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VwGH 05.12.1983, 82/10/0125

VwGH 05.12.1983, 82/10/0125

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
EGVG Art9 Abs1 Z2 idF 1977/232
RS 1
Schreien - sofern es einen Ausdruck der Aggressivität darstellt - mit einem obrigkeitlichen Organ nach erfolgter Abmahnung erfüllt schon für sich allein das Tatbild des ungestümen Benehmens im Sinne des Art 9 Abs 1 Z 2 EGVG 1950 (Hinweis E , 82/10/0134).
Normen
VStG §44 lita
VStG §44a Z1 implizit
RS 2
Es gehört zu den selbstverständlichen Grundsätzen jedes Strafverfahrens, daß die zur Last gelegte Tat so eindeutig umschrieben wird, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, wofür der Täter bestraft worden ist, und daß die Möglichkeit ausgeschlossen wird, daß er etwa wegen derselben Handlung nochmals zur Verantwortung gezogen werden könnte (Hinweis E , 0382/72). Die als erwiesen angenommene Tatzeit kann nur einen aus der Sicht der erkennenden Behörde in der Vergangenheit liegenden Zeitraum umfassen.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2932/78 E RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Hnatek, Dr. Stoll und Dr. Zeizinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Starlinger, über die Beschwerde der A, vertreten durch B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 682/81, betreffend Bestrafung wegen Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1) Nachdem eine diesbezügliche Strafverfügung vom infolge rechtzeitig erhobenen Einspruches außer Kraft getreten war, verhängte die Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Landstraße - mit Straferkenntnis vom über die Beschwerdeführerin unter anderem gemäß Art. IX Abs. 1 EGVG 1950 eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,--, im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von 36 Stunden, weil sie sich am um 10.10 Uhr in Wien vor dem Hause Nr. nn einem Sicherheitswachebeamten gegenüber, der sich in rechtmäßiger Ausübung seines Dienstes befand, ungeachtet vorausgegangener Abmahnung durch die erregt gemachten Äußerungen, wie z. B.: „Haben Sie nichts anderes zu tun, als Autofahrer zu strafen. Hier kann man dann halt nur stehen, wenn die Polizisten gut aufgelegt sind“ ungestüm benommen und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 leg. cit. begangen habe.

In der Begründung des Straferkenntnisses führte die Behörde erster Instanz aus, es sei die Rechtfertigung der Beschwerdeführerin durch die Anzeige und die Aussage des Meldungslegers eindeutig widerlegt worden. Die von der Beschwerdeführerin namhaft gemachten Zeugen hätten für diese nicht schuldbefreiend gewertet werden können, weil keine Veranlassung bestanden habe, an der Richtigkeit der Angaben des Meldungslegers, der als Beamter einer qualifizierten Wahrheitspflicht unterliege, zu zweifeln. Die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Tat sei daher als erwiesen anzunehmen gewesen.

2) In der gegen dieses Straferkenntnis rechtzeitig erhobenen Berufung behauptete die Beschwerdeführerin Mangelhaftigkeit des Verfahrens, da die von ihr beantragten Zeugen nicht genau befragt worden seien, sowie unrichtige rechtliche Beurteilung, weil sich aus dem Akteninhalt eindeutig ergebe, daß die Abmahnung erst nach der im Spruch des Straferkenntnisses zitierten Äußerung erfolgt sei.

3) Mit Bescheid vom gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) der Berufung, soweit sie sich gegen die Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 richtete, gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in der Schuldfrage keine Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Abänderung, „daß das ungestüme Benehmen darin bestand, daß die Berufungswerberin den Beamten mit den angeführten Worten anschrie ...“.

In der Begründung, soweit sie die Verwaltungsübertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 betrifft, führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, es gehe aus der Wachemeldung hervor, daß die Beschwerdeführerin anläßlich einer Beanstandung wegen Übertretung verkehrsrechtlicher Vorschriften plötzlich, unter heftigem Gestikulieren mit den Händen, geschrien habe: „Ich stehe mit meinem Auto schon so oft hier und bin noch nie bestraft worden. Nur weil Sie sich das einbilden, werden hier alle gestraft!“ Nach der daraufhin erfolgten Abmahnung habe die Beschwerdeführerin neuerlich geschrien („Haben Sie nichts anderes zu tun, als Autofahrer zu strafen?“ etc.), womit der strafbare Tatbestand des ungestümen Benehmens im Sinne des Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 verwirklicht worden sei. Die Beschwerdeführerin habe behauptet, diskutiert, nicht aber geschrien zu haben, allerdings eine weitergehende Darstellung des Vorfalles nicht gegeben. Die Berufungsbehauptung, es ergebe sich aus den Akten, daß die Abmahnung erst nach der im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses zitierten Äußerung erfolgt sei, sei, wie den oben wiedergegebenen Ausführungen entnommen werden könne, eindeutig aktenwidrig. Die Aussagen der Zeugen W., L. und W. bezögen sich offensichtlich nur auf den späteren im Straferkenntnis nicht inkriminierten Vorfall um 10.45 Uhr, da die genannten Zeugen jeweils die Festnahme der Beschwerdeführerin erwähnt hätten, eine solche aber anläßlich des ersten Vorfalles um 10.10 Uhr nicht erfolgt sei. Diese Aussagen seien daher für den maßgeblichen Sachverhalt nicht von entscheidender Bedeutung gewesen.

4) Gegen diesen Bescheid, soweit er die Verwaltungsübertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 zum Gegenstand hat, richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1) In Ausführung der Verfahrensrüge wirft die Beschwerdeführerin der belangten Behörde vor, sie habe den Tatbestand des ungestümen Benehmens lediglich auf Grund der Aussage des „beleidigten“ Sicherheitswachebeamten als erwiesen angenommen. Die Aussagen der Zeugen W., L. und W. seien dahingehend interpretiert worden, daß sie sich „offensichtlich“ nur auf den späteren, im Straferkenntnis nicht inkriminierten Vorfall um 10.45 Uhr bezogen hätten. Es wäre aber Aufgabe der Behörde gewesen, die Zeugen genau, insbesondere ob sie während des gesamten Vorfalles an Ort und Stelle gewesen seien, zu befragen, sodaß sich aus ihren Aussagen eindeutig ergeben hätte, auf welchen Vorfall sich ihre Wahrnehmungen bezogen hätten.

Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom die drei erwähnten Zeugen zum Beweis dafür anbot, „daß die Behauptungen des Anzeigers gänzlich unrichtig sind, insbesondere daß ich den Ausdruck ‚Sie sind ein richtiger Rotzbub‘ überhaupt nicht gebraucht habe“. Abgesehen davon, daß die zuletzt genannte Äußerung den insoweit unbestritten gebliebenen Ausführungen in der Anzeige zufolge ausschließlich im Zuge der zweiten, vom Meldungsleger um 10.45 Uhr vorgenommenen Beanstandung der Beschwerdeführerin, die nicht Gegenstand des der Beschwerde zugrundeliegenden Verwaltungsstrafverfahrens war, erfolgte, daher für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes in Ansehung der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Tat unerheblich war, läßt sich den Aussagen der Zeugen W., L. und W. in bezug auf den ersten Teil des obzitierten Beweisantrages zweifelsfrei entnehmen, daß sie zwar Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der - gleichfalls erst im Zuge des Vorfalles um 10.45 Uhr erfolgten - Festnahme der Beschwerdeführerin, nicht aber im Zusammenhang mit dem bereits um 10.10 Uhr stattgefundenen Vorfall machten. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bietet keine der drei Zeugenaussagen einen Anhaltspunkt für die Annahme, es könnten diese Zeugen auch noch Wahrnehmungen zu dem von der Beschwerdeführerin um 10.10 Uhr gesetzten, ihr schließlich im Verwaltungsstrafverfahren (allein) angelasteten Verhaltens gemacht haben. Angesichts der hinsichtlich des zeitlichen Rahmens ihrer Beobachtungen unmißverständlichen Aussagen der von der Beschwerdeführerin nominierten Zeugen konnte die belangte Behörde ohne weiteres davon ausgehen, daß sich diese ohne Einschränkung auf den Vorfall um und nach 10.45 Uhr, der mit der Festnahme der Beschwerdeführerin endete, bezogen. Die von der belangten Behörde vorgenommene Wertung der besagten Zeugenaussagen als „für den maßgeblichen Sachverhalt nicht von entscheidender Bedeutung“ ist demnach schlüssig. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt somit nicht vor.

2) Unter dem Gesichtspunkt inhaltlicher Rechtswidrigkeit führt die Beschwerdeführerin aus, es sei das „ungestüme Benehmen“ nicht hinreichend objektiviert. Die Sachverhaltsdarstellung des Meldungslegers sei nicht präzise genug abgefaßt, „um ihr lautes Schreien zu entnehmen“. Ebenso wenig könne ihr entnommen werden, daß der durch das Schreiender Beschwerdeführerin verursachte Lärm im Hinblick auf den herrschenden Verkehrslärm auch nach einem objektiven Maßstab als ungebührlich und störend zu empfinden gewesen sei. Daß die Beschwerdeführerin mit einer etwas schrillen Stimme ausgestattet sei und über ein lebhaftes Temperament verfüge, dürfe höchstens als Unhöflichkeit im gesellschaftlichen Verkehr, niemals aber als ungestümes Benehmen im Sinne des Gesetzes gewertet werden. Der Sachverhaltsdarstellung des Meldungslegers sei lediglich. zu entnehmen, daß die Beschwerdeführerin keineswegs in ruhigem Ton gesprochen habe. Ein nach. objektivem Maßstab ungestümes. Benehmen habe sie nicht gesetzt.

Gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während sich diese Person in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befinden, ungestüm benimmt.

Was zunächst den Einwand anlangt, es sei aus der Wache-meldung nicht zu entnehmen, daß der durch das Schreien der Beschwerdeführerin verursachte Lärm objektiv als ungebührlich und störend zu empfinden war, so ist zu bemerken, daß die Beschwerdeführerin offenbar übersieht, daß Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht die Übertretung der ungebührlichen Erregung störenden Lärms (Art. VIII zweiter Fall EGVG 1950) ist, sondern ausschließlich der Tatbestand des ungestümen Benehmens gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 2 leg. cit.

Auch der Vorwurf, es sei das ungestüme Benehmen „in keiner Weise hinreichend objektiviert“, ist nicht berechtigt. Gemäß § 44 a lit. a VStG 1950 hat der Spruch des Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z. B. die Erkenntnisse vom , Zl. 04/0250/80, und vom , Zl. 82/10/0134) gehört es zu den selbstverständlichen Grundsätzen jedes Strafverfahrens, daß die zur Last gelegte Tat so eindeutig umschrieben wird, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, wofür der Täter bestraft worden ist. Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Maßgabe, daß sich die Beschwerdeführerin durch das Anschreien des Beamten mit den im Spruch des Bescheides der Behörde erster Instanz angeführten Worten ungestüm benommen habe. Durch die solcherart vorgenommene Umschreibung der angelasteten Tat - die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Wachemeldung sei nur zu entnehmen, daß sie nicht in ruhigem Ton gesprochen habe, steht mit der Aktenlage nicht in Einklang - hat die belangte Behörde der ihr vom Gesetz auferlegten Konkretisierungspflicht Genüge getan, wobei es einer näheren Beschreibung des Inhaltes der Äußerungen der Beschwerdeführerin nicht bedurft hätte, da das Schreien - sofern dieses einen Ausdruck der Aggressivität darstellt - mit einem obrigkeitlichen Organ nach erfolgter Abmahnung schon für sich allein das Tatbild des ungestümen Benehmens im Sinne des Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 erfüllt hat (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 82/10/0134 und die dort angeführte Vorjudikatur). Dem angefochtenen Bescheid haftet somit auch die von der Beschwerde-führerin behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes nicht an.

3) Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.

4) Soweit in den Entscheidungsgründen auf in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlichte Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen wird, wird Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, in Erinnerung gebracht.

5) Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 221.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
EGVG Art9 Abs1 Z2 idF 1977/232
VStG §44 lita
VStG §44a Z1 implizit
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1983:1982100125.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
PAAAF-60044