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VwGH 16.09.1960, 2523/59

VwGH 16.09.1960, 2523/59

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
BauO Wr §86 Abs3;
GebrauchsgebührenG Wr 1948;
RS 1
Dem § 86 Abs 3 BauO Wr ist durch das GebrauchsabgabeG (Gesetz vom , LGBl Nr 4/1948, in der Fassung des Gesetzes vom , LGBl Nr 14/1949) nicht derogiert worden.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Rat Dr. Borotha und die Räte Dr. Hrdlitzka, Dr. Krzizek, Penzinger und Dr. Striebl als Richter, im Beisein des Magistratskommissärs, Dr. Liska als Schriftführer, über die Beschwerde der Republik Österreich (Österreichisches Postsparkassenamt) gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Wiener Magistrates im selbständigen Wirkungsbereich vom , Zl. M.Abt.64 - B VI - 15/58), betreffend die Vorschreibung einer Auflage bei Erteilung einer Baubewilligung, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Prokuraturskommissär DDr. VG, und des Vertreters der belangten Behörde, Magistratsrat Dr. AB, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde dem KK, Inhaber des Espresso "X", der mitbeteiligten Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, gemäß § 70 und § 86 Abs. 2 lit. b und c und Abs. 3 der Bauordnung für Wien die Bewilligung erteilt, auf der Liegenschaft Wien VI, S-straße 57 - 59, nachstehende bauliche Abänderungen durchzuführen: 1.) Die örtliche Verlegung der Bühnenanlage im Bereiche des Tanzsaales,

2.) das Aufstellen von Leichtwänden laut Plan und 3.) die Errichtung eines zusätzlichen Einganges an der G-gasse. Die Bewilligung wurde u.a. an die Auflage gebunden, daß das Vordach (Wetterdach) und der Stiegenaufgang des Einganges an der G-gasse gemäß § 86 Abs. 2 lit. b und c und Abs. 3 der Bauordnung für Wien über jederzeitiges Verlangen der Baubehörde ohne Anspruch auf Entschädigung zu beseitigen sind. Für die Einhaltung dieser Verpflichtung wurde die Haftung des Bauwerbers, des Hauseigentümers (der Beschwerdeführerin) sowie seiner Rechtsnachfolger ausgesprochen. Unter einem wurde dem Einschreiter gemäß § 1 Gebrauchsgebührengesetz die Erlaubnis erteilt, die in Verwaltung der Stadt Wien stehende Verkehrsfläche und den darüber befindlichen Luftraum durch eine Stufenanlage und ein Vordach 2'30 m lang, 1'00 m Vorsprung, benützen zu dürfen.

In einer gegen diesen Bescheid ergriffenen Berufung wendete sich die Beschwerdeführerin gegen die Vorschreibung unter Punkt

4.) des Bescheides betreffend die Verpflichtung zur Abtragung der dort genannten Vorbauten auf jederzeitiges Verlangen der Baubehörde. Diese Auflage sei im Gesetze nicht begründet.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nicht Folge. Sie bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Berichtigung, daß für die Bewilligung zur Errichtung eines Vordaches (Wetterdaches) die angewendete Gesetzesbestimmung § 86 Abs. 2 lit. e der Bauordnung für Wien sei. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, von der Beschwerdeführerin als Hauseigentümerin eingebrachte Beschwerde. Es wird dem Sinne nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht und hiezu ausgeführt, das Ermessen der Baubehörde auf Zulassung der in § 86 Abs. 2 lit. a bis f der Bauordnung für Wien angeführten Bauten vor der Baulinie sei durch § 86 Abs. 3 der Bauordnung bezüglich der lit. a bis c insofern ein gebundenes, als das Gesetz die Zulassung dieser Vorbauten auf die Dauer des Bestandes der Baulichkeiten anordnet. Es stehe daher der Baubehörde nur zu, entweder die Vorbauten im Sinne des § 86 Abs. 2 lit. b der Bauordnung zu versagen oder - allerdings unter Bedingungen, nicht aber solcher der Verpflichtung zur Beseitigung -

die Genehmigung auf Dauer des Bestandes der Baulichkeit zu erteilen. Da die Baubehörde von ihrem Ermessen in der Richtung Gebrauch gemacht habe, daß sie den Bau der Stufenanlage zugelassen habe, sei die Einschränkung der Bewilligung auf jederzeitigen Widerruf nicht möglich.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat die Auflage des jederzeitigen Widerrufes in dem angefochtenen Bescheid damit begründet, daß gemäß § 86 Abs. 2 der Bauordnung für Wien die unter lit. a bis f aufgezählten Vorbauten zwar mit Zustimmung der Gemeinde unter den von ihr festgesetzten Bedingungen bewilligt werden können, die Erteilung einer solchen Bewilligung aber im freien Ermessen der Behörde liege. Bei der Handhabung des Ermessens sei davon auszugehen, daß der Erhaltung des Bestandes an Verkehrsflächen ein besonderes Gewicht beigemessen werden müsse, sodaß im Fall einer auf Dauer erteilten Bewilligung für die Errichtung eines Stiegenaufganges vor der Baulinie auf einer öffentlichen Verkehrsfläche öffentliche Interessen entgegenstehen. In der Gegenschrift hat die belangte Behörde hiezu noch ausgeführt, durch das Gebrauchsgebührengesetz, das später erlassen wurde als die Bauordnung, sei der Bestimmung des § 86 Abs. 3 der Bauordnung für Wien insoweit derogiert worden, als in dieser ausgesprochen werde, daß die unter § 86 Abs. 2 lit. a bis c genannten Vorbauten auf die Dauer des Bestandes der Baulichkeiten zuzulassen seien. Dies deswegen, weil gemäß § 1 letzter Satz Gebrauchsgebührengesetz niemandem ein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Gebrauchserlaubnis zustehe und gemäß Absatz 2 derselben Gesetzesstelle die Gebrauchserlaubnis unübertragbar und jederzeit widerruflich sei, sofern sich nicht aus der Natur des Gebrauches etwa anderes ergebe. Daß eine über die Baulinie hinausreichende Stufenanlage, die nach der Aufführung einer Baulichkeit errichtet werde, wieder entfernt werden könne, könne nicht bezweifelt werden. Daraus ergebe sich aus der Natur des Gebrauches nichts anderes als die Erteilung der Gebrauchserlaubnis gegen jederzeitigen Widerruf. Hiezu ist nachstehendes zu sagen:

Nach § 86 Abs. 2 lit. b der Bauordnung für Wien (Gesetz vom , LGBl. Nr. 11/1930 mit Änderungen) können mit Zustimmung der Gemeinde unter den von ihr festgesetzten Bedingungen unter anderem Stufenanlagen als Vorbauten über die Baulinie bewilligt werden. Nach Abs. 3 der gleichen Gesetzesstelle sind die in Abs. 2 unter d, e und f genannten Vorbauten in der Regel nur gegen jederzeitigen Widerruf gestattet; die übrigen Vorbauten, also auch Stufenanlagen, werden auf die Dauer des Bestandes der Baulichkeiten zugelassen. Auf diese gesetzlichen Bestimmungen kann daher die belangte Behörde den Vorbehalt des Widerrufes nicht gründen, weil der gegenständliche Vorbau offensichtlich als Stufenanlage im Sinne des Abs. 2 lit. b anzusehen ist, die auf die Dauer des Bestandes der Baulichkeiten zuzulassen ist.

Dies trifft allerdings nur auf die Stufenanlage zu. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid den erstinstanzlichen Bescheid, der die Bewilligung zur Errichtung eines Vordaches auf § 86 Abs. 2 lit. c der Bauordnung für Wien gestützt hatte, mit Recht dahin berichtigt, daß für diese Bewilligung die tragende Rechtsgrundlage in § 86 Abs. 2 lit. e der Bauordnung zu erblicken sei, für den nach Abs. 3 die Bewilligung nur gegen jederzeitigen Widerruf vorgesehen ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch der Meinung, daß eine dem Sinn des Gesetzes folgende Auslegung dazu führen muß, daß im vorliegenden Fall, in dem das Wetterdach dem Schutz der Stufenanlage dient, beide Vorbauten als eine Einheit zu betrachten sind, deren Zweck (Betreten des Gebäudes durch den in der Front gegen die G-gasse neu geschaffenen Eingang) die Unterstellung beider Vorbauten, soweit es sich um die Frage handelt, ob die Bewilligung für die Dauer des Bestandes der Baulichkeit oder nur auf Widerruf zu erteilen ist, unter die Vorschrift des § 86 Abs. 2 lit. b der Bauordnung rechtfertigt. Hiebei erscheint jedoch die weitere Feststellung geboten, daß als Baulichkeit, an deren Bestand die Dauer der Bewilligung der Vorbauten gebunden ist, ihrem Zweck entsprechend, nicht der Bestand des Gebäudes an sich, sondern der jenes Einganges anzusehen ist, zu dem die Stufenanlage führt, die von dem Vordach überdeckt ist. Sollte dieser aufgelassen und zugemauert werden, so fallen damit die Voraussetzungen für die Belassung der Vorbauten fort. Auf Grund dieser Erwägungen ist im folgenden, wenn von der Stufenanlage gesprochen wird, stets auch das zugehörige Vordach gemeint.

Die belangte Behörde ist nun der Meinung, daß die Bestimmung des § 86 Abs. 3 der Bauordnung deswegen nicht mehr dem Bestande der Rechtsordnung angehört, weil ihr durch das spätere Gebrauchsgebührengesetz (Gesetz vom , LGBl. Nr. 4/1958, in der Fassung des Gesetzes vom , LGBl. Nr. 14) inhaltlich derogiert wurde. Nach § 1 Abs. 1 Gebrauchsgebührengesetz bedarf der Gebrauch der in der Verwaltung der Stadt Wien stehenden Verkehrs- oder Erholungsflächen sowie des darüber befindlichen Luftraumes zu anderen Zwecken als zu denen, die jedermann zustehen, einer vorherigen Erlaubnis des Magistrates (Gebrauchserlaubnis). Auf die Erteilung einer Gebrauchserlaubnis steht ein Rechtsanspruch nicht zu. Nach Abs. 2 der gleichen Gesetzesstelle ist die Gebrauchserlaubnis unübertragbar und jederzeit widerruflich, sofern sich nicht aus der Natur des Gebrauches etwas anderes ergibt; sie kann an die Einhaltung von Bedingungen gebunden werden. Aus dem Zusammenhalt dieser Bestimmungen mit den Bestimmungen des § 86 der Bauordnung für Wien ergibt sich, daß die in Abs. 2 dieser Gesetzesstelle angeführten Vorbauten nunmehr keiner besonderen anderen Zustimmung der Gemeinde mehr bedürfen, wenn hiefür eine Gebrauchserlaubnis im Sinne des Gebrauchsgebührengesetzes vorliegt. Denn diese Gebrauchserlaubnis ersetzt die sonst (nach § 63 Abs. 1 letzter Satz der Bauordnung für Wien) erforderliche Zustimmung des Grundeigentümers, die auch bei Bauten auf Verkehrs- oder Erholungsflächen an sich notwendig ist. Die Zustimmung der Gemeinde im § 86 der Bauordnung wurde offenbar aus den gleichen Erwägungen gefordert, die für die Bestimmung des § 63 Abs. 1 letzter Satz der Bauordnung maßgeblich waren, wonach der Bauwerber, wenn er nicht selbst Eigentümer der Liegenschaft ist, für eine bewilligungspflichtige Bauführung die Zustimmung des Grundeigentümers nachzuweisen hat. Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich aber der Meinung der belangten Behörde nicht anzuschließen, daß durch das Gebrauchsgebührengesetz auch die Vorschriften des § 86 Abs. 3 der Bauordnung für Wien geändert wurden. Wie sich aus dem vorhin wiedergegebenen Wortlaut des Gebrauchsgebührengesetzes ergibt, ist die Gebrauchserlaubnis jederzeit widerruflich, sofern sich nicht aus der Natur des Gebrauches etwas anderes ergibt. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, ist nicht in dem Verfahren betreffend die Erteilung einer Baubewilligung für Vorbauten vor der Baulinie, sondern in dem Verfahren betreffend die Erteilung der Gebrauchserlaubnis zu entscheiden. Kommt in einem solchen Falle die Behörde zu dem Ergebnis, daß die Gebrauchserlaubnis nur gegen jederzeitigen Widerruf erteilt werden kann, und ist der Einschreiter mit dieser Entscheidung nicht einverstanden, dann steht ihm zufolge § 10 Abs. 1 Gebrauchsgebührengesetz das Rechtsmittel der Berufung an die Landesregierung zu. Für die Baubehörde ist aber die Erteilung der Gebrauchserlaubnis ein notwendiges Sachverhaltselement, das sie ermächtigt, Vorbauten vor der Baulinie nach Maßgabe der Bestimmungen der Bauordnung bewilligen zu können. Auch die Baubehörde kann die Bewilligung für derartige Vorbauten an die Auflage des jederzeitigen Widerrufes binden, dies jedoch nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 86 Abs. 3 der Bauordnung für Wien gegeben sind. Ist eine Gebrauchserlaubnis nur gegen jederzeitigen Widerruf für eine Bauführung erteilt worden, für welche, wie im vorliegenden Fall, ein Widerruf nach der Bauordnung nicht möglich ist, dann ist es Sache derjenigen Behörde, die zur Handhabung der Bestimmungen des Gebrauchsgebührengesetzes berufen ist, die Beseitigung der Vorbauten mit den ihr nach diesem Gesetz zu Gebote stehenden Zwangsmitteln zu bewirken. Für die Baubehörde ist hier die Rechtslage nicht anders, als wenn der Grundeigentümer, der einer Bauführung zugestimmt hat, nach Erteilung der Baubewilligung die Zustimmung zur Benutzung seines Grundes widerruft.

Da die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung über die von der Beschwerdeführerin lediglich hinsichtlich der Auflage des jederzeitigen Widerrufes erhobene Berufung von einer unrichtigen Auslegung der Vorschriften des § 86 der Bauordnung für Wien ausgegangen ist, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich jedoch veranlaßt, noch auf folgendes hinzuweisen: Wohl ist es dem Gerichtshuf verwehrt, in einer verbindlichen Weise darüber abzusprechen, ob die Erteilung der Gebrauchserlaubnis im vorliegenden Fall auf jederzeitigen Widerruf dem Gesetz entspricht. Es erscheint aber zweckmäßig, der Ansicht der belangten Behörde entgegenzutreten, daß eine Gebrauchserlaubnis unter allen Umständen nur gegen Widerruf erteilt werden könne. Denn die Widerruflichkeit der Gebrauchserlaubnis ist nach § 1 Abs. 2 Gebrauchsgebührengesetz keine unbedingte. In dieser Gesetzesstelle wird nämlich ein Vorbehalt für jene Fälle gemacht, in denen sich aus der Natur des Gebrauches etwas anderes ergibt. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung ließe sich daher die Meinung vertreten, daß § 86 Abs. 2 der Bauordnung für Wien in den lit. a bis c auf jene Fälle hinweist, für welche "aus der Natur des Gebrauches" die Widerruflichkeit der Gebrauchserlaubnis nicht in Betracht zu ziehen ist. Bei dieser Auslegung bestünde kein Widerspruch zwischen den Bestimmungen der Bauordnung und den Bestimmungen des Gebrauchsgebührengesetzes.

Wien, am

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Normen
BauO Wr §86 Abs3;
GebrauchsgebührenG Wr 1948;
Sammlungsnummer
VwSlg 5614 A/1961
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1960:1959002523.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-58728