VwGH 18.06.1982, 81/02/0310
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit in einem Verfahren über die Verhängung einer Ordnungsstrafe kann nicht mit Bestimmungen des VStG 1950 beantwortet werden. |
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RS 2 | Im Falle der Verhängung einer Ordnungsstrafe gegen einen beschränkt Entmündigten ist der diesbezügliche Bescheid, um rechtswirksam zu werden, dem Beistand zuzustellen. |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
81/02/0312
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Degischer, Dr. Domittner und Dr. Dorner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Engele, in der Beschwerdesache des EB in W, vertreten durch Dr. Guido Kollmann, Rechtsanwalt in Wien I, Elisabethstraße 24, gegen die Bescheide der Wiener Landesregierung 1) vom , Zl. MA 70-IX/B 357/80/Str. (hg. Zl. 81/02/0310), 2) vom , Zl. MA 70-IX/B 355/80/Str. (hg. Zl. 81/02/0312), jeweils betreffend Verhängung einer Ordnungsstrafe im Rahmen von Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, den Beschluss gefasst:
Spruch
Beide Beschwerden werden zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von S 3.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Favoriten, vom , welches eine dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verwaltungsübertretung vom gemäß § 24 Abs. 1 lit. c StVO 1960 betraf, erhob der Beschwerdeführer Berufung. In dieser am zur Post gegebenen schriftlichen Eingabe heißt es unter anderem:
"Hätte der zustdge. Bea. meinen Anträgen stattgegeben, zu dem er gesetzlich verpflichtet ist, wäre er unweigerlich zu einem anderen Schluß gekommen, da das mir zur Last gelegte unrichtig ist und durch das meiner Meing. nach vorsätzlich gesetzwidrige Verhalten des PK. ich keinen Ggbeweis antreten konnte, sodaß der dringende Verdacht besteht, Hr. PK.... B läßt seinen vermutlichen Gelüsten des NUR-Strafens freien Lauf und erhebt Unrecht zum Recht".
Mit Bescheid der bereits genannten Behörde vom wurde daraufhin ausgesprochen, der Beschwerdeführer habe sich in seiner schriftlichen Eingabe vom "in Angelegenheit Berufung gegen das Straferkenntnis vom durch nachstehende Äußerungen einer beleidigenden Schreibweise bedient:
….. sodaß der dringende Verdacht besteht, Hr. PK ….. B läßt seinen vermutlichen Gelüsten des NUR-Strafens freien Lauf …..", und es werde daher über ihn gemäß § 34 AVG 1950 eine Ordnungsstrafe von S 500,-- (Ersatzarreststrafe von 30 Stunden) verhängt.
Auf Grund der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung bestätigte die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom den angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 mit der Abänderung, daß das Strafausmaß auf S 250,-- (Ersatzarreststrafe 15 Stunden) herabgesetzt wird. Zu den Berufungsausführungen bemerkte die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides, daß die Verantwortung des Beschwerdeführers, es sei nicht seine Art, jemanden zu beleidigen, und er hätte bloße Vermutungen geäußert, nicht begründet sei. Gemäß § 34 Abs. 3 AVG 1950 könnten von der Behörde Ordnungsstrafen gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen. Durch die beleidigende Schreibweise des Beschwerdeführers sei das Ansehen der Behörde herabgewürdigt worden, weil kritische Bemerkungen, die sich auf einen Beamten in seiner Eigenschaft als Behördenorgan beziehen, sich gegen die Behörde als solche richteten. Eine solche Kritik sei nur dann zulässig, wenn nebeneinander 3 Voraussetzungen erfüllt würden, nämlich die Beschränkung auf die Sache, die Beachtung des Anstandes und die Möglichkeit, die Behauptung zu beweisen. Die Kritik des Beschwerdeführers ("sodaß der dringende Verdacht besteht, Herr PK. B läßt seinen vermutlichen Gelüsten des NUR-Strafens freien Lauf") lasse jedoch die oben zitierten Voraussetzungen vermissen und sei daher zu Recht mit vorliegender Ordnungsstrafe geahndet worden, zumal durch die Schreibweise im gegenständlichen Schriftsatz die Anstandspflicht gegenüber der Behörde verletzt worden sei. Bemerkt werde, daß zum Tatbestand des § 34 AVG 1950 genüge, daß die Schreibweise eine objektiv beleidigende sei; eine beleidigende Absicht ("ein sogenanntes 'Animus iniurandi'") werde zum gesetzlichen Tatbestand nicht gefordert. Auch die Überzeugung des Schreibers, seine Kritik sei berechtigt (ja selbst der gelungene Beweis hiefür), vermöge eine beleidigende Schreibweise nicht zu rechtfertigen (Hinweis auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 8796/A, vom , Zl. 1807/76, sowie vom , Slg. Nr. 4518/A). Das Ausmaß der nunmehr verhängten Ordnungsstrafe sei unter Berücksichtigung der als eher bescheiden angegebenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers unter Bedachtnahme auf das Höchstmaß von S 1.000,-- als angemessen anzusehen.
In einem weiteren gegen den Beschwerdeführer anhängigen Verfahren, welches eine am begangene Verwaltungsübertretung nach § 38 Abs. 1 StVO 1960 betraf, wurde der Beschwerdeführer von der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Favoriten, am zur Rechtfertigung als Beschuldigter gemäß § 40 Abs. 2 und § 42 VStG 1950 aufgefordert. Darauf teilte der Beschwerdeführer mit der am zur Post gegebenen schriftlichen Eingabe unter anderem mit, "daß ich mit Hrn. PK….. B auf Lebenszeit nichts zu tun habe, da ich nicht gewillt bin, seine Schreikrämpfe, Drohungen, Unterstellungen, Willkür, Schikanen und vorsätzlichen Gesetzesverletzungen länger zu ertragen."
Daraufhin erging der Bescheid der genannten Behörde vom , wonach sich der Beschwerdeführer in seiner schriftlichen Eingabe vom "in Angelegenheit Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigter und Ladung zur Vernehmung am durch nachstehende Äußerungen einer beleidigenden Schreibweise bedient" habe: "…. mit Hrn. PK. …. B …. nichts zu tun habe, da ich ….. seine Schreikrämpfe, Drohungen, Unterstellungen, Willkür, Schikanen und vorsätzlichen Gesetzesverletzungen", und es werde daher über ihn gemäß § 34 AVG 1950 eine Ordnungsstrafe von S 1.000,-- (Ersatzarreststrafe 60 Stunden) verhängt.
Auch gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung, auf Grund der die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom den angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 mit der Abänderung bestätigte, daß das Strafausmaß auf S 500,-- (Ersatzarreststrafe 30 Stunden) herabgesetzt wird. Die Begründung dieses Bescheides entspricht im wesentlichen derjenigen, die in dem oben genannten Bescheid der belangten Behörde vom gebraucht wurde.
Gegen diese beiden Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat jeweils in ihren Gegenschriften die Abweisung der Beschwerden beantragt. Die Verwaltungsstrafakten wurden vom Verfassungsgerichtshof, dem sie unter anderem im Zusammenhang mit der Erhebung von Beschwerden gegen dieselben Bescheide von der belangten Behörde vorgelegt wurden, beigeschafft.
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die beiden - zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbundenen - Beschwerden aus nachstehenden Gründen unzulässig sind.
Der Beschwerdeführer macht u.a., geltend, daß er bereits im Jahre 1976 wegen Geisteskrankheit beschränkt entmündigt worden sei und sich durch die angefochtenen Bescheide in seinen Rechten insofern verletzt fühle, als er - entgegen § 9 AVG 1950 in Verbindung mit § 4 der Entmündigungsordnung - in den gegenständlichen Verfahren wegen Verhängung von Ordnungsstrafen nicht durch seinen Beistand vertreten gewesen sei und Zustellungen nicht an diesen erfolgt seien.
Zu diesem Vorbringen ist Nachstehendes zu bemerken: wie sich aus den vom Verwaltungsgerichtshof beigeschafften Akten Zlen. 1 L 35/75 und 1 P 109/80 des Bezirksgerichtes Favoriten ergibt, entspricht das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Entmündigung den Tatsachen.
Gemäß § 34 Abs. 3 AVG 1950 können von der Behörde Ordnungsstrafen gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen.
Der Beschwerdeführer hat sich in zwei verschiedenen Schriftsätzen, welche er im Zusammenhang mit zwei jeweils wegen Übertretung der StVO 1960 gegen ihn geführten Strafverfahren der Behörde übermittelt hat, einer beleidigenden Schreibweise bedient, weshalb davon auszugehen ist, daß sich die gegenständlichen Verfahren über die Verhängung von Ordnungsstrafen im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens ergeben haben und sohin zufolge § 24 VStG 1950 die Bestimmungen des AVG 1950 über die Ordnungsstrafe in den vorliegenden Fällen angewendet werden durften. Wenngleich sich die Anlässe zur Verhängung von Ordnungsstrafen in den Beschwerdefällen im Rahmen eines nach den Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1950 zu führenden Verwaltungsstrafverfahrens ergeben haben, hat dies nicht zur Folge, daß deshalb auch das Verfahren über die Verhängung der Ordnungsstrafen den Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1950 unterliegt, da § 36 Abs. 1 AVG 1950 ausdrücklich nur die §§ 12, 54 und 67 des VStG 1950 auf Ordnungsstrafen für anwendbar erklärt. Demgemäß handelt es sich bei den Ordnungsstrafen auch nicht um Strafen für Verwaltungsübertretungen, sondern um Strafen besonderer Art, die den Charakter von Disziplinarmaßnahmen haben (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N. F. Nr. 7699/A). Die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers in den Verfahren über die Verhängung der Ordnungsstrafen kann demgemäß auch nicht mit Bestimmungen des VStG 1950 beantwortet werden.
Gemäß § 9 AVG 1950 ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen. Für das Verfahren über die Verhängung einer Ordnungsstrafe gibt es keine die prozessuale Handlungsfähigkeit von Beteiligten regelnden Verwaltungsvorschriften, weshalb diese nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes beurteilt werden muß. Das bedeutet aber, daß der zur Zeit der Zustellung der gemäß § 34 Abs. 3 AVG 1950 erlassenen Bescheide beschränkt entmündigte Beschwerdeführer im Hinblick auf § 4 der Entmündigungsordnung einem mündigen Minderjährigen, also einer Person gleichzusetzen war, die zwar das 14., jedoch nicht das 19. Lebensjahr vollendet hat. Der Beschwerdeführer war daher zu dieser Zeit als beschränkt handlungsfähig anzusehen, zumal sich aus keiner Bestimmung des bürgerlichen Rechtes ergibt, daß ein beschränkt Handlungsfähiger - ausnahmsweise - in einem Verfahren über die Verhängung einer Ordnungsstrafe die volle Handlungs- und damit Prozeßfähigkeit besitzt. Unter diesen Umständen wären aber die Bescheide vom 8. Mai und , mit welchen von der Behörde erster Instanz über den Beschwerdeführer Ordnungsstrafen verhängt worden sind, zur Erlangung der Rechtswirksamkeit nicht dem Beschwerdeführer persönlich, sondern seinem Beistand zuzustellen gewesen, weil der in einem Verwaltungsverfahren ergangene Bescheid nicht wirksam werden kann, wenn eine nicht voll handlungsfähige Partei in diesem Verfahren nicht durch ihren gesetzlichen Vertreter vertreten war. (Vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Slg. N. F. Nr. 8057/A.) Da eine Zustellung an den Beistand also unterblieben ist, sind die zuletzt erwähnten Bescheide bisher nicht rechtswirksam geworden, was auch für die ebenfalls nicht dem Beistand des Beschwerdeführers zugestellten angefochtenen Bescheide der Wiener Landesregierung vom 24. und gilt, denen daher mangels rechtswirksamer Zustellung auch nicht die Qualifikation von Bescheiden im Sinne des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG zukommt. Die Beschwerden waren daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG 1965 zurückzuweisen. Im Hinblick auf die Bestimmung des § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. a VwGG 1965 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 203/1982, wonach Dreiersenate über die Zurückweisung von Beschwerden zu entscheiden haben, ist noch darauf hinzuweisen, daß in den Beschwerdefällen gemäß § 12 Abs. 4 leg. cit. a die Zuständigkeit des Fünfersenates gegeben war.
Von der vom Beschwerdeführer in beiden Fällen beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 Abstand genommen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 lit. b sowie § 51 VwGG 1965, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 316/1976, in Verbindung mit Art. I Z. 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die belangte Behörde die Verwaltungsstrafakten dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgelegt hat, sondern diese erst vom Verfassungsgerichtshof beigeschafft wurden, sodaß kein Ersatz für Vorlageaufwand gebührt. Im übrigen war zu beachten, daß die Gegenschrift in einem einzigen Schriftsatz zugleich auch zum hg. Beschwerdefall Zl. 81/02/0313, erstattet wurde, sodaß im vorliegenden Fall nur die Hälfte des Schriftsatzaufwandes gebührt.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 10762 A/1982 |
Schlagworte | Entmündigung Beistand Handlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit natürliche Person Öffentliches Recht |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1982:1981020310.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-59471