sei, nach den Bestimmungen des LAG 1984. Die Pflichtversicherung erstrecke sich nach § 2 Abs 1 Z 1 lit a BSVG auch auf landwirtschaftliche Nebengewerbe gemäß § 2 Abs 1 Z 2 GewO 1994. Dass der Kläger Fuhrwerksdienste anbiete (§ 2 Abs 5 Z 6 GewO 1994), habe er nicht behauptet. Das bloße Ausbilden eines eigenen Pferdes zum Kutschpferd, um es – nach den Behauptungen des Klägers – teurer verkaufen zu können, stelle kein Vermieten oder Einstellen von Reittieren als landwirtschaftliches Nebengewerbe im Sinn des § 2 Abs 4 Z 6 GewO 1994 dar. Der Kläger betreibe auch keine Pferdezucht im Sinn des § 2 Abs 3 Z 2 GewO 1994, sodass auch daher keine landwirtschaftliche Tätigkeit im Sinn des § 5 Abs 1 LAG 1984 vorliege. Die Revision an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[8] In seiner gegen dieses Urteil erhobenen außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[9] 1.1 Der Kläger macht geltend, dass das Berufungsgericht unrichtig davon ausgehe, dass für das Vorliegen von „Tierzucht“ zwingend das Ziel verfolgt werden müsse, durch Auswahl, Kreuzung und Paarung bestimmter Vertreter von Arten oder Rassen mit besonderen erwünschten Merkmalen und Eigenschaften eine Verbesserung und Verschönerung zu erreichen. Dies sei unrichtig, es handle sich nicht um eine zwingende Voraussetzung, wie sich aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergebe. Der Kläger habe – wie im Sachverhalt der Entscheidung des VwGH Ro 2015/08/0002 – ein Pferd ausgebildet. Dabei handle es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle – auch um eine „Zucht von Tieren“ im Sinn des § 5 Abs 1 LAG 1984.
[10] 1.2 Gemäß § 3 Abs 1 Z 1 BSVG iVm § 2 Abs 1 Z 1 BSVG sind ua natürliche Personen in der Unfallversicherung pflichtversichert, die auf ihre Rechnung und Gefahr einen land-(forst-)wirtschaftlichen Betrieb im Sinn der Bestimmungen des LAG 1984, BGBl 1984/287, führen. Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sind gemäß § 5 Abs 1 Satz 1 LAG 1984 (vgl nunmehr: § 4 Abs 1 LAG 2021, BGBl I 2021/78) Betriebe der land- und forstwirtschaftlichen Produktion und ihre Nebenbetriebe, soweit diese in der Hauptsache die Verarbeitung der eigenen Erzeugnisse zum Gegenstand haben und sich nicht als selbständige, von der Land- und Forstwirtschaft getrennt verwaltete Wirtschaftskörper darstellen. Gemäß § 5 Abs 1 Satz 2 LAG 1984 zählen in diesem Rahmen zur land- und forstwirtschaftlichen Produktion die Hervorbringung und Gewinnung pflanzlicher Erzeugnisse mit Hilfe der Naturkräfte einschließlich des Wein- und Obstbaus, des Gartenbaus und der Baumschulen, das Halten von Nutztieren zur Zucht, Mästung oder Gewinnung tierischer Erzeugnisse sowie die Jagd und Fischerei.
[11] 1.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis 87/01/0286 zu dieser Bestimmung ausgeführt, dass nach dieser Bestimmung tatbestandsmäßig für das Vorliegen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs das Halten von Nutztieren zur Zucht ist. Er führt weiters aus (Hervorhebung durch den Senat): „Die Zucht von Tieren bedeutet schon nach dem Wortsinn das Aufziehen, Pflegen, besonders mit dem Ziel, durch Auswahl, Kreuzung, Paarung bestimmter Vertreter von Arten oder Rassen mit besonderen erwünschten Merkmalen und Eigenschaften eine Verbesserung oder Verschönerung zu erreichen.“ (vgl auch VwGH 93/08/0127). Für die vom Revisionswerber gewünschte Lesart des Wortes „besonders“ als „insbesondere“ findet sich jedoch in der weiteren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs keine Grundlage: Allein das Halten von Pferden als Nutztieren stellt noch keine landwirtschaftliche Tätigkeit im Sinn des § 5 Abs 1 LAG dar. Es bedarf dazu über das Halten hinaus einer Züchtung oder Gewinnung von tierischen Erzeugnissen (VwGH 2008/08/0058). Der Tatbestand des „Haltens von Nutztieren zur Zucht“ des § 5 Abs 1 LAG 1984 wird jedenfalls durch die Aufzucht eigener Pferde erfüllt, weil hier der Zuchtzweck – das bedeutet die „Urproduktion“ im Sinn des Begriffs der Landwirtschaft – erfüllt wird (VwGH 2008/08/0148 mwH; VwGH 2007/08/0072). Der Entscheidung des VwGH Ro 2017/08/0016 (die Folgeentscheidung der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung Ro 2015/08/0002) liegt kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde: In diesem Verfahren lag ein landwirtschaftlicher Betrieb vor, weil eine Pferdezucht betrieben wurde. Der Verwaltungsgerichtshof sprach aus, dass daran der Zweck der Zucht – die Ausbildung von Reitpferden zu Dressur- und Springpferden – nichts ändere.
[12] 1.4 Die Bestimmungen der GewO 1994 sind ua gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GewO 1994 nicht auf die Land- und Forstwirtschaft anzuwenden. § 2 Abs 1 Z 1 GewO 1994 verweist ua auf § 2 Abs 3 GewO 1994. Zur Land- und Forstwirtschaft im Sinn der GewO 1994 gehören danach gemäß § 2 Abs 3 Z 2 GewO 1994 „das Halten von Nutztieren zur Zucht, Mästung oder Gewinnung tierischer Erzeugnisse“. Zu dieser – mit § 5 Abs 1 Satz 2 LAG 1984 wortidenten – Bestimmung führt der Verwaltungsgerichtshof auch in seiner Rechtsprechung zum landwirtschaftlichen Bringungsrecht aus (VwGH Ra 2019/07/0014 mwH Rz 58, Hervorhebung durch den Senat): „Mangels Bestehens einer gesetzlichen Definition des Begriffes von Land- oder Forstwirtschaft im Sinne der Vorschriften des Bringungsrechtes ist die Frage, ob eine bestimmte Nutzung eines Grundstückes als solche der Land- oder Forstwirtschaft angesehen werden kann, danach zu beurteilen, ob die geplante Nutzung einerseits eine Hervorbringung und Gewinnung pflanzlicher Erzeugnisse mit Hilfe der Naturkräfte oder das Halten von Nutztieren zur Zucht, Mästung oder Gewinnung tierischer Erzeugnisse darstellt und ob die geplante Nutzung andererseits mit einer grundsätzlich auf die Erzielung von Einkünften gerichteten Nachhaltigkeit ausgeübt werden kann (; , 2004/07/0194). Es muss sich also zum einen um Urproduktion (von Pflanzen oder Tieren) und zum anderen um eine nachhaltig auf die Erzielung von Einkünften ausgerichtete Tätigkeit handeln.“ Im Zusammenhang mit der Pferdehaltung sei eine Urproduktion aber nur dann anzunehmen, wenn es sich dabei – zumindest auch – um die Zucht oder um die Gewinnung tierischer Erzeugnisse handelt (VwGH 2009/07/0166).
[13] 1.5 Das Erstgericht hat – insofern unbekämpft – festgestellt, dass der Kläger keinen Pferdezuchtbetrieb betreibt. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es sich bei der Ausbildung eines eigenen Pferdes zum Kutschpferd nicht um eine „Züchtung“ im Sinn der dargestellten erforderlichen „Urproduktion“ handelt, steht mit dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs im Einklang. Über das bereits genannte Argument hinaus zeigt der Revisionswerber nicht auf, aus welchen Gründen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts korrekturbedürftig sein sollte. Die in diesem Zusammenhang behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[14] 2.1 Der Kläger macht weiters geltend, dass für die Tätigkeit des Ausbildens eines Kutschpferdes weder eine Gewerbeanmeldung noch eine berufsrechtliche Berechtigung erforderlich sei, sodass vom Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebs im Sinn des § 2 Abs 1 Z 1 lit d BSVG iVm § 5 Abs 5 lit g LAG 1984 auszugehen sei. Dem kommt keine Berechtigung zu:
[15] 2.2 § 5 Abs 5 lit g LAG 1984 lautet: „(5) Als Betriebe der Land- und Forstwirtschaft gelten ferner Betriebe, die in untergeordnetem Umfang im Verhältnis zum Hauptbetrieb im Sinne des Abs 1 bzw 2 geführt werden, deren Geschäftsbetrieb nachstehende selbständige Tätigkeiten umfasst und diese nach ihrer wirtschaftlichen Zweckbestimmung in einem Naheverhältnis zum Hauptbetrieb erfolgen: ...
g) Tätigkeiten für deren Ausübung weder eine Gewerbeanmeldung (§ 339 GewO 1994) noch eine berufsrechtliche Berechtigung erforderlich ist.“
[16] Mit dieser Bestimmung sollen beispielsweise Betätigungen wie jene der Tageseltern oder „Seminarbäuerinnen“ erfasst werden (weitere Bespiele bei Kaluza, Die Sozialversicherungsbeiträge der Bauern [2018], Rz 254). Der Kläger hat im Verfahren vorgebracht, dass er das Pferd nach abgeschlossener Ausbildung um einen Preis von ca 30.000 EUR als Kutschpferd verkaufen hätte können. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 10 ObS 265/91 SSV-NF 5/109 ausgeführt, dass die bloße Anschaffung von Pferden ausschließlich zum Zweck der Vermietung oder Veräußerung als Gewerbe zu qualifizieren sei. Daran ist auch nach heutiger Rechtslage (vgl nunmehr § 1 Abs 2 GewO 1994) festzuhalten: Die Ausbildung eines Tieres ist entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers ein freies Gewerbe im Sinn des § 5 Abs 1 GewO 1994, das (bereits) aufgrund einer Anmeldung (§ 339 GewO 1994) ausgeübt werden darf (Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7 [Stand , rdb.at] Anm 3a, 12; vgl Bundeseinheitliche Liste der freien Gewerbe [Stand ], S 4: „Ausbildung, Betreuung, Pflege, Abwiegen, Messung und Vermietung von Tieren sowie die Beratung hinsichtlich artgerechter Haltung und Ernährung von Tieren mit Ausnahme der den Tierärzten vorbehaltenen diagnostischen und therapeutischen Tätigkeiten“ abrufbar unter https://www.bmaw.gv.at/Services/Publikationen/Bundeseinheitliche-Liste-der-freien-Gewerbe.html).
[17] 3. Der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ist ua dann verwirklicht, wenn für die Entscheidung keine Gründe angegeben sind. Nach ständiger Rechtsprechung wird dieser Nichtigkeitsgrund aber nur durch den völligen Mangel an Gründen, nicht jedoch durch eine nach Ansicht des Revisionswerbers mangelhafte Begründung gebildet. Ein völliger Mangel an Begründung im Sinn des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO läge nur vor, wenn die Entscheidung gar nicht oder so mangelhaft begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RS0042206; RS0007484). Davon kann hier keine Rede sein.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00105.22X.0117.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-66282