Suchen Hilfe
VwGH 16.02.2004, 99/17/0202

VwGH 16.02.2004, 99/17/0202

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
RS 1
Der Rechtsanwalt darf die Festsetzung von Fristen nicht völlig der Kanzleileiterin überlassen und sich lediglich auf stichprobenartige Kontrollen beschränken. Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfristen ist in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt verantwortlich, denn er selbst hat die Fristen zu setzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen, und zwar auch dann, wenn die Kanzleiangestellte überdurchschnittlich qualifiziert und deshalb mit der selbständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten, so auch der Führung des Fristenvormerks, betraut worden ist und es bisher nicht zu Beanstandungen gekommen sein sollte. Die bloß stichprobenartige Überprüfung der Eintragungen ist nicht ausreichend.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 94/17/0486 E RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über den Antrag des LS in R, vertreten durch Mag. Christian Kies, Rechtsanwalt in 3270 Scheibbs, Gürtel 12, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung der Mängel der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom , Zl. 17.367/138-IA7a/98, betreffend Mutterkuhprämie, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben.

Begründung

Mit Schreiben vom erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom , Zl. 17.367/138- IA7a/98. Gleichzeitig suchte der Beschwerdeführer um die Bewilligung der Verfahrenshilfe an.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom wurde dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe stattgegeben und die Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt. Nach Bestellung des Beschwerdevertreters durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich wurde dem bestellten Verfahrenshelfer gleichzeitig mit dem Bescheid über seine Bestellung als Verfahrenshelfer der Verbesserungsauftrag bezüglich der vom Beschwerdeführer am selbst verfassten Beschwerde zugestellt.

Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag merkte die Kanzleileiterin des Beschwerdevertreters, die seit 12 Jahren in der Anwaltskanzlei des Beschwerdevertreters arbeitet, nach Durchsicht der Poststücke, in der Meinung, dass der Verfahrenshelfer mit der Verfassung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde beauftragt worden sei, die gesetzliche Frist von sechs Wochen für die Verfassung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof im Fristenkalender vor. Ausgehend vom Einlangen des Auftrages am wurde daher als letzter Tag der Frist der eingetragen.

Im Zuge einer routinemäßigen Akten- und Fristenkontrolle ließ sich der Verfahrenshelfer nach den Angaben im Antrag am unter anderem den gegenständlichen Handakt von der Kanzleileiterin vorlegen und bemerkte im Zuge dieser Kontrolle, dass sich der Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes vom nicht auf die Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, sondern auf die Einbringung eines ergänzenden Schriftsatzes innerhalb von vier Wochen bezog. Die gesetzte vierwöchige Frist war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen.

Nach dem Vorbringen des Verfahrenshelfers sei die Kanzleileiterin, welche die Fristvormerkung vorgenommen habe, bereits seit 22 Jahren als Rechtsanwaltssekretärin tätig und seit Jänner 1997 in der Kanzlei des Verfahrenshelfers als Kanzleileiterin beschäftigt. Sie sei eine gut geschulte, verlässliche und überaus genaue Mitarbeiterin. Es habe bei ihr bislang keinerlei Beanstandungen gegeben.

Zum Beweis seines Vorbringens legte der Verfahrenshelfer eine eidesstattliche Erklärung der Kanzleileiterin vor, in welcher sie die im Vorstehenden enthaltene Sachverhaltsdarstellung bestätigt und auch die Angaben hinsichtlich ihrer Berufstätigkeit bekräftigt. Die Erklärung enthält auch den Hinweis, dass die Fristeintragungen regelmäßig vom Verfahrenshelfer überwacht und diesbezüglich Stichproben durchgeführt würden.

Über Ersuchen des Verwaltungsgerichtshofes wurde die Kanzleileiterin vom Bezirksgericht Scheibbs im Rechtshilfeweg vernommen und gab über Befragen an, den Fristvormerk im gegenständlichen Fall selbst vorgenommen zu haben. Die Führung des Fristenkalenders sei ihr zur selbständigen Erledigung übertragen gewesen. Der Beschwerdevertreter mache in der Regel stichprobenweise Kontrollen. Im vorliegenden Fall habe sie nach der Eintragung der Frist das Schriftstück dem Beschwerdevertreter auf seinen Schreibtisch gelegt. Einen Vermerk über die Fristeintragung habe sie auf dem Schriftstück selbst nicht angebracht.

1. § 46 Abs. 1 VwGG lautet:

"§ 46. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."

2. Ein Verschulden, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt nach dieser Bestimmung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 46 Abs. 1 VwGG und zum wortgleichen § 71 AVG ist der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen (vgl. z. B. den hg. Beschluss vom , Zl. 91/14/0061). Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in dieser Weise außer Acht gelassen haben (vgl. u.a. die hg. Beschlüsse vom , Zlen. 2002/02/0062, 0063, mwN, oder vom , Zl. 2002/02/0254).

3. Ein Verschulden des Bevollmächtigten ist dem Verschulden einer Partei selbst gleichzuhalten. Hingegen trifft das Verschulden eines Kanzleibediensteten des Parteienvertreters nicht schlechthin die Partei. Allerdings vermag ein Versehen eines Kanzleibediensteten für einen Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darzustellen, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen ist (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 98/17/0157, und die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, E 263 zum wortgleichen § 71 AVG wiedergegebene Judikatur). Der bevollmächtigte Rechtsanwalt muss die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die fristgerechte Setzung von mit Präklusion sanktionierten Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. die bei Walter/Thienel, a.a.O., E 233, wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Ein Rechtsanwalt verstößt dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen ein (wirksames) Kontrollsystem vorgesehen hat, das im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet ist (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 91/14/0061).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang insbesondere darauf hingewiesen, dass der Fristenkontrolle ein besonderes Augenmerk zu widmen ist. Die Berufung eines Rechtsanwalts auf eine "stichprobenartige Überprüfung" der von seinem Kanzleipersonal vorgenommenen Eintragungen im Fristenkalender ist für die Erfüllung der dem Rechtsanwalt gegenüber seinem Kanzleipersonal obliegenden Überwachungspflicht nicht als ausreichend anzusehen. Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfristen ist stets der Rechtsanwalt verantwortlich, denn er selbst hat die Fristen zu setzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Dies auch dann, wenn die Kanzleiangestellte überdurchschnittlich qualifiziert und deshalb mit der selbständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten, so auch der Führung des Fristenvormerks, betraut worden ist und es bisher nicht zu Beanstandungen gekommen sein sollte (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2001/20/0402).

4. Im Wiedereinsetzungsantrag wird - wie dargestellt - vorgebracht, dass die Kanzleileiterin nach Einlangen des Verbesserungsauftrages die gesetzliche Frist von sechs Wochen (für die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof) eingetragen habe und der Beschwerdevertreter erst anlässlich einer routinemäßigen Akten- und Fristenkontrolle am bemerkt habe, dass sich der Auftrag nicht auf die Erhebung einer Beschwerde, sondern auf die Verbesserung einer solchen bezogen habe. Dieses Vorbringen wird sowohl durch die eidesstattliche Erklärung der Kanzleileiterin als auch durch deren Aussage vor dem Bezirksgericht Scheibbs bestätigt.

5. Dieses Vorbringen vermag dem Antrag nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung zu § 46 Abs. 1 VwGG nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom , Zl. 94/17/0486, unter Hinweis auf seine Rechtsprechung zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen hat, darf der Rechtsanwalt die Festsetzung von Fristen nicht völlig der Kanzleileiterin überlassen und sich lediglich auf stichprobenartige Kontrollen beschränken.

Die Organisation der Fristvormerkungen ist in der Kanzlei des Beschwerdevertreters nach dem - auch durch die Aussage der Kanzleileiterin bestätigten - Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag so geregelt, dass die Poststücke nach Eintragung der Frist nicht regelmäßig dem Beschwerdevertreter vorgelegt werden. Die Berechnung der Fristen und ihre Vormerkung erfolgt durch die Kanzleileiterin aus eigenem, nicht über Anweisung des Beschwerdevertreters. Damit erfolgt die Entscheidung, ob und wie bzw. innerhalb welcher Frist auf die einlangenden Schriftstücke zu reagieren ist, nicht durch den Beschwerdevertreter, sondern durch die Kanzleileiterin, wobei der Beschwerdevertreter nur Stichproben vornimmt.

Es ist dem Antragsteller somit nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass der unterlaufene Fehler auf ein seinem Vertreter unterlaufenes Versehen bloß minderen Grades zurückzuführen sei.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist war daher gemäß § 46 Abs. 1 VwGG nicht stattzugeben.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2004:1999170202.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-65976