VwGH 05.11.1987, 86/02/0171
Entscheidungsart: ErkenntnisVS
Rechtssätze
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Normen | VStG §1 Abs2; VStG §31 Abs3; |
RS 1 | Mit dem Inkrafttreten des BG vom , BGBl 101, verlängert sich die Verjährungsfrist, die bis dahin drei Monate betragen hatte, um weitere drei Monate, und zwar in den Fällen, in denen die Verjährungsfrist nach der früheren Rechtslage an diesem Tag oder später geendet hätte. Nur hinsichtlich jener Taten, die bereits vor dem auf Grund des Ablaufes der bis dahin geltenden Dreimonatefrist verjährt waren, konnte eine Verlängerung der Verjährungsfrist nicht mehr eintreten (Hinweis E , 989/75, und E , 265, 267, 269, 271, 273/78). Dem Eintritt der Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate für Taten, die zwar vor dem begangen, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren, steht auch die Bestimmung des § 1 Abs 2 VStG nicht entgegen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH Erkenntnis 1979/09/11 0523/79 1 |
Normen | MRK Art7 Abs1; VStG §1 Abs2; VStG §31 Abs3; |
RS 2 | § 31 Abs 3 zweiter Satz VStG ist auch auf Straftaten anzuwenden, die vor dem (Inkrafttreten dieser Bestimmung) begangen worden sind, vorausgesetzt, dass in diesem Zeitpunkt die Tat (nach der früher bestehenden Rechtslage) noch nicht verjährt und das verwaltungsgerichtliche Verfahren (zumindest teilweise) nach diesem Zeitpunkt anhängig war. § 1 Abs 2 VStG steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Ein allgemeines (die Verjährungsbestimmungen erfassendes) Günstigkeitsprinzip lässt sich auch aus Art 7 Abs 1 MRK nicht ableiten (Hinweis E , 85/02/0163). |
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RS 3 | Maßgebend für die Berechnung der in die Frist des § 31 Abs 3 zweiter Satz VStG einzurechnenden Zeit ist einerseits der Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde (beim VfGH oder VwGH) und andererseits der Zeitpunkt der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses an die belangte Behörde (und nicht an den Bf). |
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RS 4 | Die Zustellung im Wege der sogenannten Staatsämterabfertigung steht im Einklang mit den Bestimmungen des Zustellgesetzes. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Degischer, Dr. Domittner, Dr. Dorner, Dr. Stoll, Dr. Bernard, DDr. Jakusch und Dr. Sittenthaler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des Dr. X, Rechtsanwalt in Y, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 70-11/1170/86/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach "§ 99/3a i.V.m. 52/10a StVO" schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er am um 19.50 Uhr in Wien 10, Triesterstraße nächst Hermannsweg Richtung stadteinwärts, einen dem Kennzeichen nach näher bestimmten Pkw gelenkt "und dabei die gemäß § 52/10a StVO kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h erheblich überschritten" habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Gemäß § 31 Abs. 3 VStG 1950 darf u.a. ein Straferkenntnis nicht mehr gefällt werden, wenn seit dem im Abs. 2 bezeichneten Zeitpunkt drei Jahre verstrichen sind. Die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof ist in diese Frist nicht einzurechnen.
Dieser zweite Satz des § 31 Abs. 3 VStG 1950 wurde, ohne daß eine Übergangsregelung getroffen worden wäre, erst durch die Novelle BGBl. Nr. 299/1984 mit Wirksamkeit vom hinzugefügt, und es stellt sich daher im vorliegenden Beschwerdefall im Hinblick auf den zeitlich davor liegenden Tatzeitpunkt am und den Umstand, daß in der gegenständlichen Verwaltungsstrafsache vor Ablauf der im § 31 Abs. 3 erster Satz VStG 1950 genannten Frist bereits das mit dem aufhebenden Erkenntnis vom , Zl. 85/02/0220, abgeschlossene Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof anhängig war, die Frage, ob diese (neugeschaffene) Bestimmung Anwendung findet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Verlängerung der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG 1950 durch die Novelle BGBl. Nr. 101/1977 in seinem Erkenntnis vom , Zlen. 523, 525/79, ausgesprochen, daß sich ab dem Inkrafttreten der Novelle bezüglich dieser Bestimmung am die Verjährungsfrist, die bis dahin drei Monate betragen hatte, um drei weitere Monate, und zwar, da eine entsprechende Übergangsbestimmung fehle, in den Fällen, in denen die Verjährungsfrist nach der früheren Rechtslage an diesem Tag oder später geendet hätte, verlängerte. Nur hinsichtlich jener Taten, die bereits vor dem auf Grund des Ablaufes der bis dahin geltenden Dreimonatsfrist verjährt waren, hätte eine Verlängerung der Verjährungsfrist nicht mehr eintreten können. Dem Eintritt der Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate für Taten, die zwar vor dem begangen, aber am mangels Ablaufes der früher geltenden dreimonatigen Verjährungsfrist noch nicht verjährt gewesen seien, stehe auch die Bestimmung des § 1 Abs. 2 VStG 1950 nicht entgegen, zumal sich diese nur auf die Strafe beziehe, nicht aber auf Verjährungsregelungen. Dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat sich der Verfassungsgerichtshof in Ansehung eines gleichgelagerten Falles in seinem Erkenntnis vom , Slg. Nr. 9382, ausdrücklich angeschlossen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dementsprechend auch bisher in seinen Erkenntnissen vom , Zl. 85/02/0163, und vom , Zl. 87/08/0155, ausdrücklich den Standpunkt vertreten, daß § 1 Abs. 2 VStG 1950 eine Auslegung, § 31 Abs. 3 zweiter Satz VStG 1950 sei auch auf Straftaten anzuwenden die vor dem begangen wurden, nicht hindere. Daß es hiebei allerdings darauf ankommt, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 31 Abs. 3 zweiter Satz VStG 1950 die Tat (nach der früher bestehenden Regelung) noch nicht verjährt und das verwaltungsgerichtliche Verfahren (zumindest teilweise) nach diesem Zeitpunkt anhängig war, wurde unter anderem in den beiden zuletzt genannten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes betont. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Judikatur abzugehen. Ein allgemeines (die Verjährungsbestimmungen erfassendes) "Günstigkeitsprinzip" läßt sich auch aus Art. 7 Abs. 1 MRK nicht ableiten.
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom wurde in der vorliegenden Beschwerdesache - nach Zitierung des § 31 Abs. 3 VStG 1950 und schlüssig davon ausgehend, daß dessen zweiter Satz anzuwenden ist - den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz VwGG Gelegenheit gegeben, sich zu folgenden Gründen, die für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides maßgebend sein könnten, zu äußern:
"Da im vorliegenden Beschwerdefall zwar der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebende Zeitpunkt der war, jedoch in der betreffenden Angelegenheit ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 85/02/0220 anhängig war, endete die genannte Frist nicht bereits am . Sie wurde vielmehr im Hinblick darauf, daß nach der Aktenlage die diesbezügliche Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof am eingelangt ist und das darüber ergangene Erkenntnis vom (lt. hg. Zustell- und Übergabsbuch) an die belangte Behörde am zugestellt wurde, entsprechend verlängert. Es ergibt sich daher folgende Berechnung, daß vom (Einlangen der Beschwerde) bis zum (Ende der Verjährungsfrist ohne Einbringung der Beschwerde) noch 80 restliche Tage für den Ablauf der Verjährungsfrist verblieben, die nun neuerlich ab (Tag nach Zustellung des Erkenntnisses) zu berücksichtigen und daher am verbraucht waren. Dies stimmt im Ergebnis auch mit der Auffassung überein, die die belangte Behörde und die Bundespolizeidirektion Wien, Revisionsbüro für Polizeistrafsachen, intern im Zusammenhang mit der von ihnen notwendig erachteten Beschleunigung der Ergänzung des Ermittlungsverfahrens vertreten haben (siehe Bl. 71 und 72 des vorgelegten Verwaltungsstrafaktes). Der angefochtene Bescheid wurde jedoch dem Beschwerdeführer erst am , also nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 3 VStG 1950, zugestellt und damit erlassen. Aus diesem Grunde könnte daher der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet sein."
Der Beschwerdeführer hat sich dazu nicht geäußert, während die belangte Behörde in ihrer schriftlichen Stellungnahme dieser vorläufigen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes ausdrücklich nicht entgegengetreten ist. Der Verwaltungsgerichtshof findet auch daher keinen Grund, diese Rechtsansicht nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Entscheidend dafür, daß man zur angenommenen Rechtswidrigkeit gelangt, ist allerdings, daß für den neuerlichen Beginn des (fortgesetzten) Fristenlaufes nicht der Zeitpunkt der Zustellung des genannten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 85/02/0220, an den Beschwerdeführer am , sondern vielmehr jener der Zustellung an die belangte Behörde (im Wege der sogenannten "Staatsämterabfertigung") am maßgebend war. Da es sich bei der Frist des § 31 Abs. 3 VStG 1950 um eine Ausschlußfrist handelt, nach deren Ablauf die (rechtliche) Möglichkeit behördlicher Verfolgung verwirkt ist, weshalb die Einhaltung dieser Frist von der Behörde wahrzunehmen ist, vertritt der Verwaltungsgerichtshof nunmehr - unter Abgehen von der in seinen Erkenntnissen vom , Zl. 85/02/0260, und vom , Zl. 87/03/0092, zum Ausdruck kommenden gegenteiligen Rechtsansicht - den Standpunkt, daß hiefür im gegebenen Zusammenhang ausschließlich der Zeitpunkt der Zustellung des Erkenntnisses an die belangte Behörde von Belang ist. Die Wahrnehmung der Frist des § 31 Abs. 3 VStG 1950 war der belangten Behörde im vorliegenden Beschwerdefall bereits wieder ab dem Zeitpunkt der Zustellung des die gleiche Verwaltungsstrafsache betreffenden, vorangegangenen Erkenntnisses an sie möglich.
Ergänzend wird bemerkt, daß die sogenannte "Staatsämterabfertigung" nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes mit den Bestimmungen des Zustellgesetzes, auch wenn dieses (ebenso wie die früher geltenden Zustellbestimmungen der §§ 21 ff AVG 1950) einen derartigen Begriff nicht kennt, im Einklang steht. Die Zustellung durch einen Bediensteten des Verwaltungsgerichtshofes ist durch § 2 i.V.m. § 3 Zustellgesetz gedeckt. Nach § 13 Abs. 5 leg. cit. kann außerhalb der Abgabestelle vorbehaltlich des § 24 (unmittelbare Ausfolgung bei der Behörde) rechtswirksam (nur) zugestellt werden, wenn die Annahme der Sendung nicht verweigert wird. Bei der gewählten Vorgangsweise lag nicht nur keine Verweigerung der Annahme der Sendung vor, sondern es wurde vielmehr - wie dies der ständigen Übung entsprach - eigens ein Bediensteter der belangten Behörde mit der Empfangnahme von für sie als Empfänger bestimmten Sendungen anderer Behörden (auch des Verwaltungsgerichtshofes) beauftragt, sodaß nicht gesagt werden kann, daß dieser Person lediglich reine Botenfunktion zugekommen wäre, sondern sie als ein zur Empfangnahme befugter Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 leg. cit. anzusehen war. Es war daher die im vorliegenden Beschwerdefall am im Wege der "Staatsämterabfertigung" (bei der das Organ der belangten Behörde die Übernahme der Sendung im hg. Zustell- und Übergabsbuch bestätigte) erfolgte Zustellung des Erkenntnisses vom , Zl. 85/02/0220 (und nicht das aktenkundige, auch sonst hinsichtlich der Rechtswirksamkeit einer Zustellung unmaßgebliche Einlangen der Sendung bei der mit der Verwaltungsstrafsache konkret befaßten Magistratsabteilung am ) für die Fortsetzung des Fristenlaufes relevant.
Daraus ergibt sich zusammenfassend, daß im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides Verjährung gemäß § 31 Abs. 3 VStG 1950 eingetreten war, jedoch die belangte Behörde diesen Umstand nicht beachtet hat.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 12570 A/1987 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1987:1986020171.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAF-62335