VwGH 19.04.1988, 85/14/0055
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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RS 1 | Die einem Geschäftsführer obliegende Überwachungspflicht kann nicht so verstanden werden, daß praktisch jeder einzelne an Mitarbeiter delegierte Arbeitsablauf auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit hin zu prüfen wäre. Wohl aber muß der Geschäftsführer dafür Sorge tragen, daß durch eine entsprechende innerbetriebliche Organisation, deren Funktionieren in geeigneter Weise - etwa mittels Stichproben und/oder mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitungsanlagen - zu überprüfen ist, jener Aufgabenbereich ordnungsgemäß wahrgenommen wird, für den der Geschäftsführer verantwortlich ist. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Hnatek, Dr. Pokorny und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Mag. Piffl, über die Beschwerde des GO in D, vertreten durch Dr. Erich Hämmerle, Rechtsanwalt in Dornbirn, Marktstraße 29, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom , Zl. 1849-2/1984, betreffend Haftung für Abgabenschuldigkeiten gemäß § 9 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde in seiner Eigenschaft als alleiniger „Geschäftsführer“ einer Ges.m.b.H. & Co KG gemäß § 9 in Verbindung mit den §§ 80 ff BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten der KG in Höhe von S 114.325,-- herangezogen. Bei den Abgabenschuldigkeiten handelte es sich um Lohnsteuer und Dienstgeberbeitrag zuzüglich Säumniszuschlag, wobei der weitaus überwiegende Teil der Abgabenschuldigkeiten auf Juni 1979 entfiel.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Er sei mit Wirkung vom zum Geschäftsführer der KG bestellt worden. Laut Dienstvertrag habe ihm vornehmlich die Verkaufsleitung im In- und Ausland und - nach entsprechender Einarbeitung - auch die Entscheidung über das Finanz- und Rechnungswesen der KG unterstanden. Bis Ende 1978 sei AH Buchhalter der KG gewesen.
Im August 1979 habe HL diese Funktion übernommen. In der Zwischenzeit habe AH in Abendstunden die wesentlichen Finanzbuchhaltungssachen bearbeitet. Dabei sei ihm der Fehler unterlaufen, für den Monat Juni 1979 den Überweisungsbetrag betreffend die lohnabhängigen Abgaben dieses Monats nicht auszufertigen und dem Beschwerdeführer zur Unterschrift vorzulegen. Da diese Lohnabgaben auch nicht verbucht worden seien, sei der Fehler in der Folge nicht erkennbar gewesen. Wäre er erkannt worden, so wären die Abgabenschuldigkeiten bis spätestens Ende 1980 bezahlt worden. Nach diesem Zeitpunkt seien jedoch der KG keine Mittel mehr zur Verfügung gestanden.
Die Gesellschafter der KG hätten ihre Einlagen und die gesamten Darlehen, welche sie der KG gewährt hätten, verloren. Die Auflösung der KG sei von Rechtsanwalt Dr. AS durchgeführt worden, der die Gläubiger befriedigt habe. Eine Verbindlichkeit dem Finanzamt gegenüber sei zu dieser Zeit unbekannt gewesen. Erst im Zuge einer Lohnsteuerprüfung im Oktober 1983 sei festgestellt worden, daß die lohnabhängigen Abgaben für Juni 1979 weder verbucht noch entrichtet worden waren. Den Beschwerdeführer treffe daher an der Nichtentrichtung dieser Abgaben keine Schuld.
Das Finanzamt erließ eine abweisende Berufungsvorentscheidung. Als Geschäftsführer sei der Beschwerdeführer verpflichtet gewesen, die Tätigkeit jener Personen zu überwachen, die mit buchhalterischen und steuerlichen Belangen betraut waren. Wer dazu nicht in der Lage sei, aber dennoch eine Geschäftsführertätigkeit ausübe, handle schuldhaft.
Der Beschwerdeführer beantragte die Vorlage seiner Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Es könne nicht als schuldhaftes Verhalten angesehen werden, wenn ein Geschäftsführer einen Fachmann mit speziellen Aufgaben betraue. Das Finanzamt möge den Beweis erbringen, daß der Beschwerdeführer „mit der Delegation H/L schuldhaft gehandelt hat“. Es könne auch nicht gesagt werden, daß der Beschwerdeführer andere Gläubiger besser behandelt habe als die Abgabenbehörde, weil er selbst eine Forderung von ca. S 20.000,-- gegenüber der KG verloren habe.
Die belangte Behörde wies die Berufung ab. Der Beschwerdeführer habe seine Überwachungspflicht bezüglich der Lohnabrechnung verletzt. Wie in der Berufung selbst ausgeführt worden sei, habe die KG in der Zeit von Jänner bis August 1979 keinen hauptberuflichen Buchhalter beschäftigt. Vielmehr habe AH „in den Abendstunden“ die betreffenden Agenden wahrgenommen. Ab August 1979 sei dann mit HL wieder ein ganztägig beschäftigter Buchhalter aufgenommen worden. Gerade das vorübergehende Fehlen eines ganztägig beschäftigten Buchhalters und der Wechsel in der Person des Buchhalters hätte den Beschwerdeführer zur verstärkten Kontrolle veranlassen müssen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Nach § 80 Abs. 1 leg. cit. haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
§ 81 Abs. 1 leg. cit. sieht vor, daß die abgabenrechtlichen Pflichten einer Personenvereinigung (Personengemeinschaft) ohne eigene Rechtspersönlichkeit von den zur Führung der Geschäfte bestellten Personen und, wenn solche nicht vorhanden sind, von den Gesellschaftern (Mitgliedern) zu erfüllen sind. Gemäß
Abs. 4 der zitierten Bestimmung gilt § 80 Abs. 1 sinngemäß auch für den Personenkreis des § 81 Abs. 1.
Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer mit der Führung der Geschäfte jener KG betraut war, für deren Abgabenschuldigkeiten er zur Haftung herangezogen wurde, und daß die Abgabenschuldigkeiten zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Beschwerdeführers als Haftender bei der KG nicht mehr hereingebracht werden konnten.
Der Beschwerdeführer bestreitet jedoch, daß ihn an der Nichtentrichtung der Abgabenschuldigkeiten ein Verschulden treffe. Er begründe dies im wesentlichen damit, daß das Rechnungswesen der KG durch seinen Vorgänger richtig organisiert worden sei und er (der Beschwerdeführer) daher darauf habe vertrauen dürfen, „daß das gut organisierte Rechnungswesen weiterhin anstandslos funktioniert“. Weiters bestreitet der Beschwerdeführer die Feststellung der belangten Behörde, es wäre in der Zeit vom bis August 1979 kein hauptberuflicher Buchhalter vorhanden gewesen.
Dazu ist zu sagen, daß die belangte Behörde die letztgenannte Feststellung den Berufungsausführungen des Beschwerde-führers entnommen hat. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
„Bis Ende 1978 war Herr AH Buchhalter der Firma. Im August 1979 hat diese Position Herr HL übernommen. In der Zwischenzeit ( bis August 1979) hat Herr AH in Abendstunden die wesentlichen Finanzbuchhaltungssachen bearbeitet, dabei muß ihm dieser Fehler (Nichtzahlung der Lohnabgaben für 6/79 und Nichtverbuchung und damit Erkennbarmachung der Schuld) unterlaufen sein.“
In der Beschwerde wird diesbezüglich ausgeführt:
„Ich habe am die Geschäftsführung übernommen und habe mich sofort um einen Ersatz für Herrn AH bemüht. Nachdem damals und auch heute noch gute Bilanzbuchhalter nicht ohne weiteres zu finden waren und sind, habe ich Herrn AH gebeten, mir und der Firma bis zur Neubesetzung seines Postens wenigstens in seiner Freizeit auszuhelfen, was auch geschah.“
Die belangte Behörde konnte daher unbedenklich davon ausgehen, daß dem Beschwerdeführer für die Lohnverrechnung der KG in der fraglichen Zeit keine hauptberufliche Arbeitskraft zur Verfügung stand.
Zu Recht vertritt die belangte Behörde die Auffassung, daß für den Beschwerdeführer die Pflicht bestand, u.a. auch die Ordnungsmäßigkeit der Lohnverrechnung und Abgabenentrichtung zu überprüfen, und daß diese Pflicht umso sorgfältiger wahrzunehmen gewesen wäre, als die Lohnverrechnung nur mehr durch eine Aushilfskraft in den Abendstunden durchgeführt wurde, sodaß sowohl in der Organisation des Arbeitsablaufes als auch in der innerbetrieblichen Kommunikation mit einer erhöhten Fehlermöglichkeit zu rechnen war. Es trifft zwar zu, daß die einem Geschäftsführer obliegende Überwachungspflicht nicht so verstanden werden kann, daß praktisch jeder einzelne an Mitarbeiter delegierte Arbeitsablauf auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit hin zu überprüfen wäre. Wohl aber muß der Geschäftsführer dafür Sorge tragen, daß durch eine entsprechende innerbetriebliche Organisation, deren Funktionieren in geeigneter Weise - etwa mittels Stichproben und/oder mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitungsanlagen - zu überprüfen ist, jener Aufgabenbereich ordnungsgemäß wahrgenommen wird, für den der Geschäftsführer verantwortlich ist. Abgesehen davon, daß laut Dienstvertrag „- nach entsprechender Einarbeitung - auch die Entscheidung über das Finanz- und Rechnungswesen“ der KG in den Aufgabenbereich des Beschwerdeführers fielen, ist der belangten Behörde zuzustimmen, daß eine Beschränkung dieser Verantwortung schon deswegen steuerlich unwirksam gewesen wäre, weil der Beschwerdeführer alleiniger Geschäftsführer der KG war, und die ihm in dieser Eigenschaft gemäß den §§ 80 ff BAO obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflichten durch vertragliche Abmachungen nicht hätten berührt werden können.
Daß aber der Beschwerdeführer seine Überwachungspflicht in irgendeiner Weise wahrgenommen hätte, wird von ihm nicht behauptet. Vielmehr vertritt er die Auffassung, er habe sich, so wie ca. 90 % aller Geschäftsführer, „bei der Buchführung und der Berechnung der öffentlichen Abgaben sowie bei Lohnverrechnungen auf die in den Buchhaltungen tätigen Personen ... verlassen können müssen“. Damit verkennt der Beschwerdeführer das Wesen der Verantwortung eines Geschäftsführers und damit die Rechtslage.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 243, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:1988:1985140055.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAF-62035