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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.02.2025, RV/3100033/2018

Eine Abänderung gemäß § 295a BAO könnte nur dann ungeachtet eingetretener Verjährung vorgenommen werden, wenn sie in Durchführung einer Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz OECD-Musterabkommen entsprechenden Bestimmung erfolgte; somit in Umsetzung einer Verständigungsregelung.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Dr. Nicolaus Pomaroli MAS in der Beschwerdesache ***BF***, seit Insolvenzeröffnung Beschwerdesache der Rechtsanwältin ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** als Insolvenzverwalterin im Konkurs über das Vermögen des Nachlasses des ***BF*** über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer 2006 zu Recht:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Hinweis: Aus Gründen der Einfachheit wird auch angesichts der erklärten fortgesetzten Rechtspersönlichkeit des Beschwerdeführers in Ansehung der im Verfahren verhandelten Rechte in der Folge weiterhin von "Beschwerdeführer" gesprochen.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis , Ro 2014/15/0050, der Revision des Beschwerdeführers gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , GZ RV/3100253/2013, Folge gegeben. Das angefochtene Erkenntnis wurde dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat: "Die erstinstanzlichen Bescheide vom , betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2006 sowie Einkommensteuer 2006, werden ersatzlos aufgehoben."

Das angefochtene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts wäre gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat gemäß § 42 Abs. 3a VwGG von der Ermächtigung Gebrauch gemacht, statt eines bloß aufhebenden Erkenntnisses eine verfahrensbeendende Entscheidung in der Sache selbst zu fällen, und daher auf ersatzlose Behebung der erstinstanzlichen Bescheide vom erkannt.

Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid vom den von ihr am ausgefertigten Bescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2006 gemäß § 295a BAO abgeändert und die Einkommensteuer mit 573.448,39 Euro festgesetzt. Durch die ersatzlose Aufhebung der Bescheide vom durch den Verwaltungsgerichtshof sei der Einkommensteuerbescheid 2006 vom wieder in Rechtskraft erwachsen.

Art. 15 Abs. 1 zweiter Satz DBA habe das Besteuerungsrecht an der gegenständlichen Abfindung Deutschland zugewiesen. Erst die tatsächlich im Tätigkeitsstaat erfolgte Steuerfreistellung der Abfindungszahlung mit "Gerichtsbescheid" vom habe zum Rückfall des Besteuerungsrechtes an den Ansässigkeitsstaat geführt. Der nachträgliche Wegfall der Besteuerung in Deutschland stelle ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 295a BAO dar. Die vorgenommene Abänderung gemäß § 295a BAO sei trotz mittlerweile eingetretener Verjährung gesetzeskonform.

Die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers hat mit Schreiben vom das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde erhoben. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig ergangen, weil bereits Verjährung eingetreten sei. Er sei ersatzlos aufzuheben, sodass der bisherige Einkommensteuerbescheid 2006 vom , welcher mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 295a BAO abgeändert wurde, wieder in Rechtskraft erwachse.

Beantragt wurden die Entscheidung durch den gesamten Senat gemäß § 272 Abs. 2 Z 1 BAO, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 274 Abs. 1 Z 1 BAO und das Unterbleiben der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 Abs. 2 lit. a BAO.

Des Weiteren wurde unter Bezugnahme auf § 262 Abs. 1 BAO der Antrag gestellt, dass die gegenständliche Beschwerde dem Bundesfinanzgericht ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch das Finanzamt vorgelegt werde.

Die belangte Behörde hat die Bescheidbeschwerde mit Bericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Schreiben vom wurden die Anträge auf Entscheidung durch den gesamten Senat sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung jeweils zurückgenommen.

Die Beschwerdesache wurde mit Verfügung des Präsidenten vom der nunmehr zuständigen Geschäftsabteilung 4014 zugeteilt.

Am wurde die Bescheidbeschwerde mit dem Ersuchen, sie als unbegründet abzuweisen, dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Am tt. September 2018 ist der Beschwerdeführer verstorben. Unter anderem dieser Umstand wurde mit Schreiben vom durch den damaligen deutschen Nachlassverwalter des Beschwerdeführers mitgeteilt.

Mit Schreiben vom wurde der vormaligen Richterin per Brief unter anderem mitgeteilt, dass ein Nachlassinsolvenzverfahren anhängig gemacht worden war und damit zu rechnen sei, dass in Kürze ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet werde (dies ist in der Zwischenzeit erfolgt).

Im Zuge dessen wurde das Gericht von der (damaligen) Gutachterin und (nunmehrigen) (Nachlass-)Insolvenzverwalterin unter anderem dazu angefragt, ob es auch nach österreichischem Recht bezogen auf das gegenständliche verwaltungsgerichtliche Verfahren eine der Nachlassinsolvenzeröffnung zukommende Unterbrechungswirkung gebe.

Am wurde die Forderung des Finanzamtes aus Einkommensteuer 2006 gemäß Rückstandsausweis vom , Einkommensteuerbescheid 2006 vom , wurde von der Insolvenzverwalterin in voller Höhe bestritten.

Deren Frage vom nach einer allfälligen Unterbrechungswirkung hat der zuständig gewordene Richter telefonisch am - hierüber wurde ein Aktenvermerk vom selben Tag errichtet -verneint. Sodann erklärte die Insolvenzverwalterin am die Zurücknahme des Antrages auf Entscheidung durch den Senat gemäß § 273 BAO sowie des Antrages auf mündliche Verhandlung gemäß § 274 BAO.

Auf die Nachfrage des Gerichts vom , ob sich in der steuerlichen Vertretung Änderungen ergeben haben oder sich in Zusammenhang mit dem anhängigen Insolvenzverfahren ergeben würden, erklärte sich die Insolvenzverwalterin mit Schreiben vom aufgrund der Insolvenzeröffnung(auch) für den vorliegenden Rechtsstreit im Beschwerdeverfahren vertretungsbefugt - was als eintrittsberechtigt interpretiert wird. Sie ist § 80 BAO zufolge gesetzliche Vertreterin des Gemeinschuldners (vgl. m. w. N.).

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1. Der bis September 2005 in Deutschland wohnhafte nunmehrige Beschwerdeführer - der seinerzeitige Berufungs- und Revisionswerber - war seit dem Jahr 1999 für eine deutsche Kapitalgesellschaft tätig. Er übte die Tätigkeit durchgehend in Deutschland aus. Mit Vereinbarung vom kam der Beschwerdeführer mit dem Arbeitgeber überein, das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum im gegenseitigen Einvernehmen zu beenden. Zugleich verpflichteten sich Arbeitgeber und Beschwerdeführer, die im Jänner 2005 ausgesprochene Kündigung bzw. die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage zurückzunehmen. Vereinbart wurde weiter, dass der Beschwerdeführer ab sofort vom Dienst freigestellt werde. Als Ausgleich für alle durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Nachteile wurde eine Abfindung von 1,45 Mio. Euro zuzüglich einer Bonuszahlung von 50.000 Euro vereinbart, die am ausgezahlt werden sollte. Tatsächlich kam es jedoch erst im März des Streitjahres 2006 zur Auszahlung der genannten Beträge.

2. Ende September 2005 gab der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz in Deutschland auf und begründete einen Wohnsitz in Österreich. 2011 kehrte er nach Deutschland zurück.

3. Am wurde dem Beschwerdeführer auf dessen Verlangen vom österreichischem Wohnsitzfinanzamt eine Bescheinigung für die "ausländische Steuerbehörde" ausgestellt, in dem als "Einkünfte, die im Ansässigkeitsstaat der Besteuerung unterliegen" u.a. eine "Abfindung" in Höhe von 1,45 Mio. Euro aufscheint.

4. In der am elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung 2006 gab der Beschwerdeführer neben gegenständlich nicht interessierenden Einkünften "unter Progressionsvorbehalt steuerbefreite Auslandseinkünfte" in Höhe von 1,492.800 Euro bekannt. Am erging der Einkommensteuerbescheid 2006, wobei die zum Progressionsvorbehalt erklärten deutschen Einkünfte auf Grund des übrigen (nach dem Tarif zu versteuernden) negativen Einkommens ohne steuerliche Auswirkung blieben. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

5. Mit Schreiben des Finanzamtes München II vom wurde dem österreichischen Wohnsitzfinanzamt des Beschwerdeführers mitgeteilt, dass dieser eine Abfindung zum Ausgleich aller ihm durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandenen Nachteile erhalten habe. Die im März 2006 ausbezahlte Abfindung könne nach der Entscheidung des Finanzgerichtes München vom nicht der deutschen Besteuerung unterzogen werden. Nach der Judikatur des Bundesfinanzhofes würden Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses vereinbart werden, nicht für eine konkret ausgeübte Tätigkeit, sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt. Ein solcher bloßer Anlasszusammenhang genüge, wie der BFH zu der insoweit gleich lautenden Bestimmung im Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz judiziert habe, nicht, um Deutschland als Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht daran einzuräumen.

6. Nach Durchführung einer Außenprüfung nahm das Finanzamt mit Bescheid vom das Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2006 wieder auf und erließ einen geänderten Einkommensteuerbescheid gleichen Datums, in dem die Abfertigungszahlung als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie die Bonuszahlung zum Progressionsvorbehalt berücksichtigt wurden. Die Nichtbesteuerung der Abfindung in Deutschland stelle für Österreich eine Vorfrage nach § 303 Abs. 1 lit. c BAO dar. Die Kenntnis über die erfolgte Steuerfreistellung der Abfindung in Deutschland sei für die österreichische Steuerbehörde neu hervorgekommen und bewirke eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil alleine durch diesen Umstand ein im Spruch anderslautender Einkommensteuerbescheid für 2006 ergangen wäre. Da der Beschwerdeführer zum seinen deutschen Wohnsitz aufgegeben habe und nach Österreich verzogen sei, stehe nach Art. 15 DBA-Deutschland das Besteuerungsrecht für diese Abfindung dem Wohnsitzstaat Österreich zu. Derartige Einkünfte könnten nach Art. 28 Abs. 1 lit. a DBA-Deutschland im Ansässigkeitsstaat versteuert werden, wenn keine Besteuerung im ehemaligen Tätigkeitsstaat erfolge.

7. Der Beschwerdeführer erhob Berufung sowohl gegen den Wiederaufnahme- als auch gegen den neuen Sachbescheid. Unter anderem verkenne das Finanzamt, dass Doppelbesteuerungsabkommen nicht in der Lage seien, einen innerstaatlichen Besteuerungsanspruch zu begründen. Auch auf Abkommensebene ergebe sich kein Anknüpfungspunkt für ein Besteuerungsrecht Österreichs. Schließlich sei auch die Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 4 BAO rechtswidrig erfolgt.

8. Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde ab und hat dazu begründend ausgeführt, dass ausländische Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit vom Eintritt der unbeschränkten Steuerpflicht an der österreichischen Steuerpflicht unterlägen. Von diesem Verständnis des nationalen Besteuerungsanspruchs seien offenbar auch die Regelungen des Art. 28 Abs. 1 lit. a bzw. Art. 15 Abs. 4 DBA-Deutschland ausgegangen. Das Finanzamt habe sich, obgleich es sich nicht auf den Tatbestand der abweichenden Vorfragenentscheidung hätte berufen können, gleichwohl zu Recht auf das Hervorkommen neuer Tatsachen gestützt.

9. Dagegen wandte sich die Revision des nunmehrigen Beschwerdeführers.

10. Der Verwaltungsgerichtshof gab mit Erkenntnis vom , Ro 2014/15/0050, der Revision mit der - auf das hier Wesentliche reduzierten - Begründung Folge, erst die tatsächlich im Tätigkeitsstaat erfolgte Steuerfreistellung der Abfindungszahlung mit "Gerichtsbescheid" vom habe zum Rückfall des Besteuerungsrechtes an den Ansässigkeitsstaat geführt. Das Wissen um den Einspruch des Beschwerdeführers gegen die deutsche Steuervorschreibung habe nicht genügt, schon im wiederaufgenommenen Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu einer Steuerpflicht der Abfindung zu gelangen. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO komme dann nicht in Betracht, wenn der ausländische Staat, wie im Revisionsfall Deutschland, zunächst sein Besteuerungsrecht ausgeübt habe und später auf Grund eines Rechtsmittelverfahrens entschieden werde, dass das Besteuerungsrecht zu Unrecht ausgeübt wurde. Der nachträgliche Wegfall der Besteuerung in Deutschland stelle ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO und keinen geeigneten Wiederaufnahmegrund dar.

Nachdem der VwGH auf ersatzlose Behebung der erstinstanzlichen Bescheide vom erkannt hatte - siehe Verfahrensgang -, wurde unter Heranziehung des § 295a BAO am der gegenüber dem Bescheid vom geänderte Bescheid erlassen. Darin wurden Einkünfte in Höhe von 1.154.240,00 Euro zum Tarif versteuert sowie auf 50.000,00 Euro verminderte Einkünfte als sog. "Progressionseinkünfte" angesetzt.

2. Beweiswürdigung

Dieser Sachverhalt ist unbestritten und ergibt sich für das Verwaltungsgericht nachvollziehbar aus dem Akteninhalt. Er entspricht im Wesentlichen dem zu , führenden Verfahrensgang und dem Verwaltungsgeschehen im nachfolgenden Behördenverfahren, welches zur Erlassung des nunmehr angefochtenen Bescheides geführt hat. Die sachverhaltsbezogen übereinstimmenden schriftlichen Äußerungen beider Parteien sind für das Bundesfinanzgericht glaubhaft.

Insbesondere waren auch keine neuen Sachverhaltselemente zu würdigen, welche der jeweils anderen Partei noch nicht mitgeteilt worden wären.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Folgende unterschiedliche Standpunkte werden vertreten:

- Nach Ansicht der belangten Abgabenbehörde sollte eine Durchbrechung der Verjährungsfrist, wie sie in Art. 25 Abs. 2 DBA Deutschland (in der Folge: des Abkommens) vorgesehen ist, gleichermaßen im Rahmen einer Verständigung nach Art. 25 Abs. 3 conv. cit. möglich sein, wenn es Fälle betrifft, die im Zeitpunkt der Vereinbarung noch nicht verjährt sind. Diese Ansicht bezieht das Finanzamt aus dem Umstand, dass weder aus dem Wortlaut noch aus dem Abkommenszusammenhang ersichtlich sei, dass bei der Umsetzung von Verständigungsverfahren gemäß Art. 25 Abs. 3 strengere verfahrensrechtliche Maßstäbe gelten sollen als bei der Umsetzung von Einzelverständigungsverfahren.

- Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber den Standpunkt, der Umstand, dass Art. 28 des Abkommens nicht zwischen den beiden Arten an Verständigungsverfahren des Artikels 25 unterscheide, sei nur für die Anwendbarkeit des genannten Artikels von Bedeutung (diese sah der Verwaltungsgerichtshof im Ausgangsfall zu , gegeben an, zumal sich der negative Qualifikationskonflikt nicht durch ein Verfahren nach Art. 25 habe regeln lassen). Für die Frage der Verjährung "des angefochtenen Bescheids" sei die Interpretation der Anwendungsvoraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 lit. a hingegen irrelevant. Diesbezüglich sehe die Verfahrensregelung des Abkommens für das Einzel-Verständigungsverfahren nach Art. 25 Abs. 1 und 2 - anders als für allgemeine Konsultationsverfahren nach Art. 25 Abs. 3 - in Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz vor, dass die Verständigungsregelung ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten umzusetzen sei. In diesem Punkt seien die unterschiedlichen Verfahrensarten nach Art. 25 des Abkommens streng zu trennen und nicht austauschbar.

- Das Bundesfinanzgericht gelangt zu folgender Auffassung:

1. Gemäß § 295a BAO kann ein Bescheid von Amts wegen insoweit abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat. Die Entscheidung über die Abänderung steht der Abgabenbehörde zu, die für die Erlassung des abzuändernden Bescheides zuständig war oder vor Übergang der Zuständigkeit als Folge einer Bescheidbeschwerde oder einer Säumnisbeschwerde (§ 284 Abs. 3BAO) zuständig gewesen wäre. Ist die diesbezügliche Zuständigkeit auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen, so steht die Entscheidung der zuletzt zuständig gewordenen Abgabenbehörde zu (§ 295a Abs. 2 BAO).

2. Gemäß § 207 Abs. 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist bei der Einkommensteuer grundsätzlich fünf Jahre. Soweit die Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre.

3. Gemäß § 209 Abs. 3 BAO verjährt das Recht auf Festsetzung einer Abgabe spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4 BAO).

4. Der Abgabenanspruch entsteht gemäß § 4 Abs. 1 BAO, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Nach § 4 Abs. 2 Z 2 BAO entsteht der Abgabenanspruch bei der Einkommensteuer für die zu veranlagende Abgabe mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird.

5. Gemäß § 302 Abs. 1 BAO sind Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden, soweit nicht anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist, Aufhebungen gemäß § 299 BAO jedoch bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97 BAO) des Bescheides zulässig. Das AbgÄG 2003 hat für Abänderungen nach § 295a einen speziellen Verjährungsbeginn (in § 208 Abs. 1 lit. e) vorgesehen. Danach beginnt die Verjährung in den Fällen des § 295a BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem das Ereignis eingetreten ist. Daher sind Abänderungen gemäß § 295a leg. cit. auch dann zulässig, wenn die vom Jahr des Entstehens des Abgabenanspruches abgeleitete Bemessungsverjährungsfrist (§ 208 Abs. 1 lit. a) bereits abgelaufen ist. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die sog. absolute Verjährung nach § 209 Abs. 3 (zehn Jahre ab Entstehen des Abgabenanspruches) noch nicht eingetreten ist (z. B. Perktold/Huber in Althuber/Toifl, Rückforderung, 159; vgl. Ritz/Koran, BAO7 § 295a Rz 46).

6. Die absolute Verjährung legt allerdings lediglich die äußerste zeitliche Grenze für die Abgabenfestsetzung fest und begrenzt damit insbesondere die (mehrfachen) Verlängerungsmöglichkeiten der Verjährungsfristen des § 207 BAO ().

7. Beispiele für eine nach Eintritt der - auch absoluten (Ritz/Koran, BAO7, § 209a Rz 5) -Verjährung noch rechtmäßige Abgabenfestsetzung ergeben sich vor allem aus den §§ 209a, 295 Abs. 2a, 295 Abs. 4, 302 und 304.

Anders als die Erlassung eines auf § 48 BAO gestützten Bescheides, die keine Maßnahme der Abgabenfestsetzung wäre und daher nicht durch die Bemessungsverjährung (§§ 207 ff) befristet ist (Ritz/Koran, BAO7 § 48 Rz 15 unter Verweis auf Unger in Althuber/Tanzer/Unger, BAO-HB, § 48, 186), unterläge allerdings die Änderung abgeleiteter Abgabenbescheide nach § 295 Abs. 3) grundsätzlich der Verjährung. Ausnahmen können sich allerdings aus dem Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz OECD-Musterabkommen entsprechenden Bestimmungen in Doppelbesteuerungsabkommen ergeben (Ritz/Koran, BAO7 § 48 Rz 15; vgl. ebd., § 209a Rz 1 m. w. N.).

Das Gericht neigt der - später zu entfaltenden - Auffassung zu, dass es sich im Verhältnis einer Änderung von Abgabenbescheiden nach § 295a BAO zu Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz ähnlich verhält.

Analyse der Rechtskraft- und Verjährungsdurchbrechungen unter dem Aspekt der Durchführungsverpflichtung im Abkommen

8. Angesichts dessen stellt sich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund rechtsschutzorientierter Überlegungen, zunächst für das Einzel-Verständigungsverfahren die Frage, ob eine "effektive Durchführung" selbst angesichts eingetretener Verjährung angenommen werden könnte, fände doch der Umsetzungsbefehl des Abkommens sonst nur bedingt Resonanz im innerstaatlichen Recht.

Diesbezüglich nennen Ritz/Koran Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz OECD-Musterabkommen zwar als Beispiel für eine nach Eintritt der Verjährung noch rechtmäßige Abgabenfestsetzung, hinterfragen dies zugleich aber kritisch. Unklar sei nach den genannten Autoren insbesondere auch der Begriff "Verständigungsregelung", zumal in der österreichischen Praxis Verständigungsvereinbarungen nicht mit Vertrag erfolgen würden und überdies keinerlei Bindung der Höchstgerichte (auch nicht der Abgabenbehörden) an die Verständigungsvereinbarung bestehe (Ritz/Koran, BAO7, § 209a Rz 1f). Demgegenüber gehen Papst/Urtz davon aus, dass die Regelung, wonach die Verständigungsregelung ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts umzusetzen ist, im Verhältnis zu den innerstaatlichen (verfahrensrechtlichen) Fristen eine lex specialis darstelle und damit dem Ergebnis aus dem Verständigungsverfahren auf nationaler Ebene zum Durchbruch verhelfe (Papst/Urtz in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 Art. 25 Rz 94).

Nach Ansicht der letztgenannten Autoren ist die Regelung des Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz aufgrund der Wertungen der innerstaatlichen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht nur auf Verjährungsfristen, sondern insbesondere auch auf die einjährige Aufhebungsfrist gemäß § 299 i. V. m. § 302 BAO anzuwenden. Dies ergebe sich daraus, dass die Verjährungsfrist die wichtigere Schranke darstelle, und - nach der Systematik des § 302 BAO - die einjährige Aufhebungsfrist letztlich nur eine zusätzliche Einschränkung der Verjährungsfrist bedeute.

Selbst die zehnjährige absolute Verjährung stehe einer Umsetzung des Verständigungsergebnisses nicht entgegen. Da Art. 25 Abs. 2 letzter Satz unmittelbar anwendbares Recht darstelle, bestehe bei diesem weiten Verständnis des Anwendungsbereiches der Bestimmung grundsätzlich keine Notwendigkeit weiterer nationaler Verfahrensrechtsvorschriften zur Rechtskraftdurchbrechung; somit könnte die Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung auch unmittelbar auf Art. 25 Abs. 2 letzter Satz eines diese Bestimmung vorsehenden Abkommens gestützt werden (Papst/Urtz in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 Art. 25 Rz 96).

Nach Ansicht von Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes/Daurer ergibt sich daraus, dass die "Verständigungsvereinbarung" nach den DBA, die bereits dem "OECD-Musterabkommen" aus 1977 folgen, ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten umzusetzen ist, dass diese ungeachtet bereits eingetretener Rechtskraft und Verjährung oder abgelaufener Antragsfristen auch umgesetzt werden könne (Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes/Daurer, Internationales Steuerrecht, 25. Verständigungsverfahren, Anm. 31).

Damit erkennen die Autoren - wenigstens implicite - einer Verständigungsvereinbarung, welche Art. 25 Abs. 2 OECD-Musterabkommen entspricht, "über ihren zweiten Satz" (Außen-)Wirkung zu. Nimmt man diese Wirkung nur gegenüber allfälliger Verjährung an, so äußerte sie sich im Hinblick auf nachfolgende innerstaatliche Rechtsakte, nimmt man diese Wirkung hingegen auch für die Rechtskraft an, so stellte sich die Frage, ob die abkommensrechtliche Norm "self executing"-Charakter hätte, somit im speziellen Fall ihre rechtliche Wirkung ohne vermittelnden innerstaatlichen Vollzugsakt entfaltete.

Folgte man der genannten Ansicht, so wirkte sich die Verpflichtung, eine Einzel-Verständigung unabhängig von der Verjährung durchzuführen, in jedem der Fälle in einer Art Reflexwirkung auf die Möglichkeit aus, sie auch bei eingetretener Verjährung umzusetzen.

9. Das Gericht vertritt in dieser Hinsicht eine differenzierte Ansicht, wonach die von Ritz/Koran prinzipiell verneinte Bindung an die Verständigungsregelung jedenfalls erst unter Rückbeziehung auf ihre (ihr eigene) Verbindlichkeit bestimmt werden müsste. Nur zum Vergleich folgt im innerstaatlichen Verwaltungsverfahrensrecht eine derartige Bindungswirkung (zumindest auch) aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft des aktiv bindenden Rechtsaktes (Hervorhebung durch das Gericht). Diese Wirkung stellt eine Konsequenz der Rechtsverwirklichung durch rechtskräftig werdende Bescheide dar (vgl. zur Definition u. a. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, 468ff; vgl. u. a. , sowie ).

Selbst wenn man nunmehr mit Papst/Urtz (ebd. Rz 96) bei einem weiten Verständnis des Anwendungsbereiches der Bestimmung grundsätzlich keine Notwendigkeit weiterer nationaler Verfahrensrechtsvorschriften zur Rechtskraftdurchbrechung erkennen würde, müssten auch in Anerkennung der Bestimmung als unmittelbar anwendbares Recht nicht nur deren genaue Zielsetzung, sondern auch Struktur und Wirkung dieser Bestimmung als Teil einer völkerrechtlichen Norm näher analysiert werden. Bei allen Unterschieden zwischen dem Charakter des Abkommens und dem innerstaatlichen Verwaltungsrecht ist beiden doch gemeinsam, dass Bindung gewissermaßen durch die Verbindlichkeit der jeweiligen Norm erzeugt wird, welche diesem nach den jeweils unterschiedlichen grundlegenden Annahmen der jeweiligen Rechtsgebiete zukommen oder zugeschrieben werden muss (Nachdem die "nackte" Verständigung an sich keinen Rechtsakt im genannten Sinn darstellt, muss eine Verbindlichkeit auch erst unter Bezugnahme auf die ihre Durchführung anordnende abkommensrechtliche Norm, in die sie eingebettet und von der sie zugleich Tatbestandselement ist, ausgemacht werden).

Mit anderen Worten müsste neben einer derartigen Wirkung auch die Verbindlichkeit selbst bezogen auf Art. 25 des Abkommens präzise ausgemacht werden. Jedenfalls weist die Textierung der relevanten Passage sowohl im OECD-Musterabkommen als auch im DBA-Deutschland eher in die Richtung eines Befolgungsanspruches, wobei aber diese Befolgung, insbesondere auch, weil dieser Anspruch sich in einer an die nationalen Verwaltungsbehörden gerichteten Durchführungspflicht ausdrückt, regelgeleitet und gebunden an die nationalen Verfahrensvorschriften erfolgen muss (arg.: "Die Verständigungsregelung ist ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten durchzuführen." jeweils wortident sowohl im OECD-Musterabkommen als auch im DBA-Deutschland).

10. Grundsätzlich kommt aus österreichischer Sicht - unter anderem - die Abänderung eines Bescheides aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses nach § 295a BAO als verfahrensrechtliches Instrument zur Umsetzung der Verständigungsregelung dann in Betracht, wenn das anwendbare DBA keine dem Art. 25 Abs. 2 entsprechende Bestimmung enthält (vgl. den diesbezüglichen Hinweis von Papst/Urtz, in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 Art. 25 Rz 99 auf Erlässe des BMF und deren Aufgriff in der Literatur).

Allerdings unterläge eine Durchführung der Verständigungsregelung mit den Mitteln des innerstaatlichen Verfahrensrechts selbst dann der Verjährung, wenn sie im Anwendungsbereich des Art. 25 Abs. 2, allerdings nicht mittels dessen zweiten Satzes, erfolgte. Damit stellt sich die Verjährungsproblematik nicht nur dann, wenn es sich nicht um ein Verständigungsverfahren nach Art. 25 Abs. 2 des Abkommens handelt, sondern auch dann, wenn die Rechtskraft- (und Verjährungs-)Durchbrechung nicht durch Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz conv. cit. selbst (erzeugt und) erfolgend angesehen wird. Der zweite Fall wäre rein begrifflich auch keine "Durchführung" der Verständigungsregelung mehr, wohl aber deren "Umsetzung" mit den Mitteln des nationalen Verfahrensrechts.

Mit Blick auf Verjährungsfristen würden innerstaatliche Verfahrensvorschriften, die zum Zweck der nachfolgenden, "selbständigen" Abänderung angewendet werden, das Fehlen einer auf Rechtskraftdurchbrechung gerichteten Regelung im Abkommen allerdings nur unvollkommen ersetzen, zumal die Fristen in einer derartigen Konstellation ja beachtlich bleiben. Dem Ergebnis des Verständigungsverfahrens nach Art. 25 Abs. 2 würde also nur jeweils entsprechend begrenzt zum Durchbruch verholfen, geschweige denn dass es im Hinblick auf die Durchbrechung der Rechtskraft als solche schwierig würde, überhaupt von einem darauf gerichteten Befolgungsanspruch zu sprechen. Ein Abgabenbescheid auf der Grundlage § 295a BAO würde in einem solchen Fall schon von vornherein nicht "ohne jeden Zweifel" in Umsetzung des Art. 25 Abs. 2 eines Abkommens ergehen.

11. Für den Regelfall des Vorhandenseins eines entsprechenden Modus im Art. 25 Abs. 2 werden Verpflichtung und entsprechende Möglichkeit zur Umsetzung der Verständigungsregelung nach dem genannten Artikel nach herrschender Meinung beide in dessen zweitem Satz verortet; die Umsetzung der Verständigungsregelung gehörte nach einem solchen Verständnis (noch) zur Norm des Verständigungsverfahrens; dies setzt jedoch implizit voraus, dass mit dem Fehlen einerdem Art. 25 Abs. 2 entsprechendenBestimmung ausschließlich und lediglich das Fehlen einer deren zweiten Satzes entsprechenden Formulierung bei gleichzeitigem Bestehen des sonstigen Regelungsgehaltes des Art. 25 Abs. 2 gemeint ist und nicht, dass etwa auch eine Konsultationsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 3 im Wege des § 295a BAO umsetzbar wäre (wofür auch weder in systematischer noch in teleologischer Hinsicht Anhaltspunkte bestehen).

Ein Verständnis im ersten Sinn wäre überdies kongruent zu der Ansicht, wonach die Regelung des Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz aufgrund der Wertungen der innerstaatlichen verfahrensrechtlichen Vorschriften auf Verjährungsfristen anzuwenden ist, diese Fristen also unter dem Aspekt effektiver Rechtskraftdurchbrechung und Änderung außer Wirksamkeit setzt und so die Verjährung durchbricht. Mit Papst/Urtz eine "lex specialis" zu innerstaatlichen (verfahrensrechtlichen) Fristen anzunehmen, scheint etwas überschießend (so aber Papst/Urtz, in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 Art. 25 Rz 94). Wenn überhaupt, müsste Spezialität nach Ansicht des Gerichts im Verhältnis zu den im nationalen Recht zur Durchbrechung der Rechtskraft vorgesehenen "Verfahrenstiteln" angenommen werden, wobei sich Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz von diesen eben nur in der "Modalität" unbeachtlicher Fristen unterscheidet (wobei mit zu berücksichtigen, ist, dass die nationalen Vorschriften den Verjährungsvorbehalt aus anderen Verfahrensvorschriften, wie etwa § 207 BAO, beziehen).

Es scheint daher angebrachter, mit Macho/Spensberger/Steiner von einer in Art. 25 Abs. 2 letzter Satz OECD-Musterabkommen vorgesehenen Durchbrechungswirkung der innerstaatlichen Fristenregelungen aufgrund von Bestimmungen über das Verständigungsverfahren im jeweils anzuwendenden DBA zu sprechen (vgl. Macho/Spensberger/Steiner, SWK 2014, 939 (940); hier wird auch der innere Regelungszusammenhang zwischen dem Gehalt des Art. 25 Abs. 2 - der eigentlichen "Verständigung" - und der im zweiten Satz dieses Artikels vorgesehenen effektiven Durchführung der dabei erzielten Vereinbarung deutlich). Jedenfalls für den Fall, dass diese Durchbrechungswirkung nicht normiert ist, werden die innerstaatlichen Verfahrenstitel unter Beachtung der diesbezüglichen Verjährungsvorschriften heranzuziehen sein.

12. Dabei bleibt aber die - eigentliche - Frage offen, ob auch die Rechtskraftdurchbrechung bereits unmittelbar in der abkommensrechtlichen Norm als solche angesiedelt sein kann, oder ob vielmehr stets ein Zusammenspiel von Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz des Abkommens mit den nationalen Verfahrensvorschriften zur Durchbrechung der Rechtskraft erforderlich sein wird, welches dann eine "emergente Kraft" erzeugt. Das Gericht neigt der zweiten Ansicht zu (In jedem Fall wird zu beachten sein, dass - mittlerweile - auch mit dem sog. "MLI - Multilateralen Instrument" klargestellt ist, dass weder Verjährungs- noch Rechtsmittelfristen einer Umsetzung der Verständigungslösung entgegenstehen dürfen; ebd., Rz 96; nach Ritz/Koran ist demgegenüber allerdings insbesondere unklar, ob neben den Verjährungsfristen u. a. auch Rechtsmittelfristen gemeint sind).

Im Übrigen wird mit dem Hinweis, dass eine Nichtumsetzung der Verständigungsergebnisse unter Berufung auf innerstaatliches Recht niemals gerechtfertigt werden könne (Hervorhebung durch das Gericht), weshalb insbesondere auch innerstaatliche Fristen die abkommensrechtliche Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Umsetzung der Verständigungsvereinbarung nicht werden beseitigen können (Papst/Urtz, in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 Art. 25 Rz 97), gerade nicht zwingend aufgezeigt, dass eine "Umsetzung" (Durchführung) auch unter Abstandnahme vom Gebrauch nationaler Verfahrenstitel wie des in § 295a BAO vorgesehenen unmittelbar auf Basis einer dem zweiten Satzes des Artikels 25 Abs. 2 OECD-Musterabkommen entsprechenden Regelung in dessen Rahmen erfolgen könnte (ein Vorteil dieser Position liegt freilich darin, dass überhaupt erst bei Fehlen des Satzes 2 eine Anwendung nationaler Verfahrenstitel in Betracht käme, diese dann aber auch in jedem Fall die Beachtung eingetretener Verjährung verlangte).

13. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann vielmehr einer "Berufung auf innerstaatliches Recht" nur das Verständnis beigemessen werden, dass die Verjährung und ihr Eintritt zunächst autonom und mit Bezug auf den jeweiligen nationalen Rechtsbehelf oder -genauer - im Verhältnis zwischen dem jeweiligen Verständigungsverfahren und dem innerstaatlich herangezogenen Verfahrenstitel zu beurteilen sein, allfällige Konsequenzen daraus, dass die abkommensrechtliche Verpflichtung aufgrund entgegenstehender nationaler Regelungen tatsächlich nicht umgesetzt werden kann, jedoch auf völkerrechtlicher Ebene wahrzunehmen sein werden (vgl. ebd., Rz 97; das Problem stellt sich nach Ansicht des Gerichts dann nicht, wenn Satz 2 fehlt, welcher eine Umsetzung ungeachtet innerstaatlicher Fristen erst anordnet; siehe auch oben).

14. Bei der genannten Beurteilung werden insbesondere auch der übergeordnete Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Verjährung allgemein wie im Besonderen im Verfahrensrecht zu berücksichtigen sein.

Für die zivilrechtliche Verjährung hat sich in Österreich - auch wenn § 1451 ABGB vom "Verlust eines Rechtes" spricht - mittlerweile die Auffassung durchgesetzt, dass die Verjährung nicht als Grund für die (gänzliche) Aufhebung von Rechten im Sinne des dritten Hauptstücks - hineinzulesen: des dritten Teiles - verstanden wird (so aber noch 4 Ob 7/74 ZAS 1975/24 [Bydlinski]). Nach der nunmehr herrschenden Auffassung erlischt mit Eintritt der Verjährung nicht das Recht selbst, sondern es fällt bloß dessen Klagbarkeit weg (vgl. für viele M. Bydlinski in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1451 Anm. 10). Staatliche Hoheitsrechte sind allerdings § 1456 ABGB zufolge (überhaupt) kein Gegenstand der Ersitzung und Verjährung. Die hieraus entspringenden Einzelforderungen unterliegen jedoch der Verjährung, soweit öffentlich-rechtliche Vorschriften dies vorsehen (vgl. z. B. §§ 238, 207 BAO, §§ 31 f FinStrG).

So beeinflusst - ähnlich wie im bürgerlichen Recht der Gläubiger durch Nichtausübung seines Forderungsrechtes dieses Recht verlieren kann (mittlerweile: konnte; Hervorhebung durch das Gericht) - im Abgabenrecht die Verjährung die Rechte des Gläubigers und die Pflichten des Schuldners, wobei die Verjährung im Abgabenrecht eine besondere und eigenständige Regelung erfährt, was nach Stoll durch die wesentlich stärkere Stellung des Gläubigers im Abgabenpflichtverhältnis als Prätendent öffentlicher Ansprüche, aber auch mit der besonderen Ausprägung des Rechtsschutzes erklärt werden kann (Stoll, BAO-Kommentar, 2157). Mit anderen Worten - und (bereits) mehr auf das Abgabenrechtsverhältnis bezogen - kann gerade auf Grund des, wenngleich nicht aus wechselseitigem (Rechts-)Geschäftswillen entspringenden, so aber doch gesetzlich unabhängig von einer behördlichen Tätigkeit entstandenen Rechtsverhältnisses (der aus dem Gesetz entstehenden Steuerschuld) mit Recht angenommen werden, dass auch der Zweck, der darin liegt, die Ausnutzung eines bestimmten Rechtes durch Verjährung zu begrenzen, prinzipiell dem jeweils Verpflichteten zugutekommt.

Auch die sog. "absolute Verjährung" im Abgabenrecht beschränkt nur "zeitlich absolut" das Recht auf Festsetzung einer Abgabe im konkreten Verfahren (siehe wiederum Stoll, 2185 - zum Verhältnis zivilrechtliche Verjährung - abgabenrechtsspezifische Ausgestaltung der Verjährung 2157) und unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von der "schlichten Verjährung". Beide führen also zu einem Festsetzungs- resp. Durchsetzungsverlust.

15. In weiterer Folge kann die Frage, ob und wenn ja in welchen Fällen eine Verjährung solchen Charakters "durchbrechbar" wäre, mit der Gebundenheit (nur) der Verständigung nach Art. 25 Abs. 2 an den dieses Verfahren auslösenden Antrag desjenigen beantwortet werden, den das Institut der Verjährung ja gerade schützen möchte. Nur in diesem Umfang hätte nach Ansicht des erkennenden Gerichtes - wenn überhaupt (siehe dazu die erwähnten Voraussetzungen für eine nationale Umsetzung auch einer Vereinbarung nach Art. 25 Abs. 2) - im Wege des § 295a BAO eine Festsetzung auch angesichts dessen erfolgen können, dass im Verfahren unter jeder (abgabenrechtlichen) Rücksicht Verjährung eingetreten ist; und zwar als eine die Einigung umsetzende Festsetzung im Sinne einer konkreten materiell-rechtlichen "Lösung" (auch unter dieser Rücksicht ergeben sich Parallelen zu § 209a BAO, insbesondere zu dessen Abs. 2, und spricht dies in weiterer Konsequenz auch dafür, dass § 209a BAO trotz des Klammerausdruckes "(§ 85)" nur Anträge zur Geltendmachung von Rechten gegenüber der Abgabenbehörde meinen dürfte (so auch Ritz/Koran, BAO7, § 209a, Rz 7; Papst/Urtz erkennen im Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens selbst einen im Sinne des § 209a Abs. 2 BAO in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrag; Papst/Urtz in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 Art. 25 Rz 99).

Auswirkungen des bisherigen Verfahrens im Licht des Erkenntnisses Ro 2014/15/0050

16. Nur in Bindung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes - nämlich in Anwendung des § 63 Abs. 1 VwGG - hätte im Übrigen geschehen können, was der VwGH bereits unter Heranziehung des § 42 Abs. 3a leg. cit. - allerdings in eine bestimmte Richtung - entschieden hatte. Es handelt sich somit auch nicht etwa um ein fortgesetztes Verfahren i. e. S.. Vielmehr hatte der Verwaltungsgerichtshof selbst auf ersatzlose Behebung der erstinstanzlichen Bescheide vom erkannt - danach verbliebe ausschließlich ein Anwendungsfall des § 63 Abs. 2 VwGG.

Daher lag es nahe, dass der Gerichtshof in Wahrnehmung - zunächst - des Kontrollgrundes des § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG sein Augenmerk darauf legte, dass im Fall, dass der ausländische Staat, wie im Revisionsfall Deutschland, zunächst sein Besteuerungsrecht ausübt und später auf Grund eines Rechtsmittelverfahrens entschieden wird, dass das Besteuerungsrecht zu Unrecht ausgeübt wurde, eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO nicht in Betracht kommt. Trotz gewählter positiver Formulierung stand die Ansicht, wonach der nachträgliche Wegfall der Besteuerung in Deutschland ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 295a BAO - und eben keinen geeigneten Wiederaufnahmegrund - darstelle ( m. w. N.) dabei nicht im Fokus; schon gar nicht im Sinn eines Vorgriffs auf die spätere von der österreichischen Abgabenbehörde vorgenommene Handlungsentscheidung.

So ergibt sich schon aus § 42 Abs. 3 VwGG und der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung, dass die darin normierte "ex-tunc"-Wirkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 1785 bis 1787/78 = ZfVB 1979/3/871, und die dort zitierte Vorjudikatur) bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides (hier: der "Wiederaufnahmebescheide" vom ) und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre (vgl. ; in der Folge stRsp.). Daraus sowie angesichts der vom VwGH weiter gewählte Vorgehensweise, gemäß § 42 Abs. 3a VwGG eine verfahrensbeendende Entscheidung in der Sache selbst zu fällen, wird umso mehr (jedenfalls) deutlich, dass keine konkrete Handlungsanleitung gegeben werden sollte - bezieht sich doch § 42 Abs. 3 VwGG auf alle höchstgerichtlichen Entscheidungsvarianten aufgrund von Abs. 2 dieser Bestimmung (arg.: "gemäß Abs. 2" in § 42 Abs. 3 VwGG; der VwGH hatte dadurch in der Sache selbst entschieden, dass er das angefochtene Erkenntnis dahingehend abgeändert hat, dass es zu lauten hat: "Die erstinstanzlichen Bescheide vom , betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2006 sowie Einkommensteuer 2006, werden ersatzlos aufgehoben.").

17. Also mag die Rechtsauffassung des VwGH der zwischen Österreich und Deutschland geschlossenen Verständigungslösung (allgemeines Konsultationsverfahren) vom , , BMF-010221/3371-IV/4/2010, insoweit nicht widersprechen, als ihr zufolge nicht im ehemaligen Tätigkeitsstaat (hier: Deutschland) besteuerte Abfindungszahlungen "gemäß Artikel 28 Absatz 1 lit. a" im Ansässigkeitsstaat dieser Person besteuert werden können (hier: Österreich).

Im Verfahren machte jedenfalls die Annahme eines Anwendungsfalles des Art. 28 Abs. 1 lit. a des Abkommens es erstmals möglich, diese Einkünfte bei Steueranrechnung durch Österreich in Österreich zu besteuern, nämlich gerade in dem Sinn, dass Österreich sich nicht weiter an der Besteuerung gehindert ansah und in der Folge zunächst die Wiederaufnahme des Verfahrens und später § 295a BAO anzog. So bejahte im vorhergehenden Verfahren nach der Abgabenbehörde auch das Bundesfinanzgericht vorrangig die Anwendbarkeit des Art. 28 Abs. 1 lit. a, wenngleich es die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 4 (ebenfalls) als erfüllt ansah ().

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/15/0050, diese Ansicht grundsätzlich geteilt und hierzu u. a. ausgeführt, dass die beiden Staaten jeweils "unterschiedliche Abkommensbestimmungen" im Sinne des Art. 28 Abs. 1 lit. a DBA ansprächen (so ordne Deutschland die Abfindung dem Art. 15 Abs. 1 erster Halbsatz des Abkommens zu, während Österreich vom Vorliegen einer im Ausland ausgeübten Tätigkeit ausgehe und die Vergütungen dem Tatbestand des Art. 15 Abs. 1 zweiter Halbsatz des Abkommens unterstelle; vgl. , unter Berufung auf Schilcher, Subject-to-Tax-Klauseln in der österreichischen Abkommenspraxis 99; Stefaner in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Länderteil Österreich, Art 28 Tz 3; und Bendlinger in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA Art 15 Rz 81; vgl. dazu ausführlich Zorn, VwGH: Abfindungszahlung nach Deutschland im DBA-Recht, RdW 2017/211).

Der Gerichtshof hat allerdings selbst die in Art. 15 Abs. 4 enthaltene "Subject-to-tax"- oder "Rückfallklausel" vorrangig geprüft und angesichts dessen, dass sich Deutschland in Ansehung der streitgegenständlichen Abfindungssumme nicht als Tätigkeitsstaat im Sinne des Art. 15 DBA betrachtete, für anwendbar erklärt (wogegen eine "Nullbesteuerung" im Tätigkeitsstaat nicht schädlich sei, sofern sichergestellt sei, dass der Tätigkeitsstaat Kenntnis von seiner Steuerbefugnis erlangt habe. Dies könne letztlich nur bedeuten, dass weder persönliche noch sachliche Steuerbefreiungen im Tätigkeitsstaat zu einem Eingreifen der "Subject-to-tax"-Klausel führen (so der VwGH unter Berufung auf Schilcher/Stefaner, Die Bedeutung des Tätigkeitsstaatsprinzips in Art. 15 DBA-Deutschland, in SWI 2005, 9 f; dies aufgreifend Zorn, VwGH: Besteuerung der Abfindungszahlung aus einem deutschen Dienstverhältnis, RdW 2024/651 (RdW 2024, 852) Heft 12 v. ).

Die genaue Relation von Art. 15 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 1 des Abkommens braucht hier freilich nicht näher untersucht zu werden.

18. Anders als von der Abgabenbehörde im Vorlagebericht vertreten, teilte das Finanzgericht München bereits jenes rechtliche Verständnis nicht, welches Österreich dem Grundtenor der Konsultationsvereinbarung, wonach gesetzliche oder freiwillige Abfertigungen/Abfindungen aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in jenem Staat der Besteuerung unterlägen, der auch hinsichtlich der Bezüge aus der aktiven Tätigkeit besteuerungsberechtigt war, beilegte und welches zu einem Besteuerungsrecht Deutschlands führte. Aus deutscher Sicht handelte es sich bei den strittigen Einkünften nicht um eine Vergütung für eine im Inland konkret ausgeübte Tätigkeit im Sinn des Art. 15 Abs. 1 letzter Satz des Abkommens.

Der negative Qualifikationskonflikt konnte mit der Konsultationsvereinbarung also deshalb nicht beseitigt werden, weil es bei einem unterschiedlichen Verständnis in Bezug auf dessen Grundregel verblieb. Aus diesem Grund sah der Verwaltungsgerichtshof eine Berufung der österreichischen Instanzen auf ein "switch-over" zur Anrechnungsmethode (und nicht etwa, weil dies in der Konsultationsvereinbarung vorgesehen gewesen wäre) als jeweils zu Recht erfolgt an. Er sprach damit Österreich materiell das Besteuerungsrecht zu.

Daraus erhellt umgekehrt, dass die ins Treffen geführte Vereinbarung nach Art. 25 Abs. 3 des Abkommens weder konkret umgesetzt wurde noch überhaupt durchzuführen gewesen wäre; sie sollte lediglich dem Abkommen ein Verständnis beilegen, welches die Möglichkeit einer Besteuerung der Einkünfte durch einen (bestimmten) Vertragsstaat eröffnet (eingehend zur ThematikLoukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes/Daurer, Internationales Steuerrecht, 25. Verständigungsverfahren, Anm. 35).

19. In Ergänzung zur bereits erfolgten Auseinandersetzung mit Zielsetzung und Zweck der unterschiedlichen Arten von Verständigungsverfahren und - daraus abgeleitet ihren Wirkungen - hätte für die Klärung der Frage, ob § 295a BAO trotz eingetretener Verjährung eine taugliche Rechtsgrundlage für eine Änderung des Bescheides vom bilden konnte, allenfalls noch erwogen werden können, ob Art. 28 Abs. 1 lit. a des Abkommens eventuell selbst noch in irgendeiner Weise innerstaatliche Wirkungen erzeugt (obzwar sich die Bedeutung dieses Artikels bereits darin erschöpft, ein Besteuerungsrecht implizit zu bejahen. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch darauf hinzuweisen, dass die sog. "switch-over"-Klausel in Fällen doppelter Nichtbesteuerung entgegen der Ansicht des Finanzamtes nicht etwa "aufgrund innerstaatlicher Verjährungsfristen nicht anwendbar" ist).

20. Jedenfalls wollen weder allgemeine Konsultationsvereinbarungen noch Artikel 28 Abs. 1 des Abkommens einer ermittelten Besteuerungsmöglichkeit durch konkrete abgabenbehördliche Maßnahmen zum Durchbruch verhelfen. Im Ergebnis konnte daher das zuvor für die Verständigungsregelung Gesagte nicht mit demselben Recht auch für das Konsultationsverfahren angenommen werden. Nicht nur, dass ein Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz des Abkommens entsprechender Satz im Kontext des Abs. 3 des genannten Artikels fehlt; vielmehr ergibt sich auch aus Art. 25 Abs. 3 selbst sowie aus den Unterschieden zwischen Art. 25 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 3, dass eine derartige Regelung weder formuliert werden konnte noch formuliert zu werden brauchte.

21. Auch im konkreten Fall war die Konsultationsvereinbarung zwar für die Haltung beider Staaten zur Besteuerung der gegenständlichen Abfindungszahlung insofern relevant, als sie in gewisser (nämlich negativer) Weise in einem kausalen "Verhältnis" zu Art. 15 Abs. 4 und insbesondere zu Art. 28 Abs. 1 lit. a stand: So griff Art. 28 Abs. 1 des Abkommens ja gerade angesichts dessen ein, dass die Vereinbarung den Qualifikationskonflikt letztlich nicht lösen konnte (dass dasselbe Ergebnis alternativ durch Verneinung des Besteuerungsrechtes Deutschlands erreicht werden konnte, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle). Sie steht aber - anders als eine im Wege des Art. 25 Abs. 2 des Abkommens erzielte Vereinbarung - schon ihrem Wesen nach in keinem Verhältnis zu nationalen Verfahrensvorschriften wie jener des § 295a, mit deren Hilfe sie hätte umgesetzt werden sollen.

Ausgangslage nach dem Erkenntnis des VwGH

22. Zunächst wurde vom Verwaltungsgerichtshof in einer Art "gedanklich erstem Schritt" - und wie es scheint primär im Zuge einer Auslegung des Art. 15 Abs. 4 des Abkommens - in Ansehung des Umstandes, dass "(E)erst die tatsächlich im Tätigkeitsstaat erfolgte Steuerfreistellung der Abfindungszahlung (…) zum Rückfall des Besteuerungsrechtes an den Ansässigkeitsstaat (führte).", der Entfall der Besteuerung in Deutschland als (ein) nach Erlassung des Erstbescheides zu liegen kommendes wirksames Ereignis erkannt.

Der "switch-over" zur Anrechnungsmethode durch Österreich konnte allein deshalb geübt werden, weil das Finanzgericht München dem Lösungsweg der Vereinbarung nach Art. 25 Abs. 3 des Abkommens gerade nicht folgte. Denn der Heranziehung des Art. 28 Abs. 1 lit. a des Abkommens liegt als Voraussetzung ein rechtlicher Dissens (im weiteren Sinn verstanden) zugrunde, welcher mit den Mitteln einer Konsultationsvereinbarung aus den genannten Gründen nicht gelöst werden konnte. Dieser Dissens wurde aber von der Konsequenz der gefestigten deutschen Rechtsauffassung gleichsam in der Weise überlagert, dass - von österreichischer Seite aus betrachtet auch - der Wegfall des Besteuerungsrechtes zu dessen Rückfall bzw. Anfall führte. Es wurde also im Kontext der Zuteilungsregel eingeholt, was formal (implizit aufgrund der Methode) bereits vorgegeben war.

In diesem Zusammenhang spielt die Tatsache, dass im konkreten Fall das Besteuerungsrecht ursprünglich in Deutschland ausgeübt worden war, (nur) insoweit eine Rolle, als Österreich bis zur Durchsetzung der (bis zur Novellierung des deutschen EStG durch ein "Erstes BEPS-Umsetzungsgesetz" für Zeiträume ab ) längst gefestigten deutschen Rechtsprechung auch im vorliegenden Fall im Jahr 2010 dadurch, dass Deutschland von der Besteuerung der in Rede stehenden Abfertigungszahlung faktisch Gebrauch machte, gehindert war, die Abfindung seiner Einkommensteuer zu unterziehen.

Die Abgabenbehörden beider Vertragsstaaten standen vor der Situation, dass Deutschland zwar (immer schon grundsätzlich) ein Besteuerungsrecht Österreichs bejaht hätte, jedoch erst ab dem Zeitpunkt, in dem ein darüber (immer schon) mit Österreich bestehender Auffassungsunterschied im Zuge eines gerichtlichen Rechtsmittelverfahrens offen zutage getreten war, Österreich auch in der Lage versetzt wurde, sein Besteuerungsrecht an der gegenständlichen Abfindungszahlung - grundsätzlich entgegen der eigenen Rechtsauffassung, der zufolge im vorliegenden Fall ein Besteuerungsrecht Deutschlands anzunehmen gewesen war - im Wege der einschlägigen Bestimmungen des Abkommens zu argumentieren und wahrzunehmen.

23. Wie auch rückwirkende Rechtsänderungen - zumindest nach einem Teil der Lehre - "Ereignisse" im Sinne des § 295a Abs. 1 BAO abgeben können (dies vertretend Tanzer/Unger in Stoll Kommentar - Digital First Rzeszut/Tanzer/Unger, Onlineaktualisierung 2.06, Jänner 2023, § 295a Anm. 5), stellt nach dem VwGH im genannten Erkenntnis näherhin der nachträgliche Wegfall der Besteuerung in Deutschland ein (das) rückwirkende(s) Ereignis iSd § 295a dar (es kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob die erstmalige aktive Berufung Österreichs z. B. auf den Rückfall des Besteuerungsrechtes in diesem Sinn eventuell auch Teil des "Ereignisses" im Sinn des § 295a BAO sein könnte).

24. Damit berechtigten aber diese noch im Zusammenhang mit dem Abkommen selbst, wenngleich nicht mit der Konsultationsvereinbarung, auf die sich die Abgabenbehörde beruft, in Verbindung stehenden Ereignisse zur Abänderung des Bescheides. Sie tun dies nach Ansicht des Gerichts allerdings nur in dem Sinn, dass sie den abkommensrechtlichen Grund für die Abänderung des Bescheides durch die österreichischen Behörden abgeben, indem sie das Besteuerungsrecht Österreichs an der Abfindungszahlung in einer Kette von Entscheidungen und Rechtstatsachen gleichsam "freilegen".

Sie ermächtigten zu dieser Abänderung aber erst in Verbindung mit und im Wege des § 295a BAO (zum materiell-rechtlichen "Einfallstor" siehe insbesondere die rechtstechnische Verknüpfung in § 295a Abs. 1 ".. insoweit abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt ..").

25. Auf dieser Ebene trifft jedoch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes keine (vom innerstaatlichen Recht abweichende) Aussage zum verfahrensrechtlichen Verhältnis dieses die Ermächtigung zur Durchbrechung jedenfalls der Bestandskraft beinhaltenden Rechtsbehelfes zu anderen verfahrensrechtlichen Normen wie der Verjährung, auch der absoluten Verjährung.

Nach Ansicht des Gerichtes hätte aber diese weitergehende Ermächtigung, nämlich auch die Verjährung zu durchbrechen (und nicht zu unterbrechen) entweder aus dem Abkommen bezogen (so aus Art. 25 Abs. 2, nicht aber beispielsweise aus Art. 25 abs. 3) oder ansonsten innerstaatlich gewonnen werden müssen. Dagegen sprach sich bereits am Zorn aus dem Grund, dass "wohl mittlerweile für die Einkommensteuer 2006 absolute Verjährung eingetreten" sei, gegen die Anwendbarkeit des § 295a BAO im vorliegenden Fall aus (Zorn, VwGH: Abfindungszahlung nach Deutschland im DBA-Recht, RdW 2017/211).

Dieses Ergebnis steht insbesondere auch im Einklang mit dem Umstand, dass nach herrschender Ansicht nur eine in Art. 25 Abs. 2 des Abkommens angelegte oder auch darin angeordnete Durchführung der Verständigungsregelung nach dessen zweitem Satz ungeachtet eingetretener Verjährung erfolgen dürfte (siehe oben).

Zusammenfassung

Wie dargestellt, musste dieser Versuch ebenso angesichts fehlender innerstaatlicher Bestimmungen wie auch angesichts der Tatsache scheitern, dass auch das Abkommen ausschließlich im Rahmen des Art. 25 Abs. 2 eine Umsetzung von Ergebnissen aus einem Verständigungsverfahren mindestens intendiert.

Der am ausgefertigte angefochtene Bescheid, welcher sich auf § 295a BAO stützte, war daher insbesondere aus dem Grund als rechtswidrig zu erkennen, dass jeweils herangezogene nationale Verfahrenstitel sogar dann nicht ungeachtet Verjährung zur Durchbrechung der Rechtskraft des Erstbescheides bezogen hätte werden können, wenn mit ihnen konkret eine Vereinbarung nach Art. 25 Abs. 2 des DBA-Deutschland hätte umgesetzt werden sollen. Das ist auch nicht der Fall.

Im vorliegenden Fall lag zwar eine allgemeine Konsultationsvereinbarung nach Art. Art. 25 Abs. 3 des Abkommens vor, welche einen negativen Qualifikationskonflikt hätte lösen sollen. Eine solche Vereinbarung konnte jedoch die Umsetzung einer Einigung mit den Mitteln des nationalen Verfahrensrechts auf Antrag des Abgabepflichtigen bereits ihrem Wesen nach nicht in sich begreifen.

Weiters hatte der Verwaltungsgerichtshof jenes rückwirkende Ereignis nach § 295a BAO, welches die Abgabenbehörde zum Ausgangspunkt ihres Bescheides nahm, im Wegfall des Besteuerungsrechtes Deutschlands und nicht etwa in einer Verständigung oder gar im Ergebnis eines allgemeinen Konsultationsverfahrens gesehen.

In dieser Hinsicht bestand daher auch keine wie immer geartete Umsetzungsverpflichtung. Vielmehr hat Österreich dadurch sein Besteuerungsrecht ausgeübt, was es nur vor Ablauf der Verjährung der Abgabe durfte.

Nach alledem gelangt das Bundesfinanzgericht zum Ergebnis, dass die innerstaatliche Verjährung zu beachten ist. Demnach durfte eine - abändernde - Festsetzung im Jahr 2017 nicht mehr erfolgen, weil im Verfahren bereits mit Ablauf des Jahres 2016 (die absolute) Verjährung eingetreten war. Nachdem die allgemeine Regel des § 302 Abs. 1 BAO unter anderem auch Abänderungen von Bescheiden (nur) bis zum Ablauf der Verjährungsfrist für zulässig erklärt und für § 295a BAO keine Ausnahme nach dem zweiten Halbsatz des § 302 Abs. 1 leg. cit. besteht, erweist sich der dessen ungeachtet am ausgefertigte und entsprechend später erlassene angefochtene Bescheid als rechtswidrig.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Hinweis: Für Zeiträume ab hat der deutsche Gesetzgeber das "Nichtbesteuerungsproblem" in Bezug auf grenzüberschreitend gewährte Abfindungen dadurch beseitigt, dass im deutschen EStG mit § 50d Abs. 12 die Regelung getroffen wurde, dass das Besteuerungsrecht für Abfindungszahlungen, die anlässlich einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden, dem Staat zusteht, in welchem der Arbeitnehmer (früher) tätig gewesen ist (siehe Zorn, VwGH: Abfindungszahlung nach Deutschland im DBA-Recht, RdW 2017/211 (270), Heft 4. V. ).

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Wenngleich der eigentlich zu lösenden Rechtsfrage, nämlich jener, ob die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Abänderung des Erstbescheides gemäß § 295a BAO auch nach eingetretener absoluter Verjährung vorgenommen werden durfte, komplexere Auslegungsfragen vorausgingen, konnte die Rechtsfrage zweifelsfrei anhand Auslegung der relevanten innerstaatlichen wie auch abkommensrechtlichen Bestimmungen entlang der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gelöst werden.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 4 Abs. 2 Z 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 42 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
Art. 25 Abs. 2 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 25 Abs. 3 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 15 Abs. 1 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 15 Abs. 4 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 28 Abs. 1 lit. a DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
§ 209a Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209a Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.3100033.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
HAAAF-66185