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VwGH 24.11.1987, 87/11/0154

VwGH 24.11.1987, 87/11/0154

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §66 Abs4
KFG 1967 §73 Abs1
KFG 1967 §74 Abs1
KFG 1967 §74 Abs3
RS 1
"Sache" eines Bescheides, mit dem die Lenkerberechtigung entzogen wird, ist nicht die angeordnete Verwaltungsmaßnahme, sondern zumindest der von der unterinstanzlichen Behörde angenommene Wegfall einer Eignungsvoraussetzung, der die Behörde kraft Gesetzes zu einer Verwaltungsmaßnahme nach den §§ 73 Abs 1, 74 Abs 1 oder Abs3 KFG verpflichtet.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 82/11/0270 E VS VwSlg 11237 A/1983 RS 2
Normen
KFG 1967 §66 Abs1
KFG 1967 §73 Abs1
KFG 1967 §73 Abs2
RS 2
Wenn die Berufungsbehörde im Rahmen ihrer reformatorischen Funktion auf einen weiteren Vorfall Bedacht nimmt und zur Annahme kommt, das Verkehrunzuverlässigkeit im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides und mindestens nach 3 Monate danach vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob sie auch eine durchgehende - auch nach Ablauf der von der Erstbehörde festgesetzten Frist weiter bestehende - Verkehrsunzuverlässigkeit angenommen hat oder nicht.
Normen
AVG §38
VwGG §42 Abs2 litc
VwGG §42 Abs2 Z3
RS 3
Durch den Hinweis auf einen noch nicht rechtskräftigen Strafbescheid hat die Entziehungsbehörde sich dessen Inhalt zu Eigen gemacht und damit eine Vorfrage nach § 38 AVG selbstständig beurteilt. Wird der Strafbescheid vom VwGH wegen in Ansehung des Schuldspruches unterlaufener Verfahrensmängel aufgehoben, dann ist auch der ebenfalls angefochtene Entziehungsbescheid mit dieser Rechtswidrigkeit behaftet.
Normen
AVG §56
AVG §62 Abs1
RS 4
Die Zustellung eines Strafbescheides lediglich als "Beilage" zu einem Entziehungsbescheid bewirkt nicht seine rechtswirksame Erlassung.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Dorner, Dr. Waldner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom , Zl. VerkR-11.267/3-1987-I/Si, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.810,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft vom (zugestellt am ) wurde die dem Beschwerdeführer erteilte Lenkerberechtigung für die Gruppen A, B, C und G gemäß § 74 KFG 1967 wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit auf die Dauer von 5 Monaten, gerechnet ab Bescheidzustellung, vorübergehend entzogen. Bei dieser Entscheidung ging die Behörde davon aus, daß der Beschwerdeführer am im Anschluß an einen von ihm verschuldeten Verkehrsunfall durch ungerechtfertigte Verweigerung der Atemluftprobe eine Übertretung nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen habe. Weiters sei der Beschwerdeführer bereits im Jahre 1982 wegen einer Übertretung nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 bestraft worden.

Auf Grund der dagegen erhobenen Vorstellung des Beschwerdeführers traf die Bezirkshauptmannschaft mit Bescheid vom eine mit dem erwähnten Mandatsbescheid übereinstimmende Entscheidung, bei der sie ebenfalls vom Vorliegen der beiden vorhin erwähnten Übertretungen ausging.

Über die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers entschied der Landeshauptmann von Oberösterreich mit Bescheid vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 wie folgt:

„Der Berufung wird keine Folge gegeben. Der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom wird als rechtmäßig bestätigt. Darüber hinaus wird ausgesprochen, daß Herrn A die Lenkerberechtigung der Gruppen A, B, C und G gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 ab Zustellung dieses Bescheides entzogen wird. In sinngemäßer Anwendung des § 73 Abs. 2 KFG 1967 darf bis zum der Führerschein nicht ausgefolgt werden“.

Bei dieser Entscheidung ging der Landeshauptmann von der zusätzlichen Annahme aus, der Beschwerdeführer habe am - neben anderen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung 1960 - (durch Verweigerung der Atemluftprobe) eine weitere Übertretung nach § 99 Abs. 1 StVO begangen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gegen die Berücksichtigung des Vorfalles vom wendet der Beschwerdeführer ein, dies wäre nur zulässig gewesen, „wenn dieser Vorfall vom noch in die Lenkerberechtigungsentzugsdauer aus dem Vorfall vom hineingefallen wäre, sohin am die Lenkerberechtigung auf Grund des Vorfalles vom noch entzogen gewesen wäre“. Mangels dieser Voraussetzung sei der sachliche und rechtliche Konnex mit dem vorangegangenen Entziehungsverfahren nicht mehr gegeben gewesen. Der Vorfall vom hätte zur Einleitung eines neuen Verfahrens bei der Erstbehörde führen müssen. Die Beurteilung dieses Faktums durch die belangte Behörde „quasi als erste und letzte Instanz“ habe zu einer massiven Beschneidung des Instanzenzuges geführt.

Mit diesem Vorbringen wirft die Beschwerde der belangten Behörde der Sache nach vor, nicht im Rahmen der „Sache“ im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 entschieden und damit ihre Entscheidungsbefugnis als Berufungsbehörde überschritten zu haben. Dieser Vorwurf ist nicht berechtigt:

Wie der Verwaltungsgerichtshof in einem dem vorliegenden vergleichbaren Fall ausgesprochen hat, ist Sache eines Bescheides, mit dem die Lenkerberechtigung entzogen wird, nicht die angeordnete Verwaltungsmaßnahme, sondern zumindest der von der unterinstanzlichen Behörde angenommene Wegfall einer Eignungsvoraussetzung, der die Behörde kraft Gesetzes zu einer Verwaltungsmaßnahme nach den 55 73 Abs. 1, 74 Abs. 1 oder Abs. 3 KFG 1967 verpflichtet (Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. 11.237/A). Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis weiters ausgesprochen, daß die Berufungsbehörde in einem Verfahren betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung Änderungen der Sach- und Rechtslage im Berufungsverfahren zu berücksichtigen hat. Im Beschwerdefall war „Sache“ für die belangte Behörde jedenfalls der von der Erstbehörde angenommene Wegfall der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers. Im Rahmen der so bestimmten Sache war sie berechtigt und verpflichtet, relevante Änderungen unter anderem des maßgebenden Sachverhaltes während des Berufungsverfahrens zu berücksichtigen. Dies tat sie, indem sie im Rahmen ihrer reformatorischen Funktion auch auf den Vorfall vom - er hatte sich während des Berufungsverfahrens ereignet - Bedacht nahm. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die belangte Behörde eine durchgehende - auch nach Ablauf der von der Erstbehörde festgesetzten Frist weiterbestehende - Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers angenommen hat oder nicht; sie ist jedenfalls von der Annahme ausgegangen, der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides verkehrsunzuverlässig und er werde es noch mindestens drei Monate lang sein (§ 73 Abs. 2 letzter Halbsatz KFG 1967). Die belangte Behörde hat daher im Rahmen der „Sache“ im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 entschieden und demnach die Grenzen ihrer Entscheidungsbefugnis nicht verletzt.

Der Beschwerdeführer bekämpft weiters die Annahme der belangten Behörde, er habe am eine Übertretung nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen. Diese Annahme beruhe auf einem in mehrfacher Hinsicht mangelhaften Ermittlungsverfahren. Dieser Einwand ist im Ergebnis berechtigt:

Zu der in Rede stehenden Annahme wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, es könne der Erstbehörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie diese Frage als Vorfrage selbständig beurteilt habe. Ihre Auffassung sei mit dem dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossenen Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom bestätigt worden. Durch den Hinweis auf diesen Bescheid hat sich die belangte Behörde - auch wenn sie, wie sie in der Gegenschrift ausführt, darüber hinaus Bindung angenommen hat - jedenfalls seinen Inhalt zu eigen gemacht und damit diese Vorfrage gemäß § 38 AVG 1950 auch selbständig beurteilt (vgl. das hg. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 81/02/0181) - und zwar entsprechend der Begründung des Strafbescheides. Eine Bindung der belangten Behörde bestand nicht, weil dieser Bescheid bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig war: Er wurde dem Beschwerdeführer nach seinem (mit der dem Verwaltungsgerichtshof bekannten Aktenlage übereinstimmenden) Vorbringen erst zwei Tage nach dem angefochtenen Bescheid zugestellt; die von der belangten Behörde verfügte Zustellung lediglich als „Beilage“ zum angefochtenen Bescheid hat nicht zu seiner rechtswirksamen Erlassung geführt. Die auch dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Annahme, der Beschwerdeführer habe am eine Übertretung nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, beruht jedoch, wie die Aufhebung des Bescheides der Oberösterreichischen Landesregierung vom wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 87/18/0087, zeigt, nicht auf einem mängel-freien Ermittlungsverfahren. Das hat zur Folge, daß auch der vorliegend angefochtene Bescheid wegen der im besagten Erkenntnis aufgezeigten, in Ansehung des Schuldspruches unterlaufenen Verfahrensmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die Vorlage von drei Ausfertigungen der Beschwerde, einer Vollmacht und einer Ablichtung des angefochtenen Bescheides genügte und dem Beschwerdeführer nur ein Anspruch auf Ersatz der darauf entfallenden Stempelgebühren zusteht.

Wien, am

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AVG §38
AVG §56
AVG §62 Abs1
AVG §66 Abs4
KFG 1967 §66 Abs1
KFG 1967 §73 Abs1
KFG 1967 §73 Abs2
KFG 1967 §74 Abs1
KFG 1967 §74 Abs3
VwGG §42 Abs2 litc
VwGG §42 Abs2 Z3
Schlagworte
Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Verweisung auf frühere Entscheidungen Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1987:1987110154.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
OAAAF-63248