VwGH 24.10.1986, 85/17/0144
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS 1 | Die Behörde ist verpflichtet, über eine Berufung selbst dann (und zwar durch Zurückweisung) zu entscheiden, wenn sich diese gegen einen "Nichtbescheid" richtet. Bei Verletzung dieser Pflicht steht die Säumnisbeschwerde zu (Hinweis E , 83/17/0096, E , 84/17/0053). |
Normen | BAO §96 impl; LAO NÖ 1977 §73 Abs2; |
RS 2 | Gemäß § 73 Abs 2 NÖ LAO 1977 gilt, daß bei den im Lochkartenverfahren oder in ähnlichen Verfahren hergestellten Ausfertigungen die ausgedruckte Namensabgabe als Unterschrift iSd § 73 Abs 1 BAO. Ebenso wie der letzte Satz des § 96 BAO bezieht sich auch diese Regelung des § 73 Abs 2 NÖ AO 1977 nur auf das Unterschriftserfordernis auf den Ausfertigungen, dispensiert aber nicht von jenem auf der Urschrift des Bescheides (Hinweis E , 86/17/0075, E , 86/03/0020). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsiden Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hnatek und Dr. Kramer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Traumüller, über die Beschwerde der 1. AM und der 2. AB, beide in K, beide vertreten durch Dr. Elisabeth Geymüller, Rechtsanwalt in Krems-Hollenburg, gegen den Stadtsenat der Stadt Krems a.d. Donau, betreffend Verletzung der Pflicht zur Entscheidung über eine Berufung gegen einen Berichtigungsbescheid wegen Kanalbenützungsgebühr, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Berufung der Beschwerdeführerinnen vom gegen die an die Erstbeschwerdeführerin gerichtete Erledigung des Magistrates der Stadt Krems a.d. Donau vom , Zl. C-Nr. 404H, betreffend Kanalbenützungsgebühr, mit der Bezeichnung "Berichtigung gem. § 216 n.ö.AO. Abgabenbescheid" wird zurückgewiesen.
Die Stadt Krems a.d. Donau hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen im Betrag von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu Handen des Rechtsanwaltes Dr. Elisabeth Geymüller, Krems-Hollenburg, zu ersetzen.
Das Aufwandersatzmehrbegehren der Beschwerdeführerinnen wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerinnen sind Miteigentümer einer Liegenschaft in Krems. Die Kanalbenützungsgebühr für diese war vom Magistrat der Stadt Krems a.d. Donau seinerzeit auf Grund einer Berechnungsfläche von 148 m2 festgesetzt worden. Laut der in einem automatisierten Verfahren hergestellten, nur an die Erstbeschwerdeführerin gerichteten und als "Berichtigung gem. § 216 n.ö.AO. Abgabenbescheid" betitelten Erledigung vom , wurde die Kanalbenützungsgebühr für das erwähnte Objekt auf Grundlage einer Berechnungsfläche von 20.3,79 m2 festgesetzt. Ein Zustellnachweis bezüglich dieser Erledigung existiert ebensowenig wie die Urschrift einer von einem Organwalter unterfertigten Verfügung, mit der die betreffende Erledigung angeordnet wurde (OZ. 27).
Die Beschwerdeführerinnen behaupten, eine mit datierte Berufung gegen die Erledigung vom am durch Ing. M (Ehemann der Erstbeschwerdeführerin, Vater der Zweitbeschwerdeführerin) beim Magistrat der Stadt Krems a. d. Donau überreicht zu haben, in welcher geltend gemacht worden sei, daß kein Berichtigungsfall vorliege und die Rechtskraft der 1971 auf der Basis von 148 m2 Berechnungsfläche erfolgten Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr durch die gesetzwidrige Berichtigung nicht verletzt werden dürfe. Da die Berufung bisher keiner Entscheidung zugeführt worden war, erhoben die Beschwerdeführerinnen deshalb gegen die belangte Behörde die vorliegende Säumnisbeschwerde.
Die belangte Behörde hat vor dem Verwaltungsgerichtshof ihre Säumnis mit der Begründung bestritten, die Berufung sei nicht eingebracht worden. Die belangte Behörde hat deshalb auch den Bescheid nicht nachgeholt, sondern dem Verwaltungsgerichtshof die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat, da die maßgeblichen Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung klargestellt sind, über die Beschwerde gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG im Dreiersenat erwogen:
Im Verwaltungsverfahren konnte von den Beschwerdeführerinnen weder im Instanzenzug noch im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht eine der belangten Behörde übergeordnete (obere) Behörde im Sinne des § 27 VwGG angerufen werden (§ 215, 232 Abs. 2 NÖ AO 1977; § 38 Abs. 3 Z. 7 Kremser Stadtrecht 1977).
Die Behörde ist verpflichtet, über eine Berufung selbst dann (und zwar durch Zurückweisung) zu entscheiden, wenn sich diese gegen einen "Nichtbescheid" richtet. Bei Verletzung dieser Pflicht steht die Säumnisbeschwerde zu (Verwaltungsgerichtshof , 83/17/0096 ff, , 84/17/0053, 0054).
Die vorliegende Säumnisbeschwerde ist daher dann zulässig, wenn sich die Behauptung der Beschwerdeführerinnen über die Einbringung der Berufung am als richtig erweist. Zur Klärung dieser Tatsachenfrage führte der Verwaltungsgerichtshof ein Ermittlungsverfahren durch und gewährt den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Gehör. Auf Grund der Ergebnisse dieses Verfahrens stellt der Verwaltungsgerichtshof fest:
M als damaliger Vertreter der Beschwerdeführerinnen erlangte am durch Akteneinsicht beim Magistrat Kenntnis von der im automatisierten Verfahren hergestellten Erledigung vom . Ein Bediensteter des Magistrates folgte ihm eine Fotokopie dieser Erledigung aus. Die Berufung beider Beschwerdeführerinnen gegen diese Erledigung vom mit dem oben wiedergegebenen wesentlichen Inhalt wurde noch am selben Tag von M in der Abteilung IV des Magistrates der Stadt Krems a.d. Donau einem dort anwesenden Bediensteten überreicht.
Zu dieser Feststellung gelangte der Verwaltungsgerichtshof auf Grund folgender Überlegungen:
Die Überreichung der Berufung wird von M als Zeugen bestätigt. Dieser Zeuge hat sich trotz seines altersbedingten schlechten Erinnerungsvermögens (OZ. 29) anhand schriftlicher Unterlagen an die Vorgänge noch deutlich erinnert. Der Verwaltungsgerichtshof hält die Zeugenaussage nicht für unglaubwürdig. Bei den erwähnten Unterlagen handelt es sich einerseits um eine Fotokopie einer Gleichschrift der Berufung, auf welcher ein Eingangsstempel des Magistrates ohne Datum und ohne Unterschrift des übernehmenden Bediensteten erkennbar ist. Die belangte Behörde kann nicht ausschließen, daß ein solcher Stempel in der Abteilung IV des Magistrates verwendet wurde (AS 49). Vom Zeugen K wurde eine von ihm am unterfertigte, von M verfaßte Gedächtnisskizze (Beilage /V) identifiziert. Dieser ist zu entnehmen, daß der Zeuge K an diesem Tag ein Telefonat des Zeugen M mit der Abteilung IV des Magistrates der Stadt Krems a.d. Donau mithörte, in welchem von einem Mann die Anbringung des Datumsstempels auf der erwähnten Berufung bestätigt wurde. Anhaltspunkte dafür, die Aussage des Zeugen K könne unrichtig sein, haben sich nicht ergeben. Mit Eingabe vom (als "Säumnisbeschwerde" bezeichnet), die in Fotokopie einer Gleichschrift vorliegt, welche eine deutlich lesbare Eingangsstampiglie des Magistrates der Stadt Krems a.d. Donau vom aufweist, haben die Beschwerdeführerinnen die Erledigung ihrer Berufung vom urgiert. Auch diese Eingabe wurde beim Magistrat der Stadt Krems a.d. Donau nicht protokolliert.
Anhaltspunkte dafür, M oder die Beschwerdeführerinnen hätten durch Fälschungshandlungen die Fotokopien der Gleichschriften der Berufung und/oder des Urgenzschreibens vom bzw. der diesen zugrundeliegenden Gleichschriften beeinflußt, bestehen nicht. Der Verwaltungsgerichtshof findet auch keinen Grund, die Gedächtnisskizze der Beilage /V als gefälscht (rückdatiert) anzusehen.
Die Bediensteten des Magistrates der Stadt Krems a.d. Donau, die als Zeugen vernommen wurden, waren nicht in der Lage, die Richtigkeit der Darstellung des Zeugen M auszuschließen, insbesondere nicht, daß ein anderer Bediensteter des Magistrates für kurze Zeit im betreffenden Dienstraum der Abteilung IV anwesend war und die Berufung übernommen hat. Nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist auch nicht auszuschließen, daß die Berufungsschrift vom in der Folge (nach dem Telefonat vom ) in Verstoß geraten ist und ihre Protokollierung verabsäumt wurde.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen, M habe sich an die Berufung erst wieder erinnert, als den Beschwerdeführerinnen in einer anderen Rechtssache im Berufungsbescheid der belangten Behörde vom , MA VIII-M-17/1984, die Rechtskraft des "Bescheides" vom entgegengehalten worden war, findet Unterstützung in der Tatsache, daß sich die Beschwerdeführerinnen erstmals in ihrer Beschwerde Zl. 84/17/0075 an den Verwaltungsgerichtshof gegen den erwähnten Berufungsbescheid auf die Berufung vom und ihr Urgenzschreiben vom bezogen und Fotokopien der Gleichschriften dieser Eingaben vorgelegt haben.
Geht man von diesem als erwiesen angenommenen Sachverhalt aus, so hat die belangte Behörde ihre Entscheidungspflicht verletzt. Die Beschwerde ist gemäß § 27 VwGG zulässig, die Zuständigkeit zur Erledigung der Berufungen ist nach Ablauf der der belangten Behörde für die Nachholung des Bescheides gesetzten Frist auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen.
Nach § 73 Abs. 1 NÖ AO 1977 müssen alle schriftlichen Ausfertigungen der Abgabenbehörden u.a. mit der Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 86/17/0072 und Folgezahlen, zur vergleichbaren Bestimmung des § 96 BAO ausgeführt:
"Wie sich aus den beiden ersten Sätzen des oben wiedergegebenen § 96 BAO ergibt, muß die Urschrift (ist die Urschrift nicht zugleich 'Ausfertigung' im Sinne des § 96 erster Satz BAO, sind darunter Konzept, Entwurf, Referatsbogen etc, zu verstehen) wesentlich mit der Unterschrift des die Erledigung Genehmigenden versehen sein. An diesem Grundsatz hat die BAO-Novelle BGBl. Nr. 134/1969 keine Änderung gebracht, weil sich diese nur auf verschiedene Fälle der formalen Bescheidausfertigung (in Lochkartentechnik oder in einem ähnlichen Verfahren) bezieht. Auch bei Erledigungen, für deren Ausfertigung § 96 letzter Satz BAO gilt, ist das Unterschriftserfordernis auf der Urschrift für die Qualifizierung einer behördlichen Erledigung (hier: eines Bescheides) essentiell. Auf das zur vergleichbaren Rechtslage nach § 18 Abs. 4 AVG 1950 in der Fassung BGBl. Nr. 85/18/0029, und dort zitierte Vorjudikatur sowie auf das auch nicht bescheidförmige Behördenerledigungen betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/02/0278, wird verwiesen)."
Gleichzeitig gilt für den hier anzuwendenden § 73 Abs. 2 NÖ AO 1977, der vorsieht, daß bei den im Lochkartenverfahren oder in ähnlichen Verfahren hergestellten Ausfertigungen die aufgedruckte Namensangabe als Unterschrift im Sinne des § 73 Abs. 1 leg. cit. gilt. Ebenso wie der letzte Satz des § 96 BAO bezieht sich auch diese Regelung des § 73 Abs. 2 NÖ AO 1977 nur auf das Unterschriftserfordernis auf den Ausfertigungen, dispensiert aber nicht von jenem auf der Urschrift des Bescheides (Verwaltungsgerichtshof , 86/17/0075; , 86/03/0020).
Da die belangte Behörde auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes bestätigt hat, daß es an einer von einem Organwalter unterfertigten Verfügung, mit welcher die Erledigung vom angeordnet wurde, fehlt, muß der Verwaltungsgerichtshof davon ausgehen, daß eine solche nicht existiert hat.
Die mit der Berufung vom bekämpfte Erledigung des Magistrates der Stadt Krems a.d. Donau vom ist daher kein Bescheid, weshalb die Berufungen beider Beschwerdeführerinnen schon deshalb als unzulässig zurückzuweisen waren, ohne daß es noch einer Untersuchung bedurfte, ob von der Zweitbeschwerdeführerin, an welche die Erledigung nicht gerichtet war, eine Beitrittserklärung im Sinne der §§ 201, 202 NÖ AO 1977 abgegeben wurde (Verwaltungsgerichtshof , 84/15/0060, zu § 257 BAO), die ihr erst die Rechte eines Berufungswerbers verliehen hätte.
Die Entscheidung über Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesonders § 55 Abs. 1 erster Satz, in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 243. Das Aufwandersatzbegehren war abzuweisen, weil Verhandlungsaufwand im Sinne des § 48 Abs. 1 Z. 4 VwGG nicht entstanden ist (eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat nicht stattgefunden) und der Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand für die Einbringung der Beschwerde unabhängig davon nur einmal zusteht, wieviel Schriftsätze im Laufe des Beschwerdeverfahrens von der obsiegenden Partei erstattet wurden.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
Schlagworte | Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche Angelegenheiten Anspruch auf Sachentscheidung Allgemein |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1986:1985170144.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
QAAAF-62258