VwGH 30.11.1981, 2946/79
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Norm | FamLAG 1967 §8 Abs5 idF 1973/023; |
RS 1 | Kinder sind nicht deswegen ERHEBLICH BEHINDERT iSd § 8 Abs 5 FamLAG idF BGBl 1973/23, weil sie regelmäßig Medikamente einnehmen und sich ärztlichen Kontrollen unterziehen müssen. Das Leiden oder Gebrechen darf nicht so einfach ganz oder fast ganz behoben werden können, soll eine erhebliche Behinderung bejaht werden. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Pokorny, Dr. Wetzel und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Ratz, über die Beschwerde des AK in W, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Rechtsanwalt in Wien I, Ebendorferstraße 7, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 5-1554/2/79, betreffend Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer begehrte mit Anträgen vom 12. und die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für seine Kinder Christian (geboren am 3. September JJJJ) und Alois (geboren am 26. Jänner JJJJ). Der Sohn Christian ist seit Tischlerlehrling, der Sohn Alois besucht die Pflichtschule. Die erhebliche Behinderung der beiden Kinder wurde durch den Gemeindearzt der Gemeinde W., der die Funktion des Schularztes bekleidet, bestätigt. Beim Sohn Alois wurde eine cerebrale Anfallsneigung, beim Sohn Christian eine mäßiggradige cerebrale Anfallsbereitschaft bescheinigt. Diese schulärztlichen Zeugnisse sowie die dazugehörenden Befunde legte das Finanzamt M. der Gesundheitsabteilung der Bezirkshauptmannschaft zur Ergänzung bzw. zur Stellungnahme vor. Der Amtsarzt kam unter Bedachtnahme auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten EEG-Befunde zu dem Urteil, bei beiden Kindern des Beschwerdeführers könne von einer dauernden und wesentlichen Beeinträchtigung der Berufsausbildung nicht gesprochen werden. Beim Sohn Alois sei nach diesen Befunden eine Normalisierung der Verhältnisse eingetreten, beim Sohn Christian bestehe zwar noch eine Anfallsbereitschaft, der letzte Anfall liege aber bereits vier bis fünf Jahre zurück.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung der gemäß § 8 FLAG 1967 erhöhten Familienbeihilfe als unbegründet ab, da die beiden Kinder nach den Ergebnissen der amtsärztlichen Untersuchung nicht als erheblich behindert angesehen werden könnten.
Der Beschwerdeführer berief und führte in seinem Berufungsschriftsatz aus, dem abweisenden Bescheid fehle eine Begründung dafür, warum der Bescheinigung des Amtsarztes die stärkere Beweiskraft zuerkannt worden sei. Objektive Überlegungen müßten seines Erachtens zu dem Schluß führen, daß speziell bei schulpflichtigen Kindern dem Schularzt eine genauere Beurteilung darüber möglich sei, ob die Kinder in der Schulausbildung voraussichtlich dauernd oder wesentlich beeinträchtigt seien, als einem außenstehenden Arzt. Da ihm nicht bekannt sei, welche Gründe dazu geführt hätten, daß der Bestätigung des Amtsarztes der Vorzug gegeben worden sei, könne er dazu auch nicht Stellung nehmen.
Eine daraufhin ergangene Anfrage des Finanzamtes, worin die dauernde und wesentliche Beeinträchtigung der beiden Kinder des Beschwerdeführers in der Berufsausbildung bzw. Schulbildung bestehe, beantwortete der Beschwerdeführer folgendermaßen: sein Sohn Christian hätte bei unregelmäßiger (nicht täglicher) Einnahme der vom Arzt verschriebenen Medikamente und ohne regelmäßige ärztliche Kontrolle derart oft epileptische Anfälle, daß er überhaupt keiner Berufsausbildung nachgehen könnte. Sein Sohn Alois hätte bei unregelmäßiger Einnahme der vom Arzt vorgeschriebenen Medikamente und ohne regelmäßige ärztliche Kontrolle derart oft epileptische Anfälle (und dazu noch das sogenannte Gesichterschneiden), daß er so manche Schulklasse zweimal machen müßte. Der Lernerfolg liege weit unter dem Durchschnitt und könne nur mit Nachhilfestunden und eingehenden Übungen zu Hause etwas gebessert werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, der die erhebliche Behinderung seiner beiden Söhne darin erblicke, daß sein Sohn Christian ohne Einnahme von Medikamenten in keiner Berufsausbildung stehen könnte, bzw. sein Sohn Alois ohne Einnahme von Medikamenten manche Klasse wiederholen müßte, könne nicht gefolgt werden, da der Wortlaut des § 8 Abs. 4 und 5 FLAG 1967 in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung eine derartige Auslegung nicht zulasse. Als erheblich behindert könnten nur Kinder angesehen werden, deren Schulbildung im schulpflichtigen Alter infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd oder wesentlich beeinträchtigt ist, oder die überhaupt schulunfähig sind. Eine solche Beeinträchtigung der Schulbildung könne jedoch nicht schon in der Notwendigkeit zur Einnahme von Medikamenten bzw. darin erblickt werden, daß ein Kind unter ärztlicher Kontrolle stehen müsse. Daß der Sohn Alois überhaupt schulunfähig sei, sei unbestritten nicht der Fall. Obwohl der Beschwerdeführer Bestätigungen des Gemeindearztes (Schularztes) beigebracht habe, sei der Befund des zuständigen Amtsarztes eingeholt worden, weil es gemäß § 115 BAO Aufgabe der Abgabenbehörde sei, in Erfüllung ihrer Ermittlungspflicht die materielle Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Der im § 167 BAO verankerte Grundsatz der freien Beweiswürdigung schließe auch die Befugnis in sich, sich bei einander widersprechenden Gutachten, Aussagen etc. für die eine oder andere Aussage zu entscheiden. Es könne daher dem Finanzamt nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn es seinem abweislichen Bescheid die Feststellungen des Amtsarztes und nicht jene des Schularztes zugrundegelegt habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in der für den Beschwerdefall maßgebenden Fassung (FLAG 1967) besteht für jedes Kind, das erheblich behindert ist, Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe. Gemäß Abs. 5 der eben zitierten Rechtsvorschrift - die gegenständlich maßgebliche Fassung dieser Bestimmung ergibt sich aus dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 23/1973 - gelten als erheblich behinderte Kinder solche,
a) deren körperliche oder geistige Entwicklung infolge eines Leidens oder Gebrechens so beeinträchtigt ist, daß sie im vorschulpflichtigen Alter voraussichtlich dauernd einer besonderen Pflege oder eines besonderen Unterhaltsaufwandes bedürfen,
b) deren Schulbildung im schulpflichtigen Alter infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist oder die überhaupt schulunfähig sind,
c) deren Berufsausbildung infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist,
d) die infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd nicht fähig sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gemäß Abs. 6 leg. cit. ist die erhebliche Behinderung durch ein Zeugnis eines inländischen Amtsarztes nachzuweisen. Einem amtsärztlichen Zeugnis ist eine entsprechende Bestätigung einer inländischen Universitätsklinik oder einer inländischen Krankenanstalt sowie eine entsprechende Bestätigung des Schularztes gleichzusetzen.
Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Beschwerde gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Beurteilung der belangten Behörde, seine beiden Kinder seien nicht als erheblich behindert im Sinne der eben zitierten Rechtsvorschriften anzusehen. Seinen beiden Söhnen sei es nur infolge der täglichen Einnahme von Medikamenten möglich, am Schulunterricht bzw. an der Berufsausbildung teilzunehmen. Es könne nicht der Absicht des Gesetzgebers entsprechen, in all den Fällen, in denen Kinder nur durch besondere Heilbehelfe, sei es durch Arzneimittel oder durch Körperersatzstücke, in die Lage versetzt würden, an der Schulbildung teilzunehmen, die erhebliche Behinderung zu verneinen. Andernfalls dürfe etwa auch einem schulpflichtigen Kind, das sich nur mit Hilfe von Beinprothesen fortbewegen könne, keine erhöhte Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung zuerkannt werden. Bei Verzicht auf die regelmäßige Einnahme der Medikamente würde sich von selbst der Zustand ergeben, den die belangte Behörde als erhebliche Behinderung betrachte. Unter dem Gesichtspunkt der behaupteten Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer, daß ihm im Abgabenverfahren keine Gelegenheit gegeben worden sei, zum Gutachten des Amtsarztes Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde habe nicht begründet, weswegen sie dieser Bestätigung des Amtsarztes gegenüber der des Schularztes den Vorzug gegeben habe.
Was nun zunächst die Ansicht des Beschwerdeführers anlangt, die erhebliche Behinderung seiner Kinder im Sinne der zitierten Rechtsvorschriften ließe sich schon aus der Notwendigkeit zur Einnahme von Medikamenten und zur ärztlichen Kontrolle ableiten, so vermag der Verwaltungsgerichtshof dieser Auffassung nicht beizupflichten.
Derartige Umstände stellen nämlich für sich allein noch keine wesentliche Beeinträchtigung bei der Schul- bzw. Berufsausbildung dar. Davon kann nach Ansicht des Gerichtshofes erst dann gesprochen werden, wenn - anders als im hier zu beurteilenden Fall - ein Leiden oder Gebrechen nicht auf einfache Weise, wie sie die regelmäßige Einnahme ärztlich verordneter Medikamente darstellt, behoben oder fast gänzlich behoben werden kann. Anhaltspunkte dafür, daß ein Leiden oder Gebrechen der beiden Kinder Alois und Christian bestanden hat, das auf die beschriebene Art nicht beseitigt werden kann, haben sich indes weder im Verwaltungsverfahren noch im Verfahren vor dem Gerichtshof ergeben, zumal auch der behauptete unterdurchschnittliche Schulerfolg des Sohnes Alois nicht schlechthin eine Behinderung darstellt, sondern allenfalls nur die Folge einer solchen Behinderung sein könnte.
Dem Beschwerdeführer ist dagegen beizupflichten, wenn er darin, daß die Abgabenbehörden im Verwaltungsverfahren nicht begründet haben, warum sie der Beurteilung des Amtsarztes, nicht hingegen der des Schularztes gefolgt sind, einen Verfahrensmangel erblickt. Dieser Mangel ist indes nicht wesentlich, weil nicht ersichtlich ist, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des ihr unterlaufenen Begründungsmangels zu einem anders lautenden Bescheid hätte gelangen können. Die dem angefochtenen Bescheid als Ausgangspunkt zutreffender Schlußfolgerungen zugrundeliegende Sachverhaltsannahme, die beiden Söhne des Beschwerdeführers würden nur eine cerebrale Anfallsbereitschaft, nicht aber eine darüber hinausgehende dauernde und wesentliche Beeinträchtigung aufweisen, geht nämlich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren selbst zurück und findet - trotz unterschiedlicher, hieran anknüpfender Folgerungen - letztlich auch in den beiden ärztlichen Bescheinigungen ihre Bestätigung. Unter diesen Umständen erweisen sich aber Verfahrensmängel, die die Richtigkeit dieser Grundannahme nicht in Frage stellen können, letzten Endes als für den Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens als nicht relevant.
Im Hinblick auf das Gesagte war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 316/1976 als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 221, insbesondere auf Art. III Abs. 2 dieser Verordnung.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | FamLAG 1967 §8 Abs5 idF 1973/023; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1981:1979002946.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAF-59079