VwGH 25.06.1999, 97/02/0186
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Eine an einen Handlungsunfähigen vorgenommene Zustellung löst keine Rechtswirkungen aus (Hinweis B , 379/64, VwSlg 6659 A/1965, E , 487/71, VwSlg 8057 A/1971). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde der RN in W, vertreten durch Dr. Christian Burghardt, Rechtsanwalt in Wien I, Am Hof 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-03/P/12/00608/97, betreffend Zurückweisung eines Antrags in Angelegenheit Übertretung des KFG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Strafverfügung vom wurde die Beschwerdeführerin von der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt, (kurz: BPD) für schuldig befunden, sie habe an einem näher genannten Ort in Wien ein dem Kennzeichen und der Marke nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt, obwohl an diesem Kraftfahrzeug das Kennzeichen nicht montiert gewesen sei. Sie habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 36b KFG 1967 begangen und es wurde über sie gemäß § 134 leg. cit. eine Verwaltungsstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin durch Hinterlegung beim Postamt (erster Abholtag laut Rückschein: ) zugestellt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit einer mit "" (richtig wohl: ) datierten Eingabe Einspruch gegen die Höhe der über sie verhängten Strafe, woraufhin die BPD mit Bescheid vom die Höhe der Strafe (Ersatzfreiheitsstrafe) in reduziertem Ausmaß festsetzte. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin durch Hinterlegung beim Postamt (erster Abholtag laut Rückschein: ) zugestellt.
Mit Eingabe vom begehrte der Vertreter der Beschwerdeführerin unter Berufung auf seine mittlerweile durch Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf erfolgte Bestellung zum einstweiligen Sachwalter für die Beschwerdeführerin von der BPD u. a. die Mitteilung der Höhe der über die Beschwerdeführerin verhängten ausständigen Verwaltungsstrafen, welche ihm mit Schreiben vom von der BPD mitgeteilt wurde.
Hierauf beantragte der einstweilige Sachwalter mit Schreiben vom unter Hinweis auf gleichzeitig vorgelegte Kopien von zwei ärztlichen Befundberichten des Psychosozialen Dienstes in Wien vom 1. und , aus denen sich seiner Ansicht nach ergebe, dass die Beschwerdeführerin zu den maßgebenden Zeitpunkten delikts- und prozessunfähig gewesen sei, die neuerlichen Zustellung der "seinerzeitigen Bescheide", weil diese in Bezug auf die Beschwerdeführerin unwirksam gewesen sei.
Mit Bescheid vom wies die BPD den Antrag vom "auf Neuzustellung des Straferkenntnisses vom " gemäß "§ 73 Abs. 1 AVG 1959 unter Anwendung des § 17 Zustellgesetz" ab. In der Begründung führte die BPD u.a. aus, die Beschwerdeführerin sei laut Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom zum "Tat- und Zustellzeitpunkt" noch nicht "besachwaltert" und daher prozessfähig gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Sachwalter der Beschwerdeführerin Berufung unter neuerlichem Hinweis auf die seinerzeit unwirksam gewesene Zustellung des Bescheides.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Berufung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides dahingehend zu lauten hat, dass der Antrag vom auf "Neuzustellung" des Straferkenntnisses vom betreffend die Beschwerdeführerin gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird.
In der Begründung führte die belangte Behörde u.a. aus, dass die Behörde (erster Instanz) im Zeitraum des erstinstanzlichen Verfahrens, vom bis zur Zustellung des Straferkenntnisses, durch Hinterlegung am "" (= laut Rückschein der Tag des zweiten Zustellversuches) nicht gehalten gewesen sei, von einer mangelnden Delikts- bzw. Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin auszugehen. In der Anzeige vom betreffend eine Übertretung nach dem KFG hätten die Meldungsleger keinerlei Umstände geltend gemacht, die den Geisteszustand der Beschwerdeführerin in Zweifel ziehen würden. Selbst der Einspruch gegen die Höhe der in der Strafverfügung ausgesprochenen Strafe sei klar und enthalte "keinerlei Zweifel" am Willen der Betroffenen. Es sei daher für die Behörde erster Instanz das Straferkenntnis vom "ohne weiteres" zu Handen der Beschwerdeführerin zuzustellen gewesen, weil ein Vertreter nicht eingeschritten sei und auch die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren "eine Vertreterschaft" nicht eingewendet habe. Insbesondere vertritt die belangte Behörde die Auffassung, der gestellte Antrag sei zur Zweckerreichung nicht geeignet gewesen, weil im Beschwerdefall ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 69 Abs. 1 AVG zu stellen gewesen wäre, falls sich im Nachhinein aufgrund medizinischer Gutachten herausstellen sollte, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Tatbegehung am in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand gewesen sei. Es liege mit Zustellung (durch Hinterlegung) und durch Verstreichenlassen der Rechtsmittelfrist entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerdeführerin wendet insbesondere ein, dass entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht an eine prozessunfähige Person eine Zustellung nicht wirksam erfolgen könne. Die an einen Handlungsunfähigen vorgenommene Zustellung löse keine Rechtswirkungen aus. Die Zustellung des Straferkenntnisses an die Beschwerdeführerin selbst habe keine Rechtswirkungen ausgelöst. Dem (diesem Verfahren zugrundeliegenden) Antrag wäre daher stattzugeben gewesen. Im Übrigen sei zwischen der Deliktsunfähigkeit im Tatbegehungszeitpunkt und der Prozessfähigkeit im Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses zu unterscheiden. Ausgehend von einer falschen Rechtsansicht habe es die belangte Behörde unterlassen zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zustellung prozessunfähig gewesen sei oder nicht. Dies habe die Beschwerdeführerin durch Vorlage der genannten Atteste ausreichend bescheinigt und überdies auch noch einen Beweis (Einholung eines Sachverständigengutachtens) beantragt.
Die von der belangten Behörde getroffene (abgeänderte) Entscheidung, den Antrag vom auf neuerliche Zustellung des Straferkenntnisses vom an den Sachwalter der Beschwerdeführerin - wobei im Hinblick auf den von der Behörde durch ihre Entscheidung eingeschränkten Gegenstand dahingestellt bleiben kann, ob auch noch das Begehren auf Zustellung weiterer Bescheide aufgrund des erwähnten Antrages zu erledigen gewesen wäre - "wegen entschiedener Sache" zurückzuweisen, setzt voraus, dass die Annahme der belangten Behörde zutrifft, dieses Straferkenntnis sei seinerzeit der Beschwerdeführerin wirksam (durch Hinterlegung beim Postamt) zugestellt worden.
Zutreffend verweist die Beschwerdeführerin darauf, dass eine an einen Handlungsunfähigen vorgenommene Zustellung keine Rechtswirkungen auslöst (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , VwSlg. Nr. 6.659, das hg. Erkenntnis vom , VwSlg. Nr. 8.057, sowie Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren, Band I, FN 2 zu § 13 Zustellgesetz, S. 1948).
Aufgrund der von der Beschwerdeführerin im Wege ihres Sachwalters vorgelegten "ärztlichen Befundberichte", insbesondere aufgrund des Hinweises im Bericht vom , wonach die Beschwerdeführerin bereits das "20. Mal" im Juli/August 1996 in stationärer Behandlung im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien gewesen sei, lässt es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Beschwerdeführerin etwa im Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses vom - wie von ihr im Zuge des Verwaltungsverfahrens mehrfach behauptet wurde - nicht handlungsfähig gewesen sein könnte, zumal ihre Erkrankung laut ärztlichem Bericht "plötzlich" auftreten kann und infolge der zahlreichen stationären Behandlungen vor dem Oktober 1996 auf einen schon längeren Krankheitsverlauf zu schließen ist. Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nähere Ermittlungen darüber unterlassen hat, ob die Handlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses vom gegeben war, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Handlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit natürliche Person Sachwalter Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1999:1997020186.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-65579