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OGH 13.12.2022, 10Ob34/22f

OGH 13.12.2022, 10Ob34/22f

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Rechtssatz


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Norm
RS0134424
Nach § 7 Abs 2 letzter Halbsatz UVG ist der ursprüngliche Gewährungszeitraum um die Dauer der Gewährung von Haftvorschüssen zu verlängern. Dies bedeutet, dass die vor der Umstellung auf Haftvorschüsse nicht verbrauchten Monate des ursprünglichen Gewährungszeitraumes der Titelvorschüsse an das Ende des Bezugs der Haftvorschüsse angeschlossen werden.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Kinder R*, geboren * 2008, und N*, geboren * 2009, beide vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirk 21, 1210 Wien, Franz-Jonas-Platz 12), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , AZ 45 R 93/22t, GZ 45 R 94/22i-64, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 1 Pu 376/10w-50 und -51, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Rekursgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, die Zustellung jeweils einer Gleichschrift des Revisionsrekurses an den Vater M* zu Handen des Zustellkurators RA Dr. Christian Lang sowie an die Mutter H* zu veranlassen.

Nach Erstattung der Revisionsrekursbeantwortung bzw fruchtlosem Verstreichen der Frist sind die Akten erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.

Text

Begründung:

[1] Den Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens bildet die Frage, für welchen Zeitraum wieder in Geltung gesetzte Titelvorschüsse (§ 7 Abs 2 UVG) zu gewähren sind.

[2] Aufgrund der Unterhaltsvereinbarungen jeweils vom (ON 14) ist der Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von jeweils 165 EUR an seine beiden 2008 und 2009 geborenen Töchter verpflichtet.

[3] Mit Beschlüssen des Erstgerichts jeweils vom wurden den beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von bis gewährt (ON 18 und 19).

[4] Mit Beschlüssen jeweils vom (ON 21 und 22) wurden die Titelvorschüsse von bis auf Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG umgestellt. Die Haftvorschüsse wurden den Kindern vorerst bis (ON 25 und 26) und dann bis weitergewährt (ON 40 und 41).

[5] Mit Schriftsatz vom (ON 47) beantragten die Kinder für den Fall einer möglichen Haftentlassung des Vaters mit die Umwandlung der Haftvorschüsse (§ 4 Z 3 UVG) in Titelvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG.

[6] Am langte beim Erstgericht die Haftauskunft der Justizanstalt Garsten ein, aus welcher sich das Ende der strafgerichtlichen Anhaltung des Vaters mit und die Entlassungsadresse „Türkei“ ergibt (ON 48).

[7] Das Erstgericht stellte daraufhin die Haftvorschüsse mit ein und setzte die Titelvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von jeweils 165 EUR für den Zeitraum von fünf Jahren ( bis ) wieder in Geltung (ON 50 und 51).

[8] Das vom Bund angerufte Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Da die ursprüngliche Geltungsdauer der Titelunterhaltsvorschussgewährung gemäß § 7 Abs 2 UVG um die Dauer der Haftunterhaltsvorschussgewährung zu verlängern sei, sei das Wieder-in-Geltung-Setzen der Titelvorschüsse für fünf Jahre nicht zu beanstanden.

[9] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich mit der Begründung zu, dass es die Bestimmung des § 7 Abs 2 letzter Halbsatz UVG entgegen der gängigen Rechtsprechung und daher wohl unrichtig angewandt habe.

[10] Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die Titelvorschüsse lediglich für den Zeitraum von bis wieder in Geltung gesetzt werden.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof ist verfrüht.

[12] 1. Wird ein Revisionsrekurs oder – wie hier – eine Zulassungsvorstellung, mit der ein Revisionsrekurs verbunden ist, gegen einen Beschluss erhoben, mit dem über die Sache entschieden worden ist, ist jeder anderen aktenkundigen Partei – sofern das Rechtsmittel nicht zurückzuweisen ist – eine Gleichschrift zuzustellen (§ 68 Abs 1 AußStrG). Die anderen Parteien können binnen 14 Tagen eine Beantwortung des Revisionsrekurses überreichen.

[13] 2. Im Gewährungsverfahren nach dem UVG kommt nicht nur dem Kind (vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger) und dem Bund (vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien), sondern auch dem Vater als Unterhaltsschuldner und der Mutter als Zahlungsempfängerin Parteistellung gemäß § 2 AußStrG zu. Auch ihnen steht es daher frei, gemäß § 68 Abs 1 und Abs 3 Z 2 AußStrG eine Beantwortung des Revisionsrekurses einzubringen (RIS-Justiz RS0120860 [T12]).

[14] 3. Die – den Revisionsrekurs nicht zulassende – Entscheidung des Rekursgerichts vom (ON 64) wurde am dem Bund und dem Zustellkurator des Vaters sowie am dem Kinder- und Jugendhilfeträger sowie der Mutter zugestellt. Der Bund brachte am eine Zulassungsvorstellung ein, mit der ein Revisionsrekurs verbunden war.

[15] Das Rekursgericht änderte mit Beschluss vom seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses dahin ab, dass es den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig erklärte. Weiters sprach es aus: „Der Revisionsrekursgegnerin wird gemäß § 63 Abs 5 AußStrG die Beantwortung des ordentlichen Revisionsrekurses binnen 14 Tagen freigestellt.“

[16] 4. Der Beschluss des Rekursgerichts vom wurde allein dem Kinder- und Jugendhilfeträger (am ) zugestellt, nicht aber dem Zustellkurator des Vaters und der Mutter.

[17] 5. Das Rekursgericht hat daher die Zustellung des Revisionsrekurses samt der Freistellung der Rechtsmittelbeantwortung an die weiteren Verfahrensparteien, nämlich an den durch einen Zustellkurator vertretenen Vater als Unterhaltsschuldner und an die Mutter als Zahlungsempfängerin nachzuholen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Kinder R*, geboren * 2008, und N*, geboren * 2009, beide vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirk 21, 1210 Wien, Franz Jonas-Platz 12), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 45 R 93/22t, 45 R 94/22i-64, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 1 Pu 376/10w-50 und -51, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich seiner unangefochtenen in Rechtskraft erwachsenen Teile zu lauten hat:

„1. Die den Kindern R*, geboren * 2008, und N*, geboren * 2009, zuletzt mit Beschlüssen des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , 1 Pu 376/10w, ON 40 und 41, gewährten monatlichen Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG werden mit Ablauf des Dezember 2021 eingestellt.

2. Die Beschlüsse des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , 1 Pu 376/10w, ON 18 (für R*) und ON 19 (für N*), mit welchen den Kindern gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG monatliche Unterhaltsvorschüsse von 165 EUR je Kind, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß §§ 293 Abs 1 lit c sublit bb erster Fall, 108 f ASVG gewährt wurden, werden für die Dauer von bis gemäß § 7 Abs 2 UVG wieder in Geltung gesetzt.“

Die Änderung der Auszahlungsanordnungen bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung:

[1] Den Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens bildet die Frage, für welchen Zeitraum wieder in Geltung gesetzte Titelvorschüsse (§ 7 Abs 2 UVG) zu gewähren sind.

[2] Aufgrund der Unterhaltsvereinbarungen jeweils vom (ON 14) ist der Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von jeweils 165 EUR an seine beiden 2008 und 2009 geborenen Töchter verpflichtet.

[3] Mit Beschlüssen des Erstgerichts jeweils vom wurden den beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von bis gewährt (ON 18 und ON 19).

[4] Mit Beschlüssen jeweils vom (ON 21 und 22) wurden die Titelvorschüsse von bis auf Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG umgestellt. Die Haftvorschüsse wurden den Kindern vorerst bis (ON 25 und 26) und dann bis weitergewährt (ON 40 und 41).

[5] Mit Schriftsatz vom (ON 47) beantragten die Kinder für den Fall einer möglichen Haftentlassung des Vaters mit die Umwandlung der Haftvorschüsse (§ 4 Z 3 UVG) in Titelvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG.

[6] Am langte beim Erstgericht die Haftauskunft der Justizanstalt Garsten ein, aus welcher sich das Ende der strafgerichtlichen Anhaltung des Vaters mit und die Entlassungsadresse „Türkei“ ergibt (ON 48).

[7] Das Erstgericht stellte daraufhin die Haftvorschüsse mit ein und setzte die Titelvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von jeweils 165 EUR für den Zeitraum von fünf Jahren für N* ( bis ) bzw bis zum Erreichen der Volljährigkeit für R* ( bis ) wieder in Geltung (ON 50 und 51).

[8] Das vom Bund angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Da die ursprüngliche Geltungsdauer der Titelunterhaltsvorschussgewährung gemäß § 7 Abs 2 UVG um die Dauer der Haftunterhaltsvorschussgewährung zu verlängern sei, sei das Wieder-in-Geltung-Setzen der Titelvorschüsse für fünf Jahre nicht zu beanstanden.

[9] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich mit der Begründung zu, dass es die Bestimmung des § 7 Abs 2 letzter Halbsatz UVG entgegen der gängigen Rechtsprechung und daher wohl unrichtig angewandt habe.

[10] Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die Titelvorschüsse lediglich für den Zeitraum von bis wieder in Geltung gesetzt werden.

[11] Mit Beschluss vom stellte der Oberste Gerichtshof die Akten dem Erstgericht zur Vornahme unterbliebener Zustellungen zurück. Rechtsmittelbeantwortungen wurden nicht erstattet. Nach Wiedervorlage des Akts an den Obersten Gerichtshof ist nun über den Revisionsrekurs des Bundes zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Revisionsrekurs des Bundes ist berechtigt.

[13] 1. Mit dem FamRÄG 2009 (BGBl I 2009/75) wurde die bereits zuvor in § 7 Abs 2 UVG geregelte Möglichkeit des „Übergangs“ von Titelvorschüssen auf Haftvorschüsse, wenn dem Geldunterhaltsschuldner die Freiheit entzogen wird, auf den umgekehrten Fall, nämlich den der Haftentlassung ausgedehnt. Dem § 7 Abs 2 UVG wurde folgender Satz angefügt:

„Der Beschluss, mit dem Vorschüsse nach den §§ 3 oder 4 Z 1, 2 oder 4 gewährt wurden, ist mit der Beendigung der Freiheitsentziehung auf Antrag oder, falls das Gericht hievon verständigt wurde, von Amts wegen ohne Prüfung der Voraussetzungen der Gewährung wieder in Geltung zu setzen, wenn das Kind zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig ist; der Zeitraum, für den die Vorschüsse gewährt wurden, ist dabei um die Dauer der Vorschussgewährung nach § 4 Z 3 zu verlängern.“

[14] 2. Da das FamRÄG 2009 das Konzept der unterschiedlichen Strukturierung der Vorschussgründe nicht änderte, ist das Wieder-in-Geltung-Setzen der Titelvorschüsse als Einstellung der Haftvorschüsse mit gleichzeitiger unveränderter Wiedergewährung der früheren Vorschüsse zu verstehen (10 Ob 111/15v; 10 Ob 44/14i; 10 Ob 3/15m; jeweils mit Hinweis auf Neumayr, Unterhaltsvorschuss neu, ÖJZ 2010/20, 164 [167]). Der Vorteil des Wieder-in-Geltung-Setzens für das Kind liegt darin, dass die Gewährungsvoraussetzungen nicht im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu überprüfen sind (10 Ob 111/15v mwN).

[15] 3. Nach § 7 Abs 2 letzter Halbsatz UVG ist der ursprüngliche Gewährungszeitraum um die Dauer der Gewährung der Haftvorschüsse zu verlängern.

[16] Im vorliegenden Fall wurden die Titelvorschüsse für beide Kinder für den Zeitraum von bis gewährt. Die Kinder bezogen 24 Monate lang – bis – Titelvorschüsse; daran anschließend bezogen sie 106 Monate lang Haftvorschüsse ( bis ).

[17] Der ursprüngliche Gewährungszeitraum der Titelvorschüsse (bis zum ) verlängert um die Dauer der Gewährung der Haftvorschüsse von 106 Monaten ergibt ein Ende des Anspruchs auf die wieder in Geltung gesetzten Titelvorschüsse mit .

[18] Zum selben Ergebnis gelangt man, indem an das Ende des Bezugs der Haftvorschüsse mit die noch nicht verbrauchten 36 Monate (von ursprünglich 60 Monaten der gewährten Titelvorschüsse) angeschlossen werden (vgl das Berechnungsbeispiel bei Neumayr in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar5 [2019] § 7 UVG Rz 52). Das selbe Ergebnis wird deshalb erzielt, weil im vorliegenden Fall die Haftvorschüsse zeitlich unmittelbar an den Bezug der Titelvorschüsse anschlossen; auf abweichende Konstellationen (vgl 10 Ob 111/15v) muss hier daher nicht eingegangen werden.

[19] 4. Dem Revisionsrekurs des Bundes ist Folge zu geben und die Dauer des Anspruchs auf Titelvorschüsse für beide Kinder mit zu begrenzen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00034.22F.1213.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
JAAAF-66248