VwGH 15.05.1981, 3319/79
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Entscheidet eine säumige Behörde nach Einlangen des Devolutionsantrages in der Sache selbst und wird gegen ihre Entscheidung Berufung erhoben, so ist ihr Bescheid gemäß § 66 Abs 4 und nicht gemäß § 68 Abs 4 lit a AVG 1905 wegen Unzuständigkeit zu beheben. |
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RS 2 | Bestellung zum Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft schließt ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 4 Abs 2 ASVG aus. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Pichler, Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Dworak, über die Beschwerde 1) des Bankhauses X-AG in W, 2) des GH in W, beide vertreten durch Dr. Othmar Schöniger-Hekele, Rechtsanwalt in Wien VII, Museumstraße 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom , Zl. 126.571/2-6/1978, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1) Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, Wien I, Wipplingerstraße 28, 2) Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wien XX, Adalbert-Stifter-Straße 65,
3) Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Wien V, Blechturmgasse 11, und 4) Landesarbeitsamt Wien, Wien I, Weihburggasse 30), nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Othmar Schöniger-Hekele, des Vertreters der belangten Behörde, Ministerialrat Mag. BL, des Vertreters der erstmitbeteiligten Partei, Dr. GZ, und des Vertreters der viertmitbeteiligten Partei, VB Mag. GB, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Bund zu gleichteiligen Lasten Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 3.100,-- und der Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte Aufwendungen in der Höhe von S 11.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am meldete die Erstbeschwerdeführerin den Vorsitzenden ihres Vorstandes, den Zweitbeschwerdeführer, rückwirkend mit bei der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte zur Sozialversicherung an. Mit Bescheid vom stellte diese Gebietskrankenkasse fest, daß der Zweitbeschwerdeführer ab zur Erstbeschwerdeführerin in keinem die Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis stehe; die Anmeldung wurde abgelehnt. In der Begründung wurde ein Schreiben der Erstbeschwerdeführerin vom zitiert, wonach diese Aktiengesellschaft als Nachfolgerin der vorher bestandenen Kommanditgesellschaft in das Handelsregister Wien eingetragen worden sei; vertraglich sei bestimmt worden, daß der Komplementär der früheren Kommanditgesellschaft, der Zweitbeschwerdeführer, rückwirkend ab die Funktion als Vorstandsvorsitzender der Aktiengesellschaft ausübe. Nach Wiedergabe der Bestimmungen des § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG sowie des § 1 Abs. 1 lit. a AlVG 1958 wurde ausgeführt, der Zweitbeschwerdeführer unterliege hinsichtlich seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der Erstbeschwerdeführerin nicht der Vollversicherungspflicht, weil er vermöge seiner besonderen, auf Grund des Aktiengesetzes eingeräumten Stellung über eine persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit verfüge, welche sich wesentlich von der Stellung eines leitenden Angestellten unterscheide und der eines selbständigen Unternehmers nicht nachstehe.
Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer Einspruch, der am bei der Gebietskrankenkasse einlangte. Am stellten die beiden Einspruchswerber an den Bundesminister für soziale Verwaltung einen Antrag nach § 73 AVG 1950, weil der Landeshauptmann bis nun über den Einspruch nicht entschieden habe. Mit Bescheid vom - nachdem dem Landeshauptmann von Wien durch das Bundesministerium vom Devolutionsantrag Mitteilung gemacht worden war - wies der genannte Landeshauptmann den Einspruch als unbegründet ab und traf dieselbe Feststellung wie schon die Wiener Gebietskrankenkasse von ihrem oben angeführten Bescheid. Gegen den Bescheid des Landeshauptmannes erhoben sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer Berufung.
Mit Bescheid vom gab der Bundesminister für soziale Verwaltung "in Stattgebung des Antrages gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950" dem Einspruch der beiden Beschwerdeführer keine Folge und traf dieselbe Feststellung, wie seinerzeit die Gebietskrankenkasse in ihrem oben erwähnten Bescheid. Gleichzeitig hob der Bundesminister den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom gemäß § 73 Abs. 2 in Verbindung mit § 68 Abs. 4 lit. a AVG 1950 auf und wies die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der beiden Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unzulässig zurück. In der Begründung wird zunächst dargestellt, daß der Bescheid des Landeshauptmannes zu einer Zeit erging, als der Devolutionsantrag schon beim Bundesminister eingelangt war. Nach Zitat der §§ 73 und 68 Abs. 4 lit. a AVG 1950 wird ausgeführt, der Bescheid des Landeshauptmannes sei als von einer unzuständigen Behörde erlassen aus dem Rechtsbestand zu beseitigen gewesen; die dagegen erhobene Berufung sei als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
Die nunmehr zur Entscheidung über den Einspruch zuständige Behörde habe erwogen, daß der Zweitbeschwerdeführer mit zum Vorstandsvorsitzenden der Erstbeschwerdeführerin bestellt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung sei bei der Beurteilung der Versicherungspflicht eines Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft zwischen seiner Stellung als Organ der Aktiengesellschaft einerseits und als Dienstnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinn andererseits zu unterscheiden. Durch die Bestellung in den Vorstand einer Aktiengesellschaft komme somit ein zweifaches Rechtsverhältnis zustande, und zwar als Organ der Aktiengesellschaft aus dem Bestellungsakt und nachfolgend das Rechtsverhältnis aus dem Dienstvertrag. Jedoch verfüge das Vorstandsmitglied vermöge seiner besonderen Stellung als Mitglied des die Gestion der Gesellschaft bestimmenden Leitungs- und Führungsorganes über eine persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit, die der eines selbständigen Unternehmers gleichzuhalten sei. Dem Vorstand obliege auf Grund des Aktiengesetzes die Geschäftsführung und Vertretung der Aktiengesellschaft unter eigener Verantwortung. Weder Aufsichtsrat noch die Hauptversammlung seien weisungsberechtigt. Dem Vorstandsvorsitzenden komme jedenfalls - unabhängig davon, wer die Aktienmehrheit besitze - maßgeblicher Einfluß auf die Führung des Unternehmens zu. Zu den Einspruchsausführungen sei noch festzustellen, daß durch die dem Vorstand übertragenen Aufgaben auch der Vorstandsvorsitzende verpflichtet sei, bestimmte Agenden zu führen und bestimmte Arbeiten zu verrichten. Dies bedeute jedoch an sich noch keineswegs, daß das Vorstandsmitglied in entsprechender Unterordnung unter einen Dienstgeberwillen beschäftigt werde. Aus der übernommenen Verpflichtung bestimmte Aufgaben zu erfüllen, könne keinesfalls schon zwingend abgeleitet werden, daß damit eine entsprechende Unterordnung unter einen Dienstgeberwillen geschaffen worden sei und somit ein die Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis vorliege. Der Zweitbeschwerdeführer, der im übrigen selbst Aktionär der Erstbeschwerdeführerin sei, verfüge kraft seiner Stellung als Vorstandsvorsitzender über jene Position innerhalb der Aktiengesellschaft, welche ein Entstehen entsprechender Abhängigkeit (Unterordnung) ausschließe. Der Versicherungsträger habe somit das Bestehen der Versicherungspflicht zu Recht verneint.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die weiteren mitbeteiligten Parteien, die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten und das Landesarbeitsamt Wien, haben erklärt, keine Gegenschriften einzubringen; die weitere mitbeteiligte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach mündlicher Verhandlung zunächst über die Frage der Versicherungspflicht (erster Satz des Spruches des angefochtenen Bescheides) erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG sind in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer. Nach Absatz 2 dieses Paragraphen ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. Gemäß § 1 Abs. 1 lit. a des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) sind für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert (arbeitslosenversichert) Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind, soweit sie in der Krankenversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert oder selbstversichert sind.
Die Kriterien, die für die (überwiegende) Annahme persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im einzelnen beachtlich sind, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem grundlegenden Erkenntnis vom , Slg. N. F. Nr. 4495/A, ausführlich dargelegt und darnach in zahlreichen Erkenntnissen differenzierend weiter entwickelt. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom , Zl. 415/75, vom , Zlen. 1783, 1784/77, und vom , Zl. 1291/76) sind bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung des Gesamtbildes einer Beschäftigung für das Rechtsverhältnis der persönlichen Abhängigkeit des Beschäftigten vom Dienstgeber - im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem arbeitsrechtlichen Verständnis dieses Begriffes (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 2397/79, mit Angaben entsprechender Belegstellen) - allerdings als Ausdruck der weitgehenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit nur die Bindung an Ordnungsvorschriften über den Arbeitsort, die Arbeitszeit, das arbeitsbezogene Verhalten sowie die sich darauf beziehenden Weisungs- und -Kontrollbefugnisse und die damit eng verbundene (grundsätzliche) persönliche Arbeitspflicht unterscheidungskräftige Kriterien zur Abgrenzung von anderen Formen rechtlicher Gestaltung der Beschäftigung, wie jener des Werkvertrages und des freien Dienstvertrages (vgl. Erkenntnis vom , Zl. 2873/78).
Die Rechtsstellung des Mitgliedes des Vorstandes einer Aktiengesellschaft wird durch folgende Bestimmungen des Aktiengesetzes 1965, BGBl. Nr. 98 (AktG), charakterisiert:
Gemäß § 70 dieses Gesetzes hat der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen der Aktionäre und der Arbeitnehmer sowie des öffentlichen Interesses es erfordert. Nach Absatz 2 dieses Paragraphen kann der Vorstand aus einer oder mehreren Personen bestehen. Ist ein Vorstandsmitglied zum Vorsitzenden des Vorstands ernannt, so gibt, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, seine Stimme bei Stimmengleichheit den Ausschlag. Die Aktiengesellschaft wird in der in § 71 leg. cit. näher geregelten Weise durch den Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Nach § 74 leg. cit. ist Dritten gegenüber eine Beschränkung der Vertretungsbefugnis des Vorstandes unwirksam; jedoch ist der Vorstand der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, jene Beschränkungen einzuhalten, die die Satzung oder der Aufsichtsrat für den Umfang seiner Vertretungsbefugnis festgesetzt hat oder die sich aus einem Beschluß der Hauptversammlung nach § 103 des Gesetzes ergeben. Nach § 75 des Gesetzes bestellt der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder auf höchstens fünf Jahre. Wenn die Bestellung eines Vorstandsmitgliedes auf eine bestimmte längere Zeit, auf unbestimmte Zeit oder ohne Zeitangabe erfolgt, ist sie fünf Jahre wirksam. Eine wiederholte Bestellung ist zulässig; sie bedarf jedoch zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Bestätigung durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Diese Vorschriften gelten sinngemäß für den Anstellungsvertrag. Werden mehrere Personen zu Vorstandsmitgliedern bestellt, so kann der Aufsichtsrat ein Mitglied zum Vorsitzenden des Vorstandes ernennen. Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstandes widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Der Widerruf ist wirksam, solange nicht über seine Unwirksamkeit rechtskräftig entschieden ist. Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag werden hiedurch nicht berührt. Nach § 77 des Gesetzes kann den Vorstandsmitgliedern für ihre Tätigkeit eine Beteiligung am Gewinn gewährt werden, die in einem Anteil am Jahresgewinn zu bestehen hat. Nach § 79 des Gesetzes besteht für die Vorstandsmitglieder ein dort näher umschriebenes Wettbewerbsverbot. Nach § 80 des Gesetzes unterliegt die Kreditgewährung der Aktiengesellschaft an Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte der Gesellschaft besonderen Beschränkungen. Nach § 81 des Gesetzes hat der Vorstand dem Aufsichtsrat regelmäßig, längstens vierteljährlich, über den Gang der Geschäfte und die Lage des Unternehmens sowie dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates oder seinem Stellvertreter bei wichtigem Anlaß mündlich oder schriftlich zu berichten. Der Bericht hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen. Nach § 84 Abs. 1 des Gesetzes haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich augenscheinlich in seiner bisherigen Rechtsprechung mit der Frage der Versicherungspflicht solcher Vorstandsmitglieder noch nicht beschäftigt.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides erkennt an sich richtig, daß bei der Beurteilung der Versicherungspflicht eines Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft zwischen der Organstellung einerseits und der (ohne nähere Prüfung zunächst denkmöglichen) Stellung als Dienstnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinn andererseits zu unterscheiden ist; ferner, daß durch die Bestellung in den Vorstand einer Aktiengesellschaft ein zweifaches Rechtsverhältnis zustande kommt, einerseits das als Organ der Aktiengesellschaft aus dem Bestellungsakt, andererseits das Rechtsverhältnis aus dem - ebenso zunächst ohne nähere Prüfung denkbaren Dienstvertrag. Aber auch der weitere Gedanke der Begründung, daß das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft vermöge seiner besonderen Stellung über eine solche persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit verfügt, die es einem selbständigen Unternehmer gleichstellt, ist im Ergebnis richtig.
Die Rechtsnatur des im § 75 Abs. 1 am Ende AktG genannten Anstellungsvertrages - der nicht mit einem Vertrag auf Schaffung eines Rechtsverhältnisses nach dem Angestelltengesetz verwechselt werden darf - ist sehr umstritten. Schiemer, Handkommentar zum Aktiengesetz (Wien 1980) gibt auf Seite 251 ff die darüber vertretenen Meinungen wieder und schließt sich im Ergebnis der jüngst vertretenen Meinung des Obersten Gerichtshofes (Entscheidung vom , 2 Ob 356/74 = SZ 48/79 = EvBl 1976/66) an. Der Oberste Gerichtshof spricht - diesbezüglich genauer als die belangte Behörde - davon, daß nach herrschender Auffassung wohl bei der Bestellung und bei deren Widerruf eines Vorstandsmitgliedes zwischen der Organstellung und dem ihr zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vertragsverhältnis streng zu unterscheiden sei. Durch solche schuldrechtliche Verträge werde freilich nicht ein Dienstverhältnis im Sinne des Angestelltengesetzes begründet, weil Vorstandsmitglieder Unternehmerfunktionen zu erfüllen hätten. Das für Angestellte im Sinne des Angestelltengesetzes charakteristische Ein- und Unterordnungsverhältnis gegenüber einem weisungsbefugten Dienstgeber fehle. Die Unabhängigkeit des Vorstandes einer Aktiengesellschaft in Ausübung seiner Geschäftsführungstätigkeit von den anderen Organen der Gesellschaft, die sich in völliger Weisungsfreiheit äußere, stelle einen Wesenszug des österreichischen Aktiengesetzes dar und schließe damit grundsätzlich die Eigenschaft der Vorstandsmitglieder als Angestellte im Sinne des Angestelltengesetzes und als Dienstnehmer (Beschäftigte), etwa im Sinne des § 2 Abs. 2 ArbGerG aus. Eine allfällige Dienstvertragsklausel, daß das Dienstverhältnis, soweit nichts anderes vereinbart wurde, den Bestimmungen des Angestelltengesetzes unterliege, könne daher nur die Bedeutung haben, daß die Bestimmungen des Angestelltengesetzes zum Inhalt des Dienstvertrages gemacht worden seien, soweit ihnen nicht zwingendes Recht entgegenstehe. Schiemer erklärt an der angegebenen Stelle, dieser Auffassung grundsätzlich beizupflichten.
Auch der Verwaltungsgerichtshof schließt sich den oben zitierten Ausführungen des Obersten Gerichtshofes an. Hält man somit die gesetzliche Unabhängigkeit des Vorstandes einer Aktiengesellschaft für das entscheidende Kriterium, so lassen auch die von der Beschwerde herangezogenen anderen, zum Teil in der Rechtsprechung behandelten Kriterien eines Beschäftigungsverhältnisses an dieser Unterstellung nicht zweifeln. Zunächst ist der Vergleich mit dem geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung deshalb nicht zutreffend, weil ein solcher Geschäftsführer nicht die Unabhängigkeit eines Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft genießt (siehe § 20 Abs. 1 GmbHG; Kastner, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts3, Seiten 261, 263).
Auch der von der Beschwerde behauptete Gegensatz zwischen einerseits persönlicher Arbeitspflicht, andererseits genereller Vertretungsmöglichkeit gibt für die vorliegende Rechtsfrage nichts her. Das Aktiengesetz selbst sieht die Möglichkeit der Bestellung von Stellvertretern von Vorstandsmitgliedern vor (vgl. § 85 AktG; Schiemer a.a.O. Seite 303); doch ordnet § 85 AktG an, daß die Vorschriften für die Vorstandsmitglieder auch für ihre Stellvertreter gelten. Das bedeutet, daß auch ein Stellvertreter dieselbe oben aufgezeigte Unabhängigkeit genießt wie ein Vorstandsmitglied. Nun besagt aber der Umstand, daß bei der Erstbeschwerdeführerin generell keine Stellvertreter für Vorstandsmitglieder bestellt wurden, d.h. also, daß die Vorstandsmitglieder ihren Pflichten persönlich nachzukommen haben, nichts über ihre sonstige Unabhängigkeit, insbesondere auch ihre Weisungsungebundenheit.
Aus diesen Gründen hat die belangte Behörde die Rechtsfrage im Ergebnis richtig gelöst.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich des zweiten Satzes des Spruches des angefochtenen Bescheides erwogen:
Beim Hinweis des Beschwerdevertreters in der mündlichen Verhandlung, daß der Zweitbeschwerdeführer von den übrigen Organen der Erstbeschwerdeführerin abhängig und weisungsgebunden sei, wird übersehen, daß die seine Geschäftsführung betreffenden Befugnisse der übrigen Organe nicht zu Eingriffen dieser Organe in die für die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit charakteristischen Bereiche berechtigen. Der behaupteten faktischen Abhängigkeit des Zweitbeschwerdeführers von den übrigen Organen der Erstbeschwerdeführerin kommt im Hinblick auf die dargestellte rechtliche Unabhängigkeit für die sozialversicherungsrechtliche Wertung seiner Tätigkeit bei der Erstbeschwerdeführerin keine Bedeutung zu.
Wohl können gemäß § 68 Abs. 4 lit. a AVG 1950 Bescheide "außerdem" von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn sie von einer unzuständigen Behörde erlassen wurden; doch setzt die Anwendung dieser Bestimmung, wie überhaupt des ganzen § 68 AVG 1950, wie sich insbesondere aus der Wendung in seinem Absatz 1 "die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren" ergibt, voraus, daß der Bescheid in formeller Rechtskraft erwachsen ist (vgl. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 16.606/A; Mannlicher-Quell8, Seite 371, Anmerkung2; ferner die dort zitierte Fragenbeantwortung III, 26). Nun war aber der Bescheid des Landeshauptmannes in Rechtskraft erwachsen, vielmehr lag eine zulässige Berufung der beiden Beschwerdeführer vor. Die belangte Behörde hätte aus Anlaß der zulässigen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in der Sache selbst entscheiden, d.h. dem ausdrücklich in der Berufung erhobenen Einwand der Unzuständigkeit des Landeshauptmannes Rechnung tragen und dessen Bescheid deshalb aufheben müssen. Darnach wäre Raum für die Entscheidung der belangten Behörde in der Sache selbst über den Einspruch gewesen.
Diese Verletzung von Verfahrensvorschriften hätte aber zu keinem anderen Bescheid im Sinne des § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 führen können: Erfolgte die Verneinung der Versicherungspflicht des Zweitbeschwerdeführers ab zu Recht - wie oben dargelegt wurde -, so ist es unentscheidend, ob der Bescheid des Landeshauptmannes nun, wie durch den Bescheid des Bundesministers geschehen, ex nunc (vgl. Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 16.042/A; vom , Slg. N. F. Nr. 993/A; vom , Slg. N. F. Nr. 1607/A) beseitigt wurde oder ob dieser Bescheid, wie es die richtige Anwendung des § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergeben hätte, als nie erlassen anzusehen gewesen wäre.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 2 lit. b und Abs. 3, 48 Abs. 2 lit. a und d, Abs. 3 lit. b und d, 53 Abs. 1 letzter Satz, 59 Abs. 1 VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 4, 6, 7 und 8, Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 221.
Wien, am
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 10452 A/1981 |
Schlagworte | Verhältnis zu anderen Materien und Normen Devolution |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1981:1979003319.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAF-59310