VwGH 22.05.1980, 3064/78
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Norm | BebauungsgrundlagenG Slbg 1968 §14 Abs1 litb |
RS 1 | Nicht jede auch nur theoretische Möglichkeit eines Lawinenabganges (etwa im Falle ganz außergewöhnlicher Verhältnisse) führt schon zur Annahme, daß ein Grundstück im "Gefährdungsbereich" von Lawinen im Sinne des § 14 Abs 1 lit b liegt, vielmehr muß eine Gefährdung durch Lawinen so sehr im Bereiche praktischer Möglichkeit liegen, daß vernünftig denkende Menschen von einer Bebauung dieses Grundstückes Abstand nehmen (Hinweis E , 0583/76, VwSlg 9237 A/1977). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Lehne und die Hofräte Dr. Straßmann, DDr. Hauer, Dr. Würth und Dr. Weiss als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Dworak, über die Beschwerde der T Gesellschaft mbH in M, vertreten durch Dr. Josef Georg Schnirch, Rechtsanwalt in Tamsweg, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom , Zl. 1.02-17.377/1-1978, betreffend Bauplatzerklärung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 3.230,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom versagte die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau die von der Beschwerdeführerin beantragte Bauplatzerklärung für einen Teil der Grundparzelle 519/2, KG. U, gemäß § 14 Abs. 1 lit. b Bebauungsgrundlagengesetz 1968. Begründend verwies die Behörde auf das Schreiben der Wildbach- und Lawinenverbauungsgebietsbauleitung „Lammer-Ennsgebiet“, wonach vom Standpunkt der Beurteilung des Grundstückes hinsichtlich einer allfälligen Gefährdung durch die sogenannte „Gamsleiten Lawine“ im wesentlichen festgestellt worden sei, daß der Bereich der Talstation des Kirchbühelliftes, deren bauliche Vergrößerung mit dem vorliegenden Ansuchen angestrebt werde,. im Zuge der Vorbegutachtung als lawinengefährdete Zone erhoben und festgestellt worden sei. Dem Gutachter sei bekannt geworden, daß in der Zwischenkriegszeit (1926) die Gamsleitenlawine in der Mulde des Kirchbühelliftes bis zur Taurach vorgedrungen sei. Gleichzeitig sei vom Gutachter eingeräumt worden, daß zwar vor allem der südliche Teil der Grundparzelle lawinengefährdet sei, es sich aber um sehr seltene Ereignisse handle. Unter der Auflage, daß bei Lawinengefahr alle Personen den gesamten Liftbereich, insbesondere die Talstation, zu verlassen hätten, könne einer Bebauung zugestimmt werden, wenngleich für das Gebäude selbst keine absolute Sicherheit gegeben werden könne. In der Gegenäußerung der Beschwerdeführerin seien die Feststellungen des lawinentechnischen Sachverständigen hauptsächlich insofern bekämpft worden, als daraus nicht genau hervorgehe, ob aus den entsprechenden Merkmalen in der Natur die konkrete Gefährdung des gegenständlichen Grundstückes abzuleiten wäre. Außerdem könne durch vage Angaben über einen Lawinenabgang im Jahre 1926 die tatsächliche Gefährdung der zur Bebauung vorgesehenen Grundfläche durch Lawinen weder zeitlich noch örtlich konkret nachgewiesen werden. Schließlich seien entlang der Katschberg-Bundesstraße Lawinen zu Tal gegangen, wo man vorher Siedlungen geplant hätte, da offenbar solche Gegenden durch Jahrhunderte hindurch als lawinensicher bekannt gewesen seien.
Mit Schreiben vom habe dagegen die Wildbach- und Lawinenverbauung ausgeführt, daß im Gutachten vom ausdrücklich auf die von einem verläßlichen Gewährsmann aus Obertauern, der aus begreiflichen Gründen ungenannt bleiben wolle, erteilte Information hingewiesen worden sei, damit habe ein belegbares Ereignis für die in der Natur klar erkennbare Möglichkeit eines Lawinenabganges im Bereich der Grundparzelle 519/2, KG. U, angeführt werden können. Im Gutachten sei dabei der Verlauf dieser Lawine ziemlich genau angegeben worden. Daher sei in der Natur klar zu erkennen, daß die Grundparzelle 519/2 durch eine aus dem Gebiet der Gamsleiten kommenden Lawine erreicht werden könne. Die Geländeausbildung bei der B Almhütte, die bereits durch Lawinen zerstört worden sei, mache eine Umlenkung gegen die Mulde südwestlich des Kirchbühelliftes und damit ein Vordringen in den Bereich der Talstation des Kirchbühelliftes möglich. Über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses könnten nur vage Angaben gemacht werden. 1951 sei sie nicht ganz bis zur Talstation des Kirchbühelliftes vorgedrungen. Auf Grund der Geländeausbildung und den Angaben über bereits erfolgte Lawinenabgänge sei daher die Lawinengefährdung der Grundparzelle 519/2 festgestellt worden.
In der Stellungnahme dazu habe der Vertreter der Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, daß der erwähnte Gewährsmann durchaus bekannt sei, aber über den genauen Ablauf des vor 50 Jahren vorgefallenen Lawinenabganges nur vage Angaben möglich seien. Über die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Lawinenabganges könnten ebenfalls nur vage Angaben gemacht werden, im Hinblick darauf, daß trotz wiederholter schwerer Winter und umfangreicher Lawinenabgänge im Gebiet von Obertauern eine Wiederholung dieses Lawinenabganges nicht eingetreten sei, erscheine die Bauplatzerklärung gerechtfertigt.
Die Behörde erster Instanz kam daher zum Ergebnis, daß eine grundsätzliche Gefährdung des für den Bauplatz vorgesehenen Grundstückes durch die Gamsleiten Lawine jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, strittig bzw. vage erscheine lediglich die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses. Da der lawinentechnische Gutachter bei der Erstellung des Gutachtens von vornherein nur die Möglichkeit gehabt habe, auf allfällige bekannte historische Ereignisse einerseits sowie geländemorphologische Gegebenheiten andererseits abzustellen, sehe die Bauplatzbehörde keinen Grund, unter diesen Aspekten an der Schlüssigkeit der Feststellung der Gebietsbauleitung „Lammer-Ennsgebiet“ zu zweifeln.
Gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz Bebauungsgrundlagengesetz 1968 sei die Bauplatzerklärung zu versagen, wenn die Grundfläche vom Standpunkt des öffentlichen Interesses für die Bebauung ungeeignet erscheine, also etwa wenn die Grundfläche infolge ihrer Bodenbeschaffenheit oder weil sie im Gefährdungsbereich von Hochwasser, Lawinen, Murgängen, Steinschlag und dergleichen gelegen sei, eine Bebauung nicht zulasse (lit. b). Aus diesem Wortlaut sei nicht zu ersehen, daß der Gesetzgeber nur einen Personenschutz bezwecke, vielmehr normiere er das öffentliche Interesse an der grundsätzlichen Nichtbebauung von Grundflächen, die im Gefährdungsbereich u.a. von Lawinen gelegen seien, wobei über Ausmaß und Art der Gefährdung keinerlei Differenzierung im Gesetz getroffen seien. überdies könne aber auch eine Gefährdung von Personen nicht absolut ausgeschlossen werden, zumal die Beschwerdeführerin selbst auf Fälle verweise, wonach auch in Gegenden, die offenbar durch Jahrhunderte als lawinensicher bekannt gewesen seien, dann doch Lawinen zu Tal gegangen seien.
In der Berufung rügte die Beschwerdeführerin vor allem, daß in einem ordnungsgemäß durchzuführenden Verfahren nicht Angaben einer unbekannt bleibenden Person verwendet werden könnten, wobei die Beschwerdeführerin überdies nicht einsehe, warum die - bereits bewilligte und erbaute - Talstation des Liftes zwar nicht lawinengefährdet sein solle, wohl aber der daran angebaute Teil zur Unterbringung eines Schneeräumungsgerätes.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung als unbegründet ab, wobei sie davon ausging, daß die Beschwerdeführerin in der Stellungnahme den Inhalt des Gutachtens nicht bestritten hätte. Da das dem Bescheid erster Instanz zugrunde gelegte wildbach- und lawinenbautechnische Sachverständigengutachten ausdrücklich festhalte, daß die Grundfläche im Gefährdungsbereich von Lawinen gelegen sei, welcher Umstand auch von der Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden sei, habe die Bauplatzerklärung gemäß § 14 Abs. 1 Bebauungsgrundlagengesetz, wonach der Baubehörde kein Ermessen eingeräumt werde, die Bauplatzerklärung versagt werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Aus den Ausführungen ergibt sich, daß sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht verletzt erachtet, die beantragte Bauplatzerklärung bewilligt zu erhalten.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 14 des Bebauungsgrundlagengesetzes, LGBl. Nr. 69/1968 (BGG), in der nach wie vor geltenden Fassung lautet:
„(1) Die Bauplatzerklärung ist zu versagen, wenn die Grundfläche vom Standpunkt des öffentlichen Interesses für die Bebauung ungeeignet erscheint. Dies ist der Fall, wenn .......
b) die Grundfläche infolge ihrer Bodenbeschaffenheit oder weil sie im Gefährdungsbereich von Hochwasser, Lawinen, Murgängen, Steinschlag und dergleichen gelegen ist, eine Bebauung nicht zuläßt; ......“
In diesem Zusammenhang ist also zunächst die Bedeutung des unbestimmten Gesetzesbegriffes „Gefährdungsbereich“ zu prüfen. Den Verwaltungsbehörden ist nun zuzugeben, daß das Gesetz zwischen einer Gefährdung von Personen oder Sachen nicht unterscheidet. Daraus ergibt sich jedoch noch nicht, daß jede auch nur theoretische Möglichkeit eines Lawinenabganges (etwa im Falle ganz außergewöhnlicher Verhältnisse) schon dazu führen soll, einen „Gefährdungsbereich“ von Lawinen anzunehmen. Der Begriff „Gefährdungsbereich“ darf nämlich nicht isoliert vom Zusammenhang der gesamten Norm verstanden werden; darnach ist maßgeblich, daß „die Grundfläche“ eine Bebauung „nicht zuläßt, weil sie im Gefährdungsbereich ...... von Lawinen ...... gelegen ist“. Dies kann daher nur dahin verstanden werden, daß der Versagungsgrund des § 14 Abs. 1 lit. b BGG dann vorliegt, wenn eine Gefährdung durch Lawinen immerhin so sehr im Bereiche praktischer Möglichkeit liegt, daß vernünftig denkende Menschen von einer Bebauung dieses Grundstückes Abstand nehmen. In diesem Zusammenhang sei auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 583/76 - unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965 -, verwiesen, wonach auch bei der Auslegung des Begriffes „Bedrohung durch Hochwasser“ im § 11 Abs. 2 des Tiroler Raumordnungsgesetzes die Berücksichtigung dieser Bedrohung vom Ausmaß der Gefahr und von der Häufigkeit des Auftretens von Hochwässern abhängig ist. In diesem Sinn kann daher nicht schon jedes Grundstück, das nicht unter allen Umständen absolut lawinensicher ist, als im „Gefährdungsbereich“ von Lawinen im Sinne des § 14 Abs. 1 lit. b BGG gelegen angesehen werden.
Die belangte Behörde hat nun im angefochtenen Bescheid keine eigene Wertung, wie sie nach obigen Ausführungen erforderlich ist, vorgenommen, sondern sich auf das Ergebnis des Sachverständigengutachtens berufen, nach dem das Grundstück im „Gefährdungsbereich“ von Lawinen gelegen sei. Aufgabe der Behörde wäre es jedoch gewesen, im Sinne der obigen Ausführungen Feststellungen über Lawinenabgänge und deren Möglichkeit zu treffen, durch die der zu verbauende Grundstücksteil gefährdet sein könnte; erst auf Grund dieser Sachverhaltsfeststellungen könnte die rechtliche Qualifikation vorgenommen werden, ob die Grundfläche eine Bebauung nicht zulasse, weil sie im Gefährdungsbereich von Lawinen gelegen sei.
Schon damit hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften (insbesondere die §§ 37 und 60 AVG 1950) verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Die belangte Behörde hat überdies - im Gegensatz zur Baubehörde erster Instanz - entgegen der Aktenlage angenommen, daß die Beschwerdeführerin das Gutachten nicht entsprechend bekämpft hat. Die Beschwerdeführerin hat jedoch sogar ausdrücklich in der Berufung die Befundaufnahme durch den lawinentechnischen Sachverständigen als nicht dem Gesetz entsprechend gerügt, weil dieser Befund auf Grund anonym gebliebener Angaben beruhe; da die Beschwerdeführerin ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die dem Befund zugrunde gelegten Angaben über den Lawinenabgang 1926 viel zu vage seien, um daraus Schlüsse für einen möglichen neuerlichen Lawinenabgang ableiten zu können, hätten die Verwaltungsbehörden gemäß §§ 37 und 39 Abs. 2 AVG 1950 den Gewährsmann des Sachverständigen ermitteln und als Zeugen über die konkreten Umstände des seinerzeitigen Lawinenabganges vernehmen müssen. Erst die Ergebnisse einer derartigen unter Wahrheitspflicht abgegebenen Vernehmung hätten dem Befund des Sachverständigen zugrunde gelegt werden dürfen. Die belangte Behörde hat daher auch dadurch, daß sie trotz ausdrücklicher Rüge in der Berufung mit einer aktenwidrigen Begründung die Ergänzung der Beweisaufnahme nicht veranlaßte, Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 1 bis 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 542/1977; die von der Beschwerdeführerin überdies verzeichnete Umsatzsteuer ist bereits im pauschalierten Verhandlungsaufwand enthalten; der Ersatz von Gebühren kann nur im notwendigen Ausmaß (also nicht für die nicht erforderliche Zweitausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuerkannt werden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | BebauungsgrundlagenG Slbg 1968 §14 Abs1 litb |
Schlagworte | Lawinengefahr |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1980:1978003064.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAF-59169