VwGH 08.07.1958, 2540/56
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | BauO Wr §129 Abs10 BauRallg implizit VwGG §42 Abs2 lita implizit |
RS 1 | Der Auftrag zur Beseitigung von Abweichungen von der Baubewilligung kann nur noch Maßgabe der von der Baubehörde zu wahrenden öffentlichen Interessen wie statische Sicherheit, Feuersicherheit, Rücksichten auf das Stadtbild etc) erteilt werden, zu einem darüber hinausgehenden Vergehen zur Durchsetzung der Fertigstellung (= Auftrag zur Durchführung jener Arbeiten, die zur Herstellung eines für die Benützungsbewilligung reifen Objektes erforderlich sind) ist die Baubehörde nicht berufen. |
Normen | BauO Wr §129 Abs10 BauRallg implizit VwGG §42 Abs2 lita implizit |
RS 2 | § 119 Abs 10 BauO für Wien bezweckt, Bauführungen, die der Baubewilligung oder soweit dieser nicht zu entnehmen ist, den Bauvorschriften widersprechen, mit baupolizeilichen Aufträgen entgegenzutreten. |
Normen | BauO Wr §74 Abs1 BauRallg implizit |
RS 3 | Ob die Vollendung einer Bauführung im Sinne des § 74 Abs 1 BauO für Wien als gegeben anzunehmen ist, ist stets eine Frage der Beurteilung des Einzelfalles, wobei es auf den Inhalt der Baubewilligung und den Stand der Bauführung ankommt. Man kann nicht von der Vollendung eines Bauwerkes erst dann sprechen wenn dieses schlüsselfertig hergestellt ist. Dies würde sinnwidrig bedeuten, daß eine Baubewilligung auch dann erlischt, wenn im Zeitpunkt des Fristablaufes noch geringfügige Restarbeiten durchzuführen sind. |
Normen | BauO Wr §74 Abs1 BauRallg implizit |
RS 4 | Die Erteilung einer Benützungsbewilligung nach Ablauf der Vollendungsfrist der Baubewilligung bringt gleichzeitig die Verlängerung dieser Frist zum Ausdruck. |
Entscheidungstext
Beachte
Siehe jedoch:
0797/74 E VwSlg 9063 A/1976; Für Gebäude in Schutzzonen (§7 BauO Wien) geänderte Judikatur auf Grund der Altstadterhaltungsnovelle 1972, LGBl. Nr. 16
Für Gebäude in Schutzzonen (§ BauO Wien) sh jedoch E , 979/74; geänderte Judikatur auf Grund der AltstadterhaltungsNov 1972, LGBl Nr. 16.
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Werner und die Räte Dr. Hrdlitzk, Dr. Krzizek, Dr. Lehne und Dr. Striebl als Richter, im Beisein des Regierungsoberkommissärs der nö. Landesregierung Kinscher als Schriftführer, über die Beschwerde der AB und Genossen, alle in Wien, gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, M.Abt. 64 v. , Zl.M.Abt.64 - B XI - 10/56), betreffend Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Josef Korn, und des Vertreters der belangten Behörde, Magistratsrat Dr. WR, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Magistrat der Stadt Wien, M.Abt.37, hatte mit Bescheid vom den Eigentümern des Hauses Wien XI, G-Straße Or. Nr. 58, EZ. 14/37 des Grundbuches S gemäß § 70 der Bauordnung für Wien die Bewilligung erteilt, bauliche Herstellungen vorzunehmen. Diese sollten darin bestehen, daß zur Wiedergewinnung von 7 Wohnungen und 1 Geschäftslokal die durch Bombeneinwirkung abgerissenen Hausteile, die sich über 2 Fensterachsen vom Erdgeschoß bis zum Dachgeschoß erstrecken, wiederaufgebaut, die schadhaften Teile der beiden rechts der Abbruchstelle befindlichen Pfeiler im Erdgeschoß abgetragen und wieder aufgemauert, die fehlenden Decken eingezogen, die Dachkonstruktion und Dachhaut ergänzt und sonstige kleinere Bauschäden behoben werden sollten. In einer Eingabe vom wurde die Erteilung der Benützungsbewilligung betrieben, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, daß eine Instandsetzung und Beseitigung der Kriegsfolgen bezüglich der Wohnung Nr. 15 nicht möglich gewesen sei, weil die hiezu erforderlichen Mittel nicht verfügbar gewesen seien. Mit dem an die Hausverwalterin MK gerichteten Schreiben vom teilte der Magistrat der Stadt Wien, M.Abt.37 mit, daß die Wohnung Nr. 15 völlig rohbaumäßig belassen worden sei. Die Fensterstöcke der gegen die D-Gasse gerichteten Fenster seien nicht eingemauert und die Fensteröffnungen mit Brettern verschalt. Dies verunziere das Stadtbild gröblich. Gleichzeitig wurde ausgeführt, daß für jene Teile des Hauses, hinsichtlich deren die Voraussetzungen für die Erteilung der Benützungsbewilligung gegeben gewesen seien, eine solche auch schon mit dem Bescheid vom , M.Abt.37, Bb XI/357/47, erteilt worden sei. Doch erging unter dem Datum eine weitere Mitteilung an die Hausverwaltung, in der zum Ausdruck kam, daß nach der Kriegsschadensbehebung auf Grund der Baubewilligung vom sämtliche Räume ausschließlich der beiden Aufenthaltsräume (Zimmer) der Wohnung Tür Nr. 15 benützbar seien.
In einer Anzeige vom ersuchte die Mietpartei die Behörde darum, die Instandsetzung der Wohnung Nr. 15 zu veranlassen. Es kam daraufhin zu einer Verhandlung an Ort und Stelle, als deren Ergebnis der Magistrat der Stadt Wien, M.Abt.37, mit Bescheid vom gemäß § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien und gemäß § 2 des Wiener Wiederaufbaugesetzes den Eigentümern den Auftrag erteilte, binnen 3 Wochen nach Zustellung des Bescheides unter Heranziehung eines hiezu berechtigten Gewerbetreibenden die Wohnung Nr. 15 als solche ordnungsgemäß instandsetzen zu lassen und den konsensgemäßen Zustand herzustellen. Einer allfälligen Berufung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt. In einer Begründung dieses Bescheides wurde zunächst angeführt, daß die Wohnung Nr. 15 im Rohbauzustand ohne feuerhemmenden Abschluß der Decke belassen worden sei. Fußböden, Türstöcke, Fensterstöcke, Deckenabschlüsse und Mauerverputz seien nicht vorahnden. Diese Umstände seien als Verschlechterung des ursprünglichen konsens- und bauordnungsmäßigen Zustandes anzusehen und ihrer Natur nach auch geeignet, das öffentliche Interesse zu beeinträchtigen. Soweit sie auf Kriegseinwirkung zurückzuführen seien, sei durch sie die Sicherheit gefährdet, bzw. die Gefahr eines weiteren Verfalls der noch bewohnten Baulichkeit gegeben. Somit bestehe eine Verpflichtung nach § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung bzw. nach § 2 des Wiener Wiederaufbaugesetzes. In der Berufung gegen diesen Bescheid wurde geltend gemacht, daß der Auftrag, die Wohnung ordnungsgemäß instandzusetzen, zu unbestimmt gefaßt und daß er, soweit er die Herstellung des konsensmäßigen Zustandes betrifft, auch deshalb unzulässig sei, weil eine Benützungsbewilligung für die Wohnung Nr. 15 noch gar nicht erteilt worden sei. Das öffentliche Interesse sei nicht beeinträchtigt, da keine Gefährdung gegeben sei. Wenn die Hauseigentümer überhaupt nicht um den Wiederaufbau angesucht hätten, so wären noch mehr Wohnungen unbenützbar. Sie hätten aber das Haus soweit als möglich aus eigenem instandgesetzt, und nun fehle eben das für die Fortsetzung der Arbeiten notwendige Kapital. In Wahrheit handle es sich bei den vorliegenden Schäden ausschließlich um Kriegsschäden. Es seien daher nur Sicherheitsmaßnahmen zu erzwingen, diese aber müßten bestimmt umschrieben werden. In einer Nachtragseingabe wurde gesondert der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt und dabei vorgebracht, daß die Wohnung nicht bewohnt sei. In einer weiteren ergänzenden Mitteilung wurde ausgeführt, daß der Mieter JA Küche und Vorzimmer der früher aus 2 Zimmern, Küche und Vorzimmer bestehenden gegenständlichen Wohnung gegen den Willen der Hauseigentümer weiter bewohne.
Mit ihrem Sitzungsbeschluß vom änderte die Bauoberbehörde den angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nunmehr wurde gemäß § 129 Abs. 16 der Bauordnung der Auftrag erteilt, binnen sechs Wochen nach Rechtskraft des Bescheides die in der Wohnung Nr. 15 des Hauses bestehenden Abweichungen von den Bauvorschriften, das ist vom Baukonsens (Bescheid vom , Zl. M.Abt.37 Bb XI 231/46) und von den Vorschriften der Bauordnung für Wien LGBl. Nr. 11/1930 in der geltenden Fassung zu beheben und die genannte Wohnung in einen diesen Bauvorschriften entsprechenden Zustand zu versetzen. In der Begründung des in Ausfertigung dieses Sitzungsbeschlusses ergangenen Bescheides des Magistrates der Stadt Wien wurde der Berufung teilweise Berechtigung zuerkannt. Zunächst sei mangels einer konkreten Gefahr im Verzugs - die in Rede stehenden Räume würden in ihrem derzeitigen Zustand bereits seit Jahren bewohnt - jener Teil des Spruches aufzuheben gewesen, der die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung verfügt hatte. Ferner habe sich der angefochtene Bescheid auf eine als Rechtsgrundlage für die aufgetragenen Maßnahmen untaugliche Gesetzesstelle gestützt. Wie nämlich in der Berufung zutreffend ausgeführt worden sei, sei im § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien nur die Verpflichtung enthalten, das Gebäude in einem der Baubewilligung und den Bauvorschriften entsprechenden Zustand zu erhalten, nicht aber die Verpflichtung, einen solchen Zustand erstmalig herzustellen. Doch habe die Aufhebung des angefochtenen Bescheides aus den folgenden Erwägungen nicht verfügt werden können: Wenn auch eine baubehördliche Bewilligung grundsätzlich nur ein Recht verleihe und keine Pflicht begründe, von ihr auch Gebrauch zu machen, so dürfe doch nicht übersehen werden, daß die Baubewilligung aus dem Jahre 1946 auch die Instandsetzung der Räume der Wohnung Nr. 15 erfaßt hatte. Nun überlasse es aber das Gesetz keineswegs dem Bauwerber, nur den ihm genehmen Teil eines bewilligten Bauwerkes tatsächlich auszuführen, den anderen Teil aber erst dann herzustellen, wenn er den Zeitpunkt hiefür als gekommen erachte. Dies ergebe sich eindeutig aus dem § 74 Abs. 1 der Bauordnung für Wien. Im vorliegenden Fall sei aber gerade dies geschehen. Es sei nur ein Teil des bewilligten Bauwerkes ausgeführt worden. Die in den Räumen der Wohnung Nr. 15 vorhandenen Mängel seien daher als Abweichungen von den Bauvorschriften im Sinne des § 129 Abs. 10 der Bauordnung aufzufassen. Sie seien gemäß dieser Gesetzesstelle zu beheben. Das Moment der wirtschaftlichen Zumutbarkeit habe außer Betracht zu bleiben, weil es sich nicht um einen Auftrag zur Instandsetzung, sondern um die Verpflichtung zur Behebung der Abweichungen von denBauvorschriften handle. Auch das Vorbringen, die Geldmittel der Berufungswerber seien erschöpft, sei daher nicht geeignet, eine im Sinne des Berufungsantrages lautende Entscheidung herbeizuführen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde angenommen, daß der 1. Halbsatz dieser Norm anzuwenden sei. In der Beschwerde wird nun geltend gemacht, das Verfahren sei mangelhaft geblieben, da keine der beiden Instanzen in eindeutiger Weise Feststellungen darüber getroffen habe, in welchem Umfang es sich im konkreten Fall um Kriegsschäden handle. In Wahrheit seien ausschließlich Kriegsschäden gegeben gewesen. Feststellungen in diesem Punkt seien deshalb von entscheidender Bedeutung, weil der Eigentümer eines kriegszerstörten Gebäudes durch kein Gesetz gezwungen werden könne - richtig wohl: durch kein Gesetz verhalten sei -, Kriegsschäden zu beheben. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht der Auffassung, daß der Sachverhalt in dem eben erörterten Punkt ergänzungsbedürftig ist. Aus der von der Behörde zitierten Baubewilligung geht eindeutig hervor, daß es sich bei den baulichen Herstellungen, die im Jahre 1946 bewilligt worden sind, um den Wiederaufbau von Häuserteilen handelt, die durch Bomben zerstört wurden. Eine andere, später noch zu erörternde Frage ist es, welche rechtliche Bedeutung diesem Umstand zukommt.
In der Beschwerde wird ferner geltend gemacht, daß die wirtschaftliche Zumutbarkeit zu prüfen gewesen sei. Diese Auffassung ist verfehlt. Das Problem der wirtschaftlichen Zumutbarkeit kommt im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Entscheidung zwischen den im § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien enthaltenen Alternativen zwischen Instandsetzung und Abbruch, allenfalls bei Teilschäden zwischen der Instandsetzung und der Entziehung des Benützungsrechtes, nicht aber im Fallt eines Bescheides nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung in Betracht. Ob nach dem ersten Halbsatz dieser Gesetzesstelle die Beseitigung der Abweichung von den Bauvorschriften zu fordern ist, ob der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt werden kann, abzutragen ist, kann nicht nach denselben Richtlinien beurteilt werden wie die Entscheidung zwischen der Beseitigung von Baugebrechen oder der Abtragung des Gebäudes. Die Interessenlage ist hier wesentlich anders. So konnten auch die Beschwerdeführer nicht behaupten, daß die Instandsetzung der Wohnung Nr. 15 in dem Sinn unzumutbar wäre, daß die instandgesetzten Objekte wegen der entstandenen Kosten während des Amortisationszeitraumes unvermietbar wären. Sie haben lediglich angeführt, daß ihnen Mittel für die Fortsetzung des Wiederaufbaues nicht zur Verfügung stehen; dieses Vorbringen weicht aber von der Geltendmachung der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit wesentlich ab.
Schließlich wenden sich die Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit der Erörterung der Hauptfrage zu. Die Auffassung der belangten Behörde, wonach der Bauwerber, dem eine Baubewilligung erteilt worden sei, zwar nicht gezwungen werden könne, den Bau zu beginnen, weil ihm der Bewilligungsbescheid nur ein Recht einräume, aber keine Pflicht auferlegte, daß aber der begonnene Bau zu Ende zu führen sei, finde im Gesetze keine Deckung. Sie widerlege sich von selbst, wenn man an den folgenden Grenzfall denke: Ein Grundeigentümer nimmt auf Grund einer Baubewilligung nach § 70 der Bauordnung für Wien Erdaushebungsarbeiten vor und stellt das Fundament her, dann gehen ihm aber plötzlich die Geldmittel aus und er stellt die Arbeit ein. Nun könnte niemand ernstlich behaupten, daß in diesem Fall der mittellose Bauwerber gezwungen werden könne, den ganzen Bau auszuführen. Man könne ihn nur unter Umständen verhalten, den Teilbau zu beseitigen. Nun müsse es aber vollkommen belanglos sein, in welchem Umfang der Bauwerber die Baubewilligung ausgenützt habe. Wenn auch im konkreten Fall alle Wohnungen, mit Ausnahme der Wohnung Nr. 15 wieder instandgesetzt worden seien, so könne doch die Baubehörde Bauwerber nicht zwingen, auch diese eine Wohnung instandzusetzen. Der Hinweis auf § 74 Abs. 11. Satz der Bauordnung für Wien gehe vollkommen ins Leere. Aus dieser Gesetzesstelle folge gerade das Gegenteil von dem, was die Behörde daraus ableite. Die Befristung der Wirksamkeit der Baubewilligungen sei gerade deshalb notwendig gewesen, weil ein direkter obrigkeitlicher Zwang zur Durchführung von Bauvorhaben nicht geübt werden könne. In der Ausgabe der Wiener Bauordnung von Schubert-Loibl werde ausgeführt, daß ein nach Erlöschen der Geltungsdauer bestehender unvollendeter Bau als Baugebrechen gelte; dessen Beseitigung könne die Baubehörde verlangen. Nun sei im gegenständlichen Fall nicht die Bewilligung zur Errichtung eines neuen Gebäudes erteilt worden, sondern nur eine solche zur Instandsetzung verschiedener bombenzerstörter Wohnungen. Wenn nur ein Teil dieser Wohnungen in Ausnützung dieser Baubewilligung instandgesetzt worden sei, so könne doch die nicht fertiggestellte Wohnung - richtig wohl: der unvollendete Zustand dieser Wohnung - nicht als Baugebrechen gewertet werden. Auch § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien sei nicht anwendbar. In dieser Bestimmung sei nur von der Beseitigung eines vorschriftswidrigen Baues, für den nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden sei, die Rede. Im konkreten Fall handle es sich nicht um einen vorschriftswidrigen Bau. Auch verlange der angefochtene Bescheid dessen Beseitigung gar nicht, weil dies auch praktisch nicht möglich wäre. Der Baubewilligungsbescheid sei infolge Zeitablaufes unwirksam geworden; somit dürfe auch die Instandsetzung der Wohnung nicht auf Grund dieses Bescheides aufgetragen werden. Aber selbst wenn man die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht teilen wollte, dürfte keinesfalls ein Auftrag zur Behebung von Kriegsschäden gegeben werden.
Der Verwaltungsgerichtshof muß zunächst in Übereinstimmung mit der Gegenschrift darauf hinweisen, daß die Behörde keinen Auftrag zur Behebung von Kriegsschäden erteilt hat; durch das Ansuchen um Baubewilligung zwecks freiwilliger Beseitigung von Kriegsschäden wurde jene Lage entscheidend verändert, in der der Hauseigentümer nur zu beschränkten Maßnahmen der Abwehr von Gefahren und weiterem Verfall verpflichtet ist. Die Beschwerdeführer können sich, nachdemsie einmal als Bauwerber aufgetreten sind, nicht mehr darauf berufen, daß - weil ursprünglich ein Kriegsschaden vorliege - nur begrenzte Aufträge gesetzlich gedeckt seien. Damit steht fest daß, es sich vorliegendenfalls nicht um Probleme der Beseitigung von Kriegsschäden handelt, sondern um Fragen, die bei der Ausführung eines genehmigten Bauvorhabens schlechthin auftreten können. Ein solches Problem ist das des Erlöschens einer Baubewilligung nach § 74 der Bauordnung für Wien. Nach dieser Bestimmung wird eine Baubewilligung u.a. dann unwirksam, wenn der Bau innerhalb zweier Jahre nach Baubeginn nicht vollendet wird. Die belangte Behörde und die Beschwerdeführer gehen übereinstimmend davon aus, daß im vorliegenden Fall die Baubewilligung erloschen sei, knüpfen aber daran voneinander abweichende Erwägungen. Der Gerichtshof ist nicht der Auffassung, daß von „der Vollendung“ eines Bauwerkes erst dann gesprochen werden könnte, wenn dieses „schlüsselfertig“ hergestellt ist. Eine solche Auffassung müßte zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, daß eine Baubewilligung auch dann erlöschen könnte, wenn im Zeitpunkt des Ablaufes der Frist noch geringfügige Restarbeiten nicht durchgeführt sind. Ob nun die Vollendung einer Bauführung im Sinne des § 74 Abs. 1 der Bauordnung als gegeben anzunehmen ist, wird stets eine Frage der Beurteilung des Einzelfalles sein, wobei es auf den Inhalt der Baubewilligung und den Stand der Bauführung ankommen muß. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Bewilligung für einen teilweisen Wiederaufbau, Sieben Wohnungen und ein Geschäftslokal sollten nach der Baubewilligung vom „wiedergewonnen“ werden. Sechs Wohnungen und ein Geschäftslokal wurden tatsächlich wieder hergestellt, die zerstörten Teile der siebenten Wohnung im Rohbau wiederaufgeführt. Da somit von der Baubewilligung zum weit überwiegenden Teil Gebrauch gemacht wurde, könnte ein Erlöschen der Baubewilligung nicht angenommen werden, wenn der beschriebene Zustand innerhalb von zwei Jahren nach der Baubewilligung oder innerhalb einer erstreckten Frist hergestellt worden wäre. Man ist den Beschwerdeführern die Benützbarkeit der Objekte mit Ausnahme der beiden Aufenthaltsräume der Wohnung Tür Nr. 15 mit „Mitteilung“ vom behördlich bekannt gegeben worden. Wie die belangte Behörde selbst in ihrer Gegenschrift, so würdigt auch der Verwaltungsgerichtshof diese behördliche Äußerung als Erteilung der Benützungsbewilligung. Damit ist die Frage nach der fristgerechten Vollendung ausgeschaltet, da die Erteilung der Benützungsbewilligung nach Ablauf der Vollendungsfrist gleichzeitig die Verlängerung der Frist zum Ausdruck bringt. Es ist daher vom aufrechten Bestand der Baubewilligung auszugehen Diese Feststellung über den aufrechten Bestand der Baubewilligung ist für die entscheidende Rechtsfrage wesentlich, in welcher Weise, der von der Bauoberbehörde zur Begründung des Auftrages herangezogene Absatz 10 des § 129 der Bauordnung hier zur Anwendung kommen kann. Die „Beseitigung“ eines „vorschriftswidrigen Baues“, wie sie im zweiten Satzteil dieser Gesetzesstelle vorgesehen ist, kann nämlich schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil - wie eben ermittelt wurde - von einem konsenslosen Bau nicht die Rede sein kann. Daher erübrigt es sich, auch auf die verschiedenen von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hinsichtlich der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Abtragung angestellten Erwägungen einzugehen. Wohl liegen naturgemäß infolge des unfertigen Zustandes einer Wohnung, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer, Abweichungen von den Bauvorschriften vor, und zwar auch solche, die unabhängig von dem in Aussicht genommenen Verwendungszweck als Wohnung ins Gewicht fallen. So stellt etwa, um nur einen besonders wichtigen Punkt zu erwähnen, der Mangel eines feuerhemmenden Abschlusses der Decken eine vom Standpunkt der Feuersicherheit bedeutsame Abweichung von den Bauvorschriften dar. Nun ermächtigt § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien die Baubehörde, allerdings einen Auftrag zur Beseitigung von Abweichungen von den Bauvorschriften zu erlassen. Diese Vorschrift ist von dem Grundgedanken getragen, daß eine Möglichkeit bestehen soll, Bauführungen, die der Baubewilligung oder, soweit dieser nichts zu entnehmen ist, den Bauvorschriften widersprechen, mit baupolizeilichen Aufträgen entgegenzutreten. Die Baubehörde ist demnach in Anwendung dieser Vorschrift nicht berechtigt, im Falle als die Bauarbeiten noch nicht zur Gänze durchgeführt worden sind, die Durchführung aller jener Arbeiten aufzutragen, die zur Herstellung eines für die Benützungsbewilligung reifen Objektes erforderlich sind. Ein solches Vorgehen würde dem Grundsatz der Baufreiheit widerstreiten. Doch muß es der Behörde freistehen, zur Wahrung aller jener öffentlichen Interessen einzuschreiten, deren Schutz die Aufgabe des Baurechtes ist (statische Sicherheit, Feuersicherheit, Rücksichten auf das Stadtbild etc.); zu einem darüber hinausgehenden Vorgehen zur Durchsetzung der Fertigstellung, ist die Baubehörde nicht berufen. Die Bereitstellung von Wohn- und Geschäftsräumen ist nämlich kein von der Baubehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu wahrendes öffentliches Interesse. Diesem wichtigen Zweck dienen andere Regelungen. Die belangte Behörde wäre demnach verpflichtet gewesen, die Auftragserteilung, die sie in Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides auf die zutreffende Norm des § 129 Abs. 10 der Bauordnung gestützt hat, auch im Sinne der obigen Darlegungen zu konkretisieren und demgemäß in der Begründung des Bescheides auszuführen, aus welchen öffentlichen Rücksichten Aufträge solcher Art notwendig sind. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, mußte der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 aufgehoben werden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | BauO Wr §129 Abs10 BauO Wr §74 Abs1 BauRallg implizit VwGG §42 Abs2 lita implizit |
Sammlungsnummer | Vwslg 4728 A/1958 |
Schlagworte | Baubewilligung BauRallg6 Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Baugebrechen Instandhaltungspflicht Instandsetzungspflicht BauRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1958:1956002540.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAF-58756