VwGH 27.06.1991, 90/06/0012
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | BauG Vlbg 1972 §2 litm; BauG Vlbg 1972 §23 Abs1 litb; BauRallg; |
RS 1 | Bei einem offenen Balkon handelt es sich zwar um keinen Zubau iSd § 2 lit m Vlbg BauG 1972, zumal ein offener Balkon kein Raum ist (Hinweis E , 86/06/0078), als Zubau aber nur die Herstellung oder Erweiterung von Räumen gilt, wohl aber (zumindest) um eine wesentliche Änderung eines Gebäudes. Die Errichtung eines Balkons ist daher gemäß § 23 Abs 1 lit b Vlbg BauG 1972 bewilligungspflichtig. |
Norm | BauG Vlbg 1972 §6 Abs7; |
RS 2 | Die in § 6 Abs 7 Vlbg BauG 1972 normierte Entfernung eines Gebäudes ist - sofern die Bauvorschriften nichts anderes anordnen - grundsätzlich vom aufgehenden Mauerwerk und nicht von dessen Vorsprüngen zu berechnen (Hinweis E , 770/76, VwSlg 9306 A/1977). |
Normen | BauG Vlbg 1972 §30 Abs1; BauG Vlbg 1972 §6; BauG Vlbg 1972 §7 Abs2; BauRallg; |
RS 3 | Der Umstand, daß § 7 Vlbg BauG 1972 - im Gegensatz zu § 6 Vlbg BauG 1972 - in der taxativen Aufzählung der Nachbarrechte in § 30 Abs 1 Vlbg BauG 1972 nicht genannt ist, deutet darauf hin, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit § 7 Abs 2 Vlbg BauG 1972 nicht die Interessen der Nachbarn vor Augen hatte (ungeachtet des Umstandes, daß Abstandsregelungen immer auch Auswirkungen auf angrenzende Liegenschaftseigentümer haben). Daraus ergibt sich, daß § 7 Abs 2 Vlbg BauG 1972 primär nicht dem Nachbarschutz, sondern dem Ortsbildschutz dient. |
Normen | BauG Vlbg 1972 §7 Abs2; LBauO Vlbg 1924 §6 Abs4 litb; LBauO Vlbg 1924 §7 Abs4 litb; |
RS 4 | Aus der Entstehungsgeschichte des § 7 Vlbg BauG 1972 ergibt sich, daß nur Balkone an angrenzenden Verkehrsflächen (dh an der vorderen Gebäudefront) gemeint sind: § 6 Abs 4 lit b zweiter Satz und § 7 Abs 4 lit b zweiter Satz Vlbg LBauO trafen eine Anordnung im unmittelbaren Regelungszusammenhang mit der Möglichkeit des Vortretens von offenen Balkonen und anderen Vorsprüngen über die Straßenfluchtlinie im Ausmaß von 1,30 m. Diese Anordnung wurde (mit einer Modifikation) von der RegV zum Vlbg BauG 1972 (9 Blg im Jahre 1972 zu den Sitzungsberichten des XXI Vlbg Landtages, S 113) in einen eigenen Abs 2 des § 7 des Entwurfes zum Vlbg BauG 1972 ausgegliedert, ohne daß aus den erwähnten Gesetzesmaterialien ein Hinweis darauf ersichtlich wäre, daß damit auch an der systematischen Zuordnung dieser Bestimmung zu den Regelungen über die Verhältnisse an Verkehrsflächen etwas geändert werden sollte. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der Christine N in S, vertreten durch Dr. H Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom , Zl. I-11/Schr/4/89, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. Marktgemeinde Schruns, vertreten durch den Bürgermeister; 2. Auguste F in S), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte beim Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung zum Umbau ihres Wohn- und Geschäftshauses, auf der Bauparzelle n1 der KG Schruns, wobei (u.a.) die Errichtung eines Balkons mit einer Ausladung von 1,30 m im ersten Obergeschoß an der der Straße abgewendeten (Rück-)Front des Wohnhauses vorgesehen war. Gegen die Errichtung dieses Balkons erhob die Zweitmitbeteiligte als Eigentümerin der an der Rückseite angrenzenden Bauparzelle Nr. nn/1 schriftlich Einwendungen: Sie könne diesem Bauvorhaben nicht zustimmen, da die gesetzlichen Abstandsflächen nicht eingehalten würden. Die Baubehörde erster Instanz führte eine mündliche Bauverhandlung durch, zu der (u.a.) die Zweitmitbeteiligte geladen wurde und bei der diese ihre Einwendungen vortrug. Bei dieser Bauverhandlung vom wurde vom bautechnischen Sachverständigen nach Ausweis des Verhandlungsprotokolles u.a. festgestellt, daß die Bauabstände des bestehenden Objektes zur Grundstücksgrenze der Gp. nn/1 der Zweitmitbeteiligten "schräg verlaufend" 0,70 m bis 2,50 m betragen. Der geplante Balkonzubau werde auf Bauabstand 0,00 m an engster Stelle errichtet. Da es sich im vorliegenden Fall um ein Bauwerk handle, sei eine Abstandsnachsicht von 2,00 m auf 0,00 m erforderlich.
Am beantragte die Beschwerdeführerin die Erteilung einer Abstandsnachsicht für diesen Balkon von 2,00 m auf 0,00 m gegenüber Gp. nn/1, wobei sie darauf hinwies, daß sich im zweiten Obergeschoß bereits ein Balkon befinde, der aus dem Jahre 1930 stamme und "auf 0,00 m zur Grundgrenze liege".
Mit dem an die Beschwerdeführerin gerichteten Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde die beantragte Bewilligung zur Errichtung eines zusätzlichen Balkons im ersten Obergeschoß versagt und dieser Bescheid damit begründet, daß der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde in seiner Beratung vom die beantragte Abstandsnachsicht vor allem auch mit der Begründung abgelehnt hätte, daß die Zustimmung der Zweitmitbeteiligten nicht habe erbracht werden können.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung: Es lägen die Voraussetzungen für die Erteilung der Abstandsnachsicht nach § 6 Abs. 9 des Baugesetzes vor; nach dieser Gesetzesbestimmung komme es auf die Zustimmung des jeweiligen Nachbarn nicht an. Die Behörde habe lediglich zu fragen, ob es sachlich richtig sei, die Abstandsnachsicht zu erteilen. Dies sei im Fall der Beschwerdeführerin umso mehr zu bejahen, als an diesem Haus (ergänze: im zweiten Obergeschoß) bereits ein Balkon derselben Dimension und daher derselben Bedeutung hinsichtlich des Nachbargrundstückes vorhanden sei.
Mit dem vom Bürgermeister aufgrund des Beschlusses der Gemeindevertretung der mitbeteiligten Gemeinde vom ausgefertigten Bescheid vom wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Aufgrund der eingereichten Pläne und der Baubeschreibung sei ersichtlich, daß der Balkon, der "seitlich bis unmittelbar an die Grundgrenze" heranreiche, gegen § 7 Abs. 2 des Baugesetzes verstoße. Da § 7 keine dem § 6 Abs. 9 vergleichbare Regelung kenne, sei von der Unzulässigkeit des Bauvorhabens auszugehen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung, worin sie die Auffassung vertritt, es könne vom Ergebnis her nicht richtig sein, daß zwar bei einer Vergrößerung des Gebäudes eine Abstandsnachsicht nach § 6 Abs. 9 des Baugesetzes zulässig, dies aber bei der (bloßen) Errichtung eines Balkons gemäß § 7 Abs. 2 des Baugesetzes nicht der Fall wäre.
Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid der Vorstellung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und den Berufungsbescheid bestätigt; sie hat in der Begründung dieses Bescheides dem Vorbringen der Beschwerdeführerin entgegengehalten, daß in Anbetracht der Textierung des § 6 Abs. 9 des Baugesetzes, der Ausnahmen nicht schlechthin, sondern nur von den Absätzen 2 bis 8 zulasse, und des "Schweigens des Gesetzes" im § 7 zwingend davon auszugehen sei, daß dem Gemeindevorstand keine Möglichkeit eingeräumt werden sollte, Ausnahmen von § 7 zuzulassen. Jede andere Auslegung würde sich über die Systematik des Gesetzes hinwegsetzen. Es handle sich um eine vom Gesetzgeber gewollte und bewußt getroffene Differenzierung, die sachlich gerechtfertigt sei:
Aus § 30 Abs. 1 lit. b des Baugesetzes ergebe sich nämlich, daß § 7 im Unterschied zu § 6 nicht den Zweck habe, Interessen der Nachbarn zu schützen, sondern dem Ortsbildschutz diene. Es liege auch kein Zweifelsfall vor, in dem die Aufsichtsbehörde "zu verfassungskonformer Lückenfüllung" berufen werde. Überdies sei in Rechnung zu stellen, daß gegen die Bestimmung des § 6 Abs. 9 gravierende verfassungsrechtliche Bedenken bestünden. Auch bei zutreffender Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin sei aber für sie nichts gewonnen, weil die vom Gemeindevorstand am beschlossene Verweigerung einer Ausnahme von § 7 Abs. 2 des Baugesetzes (ergänze: die bescheiderlassenden Behörden) binde.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluß vom , B 1110/89, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
Darin (in Verbindung mit einem von der Beschwerdeführerin erstatteten Ergänzungsschriftsatz) wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes beantragt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Dazu erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme, auf welche die belangte Behörde replizierte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Von den Behörden des Verwaltungsverfahrens wurden im Beschwerdefall voneinander abweichende, jeweils aber in das gleiche rechtliche Ergebnis einmündende Rechtsauffassungen vertreten: Während die Baubehörde erster Instanz die Bewilligung zur Errichtung des strittigen Balkons deshalb versagte, weil eine "Abstandsnachsicht von 2,00 m auf 0,00 m erforderlich gewesen wäre", welche der Gemeindevorstand abgelehnt habe (womit - ohne daß dies dem erstinstanzlichen Bescheid ausdrücklich zu entnehmen wäre - offenbar die Bestimmungen des § 6 ABS. 8 UND 9 des Gesetzes über die Errichtung und Erhaltung von Bauwerken, Baugesetz - BauG -, Vorarlberger LGBl. Nr. 39/1972, angewendet wurden), erachteten die Berufungs- und die Vorstellungsbehörde § 7 ABS. 2 BauG als dem Vorhaben entgegenstehend.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag - wie im folgenden auszuführen ist - keiner dieser Auffassungen beizupflichten:
Die im Beschwerdefall als maßgebend in Betracht kommenden Bestimmungen des Vorarlberger Baugesetzes lauten:
§ 6
Abstandsflächen
(1) Oberirdische Gebäude sind so anzuordnen, daß vor ihren Außenwänden, ausgenommen vor deren Ecken, Abstandsflächen liegen, auf denen keine Gebäude und keine sonstigen oberirdischen Bauwerke bestehen oder errichtet werden dürfen, die an einer Stelle mehr als 1 m hoch sind. Bauwerke, die an keiner Stelle mehr als 3 m hoch sind und nicht dem länger dauernden Aufenthalt von Menschen dienen, dürfen jedoch innerhalb der Abstandsflächen von Gebäuden des gleichen Baugrundstückes liegen, soweit dadurch für Fenster gemäß Abs. 3 ein Lichteinfall im Sinne des letzten Satzes des Abs. 3 nicht verhindert wird. Die im § 7 genannten Vorsprünge und Vorbauten dürfen jedoch bis zu dem dort genannten Ausmaß in die Abstandsflächen hineinragen, wobei in den Fällen des § 7 Abs. 6 lit. a bis c eine Zustimmung des Nachbarn erforderlich ist.
...
(7) Von der Nachbargrenze müssen oberirdische Gebäude mindestens 3 m entfernt sein.
(8) Bei oberirdischen Bauwerken, ausgenommen Gebäude und Einfriedungen oder sonstige Wände bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück, hat der Abstand von der Nachbargrenze mindestens 2 m und bei unterirdischen Bauwerken mindestens 1 m zu betragen, falls nicht der Nachbar einem geringeren Abstand zustimmt und die im Abs. 9 genannten Interessen nicht beeinträchtigt werden.
(9) Wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden.
...
§ 7
Vorsprünge und Vorbauten
(1) Folgende Bauteile dürfen über die Straßenlinie vortreten:
...
...
...
Erker, Balkone, Wetterdächer u.dgl. bis zu einem Zehntel der Straßenbreite, höchstens aber bis zu 1,30 m.
(2) Balkone und Erker nach Abs. 1 lit. d müssen seitlich um das eineinhalbfache Maß ihrer Ausladung von der Nachbargrenze entfernt sein.
...
§ 23
Bewilligungspflichtige Vorhaben
(1) Einer Baubewilligung bedürfen
...
b) Die Änderung von Gebäuden, sofern es sich um Zu- oder Umbauten oder sonstige wesentliche Änderungen handelt;
...
§ 2
Begriffe
Im Sinne dieses Gesetzes ist
...
l) Umbau die wesentliche Umgestaltung des Inneren oder Äußeren eines Gebäudes ...;
m) Zubau die Vergrößerung eines schon bestehenden Gebäudes in waagrechter oder lotrechter Richtung durch Herstellung neuer oder Erweiterung bestehender Räume.
Bei dem von der Beschwerdeführerin projektierten Balkon handelt es sich zwar um keinen Zubau im Sinne des § 2 lit. m BauG, zumal ein offener Balkon nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 86/06/0078, kein Raum ist, als Zubau aber nur die Herstellung oder Erweiterung von Räumen gilt, wohl aber (zumindest) um eine wesentliche Änderung eines Gebäudes. Es wird daher zu Recht von keiner Seite in Zweifel gezogen, daß es sich bei der Errichtung eines Balkons um eine bewilligungspflichtige Baumaßnahme gemäß § 23 Abs. 1 lit. b BauG handelt. Zutreffend haben die Behörden des Verwaltungsverfahrens auch erkannt, daß das Bauvorhaben der Beschwerdeführerin nicht etwa gegen die Bestimmungen des § 6 Abs. 1 und 2 BauG über Abstandsflächen verstößt (worauf sich die Zweitmitbeteiligte im Verwaltungsverfahren berufen hat), weil gemäß § 6 Abs. 1 letzter Satz BauG die im § 7 genannten Vorsprünge und Vorbauten (somit auch Balkone) bis zu dem dort genannten Ausmaße (das sind gemäß § 7 Abs. 1 lit. d BauG 1,30 m) in die Abstandsfläche hineinragen dürfen und der projektierte Balkon dieses Maß nicht überschreiten würde.
Die von der Beschwerdeführerin beabsichtigte Bauführung berührt auch nicht § 6 Abs. 7 des Baugesetzes, da die Entfernung eines Gebäudes - soweit die Bauvorschriften nichts anderes anordnen - grundsätzlich vom aufgehenden Mauerwerk und nicht von dessen Vorsprüngen zu berechnen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Slg. 9306/A, vom Zl. 84/06/0181, BauSlg. Nr. 849, und vom , Zl. 87/06/0051).
Es ist aber auch die von der Behörde erster Instanz offenbar angewendete Bestimmung des § 6 Abs. 8 des Baugesetzes, wonach (u.a.) bei oberirdischen Bauwerken, AUSGENOMMEN GEBÄUDE und Einfriedungen der Abstand von der Nachbargrenze mindestens 2 m zu betragen hat, nicht heranzuziehen, weil der Balkon ein Gebäudeteil ist und die Abstandsbestimmung des § 6 Abs. 8 ausdrücklich NICHT für GEBÄUDE (und damit auch nicht für Bauteile von Gebäuden) gilt. Dem entspricht auch die sonstige Systematik des Gesetzes, Vorsprünge und Vorbauten nicht als Bauwerke, sondern als Bauteile von Bauwerken (daher auch als Bauteile von Gebäuden) anzusehen und (gegebenenfalls) für diese Teile abweichende Sondervorschriften (vgl. § 6 Abs. 1 letzter Satz, Abs.2 vorletzter Satz aber auch § 7 BauG) vorzusehen.
Das Schicksal der vorliegenden Beschwerde hängt von der Anwendbarkeit bzw. (bejahendenfalls) von der Beantwortung der Frage ab, ob der projektierte Balkon der Vorschrift des § 7 Abs. 2 des Baugesetzes entspricht. In diesem Zusammenhang ist zunächst zweierlei wesentlich: § 7 BauG ist - im Gegensatz zu § 6 leg. cit. - in der taxativen Aufzählung der Nachbarrechte im § 30 Abs. 1 BauG nicht genannt. Dies deutet darauf hin, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit § 7 Abs. 2 BauG nicht die Interessen der Nachbarn vor Augen hatte (ungeachtet des Umstandes, daß Abstandsregelungen immer auch Auswirkungen auf angrenzende Liegenschaftseigentümer haben). Daraus hat die belangte Behörde zutreffend abgeleitet, daß § 7 Abs. 2 BauG primär nicht dem Nachbar-, sondern dem Ortsbildschutz dient. Als zweites ist der systematische Standort der Regelung des § 7 Abs. 2 leg. cit. in Betracht zu ziehen: § 7 Abs. 1 sowie Abs. 3 bis 6 BauG regeln ausschließlich die Verhältnisse zu angrenzenden Verkehrsflächen. Aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung wird im besonderen deutlich, daß damit nur Balkone an angrenzenden Verkehrsflächen (d.h. an der vorderen Gebäudefront) gemeint sind: § 6 Z. 4 lit. b der Landesbauordnung LGBl. Nr. 9/1924 und § 7 Abs. 4 lit. b der Landesbauordnung LGBl. Nr. 49/1962 sahen im jeweils zweiten Satz der zitierten Rechtsvorschriften und im UNMITTELBAREN Regelungszusammenhang mit der Möglichkeit des Vortretens von offenen Balkonen und anderen Vorsprüngen über die STRASSENFLUCHTLINIE im Ausmaß von 1,30 m die Anordnung vor, daß Balkone und Erker um das Eineinhalbfache ihrer Ausladung von der Nachbargrenze entfernt sein müssen. In der Regierungsvorlage zum Baugesetz (9. Beilage im Jahre 1972 zu den Sitzungsberichten des XXI. Vorarlberger Landtages, S 113) war diese Anordnung in einen eigenen Absatz 2 des § 7 ausgegliedert und die zusätzliche Einschränkung vorgesehen worden, wonach diese Vorsprünge "in der Summe ihrer Längen höchstens die Hälfte der sich in ihrer Höhe ergebenden Gebäudelänge betragen" dürfen. Während die zuletzt erwähnte Einschränkung letztlich keinen Eingang in das Baugesetz fand, verblieb es bei der Ausgliederung der Regelung im Abs. 2, ohne daß aus den bereits erwähnten Gesetzesmaterialien ein Hinweis darauf ersichtlich wäre, daß damit auch an der systematischen Zuordnung dieser Bestimmung zu den Regelungen über die Verhältnisse an Verkehrsflächen etwas geändert werden sollte. Da es sich im Beschwerdefall nicht um einen an eine Verkehrsfläche angrenzenden, sondern um einen an der Rückseite des Hauses geplanten Balkon handelt, ist § 7 Abs. 2 BauG hier daher nicht anzuwenden.
Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
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Normen | BauG Vlbg 1972 §2 litm; BauG Vlbg 1972 §23 Abs1 litb; BauG Vlbg 1972 §30 Abs1; BauG Vlbg 1972 §6 Abs7; BauG Vlbg 1972 §6; BauG Vlbg 1972 §7 Abs2; BauRallg; LBauO Vlbg 1924 §6 Abs4 litb; LBauO Vlbg 1924 §7 Abs4 litb; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1991:1990060012.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
JAAAF-64560