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VwGH 09.02.1982, 81/14/0072

VwGH 09.02.1982, 81/14/0072

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
BAO §9
RS 1
Primäre sachliche (objektive) Voraussetzung dafür, daß eine Haftung nach § 9 BAO überhaupt in Betracht kommen kann, ist von Seite der hereinzubringenden Abgabe gesehen deren Uneinbringlichkeit beim ursprünglichen Abgabenschuldner sowie einem allenfalls neben diesem mit in Betracht kommenden uneingeschränkt haftenden Gesamtschuldner. Erst wenn diese Uneinbringlichkeit feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung nach § 9 BAO maßgebenden weiteren an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen.
Norm
BAO §80 Abs2
RS 2
"Vermögensverwaltung" iSd § 80 Abs 2 BAO liegt nur vor, wenn eine Person die Verwaltungsgeschäfte in bezug auf einen im Eigentum eines anderen stehenden Vermögenskomplex verantwortlich zu führen berechtigt und verpflichtet ist.
Norm
BAO §83 Abs4
RS 3
Aus § 83 Abs 4 BAO lassen sich abgabenrechtliche VERPFLICHTUNGEN der als Vertreter zu VERMUTENDEN Familienmitglieder, Haushaltsangehörigen oder Angestellten eines Abgabenpflichtigen, der voll handlungsfähige Einzelperson ist, nicht ableiten.

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

81/14/0074

81/14/0075

81/14/0076

81/14/0077

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Karlik, Dr. Simon, Dr. Kirschner und Dr. Schubert als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. König, über die Beschwerde des TK in M, vertreten durch Dr. Dietrich Roessler, Rechtsanwalt in Wien I, Schwedenplatz 3 - 4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , Zl. B 31-6/81, betreffend Haftung für Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Lohnsteuer, Umsatzsteuer und Nebenansprüche der Jahre 1976 bis 1978, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.535,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Finanzamt R. nahm mit Bescheid vom den Beschwerdeführer nach § 9 BAO als Haftungspflichtigen für Abgabenschuldigkeiten seines Vaters AK., die mit S 581.387,66 beziffert wurden und sich aus Umsatzsteuer, Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Lohnsteuer und Nebenansprüchen für die Jahre 1976 bis 1978 zusammensetzten, in Anspruch.

Die Berufung des Beschwerdeführers, die sich vornehmlich darauf stützte, dem Beschwerdeführer sei keine der im § 80 Abs. 1 BAO genannten Vertretereigenschaften zugekommen und auch eine Vermögensverwaltung im Sinne des § 80 Abs. 2 BAO sei nicht vorgelegen, wies die belangte Behörde mit Bescheid vom im wesentlichen mit folgender Begründung ab:

Nach der Aktenlage könne kein Zweifel daran bestehen, daß der Beschwerdeführer in den Jahren von 1962 bis in einem für dritte Personen erkennbaren Außenverhältnis als Vertreter seines Vaters AK. aufgetreten sei und seine Geschäftsführereigenschaft selbst in zahlreichen Schriftsätzen erklärt bzw. durch faktische Handlungen unter Beweis gestellt habe, was sich insbesondere aus der Textierung von sodann in der Bescheidbegründung teilweise wörtlich wiedergegebenen acht Schriftstücken (Eingaben und Niederschriften) aus der Zeit zwischen und ergebe. Es stehe außer Zweifel, daß der Beschwerdeführer über die finanziellen Mittel der Firma AK. habe verfügen können, er sei daher auch verpflichtet gewesen, für eine zeitgerechte und volle Abgabenentrichtung Sorge zu tragen. Es könne nicht der Behörde zur Last fallen, wenn sie nicht von Amts wegen die Frage untersuche, ob der Geschäftsführer über ausreichende finanzielle Mittel des Unternehmens verfügen konnte, um die Abgaben zu bezahlen. Das Vorbringen in der Berufung des Beschwerdeführers, er habe keine Geschäftsführerstellung innegehabt, er habe somit weder Kenntnis von der geschäftlichen Gebarung gehabt, noch hätte er einen Einfluß auf diese nehmen können, überzeugten im Hinblick auf den festgestellten Inhalt der verschiedenen Schriftstücke nicht und könnten den Beschwerdeführer, weil sie keinen ausreichenden Entlastungsbeweis erbrächten, auch von der Schuldhaftigkeit seines Verhaltens nicht befreien. Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Haftungspflichtigen sei die Uneinbringlichkeit der Abgabenschulden beim Abgabenschuldner, die vorliege, wenn die Zwangsvollstreckung in das gesamte bewegliche und unbewegliche gegenwärtige Vermögen des Schuldners fruchtlos gewesen sei bzw. voraussichtlich fruchtlos sein werde. Die Durchführung einer von vornherein aussichtslosen Exekution sei nicht erforderlich. Ebensowenig könne es der Behörde zugemutet werden, auf unsichere Forderungen zu greifen, deren Bestand erst in einem umständlichen Drittschuldnerprozeß festgestellt werden könne, oder aus familiären Gründen getätigte Schenkungen durch Anfechtungsklage zu bestreiten. Im übrigen sei seitens des Finanzamtes R. gegen den Abgabenschuldner AK. fortgesetzt, wenn auch weitgehend ergebnislos, Exekution geführt worden. Gepfändete Kraftfahrzeuge seien bereits verwertet worden, zahlreiche Forderungspfändungen seien "gesetzt" und Einbringungsversuche im Amtshilfeweg über andere Finanzämter unternommen worden. Dennoch befinde sich der Abgabenrückstand des AK. auf einer Höhe, die weit über dem Ausmaß der Haftungsschuldigkeiten gelegen sei. Ein Liegenschaftsanteil des Abgabenschuldners sei mit hohen Hypotheken vorbelastet und seit  mit einem Belastungs- und Veräußerungsverbot behaftet. Im übrigen genüge es, auf die im Zentralblatt für Eintragungen in das Handelsregister Nr. 2 vom enthaltene Mitteilung Bezug zu nehmen, welche besage, daß der Antrag eines Gläubigers, über das Vermögen des AK. das Konkursverfahren zu eröffnen, vom Landesgericht für Zivilrechtssachen G. am  mangels kostendeckenden Vermögens rechtskräftig abgewiesen worden sei.

Über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde und die dazu von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Primäre sachliche (objektive) Voraussetzung dafür, daß eine allfällige Haftung nach § 9 BAO überhaupt in Betracht kommen kann, ist von der Seite der hereinzubringenden Abgaben gesehen deren Uneinbringlichkeit beim ursprünglichen Abgabenschuldner sowie einem allenfalls neben diesem mit in Betracht kommenden uneingeschränkt haftenden Gesamtschuldner. Erst wenn diese Uneinbringlichkeit feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung nach § 9 BAO maßgebenden weiteren an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen, nämlich jene, ob a) ein "in den §§ 80 ff bezeichneter Vertreter" vorhanden ist (war) und b) ob die schuldhafte Verletzung der diesem Vertreter auferlegten Pflichten für die festgestellte Uneinbringlichkeit von Abgaben ursächlich war oder nicht.

Die im derzeit angefochtenen Bescheid getroffenen Sachverhaltsfeststellungen reichen jedoch schon zur Lösung der zuletzt als a) bezeichneten Frage nicht aus. Die Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO trifft "die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter". Da der hier primär Steuerpflichtige eine eigenberechtigte natürliche Einzelperson ist, von der weder feststeht, sie wäre nicht voll handlungsfähig, noch ihr Aufenthalt wäre unbekannt, und da der Beschwerdeführer auch niemals deren durch eine schriftliche Vollmacht oder eine durch Niederschrift festgehaltene mündliche Vollmacht ausgewiesener Vertreter war, fallen von den in den §§ 80 ff BAO enthaltenen Tatbeständen jene des § 80 Abs. 1, des § 81, des § 82 und des § 83 BAO weg und es verbleibt als ein Tatbestand, der die Eigenschaft des Beschwerdeführers als eines der "in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter" begründen könnte, nur der des § 80 Abs. 2 BAO mit dem Wortlaut:

"Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die im Abs. 1 bezeichneten Pflichten und Befugnisse."

"Vermögensverwaltung" im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Bestimmung liegt aber nur vor, wenn eine Person die Verwaltungsgeschäfte in bezug auf einen im Eigentum eines anderen stehenden Vermögenskomplex verantwortlich zu führen berechtigt und verpflichtet ist. Derlei hat die belangte Behörde, soweit es die Führung der (gesamten) Geschäfte des als Einzelunternehmen betriebenen Transportunternehmens des AK. durch den Beschwerdeführer betrifft, im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt. Es besteht also in diesem Bereich ein wesentlicher Feststellungs- und somit verfahrensrechtlicher Mangel im Sinne des § 42 Abs. 2 lit. c VwGG 1965. Denn verfehlt ist die von der belangten Behörde vertretene Auffassung" im Hinblick auf § 83 Abs. 4 BAO könnten amtsbekannte Familienmitglieder, Haushaltsangehörige oder Angestellte eines Einzelunternehmers auch dann nach § 9 Abs. 1 BAO zur Haftung herangezogen werden, wenn ihre Bevollmächtigung durch den primär Abgabepflichtigen weder schriftlich noch mündlich bzw. (§ 83 Abs. 3 BAO) niederschriftlich erfolgt ist. Die erwähnte Bestimmung (§ 83 Abs. 4 BAO) regelt nur die Befugnis der Abgabenbehörde in gewissen Fällen von einer ausdrücklichen Vollmacht abzusehen; abgabenrechtliche Verpflichtungen als Vertreter zu vermutender Familienmitglieder, Haushaltsangehöriger oder Angestellter eines Abgabepflichtigen, der voll handlungsfähige Einzelperson ist, lassen sich daraus nicht ableiten.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden mußte, wobei ein Eingehen auf die weitere, zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens strittige Frage der Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten beim ursprünglichen Abgabenschuldner im gegebenen Verfahrensstadium entfallen konnte. Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf diese Sach- und Rechtslage abgesehen werden (§ 39 Abs. 2 lit. c VwGG 1965).

Der Zuspruch von Aufwandersatz an den Beschwerdeführer beruht auf den §§ 47 ff VwGG 1965 und der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 221.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BAO §80 Abs2
BAO §83 Abs4
BAO §9
Sammlungsnummer
VwSlg 5652 F/1982
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1982:1981140072.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAF-59708