VwGH 17.12.1981, 81/16/0025
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | a) Für das Zustandekommen eines Kaufvertrages gemäß dem § 1054 ABGB ist grundsätzlich eine Einigung der Vertragspartner wenigstens über Kaufgegenstand und Kaufpreis erforderlich. Der Kauf ist nach österreichischen Recht ein grundsätzlich an keine Formvorschriften gebundener Konsensualvertrag, der durch die Willensbestimmung der Parteien über Ware und Preis zustandekommt. Dies gilt auch beim Kauf von Liegenschaften. Allerdings muß zur Einigung über den Vertragsinhalt noch die Erklärung des Abschlußwillens der Vertragspartner hinzukommen, die zum Ausdruck bringt, daß die Vertragsteile den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt abschließen wollen. Dadurch wird das bis dahin unverbindliche Verhandlungsergebnis zum verbindlichen Vertragsinhalt. b) Die Erklärung des Abschlußwillens erfolgt nach der allgemeinen Regel des § 861 ABGB durch Angebot und Annahme. Letztere ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung; sie wird erst wirksam, wenn sie dem Anbotsteller zugeht. |
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RS 2 | Auch wenn der Abgabepflichtige gemäß dem § 183 BAO die Richtigkeit seiner Behauptungen zu beweisen hat, ist doch die Behörde gemäß dem § 115 BAO verpflichtet, die Angaben der Parteien auch zu ihren Gunsten zu überprüfen und Beweise, deren Durchführung ihr zumutbar ist, aufzunehmen (Hinweis E , 1656/61, sowie E , 911/79, 1063/79). Ebensowenig wie ein offenbar unvollständiges oder unschlüssiges Vorbringen die Behörde an der Erfüllung ihrer Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit hindern darf (Hinweis E , 528/59, und E , 911/80), kann einem Parteienvorbringen wegen seines allfälligen Widerspruches zu einem früheren Vorbringen der Partei im selben Verfahren von vornherein Glaubwürdigkeit abgesprochen werden. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Salcher, Dr. Närr, Mag. Meinl und Dr. Kramer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Ratz, über die Beschwerde der prot. Firma H, Bauunternehmen in B, vertreten durch Dr. Tilman Luchner, Rechtsanwalt in Innsbruck, Andreas Hofer-Straße 2, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , Zl. 50.058-5/81, betreffend Grunderwerbsteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist eine zu HR A 1891 des Handelsregisters beim Landes- als Handelsgericht Feldkirch protokollierte Offene Handelsgesellschaft mit der Firma "H". Ihre persönlich haftenden Gesellschafter sind RH, B, und Dipl.-Ing. AH, M. Seit ist im Handelsregister die Gesamtprokura des Dkfm. RB, B, eingetragen. Weiters war JN, B, vom bis (Tag der Eintragung im Handelsregister) Gesamtprokurist, beschränkt auf die Hauptniederlassung. In I ist eine Zweigniederlassung mit dem Zusatz "Zweigniederlassung I" errichtet.
Das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern Innsbruck erlangte aus Anlaß abgabenbehördlicher Prüfungshandlungen im Jahre 1977 (vgl. hiezu das Schreiben des Beschwerdevertreters vom , O. Zl. 1/7 der Verwaltungsakten) Kenntnis von einer Kaufvertragsurkunde, die im wesentlichen folgenden Inhalt hat:
"Kaufvertrag,
abgeschlossen zwischen der Wohnbaugesellschaft m.b.H., H, Fgasse 33, als Verkäuferin einerseits
und
der Firma H, B, S-straße Nr. 6, als Käuferin andererseits.
Vorausgeschickt wird, daß die Wohnbaugesellschaft m.b.H. ... Alleineigentümerin der Liegenschaft in EZl. 419 II KG. X ist ...
Dies vorausgeschickt, verkauft und übergibt die Wohnbaugesellschaft m.b.H., im folgenden Verkäuferin genannt, die vorerwähnte Liegenschaft in EZl. 419 II KG. X an die Firma H, im folgenden Käuferin genannt, und diese kauft und übernimmt dieselbe Liegenschaft zu eigen.
Für diesen Kaufvertrag gelten die folgenden Bedingungen:
1.
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Der Kaufpreis wird einvernehmlich festgelegt mit | S 10,500.000,-- |
(i. W.: zehn Millionen fünfhunderttausend Schilling) und abgestattet wie folgt: | |
a) Die grundbücherliche für die B Bank mit S 6,000.000,-- sichergestellte Forderung wird mit dem tatsächlich zugrundeliegenden Schuldbetrag, und zwar gemäß Angabe der Verkäuferin mit | S 5,000.000,-- |
auf den Kaufpreis angerechnet. | |
b) Der restliche Kaufpreis im Betrage von | S 5,500.000,-- |
wird von der Käuferin in Gegenverrechnung mit eigenen Forderungen an die Verkäuferin getilgt…
9.
Die Käuferin wird, soweit zulässig, Grunderwerbsteuerfreiheit in Anspruch nehmen, da sie Arbeiterwohnstätten zu errichten beabsichtigt ...
17.
Die Käuferin behält sich das Recht vor, von diesem Vertrag innerhalb der nächsten drei Monate zurückzutreten.
Urkund dessen die Fertigung:
H, am
Wohnbau
Gesellschaft m.b.H.
2 Unterschriften eh."
Diese beiden Unterschriften der Geschäftsführer der Wohnbau
Gesellschaft m.b.H. sind notariell beglaubigt.
Auf der letzten Seite dieser Urkunde befinden sich der Stampiglienaufdruck "H" sowie zwei eigenhändige Unterschriften, die unbestrittenermaßen als "ppa B" und "ppa N" zu lesen sind. Ein Datum ist diesen Unterschriften nicht beigefügt.
Weiters wurde vom Finanzamt eine Vereinbarung vom über den laut Punkt 1 lit. b) des "Kaufvertrages" zu verrechnenden Kaufpreisanteil in der Höhe von S 5,500.000,-- vorgefunden. Diese Vereinbarung ist seitens der Wohnbaugesellschaft mbH von den beiden oben genannten Geschäftsführern, seitens der Firma H laut Behauptung der Beschwerdeführerin von deren persönlich haftendem Gesellschafter RH unterschrieben.
Am richtete der Beschwerdevertreter an die Wohnbau Gesellschaft m.b.H. ein Schreiben, in dem es u. a. heißt:
"Über tel. Weisung des Herrn Dir. B teile ich Ihnen daher Namens H mit, daß diese Firma von dem in Pkt. 17 des Kaufvertrages vom (Gründe in X) vorbehaltenen Rücktrittsrecht innerhalb offener Frist Gebrauch macht. Meine Mandantin tritt vom vorerwähnten Vertrage zurück."
In dem oben bereits erwähnten Schreiben des Beschwerdevertreters vom an das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern heißt es u. a.:
"Auf Grund der Besprechung mit Ihrem sg. Herrn Hofrat Dr. E und dem Referenten, Herrn A, vom 14. ds., gestatte ich mir, im Auftrage der Fa. H folgende Sachverhaltsdarstellung zu wiederholen und die Argumente meiner Mandantin vorzubringen:
Die seit kurzem in Konkurs verfallene Wohnbau Ges.m.b.H. war seit Jahren ein Auftraggeber der Fa. H für Bauarbeiten. Aus diesem Grunde bestanden zeitweise sehr erhebliche Zahlungsrückstände der Wohnbau Ges.m.b.H., über deren Regelung wiederholt Besprechungen geführt wurden. Ende Juni 1975 bot die Wohnbau Ges.m.b.H. in Gegenwart des Unterfertigten der Fa. H die Übernahme der Liegenschaft in EZl. 419 II KG. X an, wobei der netto verbleibende Kaufpreisrest durch Gegenverrechnung mit Forderungen getilgt werden sollte. Die Filiale I der Fa. H wollte dieses Anbot anfangs nicht annehmen, da es nicht ihrem Tätigkeitskreis entsprach ...
Schließlich einigte man sich aber darauf, daß der Kauf abgeschlossen werde, der Käuferin H aber ein Rücktrittsrecht für die nächsten drei Monate vorbehalten bleibe.
Der Vertrag wurde vom gefertigten Anwalt verfaßt und der Wohnbau Ges.m.b.H. in H mit dem Hinweis zugeleitet, daß der Vertrag nach Unterfertigung sofort dem Anwalt zwecks Erledigung der Anmeldungen und Genehmigungsgesuche zuzuleiten sei. Die Wohnbau Ges.m.b.H. hat sodann den Vertrag beim Notariat H unterschrieben und ihn - soweit sich dies noch erheben läßt - an die Fa. H nach B, dem österr. Hauptsitz der Firma, gesandt. Der gefertigte Anwalt erhielt einstweilen seitens des Notars eine Fotokopie, die aber nur die Unterschrift der Wohnbau Ges.m.b.H. aufwies. In B wurde der Vertrag von den dortigen Prokuristen unterfertigt, aber nicht mehr nach I zurückgesandt. Daher ist die Anmeldung unterblieben, wobei die I Filiale und der gefertigte Anwalt mangels Information der Meinung waren, daß der Vertrag in B noch nicht gegengezeichnet sei, weil die Herren H, die gewöhnlich Verträge selbst fertigen, in Deutschland waren. Die Tatsache jedoch, daß der Vertrag abgesprochen war, soll nicht in Zweifel gezogen werden.
Am langten von der Wohnbau Ges.m.b.H. die zugesagten Abtretungen ein, wie auch die Einlösung von demnächst fälligen oder bereits fällig gewesenen Wechseln. Somit waren die Auflösungsvoraussetzungen erfüllt, sodaß der gefertigte Anwalt von B die Weisung erhielt, von dem Kaufvertrag wieder zurückzutreten, was am gegenüber der Wohnbau Ges.m.b.H. erfolgte. Das Original des Vertrages kam später zur Ablage zur I Filiale zurück...
Der Fehler der Fa. H liegt somit wohl darin, daß der Vertrag nicht angemeldet wurde, was seine Ursache in dem nebeneinander der österr. Hauptverwaltung in B, des deutschen Hauptsitzes in M und der Verwaltung der Filiale I hat. Die beteiligten Bauingenieure waren, wie sie dem Unterfertigten glaubhaft erklärten, ausnahmelos der Meinung, daß man diesen Vertrag erst anmelden müßte, wenn er 'endgültig' sei, also kein Rücktritt mehr möglich wäre und wenn die notwendigen Genehmigungen vorliegen würden..."
Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Innsbruck gegenüber der Beschwerdeführerin für den "Kaufvertrag vom mit der Fa. Wohnbaugesellschaft m.b.H. H", ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von S 10,500.000,--, 8 % Grunderwerbsteuer in Höhe von S 840.000,-- fest. Begründend führte das Finanzamt aus, die Begünstigungsvorschrift des § 20 GrEStG sei nicht anwendbar, weil die Steuerschuldner ihrer Offenlegungs- und Wahrheitspflicht nicht nachgekommen seien (Nichtanzeige des obgenannten Vertrages).
In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:
Die Beschwerdeführerin sei über ihre Filiale in H seit Jahren in Geschäftsverbindung mit der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. H gestanden und habe von dieser Aufträge zur Ausführung von Bauarbeiten erhalten. Die Zahlungen dieser Gesellschaft seien in der Zeit von 1974/75 zunehmend langsamer eingegangen, sodaß wiederholte Besprechungen über die Regelung des offenen Schuldsaldos geführt worden seien. Gegen Ende Juni 1975 habe die Wohnbau Gesellschaft m.b.H. in Gegenwart des Beschwerdevertreters der Beschwerdeführerin spontan die Liegenschaft EZl. 419 II KG. X zur Übernahme angeboten, wobei der nach Abzug der Belastung von S 5,000.000,-- verbleibende Nettokaufpreis von S 5,500.000,-- auf Bauschulden habe verrechnet werden sollen. Der "Leiter der Filiale H in H" habe dieses Angebot von sich aus nicht annehmen wollen, da es nicht dem Tätigkeitsbereich der Firma H entsprochen habe, Grundstücke zur Verbauung selbst zu erwerben. Die Verhandlungen mit der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. über ihr Grundstücksübernahmsangebot, die in H geführt worden seien, hätten schließlich dazu geführt, daß "man" sich darauf geeinigt habe, den Kauf - selbstverständlich vorbehaltlich der Zustimmung der allein geschäftsführungsberechtigten "Vollhafter" der Firma H, nämlich der Herren R und Dipl.-Ing. AH - abzuschließen und der Käuferin H zusätzlich ein Rücktrittsrecht für die nächsten 3 Monate vorzubehalten. Der Vertrag sei vom Beschwerdevertreter verfaßt und der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. mit dem Hinweis zugeleitet worden, den Vertrag sofort nach Unterfertigung dem Anwalt zwecks Anfertigung der Anmeldungen und Genehmigungsansuchen zuzuleiten. Hierauf hätten die damaligen Geschäftsführer der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. den Vertrag vor dem Notariat H am unterschrieben. Sie oder der Notar hätten den Vertrag nicht an den Beschwerdevertreter, sondern an die Beschwerdeführerin nach B übersandt. Die Prokuristen B und N hätten die Vertragsurkunde ebenfalls unterfertigt, aber ihre Unterschriften undatiert gelassen und die Urkunde dann zu den Herren Dipl.-Ing. A und RH nach M zur Stellungnahme und Genehmigung übersandt. Diese beiden einzigen Gesellschafter und "Vollhafter" der Beschwerdeführerin hätten sich nämlich seit eh und je die persönliche Genehmigung aller bedeutenderen Geschäfte vorbehalten. Die Unterfertigung durch die Prokuristen sei also nur vorbehaltlich der Zustimmung der Geschäftsinhaber erfolgt. Im Falle der Genehmigung durch die Eigentümer des Unternehmens habe noch das Datum nachgetragen werden sollen. Die Herren H seien mit dem Kaufvorgang aber nicht einverstanden gewesen und hätten deshalb die Urkunde nicht nach B zurückgehen, also weder datieren noch "anmelden" noch die erforderliche Genehmigung einholen lassen. Gegenüber der Verkäuferin, der Wohnbau Gesellschaft m.b.H., habe man aber die Sache der Einfachheit wegen damit erklärt, daß vom Rücktrittsrecht eben Gebrauch gemacht werde. Über Weisung der Beschwerdeführerin sei schließlich gegenüber der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. noch formell ein "Rücktritt vom Vertrage" erklärt worden.
In rechtlicher Beurteilung dieses Vorbringens führte die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung weiter aus, es sei überhaupt kein gültiger Kaufvertrag abgeschlossen worden. Es fehle an der Willensüberstimmung zwischen Verkäuferin und Käufer, da die Offene Handelsgesellschaft H, vertreten durch ihren "vollhaftenden" geschäftsführenden Gesellschafter, sich gegenüber den Prokuristen die Zustimmung vorbehalten und diese nie erteilt habe. Weiters sei das gegenständliche Grundstück bis zum Sommer 1979 landwirtschaftlich genutzte Wiese gewesen. Es hätte daher der Eigentumsübergang von der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. auf die Beschwerdeführerin der Genehmigung nach dem Tiroler Grundverkehrsgesetz bedurft. Für den Fall, daß trotz mangelnder Willensbildung über das Rechtsgeschäft und trotz Fehlens der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung doch ein grunderwerbsteuerpflichtiger Vorgang angenommen würde, sei jedenfalls § 20 GrEStG anzuwenden. Der vorgebliche Erwerbsvorgang sei durch Ausübung eines vorbehaltenen Rücktrittsrechtes innerhalb von 2 Jahren rückgängig gemacht worden. Der Offenlegungs- und Wahrheitspflicht sei die Beschwerdeführerin durch Vorlage der Urkunde anläßlich der Betriebsprüfung nachgekommen. Schließlich sei der (vorgebliche) Erwerb des Grundstückes zur Schaffung von Arbeiterwohnstätten an sich grunderwerbsteuerfrei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom ab. Zur Begründung führte sie nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und Hinweis auf die Vorschrift des § 1 Abs. 1 GrEStG im wesentlichen aus, zur Annahme eines Kaufvertrages genüge, daß zwischen den Vertragsteilen Willensübereinstimmung darüber erzielt worden sei, eine bestimmte Liegenschaft um einen betragsmäßig festgesetzten Kaufpreis zu erwerben. Durch die Willensübereinstimmung der Parteien über einen bestimmten Kaufgegenstand und den Kaufpreis sei ein - als Konsensualvertrag an keine bestimmte Form gebundener - Kauf zustandegekommen. Die Pflicht zur Entrichtung der Grunderwerbsteuer trete also unabhängig davon ein, ob das Rechtsgeschäft beurkundet werde oder nicht.
Außer Streit stehe, daß die im Vertragsabschluß beteiligten Vertreter der Beschwerdeführerin als Gesamtprokuristen bestellt und im Handelsregister angemeldet gewesen seien. Damit seien sie zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen ermächtigt gewesen, soweit sie der Betrieb irgendeines Handelsgewerbes mit sich bringe. Der Dritten gegenüber geltende Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Prokura bringe es mit sich, daß Abreden, wonach die Prokura nur für gewisse Geschäfte oder nur unter bestimmten Umständen ausgeübt werden dürfe, Dritten gegenüber unerheblich seien und auch die von Prokuristen unter Überschreitung ihrer Befugnisse abgeschlossenen Rechtsgeschäfte Dritten gegenüber auch dann wirksam seien, wenn letztere Kenntnis von der Überschreitung gehabt hätten. Der Einwand, daß der von den Prokuristen abgeschlossene Kauf von den Gesellschaftern der Beschwerdeführerin nachträglich nicht genehmigt worden sei, sei nicht zielführend. Für die Tatsache, daß der gegenständliche Kaufvertrag zustandegekommen sei, spreche der Umstand, daß die Beschwerdeführerin von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht habe.
Der Erwerb dieser Grundstücke habe laut Auskunft der Landesgrundverkehrsbehörde auch keiner grundverkehrsbehördlichen Genehmigung bedurft. Unbestritten sei auch, daß im Beschwerdefall eine fristgerechte Erstattung einer Abgabenerklärung unterblieben sei. Mit der Vorlage der Kaufvertragsurkunde anläßlich abgabenbehördlicher Prüfungshandlungen sei die Beschwerdeführerin keineswegs der ihr im § 18 GrEStG auferlegten Offenlegungs- und Wahrheitspflicht nachgekommen. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Grunderwerbsteuerfestsetzung im Sinne des § 20 GrEStG lägen daher nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nach ihrem Vorbringen in dem Recht auf gesetzmäßige Grunderwerbsteuervorschreibung verletzt; sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß dem § 1 Abs. 1 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer bestimmte Rechtsvorgänge, soweit sie sich auf inländische Grundstücke beziehen. Darunter fällt laut Z. 1 der zitierten Gesetzesstelle u. a. auch ein Kaufvertrag.
Für das Zustandekommen eines Kaufvertrages gemäß dem § 1054 ABGB ist grundsätzlich eine Einigung der Vertragspartner wenigstens über Kaufgegenstand und Kaufpreis erforderlich. Der Kauf ist also nach österreichischem Recht ein grundsätzlich an keine Formvorschriften gebundener Konsensualvertrag, der durch die Willensübereinstimmung der Parteien über Ware und Preis zustandekommt. Dies gilt auch beim Kauf von Liegenschaften. Allerdings muß zur Einigung über den Vertragsinhalt noch die Erklärung des Abschlußwillens der Vertragspartner hinzukommen, die zum Ausdruck bringt, daß die Vertragsteile den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt abschließen wollen. Dadurch wird das bis dahin unverbindliche Verhandlungsergebnis zum verbindlichen Vertragsinhalt (vgl. Gschnitzer in Klang, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch2, IV/1, S. 53, 56; Ehrenzweig, System des bürgerlichen Rechtes2, II/1, S. 128 f; Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechtes5, I, S. 266; Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , JBl. 1974, S. 146 f). Diese Erklärung des Abschlußwillens erfolgt nach der allgemeinen Regel des § 861 ABGB durch Angebot und Annahme. Letztere ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung; sie wird erst wirksam, wenn sie dem Anbotsteller zugeht (Koziol-Welser, a.a.O., S. 92).
Folgt man nun dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, so ist der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. eine Annahmeerklärung der Beschwerdeführerin niemals zugekommen.
Bei den Verhandlungen, die zum Abschluß des "Kaufvertrages" führten, waren nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin der Leiter ihrer Filiale in H sowie der Beschwerdevertreter anwesend. Daß einer der beiden für die Beschwerdeführerin abschlußberechtigt gewesen wäre, ist nicht aktenkundig. Vielmehr bestand bei den Verhandlungspartnern nach den Berufungsbehauptungen Übereinstimmung, daß der Kauf vorbehaltlich der Zustimmung der persönlich haftenden Gesellschafter der Beschwerdeführerin abgeschlossen werden sollte. Damit stimmt überein, daß die Geschäftsführer der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. den Vertrag nach den Berufungsbehauptungen nicht an den Beschwerdevertreter, sondern an die Beschwerdeführerin nach B übersandten. In der Übersendung dieses nur einseitig unterfertigten Vertrages war also lediglich ein Angebot (eine Offerte) zu erblicken. Die Zustimmungserklärung der persönlich haftenden Gesellschafter der Beschwerdeführerin wurde jedoch nach den Berufungsbehauptungen nicht erteilt; vielmehr ließen die persönlich haftenden Gesellschafter der Beschwerdeführerin die Urkunde "nicht nach B zurückgehen, also weder datieren noch anmelden noch allenfalls erforderliche Genehmigungen einholen". Letzteres würde aber bedeuten, daß gegenüber der Verkäuferin der erforderliche Abschlußwille der Beschwerdeführerin und damit die Annahme des Angebotes der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. niemals erklärt wurde. Der interne Vorgang der Unterfertigung der Urkunde durch die beiden Prokuristen B und N wäre dann ohne jedes rechtliches Gewicht, womit übereinstimmen würde, daß die beiden genannten Prokuristen ihren Unterschriften kein Datum beigefügt haben.
Gemäß dem § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabenpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. Nach Abs. 3 dieser Gesetzesstelle haben die Abgabenbehörden Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen. Auch wenn also der Abgabepflichtige gemäß dem § 183 BAO die Richtigkeit seiner Behauptungen zu beweisen hat, ist doch die Behörde gemäß dem § 115 BAO verpflichtet, die Angaben der Parteien auch zu ihren Gunsten zu überprüfen und Beweise, deren Durchführung ihr zumutbar ist, aufzunehmen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 1656/61, sowie vom , Zlen. 911/79 und 1063/79).
Dieser Rechtspflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit tat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht Genüge, wenn sie über die von der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen hinwegging (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 16/1257/80). Zwar war der in der Berufung genannte Zeuge Dkfm. RB nicht darüber zu hören, daß die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren persönlich haftenden Gesellschafter, sich gegenüber den Prokuristen, also im Innenverhältnis, die Zustimmung vorbehalten und diese nie erteilt habe, wie dies in der Berufung beantragt wird. Erforderlich wäre aber die Einvernahme des Leiters der Filiale der Beschwerdeführerin in H sowie des Beschwerdevertreters und der beiden Geschäftsführer der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. darüber gewesen, daß der Kaufvertrag nur vorbehaltlich der Zustimmung der persönlich haftenden Gesellschafter der Beschwerdeführerin abgeschlossen werden sollte und daß die Geschäftsführer der Wohnbau Gesellschaft m.b.H. die Vertragsurkunde an die Beschwerdeführerin nach B übersandten. Weiters hätten die Prokuristen B und N darüber vernommen werden müssen, daß sie lediglich vorbehaltlich der Zustimmung der persönlich haftenden Gesellschafter der Beschwerdeführerin ihre Unterschrift auf die Urkunde setzten und dieselbe aus diesem Grunde undatiert ließen, schließlich darüber, daß die persönlich haftenden Gesellschafter der Beschwerdeführerin mit dem Rechtsvorgang nicht einverstanden waren und deshalb die Urkunde nicht nach B zurückgehen ließen. Zu dem letztgenannten Beweisthema wäre auch die Vernehmung zumindest des in B ansässigen persönlich haftenden Gesellschafters der Beschwerdeführerin RH unerläßlich gewesen.
Die belangte Behörde konnte sich ihrer Rechtspflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit auch nicht etwa durch Hinweis auf das Schreiben des Beschwerdevertreters vom entziehen. Ebensowenig wie ein offenbar unvollständiges oder unschlüssiges Vorbringen die Behörde an der Erfüllung ihrer Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit hindern darf (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 528/59, sowie das bereits erwähnte Erkenntnis vom , Zl. 911/79), konnte dem Berufungsvorbringen wegen seines allfälligen Widerspruches zu einem früheren Vorbringen der Beschwerdeführerin im selben Verfahren von vornherein Glaubwürdigkeit abgesprochen werden. Der Umstand schließlich, daß die Beschwerdeführerin von ihrem Rücktrittsrecht formell Gebrauch machte, läßt noch nicht zwingend darauf schließen, daß der gegenständliche Kaufvertrag seinerzeit tatsächlich zustandekam.
Ohne jede Bedeutung ist der in der Gegenschrift aufgezeigte Umstand, daß die Gesellschafter der Beschwerdeführerin auch die alleinigen Gesellschafter der zwischenzeitig ins Handelsregister eingetragenen B-Bauleistungsgesellschaft mbH sind, welche in der Folge das gegenständliche Grundstück kaufte.
Ergänzend sei noch auf folgendes hingewiesen:
Der Umstand, daß die dem JN in der Zeit vom bis erteilte Gesamtprokura auf den Betrieb der Hauptniederlassung B beschränkt war, hätte die Rechtsgültigkeit seiner Unterschrift auf dem Kaufvertrag nicht gehindert. Zwar ist die im § 50 Abs. 3 HGB für die Wirksamkeit der Beschränkung der Prokura auf den Betrieb einer von mehreren Niederlassungen des Geschäftsinhabers geforderte Voraussetzung der Firmenverschiedenheit im Beschwerdefall gegeben, weil die Zweigniederlassung I laut vorliegendem Handelsregisterauszug mit dem Zusatz "Zweigniederlassung I" firmiert. Die Niederlassungs- (Filial-)Prokura begrenzt die Vertretungsmacht auf den Betrieb der Niederlassung für die die Niederlassungsprokura erteilt ist; der Niederlassungs-(Filial-)Prokurist darf und kann nur unter der Firma seiner Niederlassung handeln, nicht auch unter der einer anderen Niederlassung. Die Vertretungswirkung auf seiten des Niederlassungsprokuristen gegenüber dem Geschäftsherrn greift also nur Platz, wenn der Prokurist namens der Firma dieser Niederlassung handelt (vgl. Würdinger in Großkomm. HGB3 1967, I, S. 552; Schlegelberger, Handelsgesetzbuch5 1973, II, S. 44).
Im Beschwerdefall sollte jedoch nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin der "Kaufvertrag" ungeachtet des Umstandes, daß seine Bedingungen vom Leiter der Filiale H ausgehandelt wurden, nach seinem Wortlaut von der "Firma H, B" abgeschlossen werden, d. h., daß die Beschwerdeführerin unter der Firma ihrer Hauptniederlassung auftreten sollte. Für diese Niederlassung war aber N, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, zeichnungsberechtigt.
Aus obigen Ausführungen erhellt jedoch weiters, daß der Sachverhalt in wesentlichen Punkten der Ergänzung bedarf und daß die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht ließ, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der bekämpfte Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG 1965 aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre. Von der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung konnte daher gemäß dem § 39 Abs. 2 lit. c VwGG 1965 abgesehen werden.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 221, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2. Die Umsatzsteuer ist im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten. Stempelgebühren waren nur im gesetzlichen Ausmaß zuzuerkennen.
Soweit in diesem Erkenntnis auf nichtveröffentlichte Erkenntnisse es Verwaltungsgerichtshofes Bezug genommen wird, sei an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 5638 F/1981; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1981:1981160025.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAF-59786