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VwGH 16.02.1982, 2780/80

VwGH 16.02.1982, 2780/80

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
BauO NÖ 1976 §99 Abs2;
RS 1
Aus § 99 Abs 2 NÖ Bauordnung lässt sich kein Anspruch des übergangenen Nachbarn, auf Aufnahme des Beweises durch Sachverständige bei einer neuerlichen Bauverhandlung von der Behörde erster Instanz ableiten (Hinweis E VwSlg 6965 A/1966).
Norm
BauO NÖ 1976 §99 Abs4;
RS 2
Durch das Unterbleiben der Verweisung privatrechtl. Einwendungen gem § 99 Abs 4 NÖ Bauordnung auf den Zivilrechtsweg und die Erteilung der Baubewilligung wird der Nachbar nicht gehindert, die Bauverbotsklage gem § 340 ABGB zu erheben (Hinweis E , VwSlg 8124 A/1971).
Norm
AVG §52 Abs1;
RS 3
Ein zu der mitbeteiligten Gemeinde in einem Dienstverhältnis stehender Gemeindearzt ist als ein den Gemeindebehörden im Sinne des § 52 Abs 1 AVG 1950 beigegebener Amtsachverständiger anzusehen.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Draxler, DDr. Hauer, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Richter Mag. Dr. Walter, über die Beschwerde des Dr. E und der I F in W, vertreten durch Dr. Günther Pointner, Rechtsanwalt in Tulln, Hauptplatz (Eingang Milchgasse 2), gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. II/2-V-79217/1, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1) L und F B in M, 2) Marktgemeinde M, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Land Niederösterreich zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde M (in der Folge mitbeteiligte Marktgemeinde genannt) den Erstmitbeteiligten die Bewilligung zur Errichtung eines Aussiedlerhofes- (Wohnhaus, Schweinestall, Gerätehalle, Güllegrube und drei Rundsilos) auf dem Grundstück Nr. 217 inneliegend in EZ. 166 der KG M. Nachdem auf Grund der Vorstellungen der Beschwerdeführer die Niederösterreichische Landeregierung (in der Folge belangte Behörde genannt) mit den Bescheiden vom und vom die Berufungsbescheide des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom und , mit denen jeweils den Berufungen der Beschwerdeführer keine Folge gegeben worden war, behoben hatte, wies der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde mit Bescheid vom die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 neuerlich als unbegründet ab und verwies die Streitteile hinsichtlich der Behauptung der Minderung des Verkehrswertes ihres Objektes (richtig: des Objektes der Beschwerdeführer) gemäß § 99 Abs. 4 der Niederösterreichischen Bauordnung auf den Zivilrechtsweg.

Mit dem nun in Beschwerde gezogenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die gegen den zuletzt genannten Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde gerichtete Vorstellung der Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 3 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 als unbegründet ab.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung als Gemeindeaufsichtsbehörde im wesentlichen damit, dass die zum Anlass der Aufhebung des Bescheides des Gemeinderates vom genommene Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs beseitigt worden sei. Auf Grund eines Sachverständigengutachtens sei festgestellt worden, dass gegen das beabsichtigte Projekt bzw. die vorgesehene Tierhaltung im Ausmaß von 40 Zuchtsauen und 300 Mastschweinen bei Einhaltung des Abstandes von rund 170 m zum nächstgelegenen Bauland - Wohngebiet seitens des technischen Umweltschutzes keine Bedenken bestünden. Der als Sanitätssachverständige beigezogene Gemeindearzt habe in seinem Gutachten erklärt, dass auf Grund der tatsächlichen Entfernung des geplanten Schweinestalles zum Gebäude der Beschwerdeführer von 225 m eine das zumutbare Ausmaß übersteigende Geruchsbelästigung, insbesondere auf Grund der vorherrschenden Hauptwindrichtung, ausgeschlossen sei und damit eine Gefährdung der Beschwerdeführer durch Geruchsbelästigung nicht eintreten könne. Die belangte Behörde bezeichnete dieses Gutachten als schlüssig und erachtete daher den Einwand der Unzumutbarkeit bzw. Gesundheitsschädlichkeit der behaupteten Geruchsbelästigung als unbegründet. Aus diesem Grunde habe dieser Einwand auch nicht auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden, sondern habe als in einer Baurechtsnorm nicht begründet als unbegründet abgewiesen werden müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf ein gesetzmäßiges Verwaltungsverfahren und damit in ihrem aus § 99 Abs. 2 Niederösterreichische Bauordnung ableitbaren Recht auf die Aufnahme des Beweises durch Sachverständige bei der Bauverhandlung, sowie in dem aus § 99 Abs. 4 der Niederösterreichischen Bauordnung ableitbaren Recht auf Verweisung ihrer privatrechtlichen Einwendungen auf den Zivilrechtsweg, und schließlich in dem aus § 52 Abs. 1 AVG 1950 ableitbaren Recht auf Beiziehung eines amtlichen Sachverständigen verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde und über die Gegenschrift der belangten Behörde erwogen:

Zunächst ist auf Grund der Vorschrift des § 118 Abs. 8 der Niederösterreichischen Bauordnung, LGBl. Nr. 8200-0, davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern als Anrainern Parteistellung im durchgeführten Baubewilligungsverfahren zugekommen ist. Nach dem ersten Satz der genannten Gesetzesstelle genießen alle Grundstückseigentümer als Anrainer Parteistellung gemäß § 8 AVG 1950, wenn sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. Gemäß § 118 Abs. 9 Niederösterreichische Bauordnung werden subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über

1.

den Brandschutz;

2.

den Schutz vor anderen Gefahren, die sich auf die Anrainergrundstücke ausdehnen können;

3. die sanitären Rücksichten wegen ihres Einflusses auf die Umgebung;

4. Die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

Nach der Sondervorschrift des § 62 Abs. 2 erster Halbsatz leg. cit. sind für Baulichkeiten, die nach Größe, Lage und Verwendungszweck erhöhten Anforderungen nach Festigkeit, Brandschutz, Sicherheit und Gesundheit entsprechen müssen oder die Belästigungen der Nachbarn erwarten lassen, welche das örtlich zumutbare Maß übersteigen, die zur Abwehr dieser Gefahren oder Belästigungen nötigen Vorkehrungen zu treffen.

Aus den Bestimmungen über den Schutz vor Geruchsbelästigungen (Immissionen) und vor gesundheitsschädlichen Einflüssen erwächst nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht auf Unterbleiben der Errichtung bzw. auf Änderung der Anlage. Auf Grund der räumlichen Nähe der Liegenschaft der Beschwerdeführer zu dem bewilligten Bauvorhaben und der Möglichkeit der Verletzung der oben bezeichneten subjektiv-öffentlichen Rechte waren die Beschwerdeführer dem Verwaltungsverfahren als Parteien zuzuziehen. Wie sich aus der Aktenlage ergibt, wurden die Beschwerdeführer zur Bauverhandlung vom nicht geladen; es wurde ihnen jedoch in der Folge über ihren Antrag die erstinstanzliche Baubewilligung zugestellt und ihnen somit die Möglichkeit eingeräumt, dagegen das Rechtsmittel der Berufung zu ergreifen und ihre Rechte, insbesondere ihr Recht, Einwendungen zu erheben, wahrzunehmen. Wenn nun die Beschwerdeführer aus § 99 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung, wonach von der Aufnahme des Beweises durch Sachverständige nicht abgesehen werden kann, ein ihnen zustehendes Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ableiten, bzw. auf Beweisaufnahme bei einer solchen Verhandlung ist ihnen entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen übergangenen Nachbarn ein Recht auf Durchführung einer neuerlichen mündlichen Verhandlung nicht zukommt (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 6965/A, und vom , Slg. Nr. 7266/A). Im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG 1950 hat der übergangene Nachbar Anspruch auf volles Gehör, er hat aber keinen Anspruch auf Aufnahme des Beweises durch Sachverständige bei einer neuerlichen Bauverhandlung vor der Behörde erster Instanz. Diese Überlegungen gelten auch hinsichtlich der Bestimmung des § 99 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung, welche an sich die Aufnahme des Beweises durch Sachverständige bei der Bauverhandlung vorschreibt. Wie den Verwaltungsakten zu entnehmen ist, wurde im übrigen, wie auch die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, dem Grundsatz des Parteiengehörs entsprochen. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass nicht einmal die Beschwerdeführer eine Verletzung dieses Grundsatzes behauptet haben.

Die Beschwerdeführer vertreten weiters die Auffassung, sie seien in dem aus § 99 Abs. 4 der Niederösterreichischen Bauordnung ableitbaren Recht auf Verweisung ihrer privatrechtlichen Einwendungen auf den Zivilrechtsweg verletzt worden. Sie begründen dies insbesondere damit, dass nach dem letzten Satz der zitierten Gesetzesstelle privatrechtliche Einwendungen, deren Austragung dem Rechtsweg vorbehalten werden, im Bescheid ausdrücklich anzuführen seien. Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass ihr Einwand der Geruchsbelästigung eine privatrechtliche Einwendung im Sinne des § 364 Abs. 2 ABGB darstelle. Wegen der nichterfolgten Verweisung auf den Zivilrechtsweg seien sie unter Umständen gehindert, ihr Untersagungsrecht im Zivilrechtsweg nach den §§ 340 bis 342 ABGB auszuüben, weil Voraussetzung hiefür gemäß Art. XXXVII EGZPO Verweisung hinsichtlich der genannten privatrechtlichen Einwendungen auf den Zivilrechtsweg sei.

Die Beschwerdeführer sind mit dieser Auffassung im Unrecht. Für die Behandlung der Einwendungen des Nachbarn ist entscheidend, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche oder eine privatrechtliche Einwendung handelt, d.h. es kommt demnach darauf an, ob das Recht, dessen Verletzung behauptet wird, im öffentlichen Recht oder im privaten Recht begründet ist. Es gibt Einwendungen, die sowohl die Verletzung eines subjektivöffentlichen Rechtes als auch eines privaten Rechtes zum Gegenstand haben. Bei einer Einwendung wegen einer befürchteten Geruchsbelästigung handelt es sich um eine solche Einwendung, die sowohl einen öffentlich-rechtlichen als auch einen zivilrechtlichen Aspekt besitzt. Im Hinblick auf die Regelung des obzitierten § 118 Abs. 8 und 9 und § 62 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung haben die Baubehörden sowie die belangte Behörde zu Recht den Einwand der Geruchsbelästigung als öffentlich-rechtliche Einwendung beurteilt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen werden die Beschwerdeführer durch das Unterbleiben der Verweisung des zivilrechtlichen Aspektes der Einwendung der Geruchsbelästigung auf den Zivilrechtsweg nicht gehindert, die Bauverbotsklage gemäß § 340 ABGB zu erheben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich nämlich aus der Regelung des § 340 ABGB, dass auch bei Unterbleiben der Verweisung der aufrechten privatrechtlichen Einwendung auf den Zivilrechtsweg sowie ungeachtet des Vorliegens einer formellen Baubewilligung eine Rechtsverfolgung (durch den Nachbarn, den gefährdeten Besitzer also) bei Gericht nicht beeinträchtigt ist. Hat der Nachbar im Baubewilligungsverfahren rechtzeitig Einwendungen erhoben, kann er durch die Erteilung der Baubewilligung nicht seiner Klagslegitimation im zivilgerichtlichen Verfahren verlustig gehen, da ein Baubewilligungsbescheid seinem normativen Gehalt nach nicht mehr besagt, als dass die bewilligte Bauführung in öffentlichrechtlicher Beziehung zulässig ist, ihr also kein im öffentlichen Recht begründetes Hindernis entgegensteht (vgl. das Erkenntnis vom , Slg. Nr. 8124/A).

Die Beschwerdeführer sind auch mit ihrem Vorbringen, sie seien in ihrem aus § 52 Abs. 1 AVG 1950 ableitbaren Recht auf Beiziehung eines amtlichen Sachverständigen verletzt worden, nicht im Recht. Gemäß § 52 Abs. 1 AVG 1950 sind für den Fall, dass die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig wird, die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständigen) beizuziehen. Der nach dem Akteninhalt im vorliegenden Baubewilligungsverfahren durch die Baubehörden herangezogene Sanitätssachverständige ist, wie auch die Beschwerdeführer selbst anführen, Gemeindearzt der mitbeteiligten Marktgemeinde. Ein Gemeindearzt ist nach der Bestimmung des § 10 Abs. 1 des Niederösterreichischen Gemeindearztgesetzes 1977, LGBl. Nr. 9400-1, in ein öffentlichrechtliches Dienstverhältnis zur Gemeinde (Sanitätsgemeinde) aufzunehmen. Nach § 15 Abs. 1 des Niederösterreichischen Gemeindearztgesetzes 1977 obliegt dem Gemeindearzt unter anderem die fachliche Beratung der Gemeindeorgane. Auf Grund dieser Bestimmungen unterliegt es keinem Zweifel, dass ein zu der mitbeteiligten Marktgemeinde in einem Dienstverhältnis stehender Gemeindearzt als ein den Gemeindebehörden im Sinne des § 52 Abs. 1 AVG 1950 beigegebener Amtssachverständiger anzusehen ist.

Auf Grund der vorstehenden Erwägungen erweist sich daher die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 221/1981.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §52 Abs1;
BauO NÖ 1976 §99 Abs2;
BauO NÖ 1976 §99 Abs4;
Schlagworte
Amtssachverständiger der Behörde zur Verfügung stehend
Amtssachverständiger der Behörde beigegeben
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1982:1980002780.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAF-58957