VwGH 25.02.1988, 87/08/0291
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | AlVG 1977 §20 Abs2 |
RS 1 | Die Rechtsansicht der Behörde, der Familienzuschlag gebühre nicht, wenn die "eigenen Mittel" der zuschlagsberechtigten Personen den Betrag ereichten, der dem Grundbetrag des Arbeitslosengeldes in der niedrigsten Lohnklasse entspreche, ist unrichtig. Die Höhe der den Familienzuschlag ausschließenden eigenen Mittel wird in § 20 Abs 2 AlVG nicht nach einem starren Maßstab - wie dies der von der bel Beh herangezogene Grundbetrag des Arbeitslosengeldes in der niedrigsten Lohnklasse ist - bestimmt, sondern richtet sich nach dem zur Bestreitung des angemessenen Lebensunterhaltes des Zuschlagsberechtigten notwendigen Aufwand. Es sind somit grundsätzlich die individuellen Verhältnisse des Zuschlagsberechtigten maßgebend, wobei allerdings - etwa iSd von der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zur Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 140 ABGB entwickelten Grundsätze (Hinweis auf EF-Slg 48.176 ff, 45.626 ff, 43.144 ff u.v.a.) - als Orientierungshilfe allenfalls auf die Mindestpensionshöhe nach dem ASVG zurückgegriffen werden könnte. |
Normen | |
RS 2 | "Eigene Mittel" sind nach der Rechtsprechung des VwGH (Hinweis , 86/08/0069) auch freiwillig oder in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung geleistete Zahlungen Dritter. Die Rechtsansicht der bel Beh, dass auch nach dem Unterhaltsvorschussgesetz 1985 gewährte Vorschüsse für zuschlagsberechtigte Personen zu diesen "eigenen Mitteln" zu zählen seien, ist daher nicht rechtswidrig. |
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RS 3 | Die Höhe des Arbeitslosengeldes ist dem im System des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vorherrschenden Versicherungsprinzip entsprechend von der Beitragshöhe abhängig (vgl. Dirschmied, Arbeitslosenversicherungsrecht 15). Ziel der Arbeitslosenversicherung ist es nicht, mit der Leistung des Arbeitslosengeldes die volle Deckung des Lebensunterhaltes des Arbeitslosen sicherzustellen; es soll damit vielmehr in erster Linie der mit der Arbeitslosigkeit verbundene Einnahmenausfall ausgeglichen werden. Auch der Bezieher eines die Geringfügigkeitsgrenze nur knapp übersteigenden Einkommens aus einem Beschäftigungsverhältnis ist in der Regel darauf angewiesen, zur Bestreitung seines angemessenen Lebensunterhaltes andere Mittel in Anspruch nehmen zu müssen; dies gilt umsomehr für jemand, der aufgrund eines solch geringen Verdienstes Arbeitslosengeld bezieht. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Zach und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Novak, über die Beschwerde der ET in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt Dr. Hans Lesigang, Wien I, Wollzeile 36, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom , Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend Familienzuschlag, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung des Familienzuschlages für ihren (1973) geborenen Sohn M gemäß § 20 Abs. 2 AlVG abgewiesen. Nach der Begründung habe die Beschwerdeführerin angegeben, für den mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn regelmäßig einen Unterhaltsvorschuß von S 2.400,-- monatlich zu erhalten. Unbestritten sei, daß die Beschwerdeführerin mit ihrer Pflege wesentlich zum Unterhalt des Kindes beitrage. Dies allein vermöge aber ihren Anspruch auf Familienzuschlag für den Sohn noch nicht zu sichern. Der Anspruch auf Familienzuschlag sei von Gesetzes wegen ausgeschlossen, wenn der zuschlagsberechtigten Person zugemutet werden könne, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt unter anderem aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Da auch einem Arbeitslosen mit Anspruch auf den geringsten Leistungssatz (derzeit S 1.362,-- monatlich) zugemutet werde, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten, müsse davon ausgegangen werden, daß es auch dem Sohn der Beschwerdeführerin möglich sein müsse, mit S 2.400,-- monatlich - einem Betrag also, der weit über den S 1.362,-- liege - seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 20 Abs. 2 AlVG sind Familienzuschläge für Ehegatten (Lebensgefährten), Eltern und Großeltern, Kinder und Enkel, Stiefkinder, Wahlkinder und Pflegekinder (zuschlagsberechtigte Personen) zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt dieser Person tatsächlich wesentlich beiträgt. Der Familienzuschlag gebührt nicht, wenn den zuschlagsberechtigten Personen zugemutet werden kann, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere durch eigene Arbeit, zu bestreiten.
Solche „eigene Mittel“ sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 86/08/0069) auch freiwillig oder in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung geleistete Zahlungen Dritter. Die Rechtsansicht der belangten Behörde, daß auch nach dem Unterhaltsvorschußgesetz 1985 gewährte Vorschüsse für zuschlagsberechtigte Personen zu diesen „eigenen Mitteln“ zu zählen seien, ist daher nicht rechtswidrig.
Nicht gefolgt werden kann der belangten Behörde allerdings, wenn sie meint, daß der Familienzuschlag nicht gebühre, wenn die „eigenen Mittel“ der zuschlagsberechtigten Personen den Betrag erreichen, der dem Grundbetrag des Arbeitslosengeldes in der niedrigsten Lohnklasse entspricht. Die von der belangten Behörde für diese Auffassung vorgebrachte Begründung, daß auch dem Bezieher eines derart geringen Arbeitslosengeldes zugemutet werde, daraus seinen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten, trifft nicht zu: Die Höhe des Arbeitslosengeldes ist nämlich dem im System des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vorherrschenden Versicherungsprinzip entsprechend von der Beitragshöhe abhängig (vgl. Dirschmied, Arbeitslosenversicherungsrecht 15). Ziel der Arbeitslosenversicherung ist es nicht, mit der Leistung des Arbeitslosengeldes die volle Deckung des Lebensunterhaltes des Arbeitslosen sicherzustellen; es soll damit vielmehr in erster Linie der mit der Arbeitslosigkeit verbundene Einnahmenausfall ausgeglichen werden. Auch der Bezieher eines die Geringfügigkeitsgrenze nur knapp übersteigenden Einkommens aus einem Beschäftigungsverhältnis ist in der Regel darauf angewiesen, zur Bestreitung seines angemessenen Lebensunterhaltes andere Mittel in Anspruch nehmen zu müssen; dies gilt umsomehr für jemand, der aufgrund eines solch geringen Verdienstes Arbeitslosengeld bezieht.
Die Höhe der den Familienzuschlag ausschließenden eigenen Mittel wird in § 20 Abs. 2 AlVG nicht nach einem starren Maßstab - wie dies der von der belangten Behörde herangezogene Grundbetrag des Arbeitslosengeldes in der niedrigsten Lohnklasse ist - bestimmt, sondern richtet sich nach dem zur Bestreitung des angemessenen Lebensunterhaltes des Zuschlagsberechtigten notwendigen Aufwand. Es sind somit grundsätzlich die individuellen Verhältnisse des Zuschlagsberechtigten maßgebend, wobei allerdings - etwa im Sinne der von der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zur Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 140 ABGB entwickelten Grundsätze (vgl. EF-Slg. 48.176 ff, 45.626 ff, 43.144 ff u.v.a.) - als Orientierungshilfe allenfalls auf die Mindestpensionshöhe nach dem ASVG zurückgegriffen werden könnte.
In Verkennung dieser Rechtslage belastete die belangte Behörde daher ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 12660 A/1988 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1988:1987080291.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-63194