VwGH 27.02.1992, 92/17/0034
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | B-VG Art132; VwGG §27; |
RS 1 | Es ist unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde, dass jene Behörde, der Säumnis zur Last gelegt wird, verpflichtet war, über den betreffenden Antrag (das Parteienbegehren) zu entscheiden. Die Pflicht zur Entscheidung kann nur eine Behörde treffen, die zum Abspruch über das Parteienbegehren sachlich und örtlich zuständig ist (Hinweis auf B , 82/11/0250). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 88/17/0123 E RS 1 |
Normen | |
RS 2 | Eine unrichtige Bezeichnung eines Rechtsmittel allein vermag dessen Unzulässigkeit nicht zu begründen; für die Beurteilung des Charakters einer Eingabe ist vielmehr ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen läßt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend (Erk , 88/11/0152). Der Grundsatz der Beachtung des erklärten Willens der Partei kann aber nur im Fall eines eindeutig deklarierten Parteiwillens zum Tragen kommen, also dann, wenn sich aus Rechtsmittelerklärung und - antrag unmißverständlich das Begehren der Partei nach einer Berufungsentscheidung durch die im Instanzenzug übergeordnete Beh ergibt. Andernfalls ist dem Grundsatz der Wahrung des Rechtsschutzinteresses der Partei der Vorrang einzuräumen und das Rechtsmittel ungeachtet seiner verfehlten Bezeichnung (hier: als Berufung) als Vorstellung zu werten. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 88/11/0249 E RS 1 |
Normen | |
RS 3 | Ist die NÖ LReg mangels einer an sie gerichteten Vorstellung unzuständig, so besteht für sie keine Entscheidungspflicht. Da es damit dem Bf an der Berechtigung zur Erhebung der Säumnisbeschwerde mangelt, ist die Beschwerde gem § 34 Abs 1 VwGG zurückzuweisen. |
Normen | BauO NÖ 1976 §14; EGVG Art2 Abs2 A Z1; EGVG Art2 Abs5; GdO NÖ 1973 §61 idF 1000-3; LAO NÖ 1977; |
RS 4 | Die NÖ Gemeindeordnung trifft für das Verfahren vor der Vorstellungsbehörde zwar einzelne Anordnungen, regelt jedoch - im Gegensatz zu einzelnen anderen Gemeindeordnungen - nicht, welches Verfahrensgesetz im Vorstellungsverfahren grundsätzlich anzuwenden ist. Damit ergibt sich zwar im allgemeinen gem Art 2 Abs 2 A Z 1 EGVG die Anwendbarkeit des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, nicht jedoch in den Angelegenheiten der Abgaben (auch der Gemeinde). Dies träfe nach Art 2 Abs 5 EGVG nur dann zu, wenn dies ausdrücklich vorgesehen wäre. Die Vorstellungsbehörde hat daher mangels besonderer gesetzlicher Bestimmungen die NÖ Abgabenordnung und nicht das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz anzuwenden, wenn das Verfahren vor den Gemeinden gem § 14 der NÖ BauO 1976 erhobenen Aufschließungsbeiträge gehören (Hinweis E , 2683/80). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 86/17/0176 E RS 1 |
Normen | GdO NÖ 1973 §61 idF 1000-3; LAO NÖ 1977 §70 Abs3; VwRallg; |
RS 5 | Unter dem Wort "Rechtsmittel" im Sinne des § 70 Abs 3 lit b NÖ LandesabgabenO ist im Hinblick auf § 61 Abs 1 letzter Satz NÖ GemeindeO 1973 idF der Novelle LGBl Nr 1000-3 auch die Vorstellung zu verstehen, weswegen im Falle des Fehlens eines Hinweises auf die Möglichkeit zur Erhebung einer Vorstellung im letztinstanzlichen Gemeindeabgabenbescheid die Frist zur Erhebung der Vorstellung nicht zu laufen beginnt (diese Rechtsansicht lag allerdings erkennbar auch schon dem E , 85/17/0053, zu Grunde). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 86/17/0176 E RS 2 |
Normen | |
RS 6 | Enthält die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid fälschlicherweise den Hinweis auf die Möglichkeit eines Vorlageantrages anstatt einer Vorstellung, ist dies dem Umstand gleichzuhalten, daß der Bescheid überhaupt keine Rechtsmittelbelehrung enthält, denn es fehlt jedenfalls der zutreffende Hinweis auf die Möglichkeit der Einbringung einer Vorstellung. Damit wird die Frist zur Einbringung einer Vorstellung gegen diesen Bescheid nicht in Lauf gesetzt. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer und Dr. Wetzel als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Lebloch, in der Beschwerdesache der Dr. H in W, gegen die Niederösterreichische Landesregierung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht i.A. Grundsteuer den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Aus der vorliegenden Beschwerde und den ihr angeschlossenen Beilagen ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Bescheid vom setzte der Bürgermeister der Marktgemeinde X gegenüber der Beschwerdeführerin für eine näher bezeichnete Liegenschaft den Grundsteuerjahresbetrag fest.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
Mit Bescheid vom wies der Gemeinderat der Marktgemeinde X als Abgabenbehörde zweiter Instanz diese Berufung als unbegründet ab. Dieser Bescheid enthält folgende Rechtsmittelbelehrung:
"Diese Berufungsvorentscheidung wirkt gemäß § 276 BAO wie eine Entscheidung über die Berufung, es sei denn, daß innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsvorentscheidung bei dem umseits bezeichneten Amt der Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenhörde zweiter Instanz gestellt wird. ..."
Mit Schriftsatz vom richtete die Beschwerdeführerin an die Marktgemeinde X einen "Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz". Darin heißt es:
"Ich beantrage innerhalb offener Frist unter Hinweis auf meine in der am eingebrachte Berufung gegen den Grundsteuerbescheid vom angeführte Begründung, welche ich vollinhaltlich aufrecht halte, die Entscheidung im Sinne der Rechtsmittelbelehrung
Im übrigen bestreite ich, daß der zugestellte Bescheid vom "Gemeinderat der Marktgemeinde X als Abgabenbehörde zweiter Instanz" erlassen wurde.
Außerdem ist unter "Betr.: Grundsteuerbescheid - Berufungsentscheidung" das Wort "Berufungsentscheidung" angeführt, in der Rechtsmittelbelehrung jedoch das Wort "Berufungsvorentscheidung"."
Mit Schriftsatz vom erstattete die Beschwerdeführerin hiezu noch weiteres Vorbringen.
Mit Schreiben an die Beschwerdeführerin vom wies der Vizebürgermeister der Marktgemeinde X die Beschwerdeführerin darauf hin, daß der Gemeinderat mit Bescheid vom ihre Berufung gegen den Grundsteuerbescheid vom als unbegründet abgewiesen habe. Diese Entscheidung habe nach wie vor Rechtsgültigkeit.
In der nunmehr erhobenen Säumnisbeschwerde wird die Niederösterreichische Landesregierung als belangte Behörde bezeichnet. Die Beschwerdeführerin bringt vor, ihr Antrag vom sei im Hinblick auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung im Bescheid vom jedenfalls als Vorstellung zu werten, über die bisher nicht entschieden worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.
Unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Beschwerde ist es, daß jene Behörde, der Säumnis zur Last gelegt wird, verpflichtet war, über den betreffenden Antrag (das Parteienbegehren) zu entscheiden. Die Pflicht zur Entscheidung kann aber nur eine Behörde treffen, die zum Abspruch über das Parteienbegehren sachlich und örtlich zuständig ist (vgl. hiezu den hg. Beschluß vom , Zl. 87/13/0216, und das Erkenntnis vom , Zl. 88/17/0123).
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht mehr, daß der Gemeinderat der Marktgemeinde X mit Bescheid vom über die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom entschieden hat. Objektiv gesehen war daher der Vorlageantrag der Beschwerdeführerin vom verfehlt. Als säumig und damit als belangte Behörde im vorliegenden Verfahren könnte daher die Niederösterreichische Landesregierung nur dann gelten, wenn der Schriftsatz vom tatsächlich, wie die Beschwerdeführerin vermeint, richtigerweise als Vorstellung gegen den Berufungsbescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde X hätte aufgefaßt werden können.
Dies trifft jedoch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu. Grundsätzlich ist es bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten unzulässig, entgegen dem erklärten Willen der Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann. Allerdings ist für die Beurteilung eines Anbringens nicht dessen allenfalls unrichtige Bezeichnung, sondern ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen läßt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend. Der Grundsatz der Beachtung des erklärten Willens der Partei kann nur im Fall eines eindeutig deklarierten Parteiwillens zum Tragen kommen, also dann, wenn sich aus Rechtsmittelerklärung und -antrag unmißverständlich das Begehren der Partei nach einer Berufungsentscheidung durch die im Instanzenzug übergeordnete Behörde ergibt (vgl. hiezu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 4, Seite 166, wiedergegebene Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Dasselbe muß auch im Falle eines Vorlageantrages nach § 206 der NÖ LAO, LBGbl. 3400-2, gelten.
Ein so gelagerter Fall liegt hier vor. Aus dem oben wiedergegebenen Inhalt der Eingabe der Beschwerdeführerin vom ergibt sich unmißverständlich ihr AUSSCHLIESZLICHES Begehren, ihre Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen. Dies geht insbesondere auch daraus hervor, daß die Beschwerdeführerin im genannten Schriftsatz BESTRITTEN hat, der zugestellte Bescheid sei vom Gemeinderat der Marktgemeinde X als Abgabenhörde zweiter Instanz erlassen worden. Auch hat die Beschwerdeführerin dort ausdrücklich "die Entscheidung im Sinne der Rechtsmittelbelehrung" im Bescheid vom beantragt. Nichts deutet darauf hin, daß die (rechtskundige) Beschwerdeführerin in Wahrheit die Entscheidung der Niederösterreichischen Landesregierung als Vorstellungsbehörde angestrebt hätte.
Mangels einer an sie gerichteten Vorstellung war daher die Niederösterreichische Landesregierung zur Entscheidung über den Schriftsatz vom unzuständig. Eine Entscheidungspflicht für sie hat daher nicht bestanden. Da es damit der Beschwerdeführerin an der Berechtigung zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde mangelte, war die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich jedoch zu folgendem Hinweis veranlaßt:
Gemäß § 61 Abs. 1 NÖ Gemeideordnung 1973 in der Fassung der Novelle LGBl. 1000-3 kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen, von der Zustellung des Bescheides an gerechnet, dagegen eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erheben. Auf diese Möglichkeit ist in den letztinstanzlichen Bescheiden der Gemeindeorgane hinzuweisen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom , Zl. 2683, 2624/80, und vom , Zl. 86/17/0176, dargelegt hat, trifft die Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 für das Verfahren vor der Vorstellungsbehörde zwar einzelne Anordnungen, regelt jedoch nicht, welches Verfahrensgesetz in Vorstellungsverfahren grundsätzlich anzuwenden ist. Der Gerichtshof gelangte im zuletzt genannten Erkenntnis aufgrund näher ausgeführter Überlegungen zum Ergebnis, daß mangels besonderer gesetzlicher Bestimmungen die Vorstellungsbehörde die Niederösterreichische Abgabenordnung anzuwenden hat, wenn das Verfahren vor der Gemeindebehörde (wie hier) Abgaben betrifft.
Im zuletzt zitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof weiters folgendes ausgeführt:
"Aufgrund des eben Gesagten ist im vorliegenden Fall die Frage, welche Rechtswirkungen das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung im Bescheid des Gemeinderates...hat, auf der Grundlage der Bestimmungen der NÖ. Abgabenordung zu lösen.
Gemäß § 70 Abs. 3 lit. b des letztzitierten Landesgesetzes hat der Bescheid eine Belehrung, ob ein Rechtsmittel zulässig ist, zu enthalten; bejahendenfalls ist...
Enthält der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung oder keine Angabe über die Rechtsmittelfrist oder erklärt er zu Unrecht ein Rechtsmittel für unzulässig, SO WIRD GEMÄSZ ABS. 4 DIESER
GESETZESSTELLE DIE RECHTSMITTELFRIST NICHT IN LAUF GESETZT.
Unter dem Wort "Rechtsmittel" im Sinne des § 70 Abs. 3 lit. b der NÖ Abgabenordnung ist im Hinblick auf § 61 Abs. 1 letzter Satz NÖ GO 1973 in der Fassung der Novelle
LBGl. Nr. 1000-3 auch die Vorstellung zu verstehen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/17/0053, das erkennbar von derselben Rechtsauffassung ausging)."
Dasselbe gilt auch hier. Der Umstand, daß die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid des Gemeinderates vom fälschlicherweise auf die Möglichkeit eines Vorlageantrages (anstatt einer Vorstellung) hinwies, ist dem Umstand gleichzuhalten, daß der Bescheid überhaupt keine Rechtsmittelbelehrung enthielt; denn es fehlte jedenfalls der zutreffende Hinweis auf die Möglichkeit der Einbringung einer Vorstellung.
Damit wurde auch im Beschwerdefall die Frist zur Einbringung einer Vorstellung gegen den Bescheid vom nicht in Lauf gesetzt.
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Normen | AVG §13 Abs1; AVG §57 Abs2; AVG §61 Abs2; AVG §63 Abs1; AVG §66 Abs4; BauO NÖ 1976 §14; B-VG Art119a Abs5; B-VG Art132; EGVG Art2 Abs2 A Z1; EGVG Art2 Abs5; GdO NÖ 1973 §61 idF 1000-3; GdO NÖ 1973 §61 idF idF 1000-3 ; GdO NÖ 1973 §61; LAO NÖ 1977 §70 Abs3 litb; LAO NÖ 1977 §70 Abs3; LAO NÖ 1977; VwGG §27; VwRallg; |
Schlagworte | Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche Angelegenheiten Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Berufungsrecht Begriff des Rechtsmittels bzw der Berufung Wertung von Eingaben als Berufungen Verletzung der Entscheidungspflicht durch Gemeindebehörden und Vorstellungsbehörden Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz) |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1992:1992170034.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAF-64941