VwGH 14.12.1998, 95/10/0193
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | NatSchG NÖ 1977 §7 Abs2; VwRallg; |
RS 1 | Die Verursachung von Lärm außerhalb eines Naturschutzgebietes kann einen "Eingriff" iSd § 7 Abs 2 NÖ NatSchG 1977 darstellen, wenn dadurch Beeinträchtigungen am Pflanzenkleid oder Tierleben des Naturschutzgebietes eintreten können. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH E 1994/03/14 93/10/0012 2 |
Normen | NatSchG NÖ 1977 §7 Abs2; VwRallg; |
RS 2 | Von einem "Eingriff" durch die Verursachung von Lärm wird nur gesprochen werden können, wenn unter Berücksichtigung von Dauer und Intensität der Lärmeinwirkung im Naturschutzgebiet eine dauerhafte Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter zu befürchten ist. Es kann nicht schon als der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechend angesehen werden, daß jede etwaige von Zeit zu Zeit auftretende zusätzliche Lärmquelle (im Beschwerdefall ist davon die Rede, daß die Flohmärkte einmal pro Woche abgehalten werden) außerhalb eines Naturschutzgebietes, das an einer stark frequentierten Bundesstraße liegt, zu einem Abwandern von Vogelarten führt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH E 1994/03/14 93/10/0012 5 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Beschwerde des P, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Kaiser-Franz-Josef-Ring 5, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. II/3-NSG-37/35, betreffend Untersagung der Abhaltung von Flohmärkten nach dem Niederösterreichischen Naturschutzgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Darstellung des Sachverhaltes auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 93/10/0012, verwiesen.
Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom insoweit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, als dem Beschwerdeführer gemäß § 7 Abs. 2 des Niederösterreichischen Naturschutzgesetzes (NÖ NSchG) die Abhaltung von Flohmärkten untersagt worden ist. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes war im Beschwerdefall zu klären, ob durch die Ansammlung von Menschen und die damit verbundene Lärmentwicklung (außerhalb des Naturschutzgebietes) Wirkungen am Pflanzenkleid oder Tierleben des Naturschutzgebietes eintreten können. Die belangte Behörde habe diese Frage - unter Berufung auf das Gutachten des Amtssachverständigen für Naturschutz - bejaht. Nach Auffassung des Amtssachverständigen könne nämlich angenommen werden, daß durch die Ansammlung von Menschenmassen das Naturschutzgebiet im erhöhten Maße betreten und beunruhigt würde. Es müsse unbedingt mit einer weitgehenden Beeinträchtigung der geschützten Tier- und Pflanzenwelt im Teich- und Uferbereich des Naturschutzgebietes gerechnet werden. Die hier vorkommenden Tierarten seien gegen regelmäßig wiederkehrende Belästigungen durch Lärm äußerst empfindlich, weshalb mit Sicherheit mit einem Abwandern eines großen Teiles, vor allem der seltenen Arten, gerechnet werden müsse.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes könne allerdings im gegebenen Zusammenhang von einem "Eingriff" im Sinne des Naturschutzgesetzes nur gesprochen werden, wenn unter Berücksichtigung von Dauer und Intensität der Lärmentwicklung eine dauerhafte Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter im Naturschutzgebiet zu befürchten sei. Es könne nicht schon der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechend angesehen werden, daß jede etwaige von Zeit zu Zeit auftretende zusätzliche Lärmquelle (im Beschwerdefall sei davon die Rede, daß die Flohmärkte einmal pro Woche abgehalten würden) außerhalb eines Naturschutzgebietes, das an einer stark frequentierten Bundesstraße liege, zu einem Abwandern von Vogelarten führe. Um diesen Schluß zu rechtfertigen, hätte es vielmehr entsprechend fachkundiger Äußerungen bedurft. Dabei wäre ferner zu prüfen gewesen, ob eine Untersagung der Veranstaltung von Flohmärkten für die Dauer der Brutperiode als ausreichend erachtet werden könne.
Mit dem im gegenständlichen Beschwerdeverfahren angefochtenen (Ersatz)Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Berufung des Beschwerdeführers wiederum keine Folge gegeben und die Abhaltung von Flohmärkten untersagt.
Nach der Begründung habe die belangte Behörde neuerlich Befund und Gutachten des Amtssachverständigen für Naturschutz eingeholt. Danach seien mit der bloßen Anwesenheit von Menschen außerhalb des Naturschutzgebietes keine Auswirkungen auf das Pflanzenkleid verbunden, weshalb das Hauptaugenmerk der Erhebungen auf das Tierleben gerichtet worden sei. Da der Graureiher bei mehreren Lokalaugenscheinen im Herbst 1994 immer anzutreffen gewesen sei (die Anzahl der beobachteten Vögel habe zwischen 12 und 31 geschwankt), sei diese Vogelart als Indikator für einen möglichen Eingriff in das Naturschutzgebiet herangezogen worden. Während der Flohmarktveranstaltungen sei ein eindeutiges Abrücken der Graureiher vom Bereich der Gaststätte festgestellt worden. Während der Veranstaltungen hätte sich kein Graureiher näher als etwa 150 m dem Flohmarkt genähert; ansonsten hätten sich einzelne Reiher bis etwa ca. 70 m genähert, wobei der im Bereich der Gaststätte befindliche Abschnitt des Ostufers, der schilffrei sei, immer gemieden worden sei. Im Zuge der Lokalaugenscheine habe daher eindeutig eine Veränderung in der Flächenbeanspruchung seitens der Graureiher festgestellt werden können. Als Erklärung dafür komme alleine die Beeinflussung durch den Flohmarktbetrieb in Frage, wobei zwei Störungsfaktoren eine Rolle spielten: Einerseits reiche die Wahrnehmung einer menschlichen Silhoutte aus, um beim Graureiher Fluchtverhalten auszulösen, andererseits sei eine Beeinträchtigung durch Lärm gegeben. Die Abhaltung von Flohmärkten stelle daher einen Eingriff gemäß § 7 NÖ NSchG in das Tierleben des Naturschutzgebietes dar.
Da der Beschwerdeführer in einer Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs das erstattete Gutachten für unzureichend erachtet habe, sei von der belangten Behörde ein Ergänzungsgutachten eingeholt worden. Der Amtssachverständige sei ersucht worden, zu folgenden Themen Stellung zu nehmen:
"1. Besteht ein qualitativer Unterschied des Störfaktors Flohmarktbesucher zum Störfaktor Spaziergänger/Gastgartenbenutzer (Dauer und Intensität der Einwirkung)?
2. Wird eine Untersagung der Veranstaltung von Flohmärkten für die Dauer der Brutperiode als ausreichend erachtet? Wenn nein, warum nicht (eventuelle Versagung nur zu Zeiten der Teichbespannung)?"
Nach den ergänzenden Angaben des Amtssachverständigen habe die Besucherzahl des Flohmarktes im Beobachtungszeitraum zwischen 10 und 30 Personen (Standbetreiber und Besucher) geschwankt. Spaziergänger hätten nur vereinzelt angetroffen werden können, meist seien es Vogelbeobachter gewesen, die sich sehr vorsichtig und leise verhalten hätten. Ein Gastgartenbetrieb habe nie stattgefunden. Unter der Annahme, daß das Naturschutzgebiet - wie vom Beschwerdeführer behauptet - von vielen Spaziergängern besucht werde, sei davon auszugehen, daß dadurch eine erhebliche Beunruhigung, insbesondere der Vogelwelt, hervorgerufen werde. Bei einer Vielzahl von Spaziergängern könne die Beeinflussung vor allem deshalb stärker sein als jene, die vom Flohmarktbetrieb ausgehe, weil überall dort, wo die Wasserfläche frei einsehbar sei, auch der Mensch von den Vögeln optisch wahrgenommen werde und somit die Störung von mehreren Stellen gleichzeitig erfolge. Der Flohmarkt stelle hingegen im wesentlichen eine punktuelle Störungsquelle dar. Es sei aber hervorzuheben, daß seitens des Sachverständigen eine derartige Anzahl von Spaziergängern nicht habe festgestellt werden können. Die Lärmentwicklung stelle mit Sicherheit auch eine Auswirkung auf die Fauna des Naturschutzgebietes dar. Der Verkehr gehöre jedoch zu den Rahmenbedingungen dieses Naturschutzgebietes. Das Störungspotential des Flohmarktbetriebes bestehe aus dem Erscheinungsbild von Menschen in Verbindung mit der Geräuschkulisse des Zu- und Abfahrens von Fahrzeugen. Dieses "Störbild" zähle nicht zu den Rahmenbedingungen des Naturschutzgebietes und sei somit als Eingriff zu werten. Vereinfacht gesagt bestehe dieser Eingriff darin, daß das Naturschutzgebiet im Hinblick auf einige Vogelarten während des Flohmarktbetriebes kleiner werde. Während sensibler Zeiten, etwa während des Zuggeschehens oder der Revierbesetzung, sei eine weitgehende Entwertung des Naturschutzgebietes in bezug auf störungsempfindliche Arten möglich, die im Extremfall bis zu einer Totalmeidung des Naturschutzgebietes führen könne. Der hohe Wert des Naturschutzgebietes ergebe sich im übrigen nicht nur aus der Funktion als Brutplatz für seltene Vögel. Das Naturschutzgebiet sei auch Nahrungsplatz, etwa für Graureiher und Eisvogel, die im Bereich der Triesting ihr nächstes Brutgebiet hätten. Als Rastplatz verschiedener Vögel verbinde er während des Frühjahrs- und Herbstzuges das Neusiedler See-Gebiet mit dem Donauraum; im Winter werde er in Abhängigkeit von der Witterung von verschiedenen Möwenarten besucht. Dem Naturschutzgebiet komme daher auch außerhalb der Brutperiode eine hohe Bedeutung zu.
Der Beschwerdeführer habe auch zu diesem Gutachten eine Stellungnahme abgegeben, in der er insbesondere hervorgehoben habe, der unabhängige Verwaltungssenat sei zur Auffassung gelangt, daß der Beschwerdeführer keinen unerlaubten Eingriff in das Pflanzenkleid und Tierleben des Naturschutzgebietes begangen habe.
Nach Auffassung der belangten Behörde stehe jedoch aufgrund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens fest, daß die Abhaltung von wöchentlichen Flohmärkten auf dem Grundstück des Beschwerdeführers einen nach § 7 Abs. 2 NÖ NSchG verbotenen Eingriff in das Tierleben des Naturschutzgebietes darstelle. Die Abhaltung dieser Flohmärkte sei daher zu untersagen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In dem bereits zitierten Erkenntnis vom , Zl. 93/10/0012, hat der Verwaltungsgerichtshof unter anderem die Auffassung vertreten, daß die Verursachung von Lärm außerhalb eines Naturschutzgebietes einen "Eingriff" im Sinne des § 7 Abs. 2 NÖ NSchG darstellen kann, wenn dadurch Beeinträchtigungen am Pflanzenkleid oder Tierleben des Naturschutzgebietes eintreten können. Der Gerichtshof hat dabei auch hervorgehoben, daß von einem "Eingriff" im gegebenen Zusammenhang nur gesprochen werden könne, wenn unter Berücksichtigung von Dauer und Intensität der Lärmentwicklung im Naturschutzgebiet eine dauerhafte Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter zu befürchten ist.
Während der Amtssachverständige für Naturschutz in dem dem ersten Rechtsgang zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren noch die Auffassung vertreten hat, daß die Abhaltung von Flohmärkten zu einem Abwandern von Vogelarten führe, wird diese Auffassung im gegenständlichen Verwaltungsverfahren nicht mehr aufrechterhalten. Danach habe nur eine Veränderung in der Flächenbeanspruchung seitens des Graureihers während der Abhaltung von Flohmarktveranstaltungen festgestellt werden können: Während sich ansonsten einzelne Reiher bis auf ca. 70 m der Gaststätte des Beschwerdeführers näherten, sei kein Graureiher während der Abhaltung von Veranstaltungen näher als etwa 150 m an den Flohmarkt herangekommen. Dieser Umstand kann allerdings nicht als eine dauerhafte, die Erheblichkeitsgrenze überschreitende Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes angesehen werden. Bei der vom Amtssachverständigen während "sensibler Zeiten" bloß für möglich gehaltenen "Totalmeidung" des Naturschutzgebietes durch einzelne Vogelarten hat es der Amtssachverständige allerdings unterlassen, auf fachlich fundierter Grundlage jene Prämissen darzulegen, auf denen seine Prognose einer möglichen Totalmeidung beruht. Die entsprechende Aussage ist daher nicht nachvollziehbar begründet.
Aufgrund dieser Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid daher als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | NatSchG NÖ 1977 §7 Abs2; VwRallg; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1998:1995100193.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAF-65324