VwGH 19.09.1989, 88/08/0158
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | GewO 1973 §368; GewO 1973 §370 Abs2; GewO 1973 §39 Abs1; LSchlG §8 Abs3; LSchlV Wr 1965 §16; LSchlV Wr 1965 §2; |
RS 1 | Ein gewerberechtlicher Geschäftsführer iSd § 39 Abs 1 GewO bleibt für die Einhaltung von Ladenschlussbestimmungen (hier: § 8 Abs 3 LSchlG, §§ 2, 16 WLSchlV, LGBl 1965/21 iVm §§ 368, 370 Abs 2 GewO) auch dann verantwortlich, wenn er vom Vorstand der AG eine Weisung zum Offenhalten der Verkaufsstätte erhalten hat (Hinweis auf E , 86/04/0100). |
Normen | VStG §5; VStG §6; VStG §9 Abs5; |
RS 2 | Mögliche wirtschaftliche Nachteile des in einem Dienstverhältnis stehenden gewerberechtlichen Geschäftsführers infolge seiner allfälligen Kündigung bei Nichtbefolgung der Weisung des Vorstandes der (den Betrieb führenden) Gesellschaft vermögen keine Notstandssituation zu begründen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde des GB in W, vertreten durch Dr. Otto Kunze, Rechtsanwalt in Wien I, Schellinggasse 5/3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 63-P 25/87/Str, betreffend Übertretung von Ladenschlußbestimmungen, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) Aufwendungen in der Höhe von S 2.300,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde ausgesprochen, der Beschwerdeführer habe es als gewerberechtlicher Geschäftsführer der X-Aktiengesellschaft, berechtigt zur Ausübung des Gewerbes "Handelsgewerbe gemäß § 103 Abs. 1 lit. b Z. 25 Gewerbeordnung 1973, beschränkt auf den Kleinhandel" zu verantworten, daß am Samstag, dem , um 16.00 Uhr, entgegen den Bestimmungen der §§ 2 und 16 der Wiener Ladenschlußverordnung, LGBl. Nr. 21/1965, in der derzeit geltenden Fassung, in den Verkaufsräumen der obgenannten Gesellschaft in Wien 11, G-gasse 3, Lebensmittel an Letztverbraucher verkauft worden seien, obwohl der Kleinverkauf von Lebensmitteln an Samstagen nach 14.00 Uhr untersagt sei; der Beschwerdeführer habe dadurch § 8 Abs. 3 des Ladenschlußgesetzes, BGBl. Nr. 156/1958, in Verbindung mit § 2 der Wiener Ladenschlußverordnung und mit § 368 Z. 17 und § 376 Z. 39 der Gewerbeordnung 1973 verletzt; gemäß § 368 Einleitungssatz Gewerbeordnung werde über ihn eine Geldstrafe von S 5.500,-- (Ersatzarreststrafe 5 Tage und 12 Stunden) verhängt; ferner habe er gemäß § 64 VStG 1950 S 550,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens und S 550,-- als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu zahlen. Nach der Bescheidbegründung stehe der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Sachverhalt unbestritten fest. Er bestreite lediglich sein Verschulden an der Nichteinhaltung der Ladenschlußbestimmungen. Die Betriebsstätte sei auf Grund einer besonderen Weisung der Geschäftsleitung der Gesellschaft offengehalten worden. Der Beschwerdeführer habe den Vorstandsdirektor HS darauf hingewiesen, daß diese Weisung zu Schwierigkeiten führen könne, doch habe die Geschäftsleitung auf der Durchführung der Anordung bestanden. Ein Widerstand des Beschwerdeführers gegen diese Weisung wäre einerseits erfolglos gewesen und hätte ihn andererseits der Gefahr dienstrechtlicher Nachteile ausgesetzt. Er habe sich in einem entschuldigenden Notstand im Sinne des § 6 VStG 1950 befunden, was auch daraus hervorgehe, daß § 9 Abs. 5 VStG 1950 - der für den Beschwerdeführer als gewerberechtlichen Geschäftsführer nicht unmittelbar anwendbar sei - vorsehe, daß der verantwortliche Beauftragte, der auf Grund einer besonderen Weisung des Auftraggebers eine Verwaltungsvorschrift verletze, dann nicht verantwortlich sei, wenn er glaubhaft zu machen vermöge, daß ihm die Einhaltung dieser Verwaltungsvorschrift unzumutbar gewesen sei. Notstand im Sinne des § 6 VStG 1950 sei nur dann gegeben, wenn eine Verwaltungsübertretung begangen werde, um eine den Täter unmittelbar drohende Gefahr abzuwenden, die so groß sei, daß sich der Täter in unwiderstehlichem Zwang befinde, eher eine Vorschrift zu übertreten als das unmittelbar drohende Übel über sich ergehen zu lassen. Die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Schädigung begründe nur dann einen Notstand, wenn durch sie die Lebensmöglichkeiten selbst unmittelbar bedroht seien. Daß die vom Beschwerdeführer für den Fall der Einhaltung der Ladenschlußbestimmungen entgegen der ihm erteilten Weisung der Geschäftsleitung befürchteten dienstrechtlichen Nachteile eine unmittelbare Bedrohung seiner Lebensmöglichkeiten bewirkt hätten, sei nicht ersichtlich. Darüber hinaus sei es mehr als zweifelhaft, ob dem Beschwerdeführer bloß deshalb, weil er geltende Rechtsvorschriften beachtet hätte, dienstrechtliche Nachteile hätten auferlegt werden dürfen. Es liege demnach der Verdacht nahe, daß der Einwand des Notstandes eine bloße Schutzbehauptung sei. § 9 Abs. 5 VStG 1950 enthalte keine Regelung darüber, wann ein Notstand oder ein sonst mangelndes Verschulden vorliege, sondern regle die Zurechenbarkeit einer Tat bei Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten; diese Gesetzesbestimmung sei daher im Beschwerdefall nicht anwendbar. Der Schuldspruch bestehe daher zu Recht. Es folgen Ausführungen zur Strafbemessung und zur Festsetzung der Beiträge zu den Kosten des Strafverfahrens.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bestreitet auch in der Beschwerde nicht das Vorliegen des objektiven Tatbestandes der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung, wendet sich aber - im wesentlichen aus den in der Berufung vorgetragenen, oben wiedergegebenen Gründen - gegen die Bejahung seines Verschuldens durch die belangte Behörde. Der Auftrag zum Offenhalten der gegenständlichen Verkaufsstätte sei vom Vorstand der Gesellschaft erteilt worden. Der Beschwerdeführer habe mit dem zuständigen Vorstandsdirektor S gesprochen und darauf hingewiesen, daß Schwierigkeiten auftreten würden. Ungeachtet dieser Hinweise sei der Auftrag aufrecht geblieben. Der Beschwerdeführer habe daher diesen Auftrag weitergeben müssen. Seine Weigerung wäre ohne Wirkung gewesen, da dann eben die Betriebsstätten nicht durch ihn, sondern durch den Vorstand oder eine andere beauftragte Person unterrichtet worden wären. Von einem Verschulden könne immer nur dann gesprochen werden, wenn ein Tatbestand durch eigene Willensentschließung verwirklicht werde. Im vorliegenden Fall sei der Beschwerdeführer lediglich Überbringer einer auch ihn bindenden Weisung gewesen, an deren Entstehung er nicht beteiligt gewesen sei und die er nach seiner Verantwortung auch nicht habe verhindern können. Aber selbst wenn ihm eine Einflußnahme auf die Verwirklichung des ihm angelasteten Tatbestandes möglich gewesen wäre, müßte ihm der Schuldausschließungsgrund des Notstandes zugebilligt werden. Denn es könne keinem Zweifel unterliegen, daß er dienstrechtlichen Maßnahmen ausgesetzt gewesen wäre, wenn er sich der an ihn ergangenen Weisung widersetzt hätte. Es möge schon richtig sein, daß eine derartige Weigerung nicht als Entlassungsgrund hätte herangezogen werden können, es hätte aber auch die mit Sicherheit zu erwartende Kündigung zu existenzbedrohenden Schwierigkeiten geführt. Schließlich sei die für den verantwortlichen Beauftragten gedachte Regelung des § 9 Abs. 5 VStG 1950 als Interpretationshilfe bei der Beurteilung anzusehen, ob ein Schuldausschließungsgrund vorliege oder nicht. Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur diesbezüglichen VStG-Novelle BGBl. Nr. 176/1983 führten nämlich aus, daß diese Bestimmung einen Schuldausschließungsgrund festlege, der sich schon aus dem Verschuldensgrundsatz aus solchem ergebe. Es sei als zweckmäßig erachtet worden, ihn ausdrücklich festzulegen, um mögliche Auslegungsprobleme von vornherein auszuschließen. Wenn sich aber dieser Schuldausschließungsgrund nach Meinung des Gesetzgebers ohnedies aus dem Verschuldensgrundsatz ergebe, sei auch dem Beschwerdeführer in der vorliegenden Situation dieser Schuldausschließungsgrund zuzubilligen. In diesem Zusammenhang rügt der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde - ausgehend von ihrer unrichtigen rechtlichen Beurteilung - nicht entsprechend dem Beweisantrag des Beschwerdeführers den Vorstandsdirektor S als Zeugen darüber vernommen habe, daß der Beschwerdeführer bei Erhalt der Weisung auf mit Sicherheit zu erwartende Schwierigkeiten hingewiesen habe, auf der Durchführung der Weisung aber bestanden worden sei.
Soweit der Beschwerdeführer ein Verschulden an der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung deshalb bestreitet, weil er nur ein Überbringer der Weisung des Vorstandes der Gesellschaft gewesen sei, übersieht er, daß er als gewerberechtlicher Geschäftsführer gemäß § 39 Abs. 1 Gewerbeordnung in Verbindung mit den §§ 368, 370 Abs. 2 leg. cit. trotz einer derartigen Weisung für die Einhaltung der obgenannten Ladenschlußbestimmungen verantwortlich blieb (vgl. das in der entscheidenden Rechtsfrage gleichgelagerte Erkenntnis vom , Zl. 86/04/0100).
Ob die gegenständliche Verkaufsstätte auch dann offen geblieben wäre (und in ihr Verkäufe von Lebensmitteln an Letztverbraucher durchgeführt worden wären), wenn sich der Beschwerdeführer geweigert hätte, die Weisung des Vorstandes zu befolgen, und welche rechtliche Konsequenzen dies für den Beschwerdeführer gehabt hätte, ist im Beschwerdefall nicht zu prüfen, weil es nicht um die rechtliche Beurteilung fiktiver, sondern der tatsächlichen Geschehensabläufe geht. Sofern diesem Einwand aber die Auffassung zugrunde liegen sollte, seine strafrechtliche Verantwortlichkeit scheide dann aus, wenn unabhängig von seinem Verhalten der objektive Tatbestand verwirklicht worden wäre, verkennt er, daß es im Beschwerdefall um die strafrechtliche Zurechnung der Tat ihm gegenüber geht.
Der belangten Behörde ist aber auch bei der Verneinung eines Notstandes im Sinne des § 6 VStG 1950 kein Rechtsirrtum unterlaufen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom , Zl. 86/04/0100, vom , Zl. 82/04/0169) kann unter Notstand nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. Die Gefahr muß zumutbarerweise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben sein. Wirtschaftliche Nachteile können nur dann Notstand begründen, wenn sie die Lebensmöglichkeiten selbst unmittelbar bedrohen.
Auf bloß mögliche nachteilige Folgen verweisende Gründe sind demnach schon mangels Unmittelbarkeit einer drohenden Gefahr nicht geeignet, die Annahme eines Notstandes zu rechtfertigen. Mögliche wirtschaftliche Nachteile infolge einer allfälligen Kündigung bei Nichtbefolgung der Weisung des Vorstandes der Gesellschaft vermögen - bei Zugrundelegung dieses vom erkennenden Senat aufrechterhaltenen Verständnisses des Notstandes im Sinne des § 6 VStG 1950 - keine Notstandssituation zu begründen.
Was die Beschwerdeausführungen zu § 9 Abs. 5 VStG 1950 betrifft, ist zu bemerken, daß selbst dann, wenn es sich dabei um einen schon aus dem Verschuldensgrundsatz erfließenden Schuldausschließungsgrund handeln sollte, keine Änderung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers einträte, da dann bei Zugrundelegung der allgemeinen Maßstäbe der Zumutbarkeit entsprechend den §§ 5 und 6 VStG 1950 die Nichtbefolgung der Weisung des Vorstandes der Gesellschaft durch den Beschwerdeführer als deren gewerberechtlichen Geschäftsführer als durchaus zumutbar erachtet werden müßte.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989, in den Grenzen des Begehrens der belangten Behörde.
Hinsichtlich der zitierten, in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlichten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | GewO 1973 §368; GewO 1973 §370 Abs2; GewO 1973 §39 Abs1; LSchlG §8 Abs3; LSchlV Wr 1965 §16; LSchlV Wr 1965 §2; VStG §5; VStG §6; VStG §9 Abs5; |
Sammlungsnummer | VwSlg 12985 A/1989 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1989:1988080158.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-63800