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VwGH 17.06.1981, 3097/80

VwGH 17.06.1981, 3097/80

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
StVO 1960 §16 Abs1 lita;
RS 1
Kann in den Phasen des Verkehrsablaufes dem Fahrzeuglenker im Hinblick auf eine bestimmte von ihm wahrnehmbare Straßensituation und Verkehrssituation die Möglichkeit einer Behinderung oder Gefährdung anderer Straßenbenützer oder ein Platzmangel für ein gefahrloses Überholen noch gar nicht bewußt werden und wird er etwa erst in der Schlußphase des Überholvorganges durch einen nicht rechtzeitig erkennbaren Gegenverkehr zu einem knappen Einordnen auf seiner Fahrbahnseite gezwungen, so erfüllt er den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs 1 lit a StVO nicht.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 0019/80 E VwSlg 10103 A/1980 RS 1
Norm
StVO 1960 §16 Abs1 lita;
RS 2
Zur Herstellung des Tatbestandes nach § 16 Abs 1 lit a StVO genügt eine abstrakte Gefährdung zur Behinderung (Hinweis E vom , Zl. 1232/66 und das E d. Zl. Os 117/67, ZVG 1968/318)
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2207/71 E RS 1
Norm
StVO 1960 §16 Abs1 lita;
RS 3
Der Lenker eines Kfz darf grundsätzlich nur dann überholen, wenn er in der Lage ist, die Überholstrecke zu überblicken und sich von der Möglichkeit eines gefahrlosen Überholens zu überzeugen. Er hat den Versuch eines Überholmanövers abzubrechen und sich wieder hinter das vor ihm fahrende Kfz einzureihen, sobald er auf der Überholstrecke ein Hindernis oder sonst die Möglichkeit einer Gefährdung erkennt. (Hinweis auf OGH ZVR 1968/199)
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 0645/76 E RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Baumgartner, Dr. Weiss und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Mag. Müller, über die Beschwerde des US in I, vertreten durch Dr. Peter Kaltschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, Lieberstraße 3, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. IIb2-V-473/3-1980, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.310,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Ein Beamter der Verkehrsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Tirol erstattete am auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmung die Anzeige, er und ein namentlich genannter Gendarmeriehauptmann hätten am gegen 18.55 Uhr bei der Ausweiche vor dem Zirlerberg wahrgenommen, wie der Beschwerdeführer als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws von Seefeld in Richtung Zirl fahrend in einer unübersichtlichen Linkskurve trotz eines entgegenkommenden Pkws einen ebenfalls in Richtung Zirl fahrenden Pkw überholt habe. Der Beschwerdeführer sei nach dem Überholvorgang etwa 50 m vor dem Gefahrenzeichen "16 % Gefälle" und der Zusatztafel 400 m scharf auf die rechte Fahrbahnseite gebogen, um einen Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Fahrzeug zu verhindern. In diesem Moment hätten die Bremsleuchten des in Richtung Seefeld unterwegs befindlichen Pkws kurz aufgeleuchtet. Deshalb sei der Beschwerdeführer bei der Ausweiche angehalten worden. Der Beschwerdeführer habe die Bezahlung eines Organmandates mit dem Bemerken, er habe beim Überholen niemand behindert, abgelehnt.

Am wurde das Verfahren von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gemäß § 29 a VStG an die Bundespolizeidirektion Innsbruck abgetreten.

Nach dem auf Grund eines Einspruches erfolgten Außerkrafttreten der gegen den Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretungen nach den §§ 16 Abs. 2 lit. b und 16 Abs. 1 lit. a StVO erlassenen Strafverfügung vom verantwortete sich dieser schriftlich am dahin gehend, daß unmittelbar nach der Ortsdurchfahrt Leithen vor ihm ein Pkw mit äußerst geringer Geschwindigkeit gefahren sei. Er sei auf diesen Pkw mit ca. 50 km/h aufgefahren und habe ihn auf der Geraden, die lang genug sei, ein langsam fahrendes Fahrzeug zu überholen, vor Beginn des Zirlerberges in einem Zuge überholt. Zum Zeitpunkt des Beginnes des Überholmanövers sei kein Gegenverkehr sichtbar gewesen. Erst als er eben dabei gewesen sei, das Überholmanöver zu beenden, sei in größerer Entfernung ein Gegenfahrzeug gekommen, welches aber durch ihn weder behindert noch zu einer Bremsung veranlaßt worden sei.

Auf Grund des Umstandes, daß ein vielleicht übervorsichtiger Fahrer aus irgendeinem Grund kurz auf die Bremse tippe, könne ihm kein Fehlverhalten zur Last gelegt werden. Es bedürfe der Vornahme eines Lokalaugenscheines.

Einem Bericht des Meldungslegers vom samt der diesem angeschlossenen Übersichtsskizze vom (ob maßstabgerecht ist nicht festgehalten) ist zu entnehmen, daß sich nach Angabe des Meldungslegers der auf ihn zufahrende Pkw des Beschwerdeführers in einer Entfernung von 123 m von seinem Standort im Zuge des Überholmanövers genau Seite an Seite mit dem zu überholenden Fahrzeug befand, als das entgegenkommende Fahrzeug von dieser Stelle nur noch ca. 50 m entfernt war. Wenn der Beschwerdeführer den Überholvorgang auf dem geraden Straßenstück vor der langgezogenen, unübersichtlichen Linkskurve ausgeführt hätte, wäre er vom Meldungsleger nicht angehalten worden, da man von der Ausweiche das gerade Straßenstück nicht einsehen könne. Die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges habe zwischen 50 und 60 km/h betragen, die des Beschwerdeführers etwa 80 km/h. Daß der Beschwerdeführer am Beginn seines Überholvorganges den entgegenkommenden Pkw nicht gesehen habe, sei verständlich, da man an dieser Stelle das Gegenfahrzeug etwa erst auf 80 m sehen könne.

Bei seiner Zeugenvernehmung vom bestätigte der Meldungsleger seine in der Anzeige gemachten Angaben, ohne auf den Bericht vom irgendwie Bezug zu nehmen.

Der Gendarmeriehauptmann deponierte am , daß von dem Parkplatz (Ausweiche) aus freie Sicht in Richtung Seefeld bis zur Fahrbahnkuppe vor Leithen bestanden habe. Es sei beobachtet worden, wie der aus Richtung Leithen kommende Beschwerdeführer trotz Gegenverkehr überholt habe, weshalb ein entgegenkommender Pkw nach rechts auf das Bankett gelenkt und stark abgebremst habe werden müssen (Aufleuchten der Bremslichter). Man habe das vorschriftswidrige Überholmanöver von Anfang bis zum Ende gut beobachten können, ebenso das beschriebene Fahrverhalten des entgegenkommenden Lenkers.

Von den Mitfahrern des Beschwerdeführers gab EK am an, daß der Beschwerdeführer glaublich den langsam fahrenden Pkw schon mit zwei Drittel der Fahrzeuglänge überholt gehabt habe, als aus der Gegenrichtung aus weiterer Entfernung ein Pkw gekommen sei. Der Beschwerdeführer sei normal auf die rechte Fahrspur gefahren und der entgegenkommende Pkw nicht zum Abbremsen veranlaßt worden.

Dr. PN deponierte am , er habe vom Beifahrersitz beobachtet, wie der Beschwerdeführer kurz nach der Ortschaft Leithen bei der ersten Sicht auf die Gerade (200 bis 300 m) ohne Gegenverkehr zu überholen begonnen habe, wobei das Fahrzeug auf ca. 70 km/h beschleunigt worden sei. Als sie bereits den mit einer Geschwindigkeit mit ca. 40 km/h fahrenden Pkw überholt gehabt hätten, habe er in etwa 150 m Entfernung einen Pkw wahrgenommen. Der Beschwerdeführer habe noch ordnungsgemäß auf die rechte Fahrbahnseite lenken können; für das entgegenkommende Fahrzeug habe keine Behinderung bestanden. Der Meldungsleger habe bei der Anhaltung erklärt, da das entgegenkommende Fahrzeug gebremst habe, nehme er an, daß es vom Beschwerdeführer behindert worden sei.

Der Beschwerdeführer verwies in seiner schriftlichen Stellungnahme vom insbesondere darauf, daß die Angaben der Beamten nicht übereinstimmen würden und ihre Wahrnehmungen aus der von ihnen genannten großen Entfernung über den Abstand sich gegenseitig nähernder Fahrzeuge für einen Schuldspruch nicht ausreichend sein könnten. Im übrigen sei auffällig, daß die Beamten weder das überholte Fahrzeug noch das entgegenkommende - am Ortsausgang Leithen sei aber eine weitere Beamtengruppe gestanden, mit der Sprechfunkkontakt bestanden habe -

angehalten hätten.

Die Zeugin EK deponierte am ergänzend, der Überholvorgang sei rasch vor sich gegangen, da das überholte Fahrzeug langsam unterwegs gewesen sei. Den Meldungsleger habe sie erst nach dem Überholvorgang wahrnehmen können.

Die weitere Insassin im Pkw des Beschwerdeführers ML gab am an, der Beschwerdeführer habe kurz nach der Ortstafel Leithen (Ortsende) überholt, wobei freie Sicht auf eine größere Entfernung (mehrere hundert Meter) bestanden habe, und kein Gegenverkehr gewesen sei. Erst als sich der Beschwerdeführer wieder auf die rechte Fahrbahnseite eingeordnet habe, sei ein Pkw entgegengekommen, der aber nicht behindert worden sei.

Der Beschwerdeführer verwies am darauf, er habe nach der Ortschaft Leithen, als er die erste Sicht auf die Gerade und die sehr leicht gezogene Linkskurve gehabt habe, den Fahrstreifen gewechselt, auf ca. 80 km/h beschleunigt und bei einer Sicht von über 200 m - ohne Gegenverkehr - überholt. Erst als er mit seinem Fahrzeug schon wieder auf der rechten Fahrbahnhälfte gewesen sei, sei der entgegenkommende Pkw in einer Entfernung von etwa 80 m aufgetaucht.

Am stellte die Bundespolizeidirektion Innsbruck das Strafverfahren in Ansehung der Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 2 lit. b StVO gemäß § 45 Abs. 1 lit. b VStG mit der Begründung ein, daß sich im Zuge des Ermittlungsverfahrens ergeben habe, daß der Beschwerdeführer den Überholvorgang an einer Stelle begonnen habe, wo die Straße auf 250 m gut eingesehen werden konnte, weshalb der Tatbestand eines vorschriftswidrigen Überholens im Bereich einer unübersichtlichen Linkskurve nicht gegeben sei.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom wurde der Beschwerdeführer weiters schuldig erkannt, er habe am um 18.55 Uhr unmittelbar nach der Ortsdurchfahrt von Leithen auf der Bundesstraße 313 auf Höhe des Kilometers 5,4 als Lenker des genannten Pkws während seiner Fahrt in Richtung Zirl trotz Gegenverkehr überholt, wodurch der Lenker eines entgegenkommenden Fahrzeuges behindert und zum Abbremsen genötigt worden sei, und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,-- (Ersatzarrststrafe von 3 Tagen) verhängt. Zur Begründung wurde nach ausführlicher Wiedergabe der Verantwortung des Beschwerdeführers und der Zeugenaussagen seiner Mitfahrer sowie Zitierung des § 16 Abs. 1 lit. a StVO vor allem ausgeführt, aus den Angaben der beiden Beamten und der Übersichtsskizze ergebe sich, daß sich der Beschwerdeführer in einer Entfernung von 123 m von ihrem Standpunkt auf der gleichen Höhe mit dem zu überholenden Fahrzeug befunden habe, als das Fahrzeug des Gegenverkehrs nur mehr 50 m entfernt gewesen sei. Die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges habe ca. 50 km/h, des Überholenden ca. 80 km/h betragen. Der Beschwerdeführer habe sein Fahrzeug hakenartig nach rechts auslenken müssen. Der entgegenkommende Lenker habe sichtlich (Aufleuchten der Bremslichter) seine Fahrgeschwindigkeit vermindern müssen. Da nach den übereinstimmenden Angaben die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers ca. 80 km/h betragen habe, somit in der Sekunde 22,33 m zurückgelegt würden, ergebe sich der zwingende Schluß, der Beschwerdeführer habe sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang hakenartig auf die rechte Fahrbahnseite lenken müssen, da sich die Fahrzeuge bei der Annahme, das entgegenkommende sei ursprünglich mit der gleichen Geschwindigkeit gefahren, nach ca. 1 Sekunde berührt hätten. Der Beschwerdeführer hätte den von ihm durchgeführten Überholvorgang zu Beginn der leicht nach links gezogenen Geraden nicht mehr durchführen dürfen, weil sich das entgegenkommende Fahrzeug schon zu weit genähert hätte.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer auf seine bisherige Verantwortung und darauf, daß die Erstbehörde offensichtlich davon ausgegangen sei, daß das Überholmanöver schon auf der Geraden erfolgt sei, die von den Beamten nicht hätte eingesehen werden können. Da die Gerade eine Länge von ca. 250 bis 300 m habe, habe der Überholvorgang, der ca. 100 m in Anspruch genommen habe, auf dieser ohne Behinderung des Gegenverkehrs leicht durchgeführt werden können. Die Erhebungen seien mangelhaft.

Der Meldungsleger berichtete über Aufforderung der belangten Behörde am schriftlich, er habe von seinem Standort aus die Straße in Richtung Leithen auf etwa 130 m einsehen können. Es wurden auch zwei Lichtbilder vorgelegt, aber offensichtlich keine Messungen in der Natur über die genaue Sichtweite durchgeführt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wurde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG (§ 24 VStG) insoweit Folge gegeben, als der Spruch zu lauten habe, der Beschwerdeführer habe am um 18.55 Uhr als Lenker seines Pkws auf der Bundesstraße 313 unmittelbar nach der Ortsdurchfahrt von Leithen in Fahrtrichtung Zirl ein mehrspuriges Fahrzeug überholt, obgleich dadurch andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere entgegenkommende, behindert oder gefährdet hätten werden können, und die Geldstrafe auf S 800,-- (Ersatzarreststrafe von 36 Stunden) herabgesetzt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei auf Grund der mehrfachen Stellungnahmen und Zeugenaussagen der beiden Beamten erwiesen, daß diese das Fahrzeug des Beschwerdeführers in der Endphase des unbestrittenen Überholmanövers erstmals auf eine Entfernung von 120 m wahrgenommen hätten. Von ihrem Standpunkt aus, der sich in Fahrtrichtung des Beschwerdeführers nach einer unübersichtlichen Linkskurve befinde, hätten sie die Bundesstraße in Richtung Leithen auf 130 m einsehen können. Nicht einsehbar sei jenes geradlinig verlaufende Straßenstück gewesen, auf dem der Beschwerdeführer das Überholmanöver begonnen und nach seiner Darstellung abgeschlossen habe. Es sei unwahrscheinlich, daß die Beamten den Beschwerdeführer wegen eines Überholmanövers, das sie nicht gesehen hätten, angehalten hätten. Die Aussagen der Mitfahrer des Beschwerdeführers seien daher weniger glaubwürdig. Gehe man von der Darstellung des Meldungslegers aus, dann erscheine der Beweis erbracht, daß sich das Überholmanöver des Beschwerdeführers bis in den Bereich der für ihn unübersichtlichen Linkskurve hingezogen und er somit hiefür die ihm zu Beginn des Überholvorganges zur Verfügung stehende Sichtstrecke praktisch zur Gänze in Anspruch genommen habe. In jeder Phase des Überholvorganges sei daher mit dem Auftreten von Gegenverkehr zu rechnen gewesen. Bereits zu Beginn des Überholvorganges hätte der Beschwerdeführer erkennen müssen, daß angesichts der ihm zur Verfügung stehenden Sichtstrecke, bei der Geschwindigkeit des zu überholenden Fahrzeuges bzw. des zu erreichenden Geschwindigkeitsunterschiedes der Überholvorgang nicht rechtzeitig hätte abgeschlossen werden können, sodaß mit der Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung entgegenkommender Fahrzeuge gerechnet werden mußte. Ob es wirklich zu einer Behinderung eines Gegenfahrzeuges gekommen sei bzw. ob dieses bei Beginn des Überholvorganges zu sehen gewesen sei, sei nicht ausschlaggebend. Wenngleich die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges bzw. die Überholgeschwindigkeit nicht eindeutig erhebbar gewesen seien, sei die Tatsache, daß sich der Überholvorgang bis an das Ende der zunächst einsehbaren Strecke hingezogen habe, Beweis genug dafür, daß dieser unter Verhältnissen eingeleitet worden sei, die die Möglichkeit einer Behinderung des Gegenverkehrs nicht ausschlossen. Daran ändere auch nichts, daß es fraglich erscheine, ob der Meldungsleger auf eine Entfernung von 120 bis 130 m Sichtweite sehen konnte, ob es tatsächlich zu einer Behinderung des Gegenverkehrs gekommen sei; das Aufleuchten der Bremslichter sei nicht Beweis genug. Eine tatsächlich eingetretene Behinderung könne nicht als erwiesen angenommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift unter bloßer Wiederholung der Begründung des angefochtenen Bescheides beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bekämpft die Feststellungen der belangten Behörde, insbesondere deren Annahme, es habe für das Überholmanöver nicht die erforderliche Sicht bestanden, weshalb er jederzeit mit der Möglichkeit einer Behinderung oder Gefährdung eines entgegenkommenden Fahrzeuges habe rechnen müssen, indem er vorbringt, daß die Sachverhaltsermittlung unzureichend geblieben sei, zumal die Vornahme des von ihm beantragten Lokalaugenscheines unterlassen worden sei, und die Feststellungen der belangten Behörde in der Aktenlage keine Deckung fänden.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist der angefochtene Bescheid nicht mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weil eine solche im Sinne des § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 nur dann vorliegt, wenn die Behörde das Gesetz, das sie auf den von ihr angenommenen Sachverhalt zur Anwendung bringt, falsch auslegt, nicht aber, wenn der von ihr angenommene Sachverhalt zur Wirklichkeit in Widerspruch steht. (Vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2317/77, auf welches wie hinsichtlich der weiteren zitierten, nicht veröffentlichten Entscheidungen unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes BGBl. Nr. 45/1965 verwiesen wird.)

Der Beschwerde kommt jedoch unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Berechtigung zu.

Gemäß § 16 Abs. 1 lit. a StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist. Der nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO strafbare Tatbestand besteht darin, daß der Lenker eines Fahrzeuges einen Überholvorgang ungeachtet dessen, daß andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten, durchführt, d. h. mit dem überholen beginnt oder dieses nicht abbricht, solange dies noch möglich ist. Der Inhalt der Bestimmung des § 16 Abs. 1 lit. a StVO bezieht sich tatbestandsmäßig nicht auf eine am Ende eines Überholvorganges eintretende Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer - wenngleich dies die Folge eines unerlaubten Überholmanövers sein kann -, sondern auf ein, dem überholenden Fahrzeuglenker erkennbares Gefährden - oder Behindern - Können bzw. einen Platzmangel. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 19/80.) Es genügt eine abstrakte Gefährdung oder Behinderung, also die bloße Möglichkeit einer solchen. (Vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 1751/68, und vom , Zl. 2207/71.) Daraus ergibt sich, daß der Lenker grundsätzlich nur dann überholen darf, wenn er in der Lage ist, die Überholstrecke zu überblicken und sich von der Möglichkeit eines gefahrlosen überholens zu überzeugen, und daß er den Versuch eines Überholmanövers abzubrechen und sich wieder hinter das vor ihm fahrende Fahrzeug einzureihen hat, sobald er auf der Überholstrecke ein Hindernis oder sonst die Möglichkeit einer Gefährdung erkennt. (Vgl. z.B. das vom Beschwerdeführer zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 645/76, und die dort zitierte weitere Judikatur.)

Die belangte Behörde hat im Gegensatz zur Erstbehörde nicht als erwiesen angenommen, daß der Beschwerdeführer das entgegenkommende Fahrzeug konkret behindert hätte, und ist diesbezüglich den Angaben der Gendarmeriebeamten nicht gefolgt. Sie ging vielmehr davon aus, daß sich das Überholmanöver des Beschwerdeführers bis in den Bereich einer für ihn unübersichtlichen Linkskurve hingezogen und er somit die ihm hiefür zu Beginn des Überholvorganges zur Verfügung stehende Sichtstrecke praktisch zur Gänze in Anspruch genommen habe, also den Gegenverkehr nicht berücksichtigt habe, obwohl er schon bei Beginn des Überholvorganges bei richtiger Einschätzung der Situation hätte erkennen müssen, daß angesichts der ihm zur Verfügung stehenden Sichtstrecke bzw. der Geschwindigkeit des zu überholenden Fahrzeuges usw. mit der Möglichkeit der Behinderung des Gegenverkehrs gerechnet werden mußte.

Sie stützte das Fehlen einer erforderlichen Sicht auf die Angaben der beiden Beamten, wonach diese von ihrem Standpunkt aus nur eine Sicht von rund 130 m in die Richtung, aus der der Beschwerdeführer kam, gehabt und sie in rund 120 m Entfernung die Endphase seines Überholmanövers wahrgenommen hätten.

Hingegen hat sich der Beschwerdeführer schon im Verwaltungsstrafverfahren damit verantwortet, daß er von Beginn des Überholmanövers an, das auf der vor der leichten Linkskurve befindlichen Geraden begonnen worden sei, eine ausreichende Sicht von mindestens 200 m gehabt habe, er aber in Anbetracht der eingehaltenen Geschwindigkeiten zum überholen nur eine Strecke von rund 100 m benötigt habe, also der Überholvorgang auf etwa der halben von ihm eingesehenen Wegstrecke habe beendet werden können. Er hat auch hiefür die Durchführung eines Lokalaugenscheines beantragt.

Die Meinung der belangten Behörde, ihre Feststellungen auf die Angaben der beiden Beamten stützen zu können, erweist sich jedoch als nicht schlüssig. Bedeutet doch der Umstand, daß die Beamten von ihrem Standort aus nur eine Sicht von 130 m gehabt hätten, nicht, daß nicht etwa 20 oder 30 m weiter (näher in Richtung Leithen) bereits eine weitaus größere Sichtweite bestanden hat, die mit der Verantwortung des Beschwerdeführers und den Angaben seiner Zeugen in Einklang zu bringen wäre. Überdies lassen auch die der belangten Behörde mit Bericht vom vorgelegten Bilder, wenn man die Meterangaben betreffend die verschiedenen Verkehrszeichen in der vorhandenen Übersichtsskizze vom vergleicht, nicht von vornherein ausschließen, daß nicht sogar für die Beamten selbst von ihrem Standpunkt aus eine weitere Sicht bestand. Des weiteren kann nach ho. Ansicht zumindest nach dem Wortlaut der Zeugenaussage des Gendarmeriehauptmannes nicht von einer vollen Übereinstimmung mit der des Meldungslegers insbesondere auch in Ansehung der Sichtweite gesprochen werden (vgl. die Sachverhaltsdarstellung). Vielmehr läßt der Wortlaut der Aussage des Gendarmeriehauptmannes eher den Schluß zu, daß schon von seinem Standpunkt aus eine weitere Sicht bestanden hat. Auf Grund all dieser Umstände hätte es daher, um eine objektive und sichere Sachverhaltsermittlung zu ermöglichen, der Durchführung eines Lokalaugenscheines, allenfalls sogar unter Beiziehung eines Amtssachverständigen aus dem Verkehrsfach bedurft, um die Verantwortung des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der gegebenen Sichtverhältnisse und der eingehaltenen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge (des Beschwerdeführers und des überholten) - Feststellungen darüber wurden von der belangten Behörde überhaupt nicht getroffen - einer fachkundigen Überprüfung unterziehen bzw. die für einen Schuldspruch erforderliche Feststellung treffen zu können, daß dem Beschwerdeführer erkennbar gewesen sei, daß zufolge seines Fahrverhaltens bei der gegebenen Situation für das (tatsächlich) entgegenkommende Fahrzeug eine abstrakte Gefährdung oder Behinderung bestanden habe.

Als verfehlt erweist sich allerdings die Meinung des Beschwerdeführers, schon allein daraus, weil die Beamten sein Fahrzeug auf 130 m gesehen hätten, ergebe sich die Richtigkeit seiner Verantwortung; besagt dies doch, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, noch keinesfalls, welche Sichtweite für ihn am Beginn seines Überholmanövers bestanden hat.

Alle diese Ausführungen zeigen somit, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, zumal der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Aufklärung bedarf bzw. Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG 1965 aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I A Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. Das über den Ersatz von Stempelgebühren für die in zweifacher Ausfertigung erforderliche Beschwerde (je Ausfertigung S 70,--), die Vollmacht (S 70,--) und den in einfacher Abschrift vorzulegenden angefochtenen Bescheid (je Bogen S 20,--, zusammen somit S 40,--) hinausgehende Mehrbegehren war gemäß § 58 VwGG 1965 abzuweisen.

Wien, am

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Norm
StVO 1960 §16 Abs1 lita;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1981:1980003097.X00
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VAAAF-59194