VwGH 29.08.2003, AW 2003/10/0012
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | VwGG §30 Abs2; |
RS 1 | Stattgebung - naturschutzbehördliche Bewilligung - Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG ist zu prüfen, ob nach Abwägung aller berührten Interessen, das heißt des (nicht zwingenden) öffentlichen Interesses sowie der im Mehrparteienverfahren einander gegenüberstehenden Interessen des Beschwerdeführers am Aufschub der der mitbeteiligten Partei durch den Bescheid eingeräumten Berechtigung bis zur Beendigung des Beschwerdeverfahrens und des Interesses der mitbeteiligten Partei an der sofortigen bescheidmäßigen Ausübung dieser Berechtigung, mit einer schon während des Beschwerdeverfahrens vorgenommenen Ausübung dieser Berechtigung durch die mitbeteiligte Partei für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre (vgl. z.B. den Beschluss vom , 1056/77, VwSlg 9541 A/1978). |
Normen | 31979L0409 Vogelschutz-RL Art4 Abs4; 31992L0043 FFH-RL Art12 Abs1 lita; 31992L0043 FFH-RL Art16 Abs1 litc; EURallg; NatSchG Vlbg 1997 §24 Abs2; NatSchG Vlbg 1997 §25 Abs1; NatSchG Vlbg 1997 §25 Abs2; NatSchG Vlbg 1997 §33 Abs1 litg; NatSchG Vlbg 1997 §35 Abs2; NatSchG Vlbg 1997 §35 Abs3; NatSchG Vlbg 1997 §37 Abs1; NatSchG Vlbg 1997 §37 Abs2; NatSchG Vlbg 1997 §37 Abs3; VwGG §30 Abs2; |
RS 2 | Stattgebung - naturschutzbehördliche Bewilligung - Dem angefochtenen Bescheid liegt u. a. die Auffassung zu Grunde, bei einer Verwirklichung des Projektes der mitbeteiligten Partei wären vom Amtssachverständigen für Natur- und Landschaftsschutz festgestellte Beeinträchtigungen für Natur und Landschaft in absehbarer Zeit nicht wieder gutzumachen. Den von den beschwerdeführenden Parteien zu vertretenden Interessen droht daher ein unverhältnismäßiger Nachteil. Für das beabsichtigte Projekt sprechen zwar gewichtige öffentliche Interessen (Verringerung der Verkehrsbelastung für die Anrainer bestimmter Wohn- und Siedlungsräume), diese sind jedoch keine zwingenden öffentlichen Interessen. Darunter sind besonders qualifizierte öffentliche Interessen zu verstehen, die den sofortigen Vollzug des angefochtenen Bescheides zwingend gebieten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mit dem Aufschub eine konkrete drohende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen bzw. deren Eigentum verbunden wäre (vgl. dazu etwa die bei Mayer, B-VG, 3. Auflage, zu § 30 Abs. 2 VwGG wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Anträge 1. der Stadt Dornbirn und der Marktgemeinde Wolfurt, beide vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt, und 2. der Naturschutzanwaltschaft für Vorarlberg, vertreten durch Dr. E und Dr. G, Rechtsanwälte, der gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom , Zl. IVe-151.095/03, betreffend naturschutzbehördliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: Republik Österreich - Bund, vertreten durch die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft- ASFINAG, vertreten durch das Land Vorarlberg, dieses vertreten durch die Vorarlberger Landesregierung), erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine einstweilige Anordnung zu erlassen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom wurde der Bescheid der Bezirkshauptmannschaften Dornbirn und Bregenz vom mit der Maßgabe bestätigt, dass der mitbeteiligten Partei gemäß den §§ 35 Abs. 2 und 3 und 37 Abs. 1, 2 und 3 in Verbindung mit den §§ 33 Abs. 1 lit. g, 24 Abs. 2 und 25 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung, LGBl. Nr. 22/1997 (GNL), sowie Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie) sowie Art. 12 Abs. 1 lit. a und Art. 16 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) die naturschutzbehördliche Bewilligung für die Errichtung der Bundesstraße S 18, Bodenseeschnellstraße, in den Gemeinden Höchst, Fußach, Lustenau, Dornbirn, Lauterach und Wolfurt zwischen der Anschlussstelle Wolfurt-Lauterach und der Staatsgrenze in Höchst einschließlich verschiedener Nebenanlagen unter einer Reihe von näher beschriebenen Auflagen und Bedingungen erteilt.
Nach der Begründung ergebe sich aus den auf Amtsgutachten aus den Bereichen Naturschutz und Landschaftsentwicklung, Wasserbautechnik und Gewässerschutz, Grundwasserschutz, Limnologie und Forstwirtschaft gestützten Feststellungen der belangten Behörde, dass die Verwirklichung des Projektes eine Verletzung von Interessen von Natur und Landschaft bewirke, die durch Vorschreibung von Auflagen oder Bedingungen nicht oder nur zum Teil beseitigt werden könnten. Für diesen Fall verlange § 35 Abs. 2 GNL eine Interessenabwägung in der Form, dass eine Gegenüberstellung der sich aus der Durchführung des Vorhabens ergebenden Vorteile für das Gemeinwohl mit den entgegenstehenden Nachteilen für Natur oder Landschaft vorzunehmen sei. Die verordnete Trasse habe die Funktion einer Umfahrungsstraße, die durch Begleitmaßnahmen eine nachhaltige Entlastung des bestehenden Straßennetzes, insbesondere der Ortsdurchfahrten, die bereits die Kapazitätsgrenze erreicht hätten, herbeiführen solle. Ferner sollten die im Siedlungsgebiet befindlichen Grenzübergänge entlastet sowie eine Verbindung mit der Schweizer Nationalstraße N1 geschaffen werden. Neben diesen Hauptzielen bewirke das vorgesehene Projekt auch eine Reihe von Folgewirkungen, die der künftigen Verkehrsentwicklung dienten, wie etwa der Erhöhung der Verkehrssicherheit, Verkürzung der Fahrzeiten, Schadstoff- und Lärmreduktion uvm. Nach Auffassung der belangten Behörde seien die öffentliche Interessen an der Verwirklichung des Projektes gegenüber den - im Einzelnen näher dargestellten - Nachteilen für Natur bzw. Landschaft als überwiegend zu bewerten.
Gegen diesen Bescheid haben die Stadt Dornbirn und die Marktgemeinde Wolfurt (zur Zl. 2003/10/0080) sowie die Naturschutzanwaltschaft für Vorarlberg (zur Zl. 2003/10/0082) Beschwerde erhoben und gleichzeitig beantragt, dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Sie begründen dies im Wesentlichen damit, der Bau und der Betrieb der Schnellstraße S 18 hätten "gravierende Umweltauswirkungen". So werde der Grünraum für rund 160.000 Einwohner "nachhaltig negativ beeinflusst". Für immerhin 46 % der Landesbevölkerung stelle das zusammenhängende Ried (gemeint: "Lauteracher Ried"), das durch den Bau getrennt werde, einen bedeutenden Naherholungsraum dar, der mit zunehmender Siedlungsverdichtung an Wertigkeit gewinne. Der Bau der S 18 würde einen schwer wiegenden und dauerhaften Eingriff in eine bislang intakte Naturlandschaft mit sich bringen, in der sich nicht nur ein Vogelschutzgebiet von europäischer Dimension, sondern auch ein Landschaftsschutzgebiet von besonderer Schönheit befinde. Zwingende öffentliche Interessen stünden der Bewilligung nicht entgegen, zumal wiederholt Anträge auf Erteilung der naturschutzbehördlichen Bewilligung eingebracht und wieder zurückgezogen worden seien.
Die Stadt Dornbirn und die Marktgemeinde Wolfurt bringen ferner vor, es würden gemeinschaftsrechtlich geschützte Lebensräume zerstört bzw. beeinträchtigt. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung allein würde im vorliegenden Fall nicht den den Beschwerdeführern zustehenden vollen Rechtsschutz bewirken, weil die mitbeteiligte Partei noch andere notwendige Verfahren einleiten und abschließen könnte. Der Europäische Gerichtshof habe sich in seiner Judikatur zum vorläufigen Rechtschutz bekannt ("Urteil vom betreffend den Fall Krüger" sowie " RSC-143/88 und RSC-92/89", gemeint wohl: EuGH
Rs C-334/95 (Krüger) und C- 143 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen)). Im vorliegenden Verfahren gehe es auch um die Anwendung und Auslegung wichtiger gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen (UVP-Richtlinie, Vogelschutz-Richtlinie, Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie). Gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen berechtigten bzw. verpflichteten auch den Verwaltungsgerichtshof (Beschwerdeführern) jene Rechtsstellung vorläufig einzuräumen, die sie voraussichtlich am Ende des Verfahrens eingeräumt erhielten. Ein nationales Gericht habe auch die Pflicht, den Rechtschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechtes ergebe. Die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechtes gebiete daher im vorliegenden Fall die Erlassung einer einstweiligen Anordnung in der Weise, dass "die mitbeteiligte Partei vorläufig keine weiteren Maßnahmen setzen darf, um das Projekt des Baus und der Errichtung der Schnellstraße
S 18 weiter zu betreiben und umzusetzen". Dies sei zur Abwendung eines schweren nicht wieder gutzumachenden Schadens notwendig, der darin zu erblicken sei, dass ohne einstweilige Anordnung auch die gemeinschaftsrechtlich geschützte Fauna und Flora sowie der geschützte Lebensraum in diesem Gebiet zerstört bzw. erheblich beeinträchtigt werde.
Die mitbeteiligte Partei sowie die belangte Behörde haben sich in ihren Stellungnahmen gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ausgesprochen. Die mitbeteiligte Partei bringt dazu im Wesentlichen vor, dass die an der Kapazitätsgrenze angelangten Ortsdurchfahrten von Lochau, Bregenz, Hard, Höchst und Fußach sowie Lustenau an den Straßenzügen L 1, L 190, L 202, L 203 und L 204 durch Verlagerung des Durchzugsverkehrs entlastet werden sollten. Es sei daher dringend erforderlich, dass die Gemeinden Hard, Fußach und Höchst abseits von Siedlungsgebieten direkt an den Güterbahnhof Wolfurt angeschlossen würden. Die Verringerung der Verkehrsbelastung für die Anrainer der genannten Wohn- und Siedlungsräume sei als zwingendes öffentliches Interesse anzusehen, das dem Aufschub des Vollzuges des angefochtenen Bescheides entgegenstehe. Der Grünraum werde nicht derart negativ beeinflusst, wie dies die Beschwerdeführer darstellten. Auswirkungen durch den Bau und Betrieb der S 18 würden durch umfangreiche Auflagen so gering wie möglich gehalten. Es treffe zwar zu, dass der Antrag vom bei gleichzeitiger Zurückziehung des vorhergehenden Antrages eingebracht worden sei. Der Grund dafür liege aber darin, dass das Projekt im Sinn einer raschen Umsetzung und zweckmäßigen Vorgangsweise im Hinblick auf Begleitmaßnahmen reduziert worden sei. Der Antrag der Beschwerdeführer auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung sei nicht begründet. Es werde nicht dargelegt, warum die beantragte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung allein keinen vollen Rechtsschutz bewirke und welche anderen noch notwendigen Verfahren die mitbeteiligte Partei einleiten und abschließen könnte.
Nach § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist demnach zu prüfen, ob nach Abwägung aller berührten Interessen, das heißt des genannten öffentlichen Interesses sowie der im Mehrparteienverfahren einander gegenüberstehenden Interessen des Beschwerdeführers am Aufschub der der mitbeteiligten Partei durch den Bescheid eingeräumten Berechtigung bis zur Beendigung des Beschwerdeverfahrens und des Interesses der mitbeteiligten Partei an der sofortigen bescheidmäßigen Ausübung dieser Berechtigung, mit einer schon während des Beschwerdeverfahrens vorgenommenen Ausübung dieser Berechtigung durch die mitbeteiligte Partei für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre (vgl. z.B. den Beschluss vom , VwSlg. Nr. 9.541/A).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es, um diese vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, erforderlich, dass der Beschwerdeführer schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt, es sei denn, dass sich nach Lage des Falles die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres erkennen lassen (vgl. dazu etwa den Beschluss eines verstärkten Senates vom , Zl. 2680/80).
Dem angefochtenen Bescheid liegt u. a. die Auffassung zu Grunde, bei einer Verwirklichung des Projektes der mitbeteiligten Partei wären vom Amtssachverständigen für Natur- und Landschaftsschutz festgestellte Beeinträchtigungen für Natur und Landschaft in absehbarer Zeit nicht wieder gutzumachen. Den von den beschwerdeführenden Parteien zu vertretenden Interessen droht daher ein unverhältnismäßiger Nachteil.
Für das beabsichtigte Projekt sprechen zwar gewichtige öffentliche Interessen, diese sind jedoch keine zwingenden öffentlichen Interessen. Darunter sind besonders qualifizierte öffentliche Interessen zu verstehen, die den sofortigen Vollzug des angefochtenen Bescheides zwingend gebieten. Dies ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere dann der Fall, wenn mit dem Aufschub eine konkrete drohenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen bzw. deren Eigentum verbunden wäre (vgl. dazu etwa die bei Mayer, B-VG3, zu § 30 Abs. 2 VwGG wiedergegeben Rechtsprechung). Dass die öffentlichen Interessen für die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keinen Aufschub dulden, ist nicht ersichtlich und wurde von der belangten Behörde auch nicht konkret dargelegt. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass wiederholt Anträge um Erteilung der naturschutzbehördlichen Bewilligung gestellt und wieder zurückgezogen worden sind. Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war daher stattzugeben.
Im Hinblick darauf erübrigt sich ein Eingehen auf den Antrag der beiden beschwerdeführenden Gemeinden auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung.
Wien, am
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Normen | 31979L0409 Vogelschutz-RL Art4 Abs4; 31992L0043 FFH-RL Art12 Abs1 lita; 31992L0043 FFH-RL Art16 Abs1 litc; EURallg; NatSchG Vlbg 1997 §24 Abs2; NatSchG Vlbg 1997 §25 Abs1; NatSchG Vlbg 1997 §25 Abs2; NatSchG Vlbg 1997 §33 Abs1 litg; NatSchG Vlbg 1997 §35 Abs2; NatSchG Vlbg 1997 §35 Abs3; NatSchG Vlbg 1997 §37 Abs1; NatSchG Vlbg 1997 §37 Abs2; NatSchG Vlbg 1997 §37 Abs3; VwGG §30 Abs2; |
Schlagworte | Interessenabwägung Besondere Rechtsgebiete Naturschutz und Landschaftsschutz Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Unverhältnismäßiger Nachteil Ausübung der Berechtigung durch einen Dritten |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2003:AW2003100012.A00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAF-66018