VwGH 02.09.1998, 98/12/0173
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Nach stRsp des VwGH ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorgesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, daß die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (beruhend auf § 146 Abs 1 ZPO in der Fassung des Art IV Z 24 der Zivilverfahrensnovelle 1983) unterläuft (Hinweis B , 92/06/0222). Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten (und Behörden) und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist, als an rechtsunkundige Personen (Hinweis Fasching , Zivilprozeßrecht2, Randzahl 580). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH B 1994/04/28 94/16/0066 1
(hier liegt kein unvorhergesehenes Ereignis vor, weil der
antragstellende Beamte bei einem an ihm am letzten Tag der
Berufungsfrist erfolgenden operativen Eingriff unter Vollnarkose
nicht rechtzeitig zur Vermeidung des Fristverlustes Vorsorge
getroffen hat). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde des E in B, vertreten durch DDr. Jörg Christian Horwath, Rechtsanwalt in Innsbruck, Anichstraße 6, gegen den Bescheid der Verwaltungsoberkommission der Stadtgemeinde Innsbruck vom , Zl. VOK 7/1996, betreffend Abweisung eines Antrages auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist im Zusammenhang mit der Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einem Dienstunfall, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus dem Inhalt der vorliegenden Beschwerde im Zusammenhalt mit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Ablichtung des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer steht als Beamter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadtgemeinde Innsbruck.
Mit Bescheid vom stellte die Verwaltungskommission der Kranken- und Unfallfürsorge der städtischen Beamten fest, daß der Beschwerdeführer am um ca. 17.20 Uhr in Hall in Tirol einen Dienstunfall erlitten habe. Die durch diesen Dienstunfall herbeigeführte Erwerbsminderung wurde am 90. Tag nach dem Unfall auf Dauer mit 0 % festgesetzt und gleichzeitig ausgesprochen, daß kein Anspruch auf Leistung einer Versehrtenrente bestehe.
Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer innerhalb offener Frist keine Berufung erhoben.
Dem infolge Versäumung der Berufungsfrist gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde mit Bescheid der Verwaltungskommission vom nicht stattgegeben.
Die dagegen erhobene Berufung wird mit dem angefochtenen Bescheid - was die Wiedereinsetzung betrifft - als unbegründet abgewiesen. Maßgebend dafür war nach der Begründung des angefochtenen Bescheides, daß dem Beschwerdeführer bereits am Beginn der Berufungsfrist der Zeitpunkt seiner Operation am klar gewesen sei, sodaß von keinem unvorhergesehenen Ereignis gesprochen werden könne. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könnten plötzliche Erkrankungen, welche die Partei an der Einhaltung der Berufungsfrist hinderten, eine Wiedereinsetzung zur Folge haben. Eine Erkrankung könne aber nur dann einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund abgeben, wenn sie zu einem Zustand der Dispositionsunfähigkeit geführt habe und so plötzlich und so schwer aufgetreten sei, daß der Erkrankte nicht mehr imstande gewesen sei, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen selbst zu treffen.
Dem entgegen sei dem Beschwerdeführer aber schon am Beginn der Berufungsfrist der Zeitpunkt seiner Operation klar gewesen, sodaß überhaupt nicht von einem unvorhersehbaren Ereignis gesprochen werden könne. Auch bei einer Anerkennung der Operation als "unabwendbar" sei davon auszugehen, daß eine Vollendung der Berufung am Tage der Operation objektiv gesehen als ausgeschlossen und dies auch als durchaus vorhersehbar anzusehen gewesen wäre. Gerade die rechtzeitige Betrauung noch am des Sohnes des Beschwerdeführers oder eines Rechtsanwaltes mit der Berufungserhebung hätte die tatsächlich erfolgte Fehlleistung verhindern können. Eine derartige Betrauung sei dem Beschwerdeführer schließlich auch am durchaus noch zumutbar gewesen; in deren Unterlassung sei das Verschulden des Beschwerdeführers gelegen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes begehrt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Nach § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist
... auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen
Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein
unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die
Frist einzuhalten ... und sie kein Verschulden oder nur ein minderer
Grad des Verschuldens trifft.
Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht, die Wiedereinsetzung bewilligt zu bekommen, verletzt. Er bringt im wesentlichen vor, er habe bereits am die Berufung gegen den ursprünglichen Bescheid der Verwaltungskommission im Konzept erstellt und seinen Sohn gebeten, ihm dieses Konzept nach Reinschrift zur Unterfertigung zu bringen und schließlich die Berufung beim Postamt aufzugeben. Es sei vereinbart gewesen, die Reinschrift am zu vollenden und nach der erfolgten Operation zur Post zu geben. Er sei aber am ganzen Tage des nicht in der Lage gewesen, seine Rechte zu wahren, insbesondere die Berufungsschrift zur Post zu geben. Dies deswegen, weil er erstmalig nach einer Narkose nicht in der Lage gewesen sei, sich stark zu konzentrieren und die Aufgaben des täglichen Lebens zu erledigen. Darüber hinaus sei es ihm unmöglich gewesen, den bereits geplanten Operationstermin zu verschieben. Er sei bereits in den Jahren 1963 und 1987 operativ behandelt und nach relativ kurzer Zeit wieder handlungsfähig gewesen. Beim gegenständlichen operativen Eingriff sei er von keiner ärztlichen Person auf eine länger dauernde Erholungsphase hingewiesen worden. Im Gegenteil habe er aufgrund des seit Jahrzehnten bestehenden medizinischen Fortschrittes angenommen, daß ihm sofort nach der Operation nach der dritten Vollnarkose im Jahre 1996 wieder die volle Handlungsfähigkeit gegeben sein werde. Er habe nicht im entferntesten damit rechnen können, daß er nach der Operation am nicht mehr in der Lage sein werde, die Berufungsschrift zusammen mit seinem Sohn zu besprechen und diese rechtzeitig zur Post zu geben. Nach der Judikatur sei bei der Gewährung der Wiedereinsetzung kein strenger Maßstab anzulegen. Die Begründung, daß dem Beschwerdeführer bereits am Beginn der Berufungsfrist der Zeitpunkt der Operation klar gewesen sei und deshalb von keinem unvorhersehbaren Ereignis gesprochen werden könne, halte einer näheren Prüfung nicht stand. Auch wenn erst am letzten Tag der Berufungsfrist ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eintrete, sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Selbst wenn man dem Beschwerdeführer vorwerfe, er hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Abfertigung der Berufung veranlassen müssen, könne darin höchstens ein minderer Grad des Verschuldens erblickt werden, sodaß die Wiedereinsetzung jedenfalls zu bewilligen gewesen wäre. Ungeachtet dessen liege auch ein unabwendbares Ereignis vor, weil entgegen der Ausführung der belangten Behörde auch ein Durchschnittsmensch, ausgestattet mit den Erfahrungen des Beschwerdeführers aus vorhergegangenen Operationen, den Operationstermin nicht mehr hätte verschieben können. Erst im Nachhinein sei der Beschwerdeführer in der Lage gewesen zu erkennen, daß seine Handlungsfähigkeit unmittelbar nach der Operation nicht gegeben gewesen sei. Wenn die belangte Behörde argumentiere, daß der Durchschnittsmensch davon hätte ausgehen müssen, daß die Vollendung der Berufung am Tage der Operation objektiv gesehen ausgeschlossen und die Handlungsunfähigkeit als durchaus vorhersehbar anzusehen gewesen sei, so sei dem entgegenzuhalten, daß die Berufung im Konzept bereits handschriftlich vorgelegen sei und es nur noch kleinerer Ausbesserungen und Besprechungen bedurft hätte. Durch die Operation des Beschwerdeführers sei seine Dispositionsfähigkeit ausgeschlossen worden; er sei nicht mehr imstande gewesen, die Frist zur Erhebung des Rechtsmittels zu wahren. Unter diesen Umständen sei ein Krankenhausaufenthalt als ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis zu sehen, welches eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertige.
Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Ereignis dann unabwendbar, wenn sein Eintritt objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden kann; unvorhergesehen ist es hingegen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, daß die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" unterläuft. Ein solcher "minderer Grad des Versehens" liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (vgl. bspw. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshof vom , 94/16/0066, vom , 94/05/0318 oder vom , 93/05/0088).
Nach dem Beschwerdevorbringen sieht der Beschwerdeführer die "Unvorhergesehenheit" darin, daß er wegen der Narkosefolgen am (- offenbar der letzte Tag der Berufungsfrist -) nicht in der Lage gewesen sei, die Berufungsreinschrift mit seinem Sohn zu besprechen und rechtzeitig zur Post zu geben. Das Unvorhergesehene sieht der Beschwerdeführer demnach nicht in der Operation an sich, sondern in der Behinderung durch die Folgen der Vollnarkose, die er im Hinblick auf früher erhaltene Vollnarkosen unterschätzt habe. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorbringt, er sei nach operativen Eingriffen in den Jahren 1963 und 1987 nach relativ kurzer Zeit wieder handlungsfähig gewesen, so bleibt die Art und Schwere der damaligen Eingriffe und die damit verbundene Dauer der Narkose im Dunkeln. Weiters hätte der Beschwerdeführer auch sein höheres Lebensalter mit in Betracht ziehen müssen. Daß der Beschwerdeführer - wie er vorbringt - nicht auf eine langandauernde Erholungsphase nach der Operation ärztlicherseits hingewiesen worden sei, hätte allenfalls dann, wenn er sich diesbezüglich ausdrücklich erkundigt hätte, eine Wertung als minderen Grad des Versehens bewirken können.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen hätte nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes der Beschwerdeführer vielmehr nach allgemeiner Lebenserfahrung bei einem am letzten Tag der Berufungsfrist erfolgenden operativen Eingriff unter Vollnarkose (- deren Folgen gelegentlich weit über eine Benommenheit hinausgehen können -) rechtzeitig zur Vermeidung des Fristverlustes Vorsorge treffen müssen. Denn daß er dazu nicht in der Lage gewesen wäre, widerspricht allein schon das Vorbringen, er habe das Konzept bereits erstellt gehabt und habe nur die Reinschrift nicht ausfertigen können. Bei dieser Sachlage hätte der Beschwerdeführer, auch wenn er seinem Vorbringen folgend nicht in der Lage gewesen wäre, "sich stark zu konzentrieren", aber doch wohl die Einbringung der nicht an besondere Formvorschriften gebundenen Berufung in einer die Frist wahrenden Weise veranlassen können.
Vor diesem Hintergrund kann sich der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung der belangten Behörde im Ergebnis nicht verschließen, daß der Beschwerdeführer die für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten als Beamter zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen hat und mit einer geradezu auffallenden Sorglosigkeit vorgegangen ist.
Somit war die Beschwerde, da bereits ihr Inhalt erkennen ließ, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:1998:1998120173.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-65801