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VwGH 26.06.1978, 2670/77

VwGH 26.06.1978, 2670/77

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Ein Rechtsanwalt mit einem ORDNUNGSMÄSSIGEN Kanzleibetrieb darf sich im allgemeinen, solange er nicht durch Fälle von Unzuverläßigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt wird, darauf verlassen, daß sein Kanzleipersonal einem von ihm diktierten Schriftsatz die aufgetragene Beilage auch tatsächlich anschließt.
Normen
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
RS 2
Es kann nicht als außergewöhnlich angesehen werden, daß ein Rechtsanwalt seine eigenen Beschwerdesachen durch die von ihm selbst geleitete Kanzlei bearbeiten läßt. Der Fall ist insoweit ebenso zu beurteilen, wie wenn es sich um die Bearbeitung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde eines Dritten handelte. Unter diesen Umständen vermag der Gerichtshof nicht zu finden, daß einen Rechtsanwalt bei eigenen Beschwerden eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft und er deshalb stets persönlich den tatsächlichen Anschluß der richtigen Beilage überwachen muß.

Entscheidungstext

Beachte

Fortgesetztes Verfahren:

1006/78 E ;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Raschauer und die Hofräte Kobzina, Öhler, Meinl und Dr. Würth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hailzl, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 46 VwGG 1965 wird dem Antrag des Dr. HK, Rechtsanwalt, und der SK, beide in G, N-gasse nn, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung ihrer Beschwerde gegen den Bescheid des Gemeinderates, der Landeshauptstadt Graz vom , Zl. A 8- 259/6-1977, betreffend einen Aufschließungsbeitrag, stattgegeben.

Begründung

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom , Zlen. 1632, 2236/77-7, die gegen den obzitierten Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom erhobene Beschwerde der beiden Antragsteller wegen Unterlassung der Behebung von Mängeln gemäß §§ 33 u. 34 Abs. 2 VwGG 1965 als zurückgezogen angesehen und das Verfahren eingestellt. Dagegen richtet sich der vorliegende Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Darin erachten sich die Antragsteller szt. durch ein unvorhergesehenes Ereignis an der rechtzeitigen Vorlage einer weiteren Ausfertigung eines Schriftsatzes zur Ergänzung der erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gehindert gewesen zu sein. Begründend führen sie unter Anschluss einer "eidesstättigen Erklärung" ins Treffen, die Kanzleiangestellte, Frau Eva Maria S., habe - entgegen dem Auftrag des Erstbeschwerdeführers - versehentlich an Stelle des abverlangten Schriftsatzes einer Beschwerdeergänzung eine weitere Ausfertigung der ursprünglichen Beschwerde vorgelegt. Auf Grund des Umstandes, dass einerseits für die Zweitbeschwerdeführerin durch Beauftragung eines Rechtsanwaltes die Gewähr für die ordnungsgemäße Erledigung der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes gegeben gewesen sei und andererseits für beide Beschwerdeführer ein Fehler der Rechtsanwaltskanzlei vorliege, welche beide ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert habe, liege ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG 1965 vor. Frau Eva Maria S., so führen die Antragsteller aus, habe bisher ihre Tätigkeit insbesondere bei der Erledigung und Abfertigung der täglichen Post der Rechtsanwaltskanzlei einwandfrei und fehlerlos ausgeübt, sodass für sie der obangeführte Fehler unvorhergesehen gewesen sei.

II.

In der Folge stellte der Verwaltungsgerichtshof, nachdem die Antragsgegnerin von der Erstattung einer Gegenäußerung Abstand genommen hatte, an das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz das Ersuchen, Rechtsanwalt Dr. H K. und Eva Maria S. gesondert und ohne Intervention Dritter als Auskunftspersonen zur Glaubhaftmachung dahingehend zu vernehmen, ob im Sinne der Behauptungen im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die gesetzlichen Voraussetzungen nach dem § 46 Abs.1 und 3 VwGG 1965 vorliegen. Unter anderem ersuchte der Verwaltungsgerichtshof auch um Klärung der Frage, ob nicht allenfalls eine allfällige Verletzung der gegenüber den Kanzleiangestellten bestehenden (Überwachungs- und Aufsichtspflicht des Rechtsanwaltes Dr. HK einer positiven Erledigung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hindernd im Wege stehen könnte.

Rechtsanwalt Dr. HK und Eva Maria S. wurden am 19. bzw. unbeeidet und als Auskunftspersonen vom ersuchten Richter vernommen.

Rechtsanwalt Dr. HK gab zu Protokoll, er habe im eigenen Namen und im Vollmachtsnamen seiner Gattin, der Zweitbeschwerdeführerin SK, die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde vom eingebracht. In weiterer Folge habe er die Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom erhalten, mit welcher aufgetragen worden sei, eine weitere Ausfertigung "des Schriftsatzes" zur Ergänzung der Beschwerde für die belangte Behörde beizubringen. Am habe er seiner Kanzleiangestellten Eva Maria S. einen Schriftsatz diktiert und ihr persönlich aufgetragen, den Schriftsatz vom zu kopieren und der gleichzeitig diktierten Eingabe anzuschließen. Im Schriftsatz vom seien auftragsgemäß verschiedene Mängel der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde behoben worden. Frau Eva Maria S. sei seit vier Jahren in seiner Rechtsanwaltskanzlei tätig und hievon zwei Jahre in seinem Büro. Sie sei ausschließlich für die Abfertigung der täglichen Post und Überprüfung der Beilagen verantwortlich. Er dürfe hiezu ausführen, dass seine Kanzlei aus drei Juristen und sechs Kanzleiangestellten bestehe und es ihm persönlich daher nicht möglich sei, die tägliche Post in der Weise zu kontrollieren, dass sämtliche angeordneten Beilagen auch tatsächlich beigelegt würden. Durchschnittlich könnte man sagen, dass zwischen 50 und 80 Poststücke täglich abgefertigt werden. Frau Eva Maria S. habe bisher insbesondere in Fristenangelegenheiten keinen Fehler begangen und führe er der Vollständigkeit halber aus, dass der szt. Wiedereinsetzungsantrag (Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zlen. 982, 1075, 1123 und 1124/76) die Kanzleileiterin Frau Doris F. betroffen habe. Der Irrtum durch Frau Eva Maria S. sei offensichtlich dadurch entstanden, dass in der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom nur eine weitere Ausfertigung des Schriftsatzes verlangt wurde, ohne dass dieser mit Datum oder Ordnungsnummer bezeichnet worden sei. Sie habe offenbar irrtümlich an Stelle des Schriftsatzes vom die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde vom selbst kopiert und beigelegt. Für die Zweitbeschwerdeführerin sei das Verschulden der Kanzlei des Erstbeschwerdeführers sicherlich unverschuldet. Ein Verschulden des Erstbeschwerdeführers in der Funktion als Bevollmächtigter der Zweitbeschwerdeführerin sei deshalb auszuschließen, weil sich die Inspektionspflicht bei einem derartigen Kanzleiumfang nur in Stichproben erschöpfen könne.

Eva Maria S. gab als Auskunftsperson an, sie halte ihre "eidesstättige Erklärung" vom vollinhaltlich aufrecht. Sie habe, so führt sie im Protokoll weiter aus, an Stelle die Mängelbehebung zur Beschwerde vom der diktierten Eingabe anzuschließen, irrtümlicherweise nochmal die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde kopiert und der Eingabe beigeschlossen. Dieser Irrtum habe nur deshalb passieren können, da in der Aufforderung zur Vorlage keinerlei Datumsangabe der beizuschließenden Zweitschrift ersichtlich gewesen sei. Sie sei irrtümlich der Meinung gewesen, dass eine Zweitschrift der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nochmals zu übermitteln sei.

III.

Gemäß dem § 46 Abs. 1 VwGG 1965 ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einer Partei, die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof eine Frist versäumt hat und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Im Grunde des § 46 Abs. 3 leg. cit. ist in den Fällen des Abs. 1 dieser Gesetzesstelle ein auf Wiedereinsetzung gerichteter Antrag binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses zu stellen.

Das Hindernis endete für die Antragsteller mit der Zustellung des hg. Beschlusses Zlen. 1632, 2237/77-7, am . Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde am zur Post gegeben und ist sohin fristgerecht eingebracht.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 9024/A, unter anderem zum Ausdruck gebracht hat, steht es der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen, wenn eine Frist durch ein Verhalten von Angestellten des Bevollmächtigten der Partei versäumt wurde, es sei denn, es läge ein Verschulden auf Seiten der Partei selbst vor. Hinsichtlich der in dem vorangeführten Beschluss ausdrücklich unerörtert gelassenen Frage, ob ein Verschulden des Vertreters der Partei diese selbst trifft, hat ferner der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss eines verstärkten Senates vom , Zl. 1212/76, - auf welches unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird -

in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung erkannt, dass das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei selbst gleichzustellen sei.

Von der dargestellten Rechtsprechung ist daher im vorliegenden Fall, in dem ein Verschulden der Zweitbeschwerdeführerin selbst nicht in Frage steht, zunächst zu prüfen, ob auch ein Verschulden ihres Vertreters, des Erstbeschwerdeführers, an der Vorlage eines unrichtigen Schriftsatzes auszuschließen ist.

In Ansehung dieser Frage muss von der Anforderung ausgegangen werden, dass die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten ist, dass insbesondere mit Präklusion sanktionierte Aufträge von Behörden oder Gerichten in richtiger Weise erfüllt werden. Dabei wird durch eine entsprechende Kontrolle unter anderem dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Stellt der Inhaber einer Rechtsanwaltskanzlei Unzuverlässigkeit einer Angestellten fest, so ist er zur persönlichen Aufsicht und Nachprüfung verpflichtet (culpa in inspiciendo).

IV.

Aus dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, welches durch das durchgeführte Beweisverfahren bestätigt wird, ergibt sich, dass Rechtsanwalt Dr. H K. als Erstbeschwerdeführer und Vertreter der Zweitbeschwerdeführerin eine nach seinen bisherigen Erfahrungen verlässliche Kanzleikraft, deren Tätigkeit nach seinen Angaben bisher niemals Anlass zu Beanstandungen gegeben habe, mit der Abfertigung der täglichen Post betraut hatte. Nun darf sich ein Rechtsanwalt mit einem ordnungsmäßigen Kanzleibetrieb im allgemeinen, solange er nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt wird, darauf verlassen, dass sein Kanzleipersonal einem von ihm diktierten Schriftsatz die aufgetragene Beilage auch tatsächlich anschließt.

In Würdigung des oben wiedergegebenen Sachverhaltes trifft nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes den Erstbeschwerdeführer, der die Bearbeitung seiner Beschwerde und der Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin seiner eigenen Kanzlei übertragen hat, kein Verschulden, wenn er die Zuordnung der abverlangten Beilage nicht persönlich überwacht hat. Es kann dabei nicht als außergewöhnlich angesehen werden, dass ein Rechtsanwalt seine eigenen Beschwerdesachen durch die von ihm selbst geleitete Kanzlei bearbeiten lässt. Der Fall ist insoweit ebenso zu beurteilen, wie wenn es sich um die Bearbeitung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde eines Dritten handelte. Unter diesen Umständen vermag der Gerichtshof nicht zu finden, dass den Erstbeschwerdeführer bei eigenen Beschwerden eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft und er deshalb stets persönlich den tatsächlichen Anschluss der richtigen Beilage überwachen muss.

Somit sind die Antragsteller im vorliegenden Fall durch ein unvorhergesehenes Ereignis ohne ihr Verschulden gehindert gewesen, die Frist für die Einbringung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof einzuhalten. Da sohin sowohl die formellen wie auch die materiellen Voraussetzungen gegeben sind, war die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom zu bewilligen.

Nach Rechtswirksamkeit dieses Beschlusses wird das Verfahren über die Beschwerde der beiden Antragsteller unter den Zlen. 1006 und 1007/78 weitergeführt werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1978:1977002670.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
RAAAF-58864