Suchen Hilfe
VwGH 23.04.1980, 3114/79

VwGH 23.04.1980, 3114/79

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm
BAO §236 Abs1;
RS 1
Eine Abgabeneinhebung kann nicht nur dann unbillig sein, wenn die Einhebungsmaßnahmen als solche im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Abgabepflichtigen unbillig erscheinen, sondern auch in Fällen, in denen die Unbilligkeit bereits in der Abgabenvorschreibung begründet ist, ohne daß der Abgabenpflichtige die Möglichkeit hatte, die an sich dem Gesetz entsprechende Abgabenvorschreibung mit Erfolg zu bekämpfen. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, daß die Anwendung der Abgabenvorschriften im Einzelfall zu einem vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten nachteiligen Ergebnis führen (im Beschwerdefalle: Besteuerung des Gewinnanteiles eines beschränkt steuerpflichtigen ARGE-Partners aus einer mehrjährigen Bauführung mit über 200 Prozent als Folge einer von den ARGE-Mehrheitspartnern gewählten Bilanzierungsweise in Verbindung mit dem Ausschluß beschränkt Steuerpflichtiger vom Verlustvortrag gemäß § 102 Abs 1 EStG).

Entscheidungstext

Beachte

Besprechung in:

AnwBl 1981/5 ,S 232;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Karlik, Dr. Iro, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Mag. Gaismayer, über die Beschwerde der S, Rom, vertreten durch Dr. Johannes Hock, Rechtsanwalt in Wien I, Stallburggasse 4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 7-1836/79, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 3.250,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine italienische Kapitalgesellschaft mit Sitz in Rom, war in den Jahren 1969 bis 1978 als Partner der in weiterer Folge mit Z. bezeichneten ARGE "U-Bahn Karlsplatz" mit den aus dieser Beteiligung fließenden Einkünften in Österreich beschränkt steuerpflichtig. Das Beteiligungsausmaß betrug 7 %. Während für die Jahre 1969 bis 1971 ausgeglichen bilanziert wurde, erklärte die ARGE Z. für die Jähre 1972 bis 1974 Verluste, die der Beschwerdeführerin anteilsmäßig mit S 36.854,-- für 1972, S 893.997,-- für 1973 und S 1,647.621,-- für 1974 zugerechnet wurden. Für die Jahre 1975 bis 1978 wurden in den Bilanzen der ARGE Z. Gewinne ausgewiesen.

Die Gewinnanteile der Beschwerdeführerin betrugen S 1,246.336,-- für 1975, S 647.799,-- für 1976, S 1,493.205,-- für 1977 und S 2.931,-- für 1978. Da die Beschwerdeführerin in Österreich beschränkt steuerpflichtig war, konnten jedoch die einzelnen Verluste nicht vorgetragen werden, sodaß sie letztlich vollkommen unberücksichtigt blieben und die Körperschaftsteuer mit rund S 1,800.000,-- vorgeschrieben wurde, obwohl der aus der Beteiligung an der ARGE Z. per Saldo erzielte Gewinnanteil nur etwa S 800.000,-- betragen hatte (Summe der Gewinnanteile rund S 3,400.000,-- abzüglich der Verlustanteile von rund S 2,600.000,--).

Aus diesem Grund beantragte die Beschwerdeführerin, ihr Körperschaftsteuer in Höhe von S 1,426.175,-- nachzusehen. Der nachzusehende Betrag ergab sich aus einer Gegenüberstellung der vorgeschriebenen Körperschaftsteuer mit jener Körperschaftsteuer, die unter Berücksichtigung der Verluste zu entrichten gewesen wäre. Die für eine Nachsichtsgewährung vorausgesetzte Unbilligkeit erblickte die Beschwerdeführerin darin, daß sich die Verluste infolge eines "Bilanzierungswahlrechtes" ergeben hätten, das von den Majoritätsgesellschaftern der ARGE ohne Rücksicht darauf ausgeübt worden war, daß die Verluste bei der mit nur 7 % beteiligten Beschwerdeführerin weder mit anderen positiven Einkünften ausgeglichen noch vorgetragen werden konnten. Hätte die Beschwerdeführerin die Bilanzierungsweise bestimmen können, dann hätte sie bis zur Baufertigstellung ausgeglichen bilanziert und erst im Jahr 1977 den Gesamtgewinn realisiert. Außerdem wies die Beschwerdeführerin auf das im Musterabkommen der OECD enthaltene Diskriminierungsverbot hin, daß in die meisten Abkommen Österreichs zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bereits Eingang gefunden habe und dazu führe, daß der Verlustvortrag in Durchbrechung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften auch beschränkt Steuerpflichtigen zustehe. Ein derartiges Abkommen sei auch mit Italien bereits seit längerer Zeit in Vorbereitung und werde möglicherweise sogar rückwirkend vereinbart werden.

Das Finanzamt wies das Nachsichtsansuchen mit der Begründung ab, daß Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage, die bei allen betroffenen Abgabepflichtigen gleich seien, keine Unbilligkeit begründe.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung und wies darauf hin, daß in ihrem Fall nicht die Rechtslage für sich allein, sondern im Zusammenwirken mit der von ARGE Z. gewählten Bilanzierungsweise zu einem unbilligen Ergebnis geführt habe, wobei zu beachten sei, daß diese Bilanzierungsweise von der sonst üblichen und auch vom rechtlichen und wirtschaftlichen Standpunkt aus angemessenen Bilanzierungsmethode abgewichen sei. Es werde nämlich allgemein die Auffassung vertreten, daß der Gewinn aus einem längerfristigen Bauvorhaben erst im Jahr der Fertigstellung bilanzmäßig ausgewiesen werden dürfe und bis dahin ausgeglichen zu bilanzieren sei.

Die belangte Behörde wies die Berufung ab und begründete dies damit, daß der Unbilligkeitstatbestand des § 236 Abs. 1 BAO auf die Einhebung abstelle. Eine unbillige Abgabenvorschreibung hingegen, etwa zufolge rechtspolitisch verfehlter gesetzlicher Bestimmungen oder wegen mangelhafter aber unbekämpft gebliebener Abgabenbescheide, biete keinen Anlaß für eine Nachsichtsmaßnahme. Der Umstand, daß die Beschwerdeführerin die von ihr behauptete Unbilligkeit nicht nur in der bestehenden Rechtslage (Ausschluß beschränkt Steuerpflichtiger von dem im § 18 EStG geregelten Verlustvortrag gemäß § 102 Abs. 1 EStG), sondern auch in der von der ARGE Z. gewählten Bilanzierungsmethode erblickt, sei unmaßgeblich, weil gerade die Bilanzierung als Ermittlungsgrundlage des Abgabenfestsetzungsverfahrens anzusehen sei, deren Infragestellung im Abgabennachsichtsverfahren nicht zum Erfolg verhelfen könne.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Wie bereits in der Berufung wird auch in der Beschwerde die Unbilligkeit nicht allein auf die Gesetzeslage, sondern auch auf die Bilanzierungsweise der ARGE Z. gestützt, die auf die unterschiedliche Interessenslage der an der ARGE beteiligten Unternehmungen zurückzuführen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Nun kann eine Abgabeneinhebung nicht nur dann unbillig sein, wenn die Einhebungsmaßnahmen als solche im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Abgabepflichtigen unbillig erscheinen, sondern auch in Fällen, in denen die Unbilligkeit bereits in der Abgabenvorschreibung begründet ist, ohne daß der Abgabepflichtige die Möglichkeit hatte, die an sich dem Gesetz entsprechende Abgabenvorschreibung mit Erfolg zu bekämpfen. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, daß die Anwendung der Abgabenvorschriften im Einzelfall zu einem vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten nachteiligen Ergebnis führen (vgl. Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnis vom , Zl. 582/72).

Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß der Beschwerdeführerin für einen Gewinn von rund S 800.000,-- Körperschaftsteuer in Höhe von rund S 1,800.000,-- vorgeschrieben wurde. Es kann auch nicht ernstlich bezweifelt werden, daß ein solches Ergebnis vom Gesetzgeber weder angestrebt noch im Einzelfall bewußt in Kauf genommen wird. Mit Recht verweist die Beschwerdeführerin darauf, daß dieses Ergebnis primär nicht auf den im § 102 Abs. 1 EStG normierten Ausschluß beschränkt Steuerpflichtiger von dem im § 18 EStG geregelten Verlustvortrag zurückzuführen ist. Vielmehr hat die ARGE Z. nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin anstelle einer ausgeglichenen Bilanzierungsweise drei Jahre hindurch Verluste und späterhin Gewinne aus ein und demselben Auftrag ausgewiesen. Folgt man den Ausführungen der Beschwerdeführerin weiter, so konnte diese ihr Interesse an ausgeglichenen Bilanzen im Hinblick auf ihr Beteiligungsausmaß von nur 7 % den übrigen ARGE-Partnern gegenüber nicht durchsetzen. Die Beschwerdeführerin wäre nur dann in der Lage gewesen, den Ausweis von Verlusten in den Bilanzen der Jahre 1972 bis 1974 zu verhindern, wenn diese Bilanzierungsweise rechtswidrig gewesen wäre, sodaß die Beschwerdeführerin auch als Minderheitsgesellschafterin ihren Rechtsstandpunkt im Rechtsweg hätte durchsetzen können. Derartige Feststellungen hat die belangte Behörde aber nicht getroffen. Dem Hinweis der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung, daß die ARGE Z. "von der sonst üblichen und auch vom rechtlichen und wirtschaftlichen Standpunkt aus angemessenen Bilanzierungsmethode" abgewichen sei, kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu, weil sich diese Ausführungen nur auf die in den Jahren 1975 und 1976 möglicherweise zu Unrecht vorweggenommene Gewinnrealisierung, nicht jedoch auf den für den Beschwerdefall allein maßgebenden Ausweis von Verlusten für die Jahre 1972 bis 1974 beziehen können (vgl. die in diesem Zusammenhang von der Beschwerdeführerin zitierte Kommentarmeinung in Schubert-Pokorny-Schuch, Einkommensteuerhandbuch, S. 239). Was die Rechtmäßigkeit des Ausweises der Verluste betrifft, so wird weder die Rechtmäßigkeit der diesbezüglichen Vorgangsweise noch die Alternative einer ausgeglichenen Bilanz von der belangten Behörde bestritten.

Bei dieser Sachlage kann der belangten Behörde nicht gefolgt werden, wenn sie einerseits selbst die Rechtsansicht vertritt, daß die Besteuerung nach den gesetzlichen Vorschriften dann zu einer Nachsicht führen kann, wenn im konkreten Fall "besondere Umstände hinzutreten, die erkennen lassen, daß der mit der Besteuerung verbundene Vermögensnachteil ein Ergebnis zur Folge hat, das der Gesetzgeber nicht vorhersehen konnte und das eben in diesem Einzelfall als unbillig anzusehen ist", andererseits aber das Vorliegen solcher Umstände im Beschwerdefall verneint. Es kann nämlich dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, in Kauf genommen zu haben, daß die Inanspruchnahme von Bilanzierungswahlrechten bei Personenvereinigungen im Zusammenwirken mit einer diesbezüglich notwendigen einheitlichen Vorgangsweise aller Gesellschafter dazu führen kann, daß der Gewinnanteil eines Minderheitsgesellschafters einer mehr als 200 %igen Besteuerung unterworfen wird. Schlechthin unverständlich erscheinen in diesem Zusammenhang schließlich die Ausführungen der belangten Behörde, wonach Verluste - gemeint ist offensichtlich der durch die gegenständliche Abgabenvorschreibung eingetretene Vermögensnachteil der Beschwerdeführerin -, "mit denen jeder Unternehmer rechnen muß, also solche, die im Rahmen des gewöhnlichen Unternehmerwagnisses liegen, keine unbillige Härte begründen".

Da die belangte Behörde sohin zu Unrecht die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 542.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm
BAO §236 Abs1;
Sammlungsnummer
VwSlg 5478 F/1980
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1980:1979003114.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
QAAAF-59203